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III.

Valentin verschafft sich Ruhe und gewinnt dadurch einen Freund.

Die Nachmittagsschule war eben beendet und die Kinderschar hinausgestürmt, als ob sie etwas Hochwichtiges vorhabe. In der Stube tanzten noch sonnenbeschienen die aufgewirbelten Staubwölkchen um den Lehrer und Valentin, der zurückgeblieben war, das alte Geschichtenbuch gegen ein neues umzutauschen. Es hatte eine gute Weile angestanden, und der Knabe verließ mit seiner ›Rosa von Tannenburg‹ das Schulhaus. Er konnte es nicht erwarten, ihre Bekanntschaft zu machen, und schaute also in das Buch hinein, denn nunmehr mußten sich längst alle Knaben verlaufen haben. Dabei entging ihm ein lauernder Haufen, der sich hinter einem Busche im freien Felde draus versteckt hatte; denn ringsum herrschte tiefe Stille. Plötzlich aber stürzte er über einen vorgestreckten Knabenfuß, und aus der Mitte der wilden Rotte tönte es höhnend: »Valentin, fall' nit hin!«

Dieser aber fuhr auch sogleich in die Höhe und stand dem großen Bonifaz gegenüber. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, stürmte er gegen ihn an, die übrigen Knaben traten zurück, um Valentins Niederlage mit Triumphgeschrei zu feiern.

Doch es kam anders, als sie so sicher und zweifellos erwartet hatten. Valentins Arme umschlangen den Gegner wie eine Schraube. Vergebens wand sich dieser; immer dichter ging's dem großen Buben zu Leibe, immer rascher drehten sie sich im Kreise, und als nun gar der große Bonifaz auf dem zu Boden gefallenen Buche herumtrat, fuhr eine Wut in den kleinen Valentin, daß er sich doppelt anstrengte und seinen Gegner aufs Gesicht niederwarf, worauf er ihn fest zur Erde drückte.

Da standen sie alle wie angewurzelt, überrascht und erstaunt. Valentin aber schrie im Übermaß des Zornes: »So, jetzt kennt ihr mich!« und ohne sich auch nur umzublicken, nahm er sein Buch und schritt von dannen.

Immer noch lag Bonifaz danieder und regte kein Glied. Da wurde es den Buben angst und bange. Einer lief spornstreichs fort, um Bonifazens Mutter, die Bergbäuerin, zu holen, und jedem, dem er begegnete, rief er zu: »Der Valentin hat den Boni umgebracht.«

Inzwischen hatten die Knaben diesen mit aller Gewalt in die Höhe gehoben, nicht wissend, ob er lebendig oder tot sei. Seine beiden Hände waren vor das Gesicht gepreßt, und Blut rann zwischen den Fingern hervor. In sprachlosem Schrecken rannten sie auseinander und schrieen der herbeikommenden Bäuerin solch unverständliche Worte zu, daß sie aufs schlimmste vorbereitet sein mußte. Als sie nun ihren Buben so elend zugerichtet, aber doch am Leben fand, verwandelte sich der Schmerz in Zorn; sie erfaßte des Sohnes Hand und rief: »Gleich gehst mit mir zum Lehrer, damit er den Valentin, seinen Duckmäuser, kennen lernt.« Bei jedem Schritt steigerte sich ihr Zorn, denn es hatte sie längst verdrossen, daß Valentin ihrem Bonifaz in der Schule voran war und auf der Prüfung die Antwort gab, bevor dieser dazu den Mund öffnete.

Der Lehrer hatte bereits die Schreckensnachricht gehört und trat im Hofe den beiden entgegen. Die Bäuerin vermochte den großen Buben kaum vorwärts zu bringen, sei es, daß er zu schwach war oder sich vor dem Lehrer fürchtete. Immer noch hielt er die eine Hand vors Gesicht; nun aber zog die Mutter sie weg und rief: »Da schauen S' einmal meinen Buben an, wie ihn der saubere Valentin zugerichtet hat!«

Der Lehrer erschrak wirklich bei diesem Anblick; doch kaum fühlte Bonifaz sich frei, als er zum Brunnen sprang, mit beiden Armen pumpte, sein Gesicht unter den Wasserstrahl hielt, und das noch einmal, dann zum dritten und vierten Male, hierauf schüttelte er das Wasser von sich und trat fest wie ein wackerer Bub' vor die beiden, indem er, zum Lehrer gewandt, sagte: »Ich bin selber an allem schuld, Herr Lehrer! Ich hab' keine Ruh' gegeben und den Valentin verhöhnt, er hätte keinen Mut, und hab' ihn angegriffen. Er aber hat mich heimbezahlt und niedergeworfen. Daß ich auf einen Stein gefallen bin, ist nicht seine Schuld; aber es bedeutet nichts, da schauen S' her! Ich bitt' um Verzeihung, Herr Lehrer, ich will's nimmer tun, und wir wollen den Valentin künftig in Ruh'lassen!«

Da lächelte der gute Mann, nickte freundlich mit dem Kopfe und sprach: »Geh' nochmal zum Trog, Bonifaz, deine Nase blutet immer noch.« Dann sagte er zur Bäuerin: »Es ist doch ein richtiger Bub', Euer Bonifaz! Wer seinen Fehler einsieht und offen bekennt, hat Verstand und Herz auf dem rechten Fleck. Ich rat' Euch, laßt den Bonifaz und Valentin gute Kameraden werden; wie 's allen Anschein hat, passen die beiden gut zusammen, besser, als Ihr glaubt.«

Auch die Großmutter daheim hatte ihren Schrecken. Der kleine Barthel ihres Sohnes war ganz atemlos angekommen, um ihr zu berichten, der Valentin habe den Bonifaz umgebracht, ganz oder halb, etwas sicheres wisse man noch nicht. Da wankte sie allein vor das Haus, um auf ihren Enkel zu warten. Sie vernahm langsame, zögernde Tritte und rief dem Heimkehrenden entgegen: »Valentin, Valentin, um Gottes willen, was hast getan!?«

Nun erwachte sein Selbstgefühl, und er sagte mürrisch, aber keck: »Nicht so was Arges, Großmutter. Ich hab nur den Buben gezeigt, daß ich ihr Gespött nicht verdiene und auch den Stärksten zwingen kann, wenn ich will. Jetzt werden sie einmal Ruhe geben!«

Die Blinde war noch keineswegs beruhigt und entgegnete: »O, wenn dem Bonifaz etwas widerfahren ist, hängt uns der reiche Bergbauer einen Prozeß an, und wir dürfen von Haus und Hof wandern, und dich sperren sie ein!«

Da ertönte hinter Valentin ein Gelächter; der betrübte Knabe fühlte sich von rückwärts gepackt und lag alsogleich auf dem Grase, über sein emporschauendes Gesicht beugte sich das gutmütig fröhliche seines versöhnten Feindes, welcher rief: »Jetzt ist's ehrlich heimbezahlt und abgemacht ohne Prozeß. Gelt du, wir sind von nun an die besten Kameraden von der Welt, wir halten zusammen, und alle wissen's auch, daß du zu uns gehörst, wenn du auch mit deiner Alten umhergehst.«


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