Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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16.

Zu derselben Zeit, in der Glaukus mit Jone und Nydia in der Gondel aufs Meer hinausfuhren, war das Forum von Pompeji von einer lärmenden Menschenmenge angefüllt. Mitten durch das Gewoge schwatzender Müßiggänger schritt ein Mann, der mit Verachtung und Unwille auf das ausgelassene Treiben blickte.

»Dort geht Olinthus«, sagte ein Juwelier, der ihn bemerkte, zu seinem Gefährten, einem Kaufmann. »Man hält ihn für einen Nazarener.«

Der Kaufmann erschrak. »Eine gefährliche Sekte«, sagte er mit leiser und ängstlicher Stimme. »Man behauptet, daß sie in ihren nächtlichen Versammlungen jedesmal ihre Zeremonien mit der Ermordung eines neugeborenen Kindes beginnen; auch bekennen sie sich zu einer Einheit der Götter – die Elenden! – Eine Einheit der Götter! Was würde aus den Kaufleuten und den Juwelieren werden, wenn solche Glaubensartikel allgemein würden?«

»Das ist sehr wahr,« sagte der Juwelier, »überdem tragen sie keine Juwelen – sie murmeln Bezauberungen, wenn sie eine Schlange sehen, und in Pompeji sind alle unsere Verzierungen schlangenartig.«

Olinthus, der wohl die finsteren Blicke sah, mit den man ihn anstarrte, hatte unterdessen das Forum verlassen und begegnete plötzlich einem jungen Mann mit ernstem, bleichem Angesicht, den er erkannte.

Der junge Apäcides, gehüllt in ein Pallium, das teilweise sein heiliges Priestergewand verbarg, heftete seine Blicke auf den Schüler jenes neuen und geheimnisvollen Glaubens, zu dem er einst selbst schon halb bekehrt worden war.

»Ist er auch ein Betrüger? – Verbirgt auch dieser Mann, der so einfach in seinem Leben, in seinem Anzuge, in seiner ganzen Erscheinung ist – verbirgt auch er, wie Arbaces, unter dem Deckmantel strenger Enthaltsamkeit nur seine üppige Sinnlichkeit? Sind auch hier unter dem Schleier der Vesta die Laster der Verworfenheit verborgen?«

Olinthus, der gewohnt war, mit Menschen aus allen Klassen umzugehen und mit der Begeisterung seines Glaubens eine tiefe Menschenkenntnis verband, erriet vielleicht aus den Zügen des Priesters einiges von dem, was in seiner Brust vorging. Er begegnete mit heiterer und offener Stirn und mit festem Blick dem des Apäcides.

»Friede sei mit dir!« sagte er, indem er ihn grüßte.

»Friede!« wiederholte der Priester in einem so hohlen Tone, daß der Nazarener sich gerührt fühlte.

»Wenn es dir recht ist,« sagte Olinthus, »dann gehen wir an das Ufer des Flusses. Dort ist es einsam, ich möchte dich etwas fragen.«

Apäcides nickte bejahend, und so schritten die beiden, der Priester der Isis und der Bekenner des Christusglaubens nach dem Ufer des Sarnus, wo sie einen kleinen schattigen Hain betraten.

Dieser Hain war jetzt, da die Mittagssonne senkrecht auf die trockenen Blätter schien, ganz einsam, und Olinthus und der Priester waren hier ganz ungestört. Sie setzten sich auf eine der Bänke, die in Zwischenräumen unter den Bäumen standen.

»Bist du, seitdem du mich so plötzlich verließest«, sagte Olinthus, »glücklich gewesen? Fühlt dein Herz unter diesem priesterlichen Gewande sich zufrieden? Hast du, dich noch sehnend nach der Stimme Gottes, Trost gefunden in den Orakeln der Isis? Jene Seufzer, jenes traurige Dahinstarren geben mir die Antwort, die mein Geist zum voraus weissagte.«

»Ach,« erwiderte Apäcides, »ich bin ein unglücklicher, vom Schicksal geschlagener Mensch. Von frühester Jugend an habe ich mich nach einem Leben der Tugend gesehnt. Ich habe die Männer beneidet, die um ihrer Heiligkeit willen in Höhlen und einsamen Tempeln durch die Gemeinschaft mit überirdischen Wesen beglückt wurden. Verführt durch die geheimnisvollen Prophezeiungen eines Betrügers, habe ich dieses Priestergewand gewählt. Mein ganzes Wesen ist aber in Widerspruch mit sich selbst geraten, durch das, was ich gesehen und woran ich teilgenommen habe. Indem ich die Wahrheit suchte, bin ich bloß der Diener der Lüge geworden. An dem Abend, da wir zuletzt zusammen waren, wurde ich durch Hoffnungen gelockt, die derselbe Betrüger in mir angeregt hatte, den ich bereits besser hätte kennen sollen. Der Schleier ist jetzt für immer von meinen Augen gesunken – ich habe einen Niederträchtigen in dem erkannt, den ich früher als einen Halbgott verehrte. Die Erde verdunkelt sich vor meinen Blicken, ich weiß nicht mehr, ob es noch Götter gibt – ob wir dem Zufall unser Dasein verdanken – ob jenseits der begrenzten und traurigen Gegenwart Vernichtung oder ein anders Leben uns erwartet. Sage mir daher, was du glaubst. Löse meine Zweifel, wenn du wirklich dessen fähig bist.«

»Ich wundere mich nicht,« erwiderte der Nazarener, »daß du auf Irrwege geraten und daß du jetzt ein Zweifler geworden bist. Vor achtzig Jahren hatte der Mensch noch keine Gewißheit des Daseins Gottes und einer bestimmten Fortdauer jenseits des Grabes. Für den, der Ohren hat, zu hören, wurden aber jetzt neue Wahrheiten verkündigt – ein Himmel, ein wahrer Olympus öffnet sich dem, der Augen hat, zu sehen. So höre denn und schaue!«

Der Nazarener schilderte nun mit dem ganzen Ernst eines Mannes, der selbst von einem starken und festen Glauben erfüllt ist, die Wahrheit der Heiligen Schrift. Er sprach zuerst von den Leiden und Wundern Christi, und er weinte, indem er sprach. Darauf ging er zu der Glorie der Himmelfahrt des Erlösers über und erklärte die Weissagungen der Offenbarung. Er beschrieb den der Tugend bestimmten reinen und fleckenlosen Himmel und jene feurigen Qualen, welche die Strafe des Verbrechens und der Sünde sein werden.

Ein Anhänger des Heidentums fand nichts Befremdliches in dem Herabsteigen Gottes auf die Erde. Man war schon daran gewohnt, zu glauben, daß die Götter auf der Erde gelebt, menschliche Gestalt und Leidenschaften angenommen, menschliche Arbeiten und menschliches Unglück geteilt hätten. Waren die Arbeiten des Herkules, dessen Altäre noch in unzähligen Städten von Weihrauch dufteten, nicht zum Besten des menschlichen Geschlechts vollbracht worden? Hatte der große dorische Apoll nicht eine mystische Sünde abgebüßt, indem er in die Unterwelt gestiegen war? Es schien daher dem Heiden weder eine seltsame noch neue Lehre zu sein, daß Christus vom Himmel herabgekommen, daß ein Unsterblicher sterblich geworden sei und den Qualen des irdischen Todes sich unterworfen habe. Und wie unendlich erhabener schien Apäcides der Zweck zu sein, für welchen Christus so duldete und litt, als jene Zwecke, um derentwillen die heidnischen Gottheiten die Erde besuchten und durch die Tore des Todes eingingen! War es nicht eines Gottes würdig, in dieses Jammertal hinabzusteigen, um die Wolken zu zerstreuen, welche über dem finsteren Berge jenseits sich gesammelt hatten, um die Zweifel der Weisen zu lösen und das Rätsel des Grabes durch Offenbarung zu einer Wahrheit umzugestalten?

Apäcides wußte schon längst, daß die Philosophen, wenn sie auch im geheimen an eine höhere und göttliche Macht glaubten, doch es nicht für weise hielten, diesen Glauben allgemein zu verbreiten. Er hatte bereits erfahren, daß selbst der Priester verspottete, was er dem Volke predigte, daß die Begriffe einiger und aller niemals vereinigt seien. In diesem neuen Glauben schien ihm jedoch alles übereinzustimmen, die Philosophen, die Priester und das Volk, die Ausleger der Schrift und die Gläubigen.

Sie stritten und disputierten nicht über die Unsterblichkeit, sie sprachen von ihr als von einer bestimmten Wahrheit. Das Großartige dieser Versprechungen überraschte, der Trost, der in ihnen enthalten war, beruhigte ihn. Die ersten Anhänger des christlichen Glaubens waren oft Sünder gewesen, die alle Pfade des Lasters gewandelt waren. Aber dieser beglückende Glaube nahm die Reuigen und Enttäuschten des Lebens mit besonderer Liebe auf.

»Komm«, sagte der Nazarener, als er die Wirkung bemerkte, die er hervorgebracht hatte. »Komm mit an den stillen Ort, wo wir uns versammeln. Nur einige wenige Auserwählte sind dort versammelt, überzeuge dich von der Aufrichtigkeit unserer reuigen Tränen und nimm teil an unserem einfachen Opfer, das wir auf dem Altar unseres Herzens darbringen. Komm und verliere weiter keine Zeit. Bereite dich schon jetzt für den großen, den wichtigen Tag des Überganges von der Finsternis zum Licht, von der Traurigkeit zum Heil, von dem Verderben zur Unsterblichkeit vor. Wir haben heute einen Feiertag, den wir festlich begehen. Obgleich wir gewöhnlich nur zur Nachtzeit zusammenkommen, so sind doch einige von uns schon jetzt versammelt. Welche Freude, welchen Triumph werden wir alle feiern, wenn wir ein verirrtes Lamm zu der heiligen Herde zurückführen können!«

Es schien Apäcides, dessen Natur ursprünglich so rein war, etwas ungemein Edelmütiges und Wohlwollendes in dem Benehmen des Olinthus zu liegen. Er schien ihm ein Geist zu sein, der sein eigenes Glück in dem Glücke anderer sucht und der nur Gefährten für die Ewigkeit zu gewinnen strebt. Er fühlte sich gerührt, erweicht und überwältigt. Er besann sich einen Augenblick, betrachtete sein Priestergewand, dachte an Arbaces, schauderte vor Schrecken zusammen, erhob seine Augen zu dem Nazarener, der besorgt und wachsam für sein Wohl, für seine Rettung war. Er zog das Pallium an sich, so daß es gänzlich den Priesteranzug verbarg und sagte: »Führe mich, ich folge dir!«

Olinthus drückte ihm freudig die Hand. Sie gingen an das Ufer des Sarnus, stiegen in eines der gewöhnlich dort bereitstehenden Boote, in welchem durch das, gegen die Sonne angebrachte Verdeck sie zugleich der Beobachtung entzogen waren, und fuhren schnell den Fluß hinauf. Aus einem der Boote, die ihnen begegneten, ertönte eine liebliche Musik, und das Vorderteil desselben war mit Blumen geschmückt. Es fuhr nach der See zu.

»So treiben«, sagte Olinthus traurig, »die dem Vergnügen Nachjagenden, ihrer Täuschungen unbewußt, dem großen Ozean der Stürme und Schiffbrüche entgegen. Wir fahren schweigend und unbeachtet an ihnen vorbei, um das Land zu gewinnen.«

Apäcides erkannte durch eine Öffnung in dem Verdeck in jenem Boote seine Schwester. Die Liebenden waren in der Lustfahrt nach der See begriffen. Der Priester seufzte und sank wieder auf seinen Sitz zurück. Sie erreichten das Ufer, wo in einer der Vorstädte eine Reihe kleiner und unansehnlicher Häuser sich bis zum Flusse hinzog. Hier führte Olinthus den Priester durch ein Labyrinth von Gassen, bis sie an die verschlossene Tür eines etwas größeren Hauses kamen. Der Nazarener klopfte dreimal – die Tür wurde geöffnet und sogleich wieder verschlossen, als beide eingetreten waren.

Sie gingen durch ein Atrium in ein Zimmer mittlerer Größe, in welches das Licht nur durch ein kleines Fenster über der Tür drang. Bevor sie eintraten, sagte Olinthus, indem er an die Tür klopfte: »Friede sei mit euch!« Eine Stimme aus dem Zimmer erwiderte: »Friede mit wem?« – »Mit den Gläubigen«, antwortete Olinthus, und darauf wurde die Tür geöffnet. Zwölf bis vierzehn Personen saßen schweigend und in Gedanken vertieft einem hölzernen Kruzifix in einem Halbkreise gegenüber.

Als Olinthus eintrat, erhoben die Anwesenden, ohne zu sprechen, ihre Augen. Der Nazarener selbst kniete, bevor er sie anredete, nieder, und Apäcides bemerkte an der Bewegung seiner Lippen und den auf das Kruzifix gehefteten Blicken, daß er für sich bete. Nachdem dieses geschehen, wandte sich Olinthus zu der Versammlung: »Männer und Brüder,« sagte er, »staunt nicht, wenn ihr einen Priester der Isis unter euch seht. Er hat bisher gelebt unter den Blinden, aber der heilige Geist hat ihn beseligt. Er wünscht zu sehen, zu hören und zu lernen.«

»Es geschehe!« sagte einer der Anwesenden, und Apäcides erblickte in ihm einen noch jüngeren Mann als er selbst, mit einem ebenso abgelebten und bleichen Antlitz und mit tiefliegenden Augen, welche eine rastlose innere, geistige Tätigkeit verkündeten.

»Es geschehe!« erwiderte ein anderer junger Mann; sein braunes Gesicht und seine asiatischen Züge ließen in ihm einen Sohn Syriens erkennen. Er war in seinem Vaterlande ein Räuber gewesen.

»Es geschehe!« sagte ein alter Mann mit einem langen, grauen Barte, und der Priester erkannte in ihm einen Sklaven des reichen Diomedes.

»Es geschehe!« wiederholten alle übrigen Männer, die mit zwei Ausnahmen alle zu den unteren Ständen gehörten. Apäcides erkannte unter ihnen einen römischen Offizier und einen Kaufmann aus Alexandria.

»Wir verpflichten dich nicht zum Schweigen«, begann Olinthus von neuem. »Wir verlangen keine Eide von dir, daß du uns nicht verrätst. Wenn auch eine rohe Menge blutdürstig nach unserem Leben trachtet, wir fürchten uns nicht. Verrate uns an das Volk, verleumde uns, wenn du willst, wir sind erhaben über die Todesfurcht. Freudig würden wir den Klauen des Löwen oder den Qualen der Folter entgegengehen. Wir trotzen den Schrecken des Grabes, und was für einen Verbrecher der Tod, das ist für einen Christen die Ewigkeit.«

Ein leises Beifallsgemurmel ließ sich in der Versammlung vernehmen.

»Du kommst zu uns als ein Forschender, möchtest du ein Bekehrter werden. Unsere Religion siehst du – jenes Kreuz ist unser einziges Bild, jene Schrift unser Geheimnis. Für unsere Tugend ist unser Leben Zeuge! Wir alle waren Sünder, wer kann uns jetzt eines Verbrechens beschuldigen? Wir haben uns selbst durch die Taufe von der Vergangenheit getrennt. Aber dieses ist nicht unser Verdienst; es ist das Werk Gottes. Du, Medon,« und hierbei zeigte er auf den alten Sklaven des Diomedes, »bist der einzige unter uns, der nicht frei ist. Aber dort oben wird der letzte der erste sein, und so auch hier bei uns. Jetzt lies uns vor aus der Heiligen Schrift.«

Nach der Vorlesung des Medon und der Auslegung der Versammlung folgte eine Szene, die für den jungen Neapolitaner sehr ergreifend war. Man hörte ein leises Klopfen an der Tür, das Losungswort wurde gegeben und erwidert, und zwei Kinder, deren ältestes kaum das siebente Jahr vollendet hatte, traten schüchtern ein. Es waren die Kinder des Besitzers dieses Hauses, jenes finsteren und abgehärteten Syrers, der seine Jugend mit Rauben und Blutvergießen zugebracht hatte. Der Älteste der Versammlung, eben der Sklave Medon, schloß sie in seine Arme. Sie schmiegten sich an seine Brust, und während er sie liebkoste, heiterten sich seine harten Züge auf. Und darauf umringten jene kühnen, durch die rauhen Wechselfälle des Lebens abgehärteten Männer – bereit, einer ganzen Welt zu trotzen, gewaffnet gegen den Tod und gegen die Folter – Männer, die den größten Gegensatz zu der unschuldigen Fröhlichkeit und zu der Zartheit des jugendlichen Alters bildeten, diese Kinder, und ihre ernsten Gesichter und bärtigen Lippen umschwebte ein freundliches Lächeln. Der alte Mann rollte die Schrift auf und lehrte die Kinder jenes schöne Gebet, das wir noch jetzt an den Herrn richten, noch jetzt unsere Kinder lehren. Und dann erzählte er ihnen in einfachen Worten von der Liebe Gottes zu den Kindern, und wie kein Sperling vom Dache fällt, ohne daß seine Augen es sehen.

Der finstere Syrer schien durch die Unschuld seiner Kinder an seine früheren Jahre erinnert zu werden, an sein Leben, bevor es befleckt war durch Sünden. Er folgte mit einem ernsten Blick der Bewegung ihrer Lippen. Es verbreitete sich Entzücken über sein Antlitz, als sie demütig die heiligen Worte nachsprachen, und als sie darauf freudig zu ihm hüpften, drückte er sie an seine Brust, küßte sie, und die Tränen flossen ihm die Wangen herab – Tränen, deren Quelle zu verfolgen unmöglich gewesen wäre, so sehr war Freude und Sorge, Reue und Hoffnung, Liebe für seine Kinder und das Bewußtsein seiner eigenen früheren Unwürdigkeit in ihnen gemischt!

Es lag in diesem ganzen Vorgang etwas, was besonders Apäcides aufs tiefste und die zartesten Saiten seines Wesens berührte.

Jetzt wurde leise eine innere Tür geöffnet, und ein sehr alter Mann trat, auf seinen Stab sich stützend, in das Zimmer. Die ganze Versammlung erhob sich, der Ausdruck tiefer Ehrfurcht malte sich in allen Zügen, und Apäcides fühlte sich, indem er das Antlitz jenes Greises betrachtete, durch eine unwiderstehliche Sympathie zu ihm hingezogen. Niemand konnte auch jenem Antlitz begegnen, ohne diesen Mann zu lieben, denn das Lächeln der Gottheit hatte auf ihm geruht, und die Glorie dieses Lächelns war ihm geblieben!

»Gott sei mit euch, meine Kinder!« sprach der Greis, und die Kinder näherten sich ihm vertraulich. Er setzte sich, und sie schmiegten sich an seine Brust. Es war ein schöner Anblick, die Gegensätze des Lebens so vereinigt zu sehen, den in seinen ersten Quellen entspringenden Fluß und den majestätischen, dem Ozean der Ewigkeit zufließenden Strom. So wie in der Dämmerung des abnehmenden Tages die Erde und der Himmel ineinander zu verfließen scheinen, daß die Grenzlinien aller Gegenstände kaum sichtbar bleiben, so schien das Lächeln jenes wohlwollenden Alters auch alle Anwesenden zu verklären, den Unterschied der Jahre aufzuheben und über die Kindheit und das Mannesalter jenes himmlische Licht zu verbreiten, durch das jenes Greisenalter selbst bald beglückt zu werden hofft.

»Vater«, sagte Olinthus. »Du, in dem das Wunder des Erlösers wirksam war. Du, der Du aus dem Grabe wieder erweckt wurdest, um ein lebender Zeuge seiner Gnade und seiner Macht zu werden, sieh hier einen Fremden in unserer Versammlung – ein neues Lamm, vereinigt mit unserer Herde!«

»Ich will ihn segnen«, sagte der Greis. Apäcides näherte sich ihm, wie durch einen Instinkt getrieben. Er fiel vor ihm auf die Knie. Der alte Mann legte seine Hand auf das Haupt des Priesters und segnete ihn, doch nicht laut. Während seine Lippen sich bewegten, waren seine Augen in die Höhe gerichtet, und Tränen – jene Tränen, welche gute Menschen nur in der Hoffnung des Glückes anderer vergießen, flossen ihm die Wangen herab.

Die Kinder standen dem Bekehrten zur Seite. Sein Herz war wie die ihrigen – er war geworden wie sie, um einzugehen in das himmlische Reich!


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