Edward Bulwer
Die letzten Tage von Pompeji
Edward Bulwer

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26.

Als Glaukus wieder in seinem Hause ankam, fand er Nydia unter dem Säulengang seines Gartens sitzen. Sie hatte geglaubt, er werde vielleicht früh zurückkehren, und beschloß in ihrer Unruhe, die erste Gelegenheit, welche sich darbieten möchte, zu ergreifen, um des Liebestrankes Wirkung zu versuchen, während sie auch wieder fast diesen Augenblick fürchtete, denn in ihrem Wesen mischten sich seltsam Kühnheit und Schüchternheit.

In solch fieberhafter Erregung wartete Nydia auf Glaukus. Ihre Wangen glühten und ihr Herz klopfte. Als er endlich in den Säulengang trat, war die Sonne eben untergegangen und der Himmel noch ganz rosig gefärbt.

»Ach, mein Kind, wartest du auf mich?« fragte Glaukus.

»Nein, ich habe die Blumen gepflegt und verweilte nur noch etwas, um mich auszuruhen.«

»Es war heute warm«, sagte Glaukus, indem er sich auf einen Sitz niederließ.

»Sehr warm.«

»Willst du wohl Davus rufen? Der Wein hat mich erhitzt, und ich schmachte nach einem kühlenden Getränk.«

Hier bot sich also plötzlich und unerwartet der Nydia die ersehnte Gelegenheit dar, und er selbst gewährte sie aus freier Wahl.

»Ich will dir«, sagte sie mit zitternder Stimme, »das Getränk aus Honig und Wein, in Schnee abgekühlt, welches Jone so liebt, bereiten.«

»Dank, Nydia«, sagte der arglose Glaukus. »Wenn Jone es liebt, so ist es auch mir angenehm, und wenn es Gift wäre.«

Nydia runzelte die Stirn, darauf lächelte sie wieder. Sie entfernte sich und kehrte bald mit einem gefüllten Becher zurück. Während Glaukus ihn aus ihrer Hand nahm, war Nydia eine Beute der wildesten Erregung. Alle ihre Hoffnungen sollten ja jetzt zur Reife kommen, und ihr leichtgläubiges Gemüt erlebte schon im voraus den Ausbruch der Liebe in dem Herzen des Geliebten.

Sie setzte sich an die Wand, und ihr vorher so glühendes Gesicht war jetzt weiß wie Schnee, und sie erwartete die nächste Wirkung ihrer Tat mit niedergeschlagenen Augen, geöffneten Lippen und krampfhaft ineinander geschlungenen Händen.

Glaukus hatte den Becher an die Lippen gesetzt. Er hatte bereits den vierten Teil seines Inhalts geleert, als er, indem er auf das Antlitz der Nydia blickte, durch dessen plötzliche Veränderung, durch dessen seltsamen und schrecklichen Ausdruck so befremdet wurde, daß er schnell absetzte und, den Becher noch an den Lippen haltend, sagte: »Wie, Nydia, Nydia, bist du krank? Dein Gesicht verrät es. Was fehlt meinem armen Kinde?«

Er setzte den Becher nieder und stand auf, um sich ihr zu nähern, als er plötzlich durch einen fieberhaften Frost, dem ein wilder Schwindel im Gehirn folgte, sich erfaßt fühlte. Der Fußboden schien unter ihm zu weichen, es kam ihm vor, als schwebe er in der Luft. Eine überirdische Fröhlichkeit bemächtigte sich seines Geistes. Er fühlte sich zu leicht für die Erde, er sehnte sich nach Flügeln, ja, er glaubte, sie schon zu besitzen. Unwillkürlich brach er in ein lautes jubelndes Gelächter aus. Er klatschte in die Hände, sprang in die Höhe, gebärdete sich wie ein Rasender. So schnell dieser Anfall gekommen war, ebenso schnell ging er auch teilweise wieder vorüber. Er fühlte jetzt das Blut wild und ungestüm in den Adern brausen. Es schien hervordrängen zu wollen, wie ein Strom, der seine Dämme durchrissen hat und dem Ozean zueilt. In den Ohren ertönte ihm ein gewaltiges Getöse, die Adern in den Schläfen schwollen an, als könnten sie nicht länger die wachsende Flut bergen – darauf sank eine Art von Finsternis auf seine Augen. Doch durch den dunklen Schatten erglänzten die Wände, und die darauf gemalten Gestalten schienen zu leben und sich zu bewegen. Am seltsamsten war es, daß er sich keineswegs unwohl fühlte, er sank oder wankte nicht unter der schrecklichen Raserei, die ihn zu beherrschen begann. Er fühlte sein Wesen eine frischere Jugend durchglühen und sich selbst wie zu einem glänzenderen Dasein erhoben.

Nydia hatte auf seine erste Frage nicht geantwortet, es war ihr unmöglich. Sein wildes und schreckliches Gelächter hatte sie zuerst stutzig gemacht. Zwar konnte sie seine seltsamen Gebärden nicht sehen. Sie konnte nicht bemerken, mit welchen unsicheren Schritten er hin und her schwankte. Aber sie hörte die abgebrochenen, wirren, sinnlosen Worte, die er jetzt aussprach. Sie geriet in eine plötzliche Angst, eilte zu ihm hin und kniete vor ihm nieder. Weinend umfaßte sie seine Knie.

»Oh, sprich mit mir! Du bist mir doch nicht böse!«

»Bei der Venus! – Es ist ein schönes Land, dieses Zypern! Ho! Wie sie uns mit Wein statt mit Blut füllen. Jetzt öffnen sie die Adern jenes Fauns, um zu zeigen, wie es sprudelt und schäumt. Komm her, munterer, alter Gott! Du reitest auf einem alten Ziegenbock, eh! Was für langes, seidenes Haar er hat! Er ist mehr wert als alle parthischen Rosse. Aber ein Wort mit dir – dieser Wein ist zu stark für uns Sterbliche. Oh, wie schön! – Die Zweige sind in Ruhe! Die grünen Wellen des Waldes haben den Zephyr gefangen und ihn ertränkt! Nicht ein Lüftchen bewegt die Blätter, und ich sehe die Träume mit zusammengelegten Flügeln auf der stillen Eiche schlafen. Und weiterhin sehe ich einen blauen Strahl in der Luft schimmern, einen sich erhebenden Springbrunnen. Ach, du wirst die Strahlen meiner griechischen Sonne nicht verdunkeln! – Und welche Gestalt schwebt dort im Dickicht? – Sie hat einen Kranz von Eichenzweigen auf dem Haupt. In der Hand trägt sie ein Gefäß, aus dem sie Muscheln umherstreut. Oh, seht jenes Antlitz! Erblickte man es wohl jemals so schön? Sieh! Wir sind allein, bloß sie und ich in dem weiten Walde. Sie bewegt sich langsam und schwermütig. Ha, fliehe! – Es ist eine Nymphe! Wer sie sieht, wird rasend – weh mir! Sie erblickt mich.«

»Oh Glaukus, Glaukus, kennst du mich nicht? Beruhige dich; deine Worte töten mich!«

Ein neuer Wechsel schien jetzt in dem verwirrten Gemüt des unglücklichen Atheners einzutreten. Er legte seine Hand auf Nydias seidenes Haar, er streichelte ihre Locken. Er schaute ihr ins Antlitz, und als ob in der zerrissenen Kette seiner Gedanken noch einige Glieder ungetrennt seien, schienen ihre Züge ihn an Jone zu erinnern. Jetzt wurde seine Aufregung nur noch gewaltiger, und er brach in die Worte aus: »Ich schwöre es bei der Venus, bei der Diana und bei der Juno, daß, wenn ich auch jetzt die Welt auf der Schulter trage, wie mein Landsmann Herkules – elendes Rom, alles, was wahrhaft groß war, kam stets aus Griechenland; selbst deine Götter verdankst du uns! – wie mein Landsmann Herkules vor mir, sage ich, würde ich für ein Lächeln von der Jone die Erde in das Chaos fallen lassen. Ach, schöne Angebetete,« fügte er mit einer unaussprechlich zärtlichen und klagenden Stimme hinzu, »du liebst mich nicht – du bist unfreundlich gegen mich. Der Ägypter hat mich bei dir verleumdet. Du weißt nicht, wie viele Stunden ich vor deinem Hause zugebracht habe, du weißt nicht, wie ich gewacht habe unter dem Sternenhimmel, hoffend, du, meine Sonne, würdest endlich aufgehen. Und du liebst mich nicht, du verlassest mich! Oh, verlasse mich jetzt nicht, ich fühle, daß ich nicht mehr lange leben werde, laß mich wenigstens bis zu meinem letzten Blick dich betrachten. Du solltest mich nicht verlassen, denn deine Väter waren Brüder der meinigen. Man behauptet, dieses Land sei lieblich und dieses Klima milde, aber ich will dich mit mir nehmen. Ho! Schwarze Gestalt, weshalb erhebst du dich wie eine Wolke zwischen ihr und mir? Auf deiner Stirn thront schrecklich der Tod – auf deiner Lippe ruht das Lächeln, welches vernichtet. Dein Name ist Orkus, aber auf der Erde nennen dich die Menschen Arbaces. Sieh, ich kenne dich! – Fliehe, dunkler Schatten, deine Zauber sind zwecklos!«

»Glaukus, Glaukus!« flüsterte Nydia, indem sie unter der Bürde ihrer Angst, Reue und Verzweiflung bewußtlos zu Boden sank.

»Wer ruft mich?« schrie er mit lauter Stimme. »Bist du es, Jone? Ach, sie haben sie fortgetragen. Aber ich will sie retten. Wo ist mein Stilus? Ha, ich habe ihn! Ich komme, Jone, zu deiner Rettung! Ich komme, ich komme!«

Mit diesen Worten setzte der Athener mit einem Sprunge durch den Portikus, lief durch das Haus und rannte mit schnellen, aber schwankenden Schritten, und hörbar mit sich selbst sprechend, durch die erleuchteten Straßen der Stadt. Der schreckliche Trank brannte wie Feuer in seinen Adern, denn die Wirkung wurde vielleicht durch den Wein noch vermehrt, den er vorher getrunken hatte. Die Bürger, welche an die Exzesse nächtlicher Ausschweifungen gewöhnt waren, machten ihm lächelnd Platz, da sie ihn für betrunken hielten. Aber wenn jemand schärfer in sein Antlitz schaute, dann ergriff ihn Furcht und Entsetzen, und das Lächeln starb auf seinen Lippen. Glaukus kam durch die belebtesten Straßen, da er jedoch mechanisch den Weg nach dem Hause der Jone einschlug, gelangte er bald in einen einsameren Teil der Stadt und trat jetzt in den Hain der Cybele, in welchem Apäcides seine Zusammenkunft mit Olinthus verabredet hatte.


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