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Ende gut Alles gut

Die Feldarbeiten des Frühjahres hatten begonnen. Die Gemarkung der Gemeinde Faulheim war bald nicht wieder zu erkennen, das Brachfeld verschwunden und mit beharrlichem Fleiße der letzte Schandfleck vieljähriger Trägheit ausgetilgt worden. Allenthalben sah man die Bauern thätig und zwar mit einem Eifer, der nicht rasch genug alles Versäumte nachholen zu können schien. Sogar der längst vergessenen Obstbäume erinnerte man sich wieder, reinigte sie von Raupennestern und dürren Zweigen, und gab den jungen Stämmen stützende Pfähle. Für Manche war die Arbeit sehr anstrengend, da sie in den Jahren der Verkommenheit alle Zugthiere verloren hatten. Gemeinderath Lump, früher Einer der Leichtsinnigsten, arbeitete von früh bis spät mit seinen Söhnen auf den Aeckern und grub sie eigenhändig mit dem Spaten um, hartnäckig angebotene Pflüge zurückweisend.

»Im nächsten Jahr' hab' ich meinen eigenen Pflug wieder,« sagte er. »Bis dahin soll der Spaten die Buß' sein für das vergangene nichtsnutzige Leben.«

Kam er des Abends mit seinen Söhnen todtmüde gearbeitet nach Hause, so dachte keiner von ihnen an das Wirthshaus, sondern an die Arbeit für morgen und an die Ruhestätte.

Als die junge Saat zu keimen begann und die dunklen Ackerflächen in grüne Decken sich kleideten, da hatten die gleichsam auferstandenen Bauern eine fast kindliche Freude. In den Jahren des Verderbnisses und in den Krallen des Wucherers lernten sie das Glück des freien Besitzes und des Segens der Arbeit schätzen. Jetzt kannten sie keinen größeren Genuß, als an Sonntagen nach der Vesper auf die Fluren hinauszugehen und sich am Anblicke ihrer wohlbestellten Aecker zu ergötzen.

»Ich kann jetzt gar nicht begreifen, daß wir vordem so vernagelt waren,« sagte Lump. »Wir gingen nur den Lustbarkeiten nach, hockten in den Wirthshäusern, machten große Possen, wollten nicht arbeiten und mußten absolut verderben. Dann kam unsere Knechtschaft durch den Juden und das Elend. Zuletzt war nichts zu nagen und zu beißen, – Hunger mußten wir manchmal leiden. Herrgott – sind wir Esel gewesen! Die neumodisch' Welt soll der Teufel holen, – ich mag nichts mehr mit ihr zu schaffen haben. Jetzt wird mir übel, wenn ich nur an den Schwindel denk', wie er gegenwärtig die Welt regiert. Ich sag': Christenthum muß sein, Zucht, Ordnung und Arbeit, nur dann können wir Bauern gedeihen und vorwärts kommen.«

Diese Ueberzeugung theilten nicht blos die Neunzehn, sondern fast alle Faulheimer, seitdem die anziehenden und belehrenden Predigten des Pfarrers die Bauern unterwiesen, und die heillosen Folgen eines unchristlichen Lebens klar und abschreckend vor Aller Augen standen.

Mit Anspielung auf die Namen der beiden Retter der Gemeinde, sagte Schlau: »Hätte unser Herrgott die ›Gutedel‹ nicht wachsen lassen, Faulheim wäre futsch gewesen. Aber die ›Gutedel‹ haben uns gerettet, und das wollen wir ihnen gedenken.«

Auf dem Edelhofe herrschte reges Leben und Treiben. Vom Tagesgrauen bis zum Abend fuhren Wagen, Karren und Pflüge aus und ein. Herr Ottfried schaltete wieder mit umsichtiger Thätigkeit, gleichsam mit verjüngter Kraft. Früher gebeugt und leidend unter dem harten Geschick, trotz seiner beiden Söhne keinen Erben und Stammhalter seines alten Geschlechtes auf dem Edelhofe zu besitzen, hatte den gottesfürchtigen Mann die Vorsehung aus dem vorüberbrausenden Wettersturm plötzlich vor die Erfüllung seines heißesten Wunsches gestellt. Was seine kühnsten Erwartungen nicht zu hoffen wagten, vollzog sich dennoch. Dr. Heinrich entpuppte sich als ächten Edel und geborenen Landwirth, nachdem das Feuer der Prüfung ihn geläutert und sein tüchtiges Wesen von den Schlacken eitlen Ehrgeizes gereinigt hatte. Im Laufe des Winters hatte er die besten Fachwerke gründlich studiert, und konnte sich Stunden lang, von dem lebendigsten Interesse getragen, mit dem glücklichen Vater über alle möglichen landwirthschaftlichen Fragen unterhalten. Mit den Frühjahrsarbeiten trat er in das praktische Leben. Tage lang ritt oder ging er durch die Felder, eifrig bemüht, sich über alle Dinge zu unterrichten und auch dem scheinbar Geringfügigen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Und er hielt es für keine Herabsetzung, Oberknechte, selbst einfache Arbeiter über Manches zu befragen und sich unterweisen zu lassen. Dieses eifrige und beharrliche Streben förderte außerordentlich, und Herr Ottfried blickte mit väterlichem Glücke auf die musterhafte Tüchtigkeit seines Sohnes.

An einem sonnigen Frühlingstage ritt Heinrich in den Hof und sprang wuchtig aus dem Sattel. Der junge Mann war kaum wieder zu erkennen. Seine hochragende, breitschulterige Gestalt strotzte von Gesundheit und Manneskraft. Er trug jetzt dieselbe hechtgraue Kleidung, wie der Vater und Vetter Friedrich, und auf dem Kopfe einen breitkrämpigen Hut, der ein hübsches, von der Sonne gebräuntes Gesicht überschattete. Beata stand unter dem Eingange des Hauses, mit holdem Lächeln den Nahenden erwartend.

»Sei gegrüßt, Beata! Wir haben uns heute noch gar nicht gesehen.«

»Weil Du vor Tage ausgeritten bist und jetzt am Nachmittage heimkehrst. Zur Strafe für diese Ausschweifung, erfüllt sich an Dir das Sprüchwort: Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der mag essen, was übrig bleibt.«

Während sie dies mit schelmischem Lächeln sagte, warf er einen bewundernden Blick auf die in seltener Schönheit vor ihm stehende Jungfrau. Hiebei glitt ein eigenthümlicher Ernst, wie Bangen und Zagen, über das Angesicht des jungen Mannes. Er gab ihr den Arm und beide gingen nach dem Speisezimmer.

»Ich bedauere, einige Verwirrung in die Regelmäßigkeit Deiner häuslichen Ordnung zu bringen,« sprach er. »Es soll nicht wieder geschehen. Ich komme heute von den äußersten Grenzen unseres Gebietes, wo Manches fertig zu stellen war.«

Das lange Fasten mochte ihm jedoch weder Hunger, noch Durst verursachen; denn er blieb im Zimmer stehen, hielt Beatas Hand fest und blickte sie innig an.

»Deine Lust und Freude an der Landwirthschaft gereicht mir zu großer Beruhigung, mein Heinrich!« erwiederte sie in hausmütterlichem Tone. »An wissenschaftliches Denken und Forschen gewöhnt, fürchtete ich, Du würdest Dich nach der verlassenen Laufbahn zurücksehnen.«

»Niemals!« rief er entschieden. »Mit Grauen gedenke ich jener Zeit der Zweifelsqualen, des Irrlichterlirens und endlich des Sturzes in die Tiefen des Unglaubens, wo nicht der Friede wohnt und das Licht, sondern peinliche Unruhe, unheimliches Dunkel, verbissener Haß und hohler Dünkel.«

Er schritt mit einer heftigen Bewegung durch das Zimmer.

»Du siehst, schon die bloße Erwähnung jener schwarzen Tage empört und beschämt mich,« fuhr er fort. »Mit der falschen Wissenschaft und gelehrten Lüge habe ich nichts verloren, – mit dem religiösen Glauben aber mein Lebensglück und den Frieden meiner Seele wieder gewonnen. Darum bin ich der glücklichste Mensch in meinem gegenwärtigen Berufe; denn nur das demüthig gläubige und kindlich treue Verhältniß des Menschen zu seinem Herrn und Schöpfer kann Seelenfrieden und dauerndes Glück begründen.«

Er trat wieder vor sie hin.

»Dennoch fehlt meinem Glücke die Krone, jener Zauber trauter Liebe und inniger Lebensgemeinschaft, den nur die edle Weiblichkeit dem Manne bieten kann. Beata, – ich bewundere Deine Vorzüge und liebe Dich so innig, – darf ich werben um Deine Hand?«

Bei dieser plötzlichen Wendung senkte sie die Augen und ein jähes Erglühen überströmte ihr Angesicht.

»Beata, – ich bitte, – hältst Du mich werth, – willst Du meine treue Gattin, meine unzertrennliche Lebensgefährtin sein?«

Sie hob die Augen zu ihm auf und die ganze Wonne ihres Herzens strahlte in dem leuchtenden Blick und in ihren reizenden Zügen.

»Ja, mein Heinrich!« antwortete sie leise, aber fest.

Er schloß entzückt die Braut in seine Arme und küßte sie auf die Stirne. In demselben Augenblick öffnete sich die Thüre und Herr Ottfried trat ein. Freudig überrascht blieb er stehen.

»Was sehe ich? Ihr habt euch verlobt, meine Kinder?«

»Ja, Vater! Beata, deren große Eigenschaften Du kennst, hat mein Werben angenommen. Wir bitten um Deinen Segen.«

Sie knieten vor ihm nieder. Mit bebender Stimme gab der bewegte Vater seine Einwilligung und seinen Segen.

Die Verlobung, welche von dem ganzen Hause Edel ersehnt und längst erwartet wurde, verbreitete allgemeine Freude. Knechte und Mägde und Arbeiter rühmten Beata's Tüchtigkeit und Güte, und alle frohlockten, eine solche Herrin zu erhalten.

Friedrich überbrachte die frohe Kunde seiner Braut.

»Jetzt bekommen wir bis Herbst eine Doppelhochzeit,« sagte er. »Mein lieber guter Onkel ist fast außer sich vor Freude.«

»Kein Wunder!« meinte Annas Mutter, die aus einer hoffnungslos Kranken, eine gesunde und kräftige Frau geworden. »Fräulein Beata wird den Herrn Heinrich gewiß sehr glücklich machen; denn sie ist das beste, verständigste und schönste Mädchen, das man finden kann.«

»Nun ja, – meine Anna ausgenommen, Frau Mutter!« sagte Friedrich, mit einem liebevollen Blicke auf seine Braut.

»Für Dich mag die Ausnahme gelten, Fritz!« scherzte sie. »Andere Leute aber, die nicht mit Deinen Augen sehen, dürfen schon mit Recht die Ansicht der Mutter haben.«

»Es wird doch nichts wieder dazwischen kommen, Aennchen?« sagte er, halb Scherz, halb in Sorgen. »Wir haben lange genug sitzen bleiben und das Trauerjahr aushalten müssen. Ich kann es fast nicht erwarten, bis die glückliche Wirthschaft anfängt auf dem Waldhofe.«

Sie blickte ihn lächelnd an, und die beiden Grübchen in den Wangen, in Verbindung mit den schalkhaft glänzenden braunen Augen, gaben ihrem hübschen Gesicht einen gutmüthig schelmischen Ausdruck.

»Wenn Du Geduld hast und Dich brav hältst vor Gott, können wir es diesmal erreichen,« entgegnete sie. »Die Zeit hat Flügel, vorab wenn sie kaum ausreicht für die tägliche Arbeit. Wie geschwind wird der Herbst da sein!«

Für thätige Landleute, die mit den Bedingungen und wechselnden Ansprüchen der Jahreszeiten leben, hat die Zeit allerdings einen weit rascheren Gang, als für jene Unglücklichen, die ohne eigentlichen Lebenszweck ein träges Dasein dahin schleppen. Bezüglich der Bauern in Faulheim bewährte sich diese Erfahrung in doppeltem Maße. Die Zeit reichte kaum ihrer Arbeitslust, und diese wurde noch erhöht, durch Gottes Segen, der sichtbar auf ihren Feldern ruhte. Die Gemarkung bot einen herrlichen Anblick wogender Saatfelder. Die Wiesen prangten im Schmucke üppigen Graswuchses, und die rühmlich bekannten Vaterlandsvertheidiger versprachen ein sehr reiches Gedeihen.

Das Dorfregiment wurde den neuen Verhältnissen gemäß geordnet. Bei den Wahlen, die im Laufe des Sommers stattfanden, kamen Oswald und Stephan Ehrlich in den Gemeinderath, Letzterer wurde sogar Adjunkt und Schlau Bürgermeister. Mit dem Edelhofe blieben die Dorfregenten in steter Berührung, und nichts von Bedeutung geschah, ohne das entscheidende Gutachten Ottfrieds. Als jedoch der Herbst, und mit ihm die vielbesprochenen Hochzeiten herankamen, handelte Bürgermeister Schlau ganz im Geheimen und ohne Wissen Edels.

»Es muß ein Volksfest werden,« sagte er im Gemeinderath. »Herr Edel soll sehen, daß wir begreifen und nicht vergessen, was er an uns gethan hat. Alles im Dorf' muß sich freuen, – darum sollen auch die Schulkinder große Bretzeln bekommen.«

So geschah es. Am Hochzeitstage war für das ganze Dorf Festtag. Männer und Frauen, Burschen und Mädchen kleideten sich in ihren besten Staat. Die Gasse nach der Kirche war zu beiden Seiten mit grünen Tannen bestellt, an den Häusern hingen Fahnen und Kränze. Frohe Theilnahme glänzte auf jedem Gesichte, und als Böllerschüsse den Abgang des Zuges vom Edelhofe verkündeten, liefen Alle nach dem Eingang des Dorfes, an dem Schauspiele sich zu ergötzen. Voraus ritten paarweise zwölf Bursche, mit farbigen Schärpen um die Schultern und flatternde Fähnlein in den Händen. Dann kam eine offene Kutsche mit dem Bürgermeister und Adjunkt. Vor der Brust trugen sie das Zeichen ihrer Würde, große silberne Denkmünzen an silbernen Ketten um die Schultern. Diesen folgte ein Wagen mit hübschen Brautjungfern in weißen Kleidern. Der dritte Wagen enthielt das erste Brautpaar, Friedrich und Anna, ihnen gegenüber saßen die beiden Zeugen. Dann folgte im Prachtwagen des Edelhofes Dr. Heinrich und Beata, nebst den Zeugen. Im fünften Wagen saßen die glücklichen Väter, Edel und Oswald, mit Walther und dem Großvater im Dreispitz. An die Wagen schlossen sich in langem Zuge die Arbeiter und das Gesinde des Edelhofes. Als die Vorreiter das Dorf berührten, begannen alle Glocken zu läuten und das fortgesetzte Krachen der Böller verkündete weithin das freudige Ereigniß.

Angenehm überrascht sah Herr Ottfried den Schmuck des Dorfes und die innige Theilnahme seiner Bewohner, von denen manche weinten vor freudiger Bewegung, und auch ihm traten Thränen in die Augen.

Hundert Schritte von der Kirche hielten die Wagen. Dort standen zwei Schaaren weißgekleideter Mädchen mit Blumenkränzen um den Köpfen. An Bändern trug jede Schaar einen langen Kranz, in den nun je ein Brautpaar eintrat und nach dem Gotteshause geleitet wurde. Hiebei entging nicht der versammelten Menge die Stattlichkeit der beiden jungen Edel und Annas reizende Erscheinung, während die Anmuth und fesselnde Schönheit Beatas allgemeine Bewunderung erregte. Die Orgeltöne rauschten, das Hochamt begann und während desselben vollzog der Geistliche die heilige Handlung. Dann bewegte sich der Zug wieder in der früheren Ordnung nach dem Edelhofe zurück, wo große Vorbereitungen zur reichlichen Bewirthung der zahlreichen Hochzeitsgäste getroffen worden waren. An langen Tischreihen im Hofe ließen sich die Arbeiter mit ihren Familien nieder. Im altertümlichen Saale erschienen die bekannten Neunzehn, mit ihren Frauen. Außerdem hatte Herr Ottfried siebenzig Dorfbewohner eingeladen, theilweise arme Leute und Taglöhner, die sich der großen Ehre und Bewirthung herzlich freuten. Der ehrwürdige Pfarrer Gut saß in Mitte der Bräute, Bürgermeister Schlau und der Großvater zur Seite der Bräutigame. Ein gewaltiges Essen begann. Dem feurigen Edelwein wurde mit großer Vorsicht zugesprochen, – Lump trank ihn nur mit Wasser gemischt, in Anbetracht seiner Schwäche und seines unerschütterlichen Vorsatzes, niemals wieder einen häßlichen Zopf heimzutragen. Anfänglich arbeiteten Messer und Gabeln und andere Werkzeuge bei ziemlicher Stille; denn die Gegenwart des ehrwürdigen Priestergreises und des angesehenen Herrn Ottfried flößte achtungsvolle Scheu ein. Als jedoch der Wein allgemach die Zungen löste und die Herzen öffnete, begann eine lebhafte Unterhaltung. Schlau that manche Kraftsprüche und machte Witze von solcher Güte, daß sie mit herzlichem Lachen und Frohsinn gekrönt wurden. Gegen Abend wurde der Bürgermeister stille, beinahe feierlich ernst. Offenbar trug er sich mit etwas Großem. Dann schlug er mit dem Messer an das Glas und erhob sich bei erwartungsvoller Stille.

»Heut' hat unsere ganze Gemeind' nur einen einzigen Herzenswunsch, und den möcht' ich als Ortsvorstand gerne aussprechen,« fing er an. »Der Großvater hat vergangen zu mir gesagt: ›Das Haus Edel war unserer Gemeind' immer ein großer Segen, – das hat mein Vater und mein Großvater schon gesagt.‹ Der Großvater, wie er da vor uns sitzt, ist jetzt 87 Jahre alt, und wenn schon sein Vater und sein Großvater so gesagt haben, so muß das wohl 200 Jahre her sein. Könnten wir unsere Vorältern fragen, die vor drei und vierhundert Jahren gelebt haben, so würden sie gleichfalls antworten: Ja, das Haus Edel war unserer Gemeind' immer ein großer Segen. Daß es heut' noch so ist, wissen wir alle, – und wir alle beklagen und bejammern die traurige Zeit, die uns von dem Hause Edel trennte, dieweil uns dies keinen Segen brachte, sondern großes Unglück und Verderbniß. Betrogen und verführt von dem Schwindel, wie er jetzt in der Welt umgeht, hatten wir die guten Sitten unserer frommen Vorfahren verlassen und waren nahe daran, in dem neudeutschen Wesen unterzugehen. Das soll aber nicht wieder vorkommen. Wir, unsere Kinder und Kindeskinder wollen uns ein Muster nehmen an dem Christenthum, an der Rechtschaffenheit und Arbeitsamkeit des Hauses Edel, – ihm wollen wir nachahmen, und das wird der Gemeind' zum Glück ausschlagen. – – Jetzt kommt der Herzenswunsch der ganzen Gemeind', und der heißt: – Gott im Himmel möge das Haus Edel segnen und erhalten, so lange die Welt steht! Darum greift zu den Gläsern, ihr Bürger, und ruft mit mir: – Das Haus Edel soll leben hoch!«

Ein betäubendes Hochrufen hallte durch den Saal, und Jeder drängte heran, mit Herrn Ottfried und dessen Söhnen anzustoßen.

Als endlich die stürmische Bewegung verlaufen war, erhob sich Herr Ottfried, und tiefe Ruhe trat ein.

»Meine Freunde! Ich danke Ihnen für die herzlichen Glückwünsche! Mit Recht hat der Herr Bürgermeister hervorgehoben, daß Faulheims Unglück in jener Zeit begann, als die Gemeinde christliche Sitten und altdeutsche Art verließ, und dem modernen Lügengeiste, der neudeutschen Entartung folgte. Ebenso begann Faulheims Auferstehung zur Wohlfahrt und zu glücklichen Verhältnissen, als es von der abschüssigen Bahn des neudeutschen Zeitgeistes ablenkte und zur christlichen Gesinnung, zur Arbeitsamkeit und Nüchternheit unserer frommen Vorfahren zurückkehrte. Und wie es im Kleinen ist, genau so ist es im Großen. Warum herrscht im neudeutschen Reiche diese Unzufriedenheit, diese Zerfahrenheit? Woher das massenhafte Elend, die Unsicherheit aller Zustände? Woher die unersättliche Genußsucht, die Vergiftung vieler gesellschaftlichen Verhältnisse, – und auch die Vergiftung bis herab zu den einfachsten Lebensmitteln? Woher die Verdorbenheit der Jugend, die haarsträubend anwachsende Vermehrung von Vergehen und Verbrechen? Einfach daher, weil die neudeutsche Bildung und Sinnesart von dem heiligen Gott sich abwendet und den Götzen der Welt dient, – nämlich der Augenlust, der Fleischeslust und der Hoffahrt. Soll das neudeutsche Reich bestehen, dann muß es umkehren zu dem heiligen Gott, – umkehren zur altdeutschen Frömmigkeit und Gesinnung. Und diese Umkehr zum Guten soll jeder deutsche Mann anstreben nach seinem besten Vermögen. Namentlich gilt dies von uns Katholiken. Gegen uns Katholiken steht die ganze Welt, – von Niemand haben wir aufrichtigen Beistand und Hilfe zu erwarten, als von Gott und von uns selbst. Rühren wir uns, dann wird Gott mit uns sein. Sind wir saumselig und träge, dann ist unsere Sache verloren. Unsere Sache aber ist die Besserung der faulen Zustände, die Rettung der ganzen gesellschaftlichen Ordnung. Darum ist es nothwendig, bei den Wahlen in die Kammern und in den Reichstag uns zu rühren, – Männer in die gesetzgebenden Körper zu schicken, deren christliche Gesinnung ein richtiges Verständniß für das wahre Volksglück verbürgt, und deren Gerechtigkeit beharrlich die nothwendige Freiheit zurückfordert für unsere bevormundete und vielfach geknechtete Kirche. Das sind Dinge von der allergrößten Wichtigkeit, über die wir später noch sprechen werden. – – Zum Schlusse wünsche ich und bitte Gott, die Gemeinde Faulheim möge beharren auf der Bahn des Guten. Die Jahre der Verirrung und des Unglücks mögen für sie eine unvergeßliche Mahnung sein, treu fest zu halten an christlicher Gesinnung, damit hienieden Gottes Segen sie begnade und jenseits Allen, die in irdischer Prüfung bestanden, die Krone des ewigen Lebens werde. Dies mein aufrichtiger Wunsch. Und nun, meine Freunde, stimmen Sie ein mit mir in den Ruf: – Die Gemeinde Faulheim soll leben hoch!«

Der Aufforderung wurde mit größter Bereitwilligkeit entsprochen und auch mit den besten Erfolgen; denn alle Männer empfanden das Bedürfnis, die lebhaften Eindrücke der Rede und ihren Gefühlsdrang zu äußern, was sie jetzt durch das volle Aufgebot ihrer Stimme thaten.

Die Berührung der Wahlen hatte eine lebhafte Unterhaltung hervorgerufen.

»Mit den Beamten für den Landtag und den Reichstag ist's nichts!« versicherte Huhn, der Gemeinderath. »Viele Beamten wollen immer mehr Gehalt und immer bessere Stellen haben. Ihre Forderungen für Aufbesserung nehmen kein Ende, – jedes Jahr reicht's nicht. Warum reicht's nicht? Weil sich viele Beamten nicht strecken wollen nach der Decke, – weil sie für den Staat ihrer Weiber und Töchter und für das gute Leben immer mehr brauchen. Sie sollen sich einschränken, wie andere Leute auch und keine unnöthigen Possen machen. Wer bessert denn uns Bauern auf? Die Beamtenfrauen sollen nur arbeiten, wie andere Frauen auch, den theuern Flitterstaat und was sonst unnöthig ist, aber viel Geld kostet, sollen sie aufgeben. Heut' aber will schon jede Professors- und Schreibersfrau in der Stadt eine Magd, eine Köchin und ein Stubenmädchen haben, – das Volk kann's ja bezahlen. Ich mein' aber, das Volk sei nicht dazu da, um für faule Weiber und Beamte, die nie genug kriegen und immer mehr brauchen, zu arbeiten. Wer hilft uns von diesen Blutigeln? Die Beamten in der Kammer gewiß nicht. Und weil die Beamten bessere Stellen nur von der Regierung kriegen, darum reden und thun sie in der Kammer und im Reichstag nur, was den Ministern gefällt, nicht aber zum Vortheil des Volkes. Also müssen wir unsere Leut' aus dem Volk nehmen, dann wird's recht.«

Beifallsgemurmel und Kopfnicken von allen Seiten.

»Im Allgemeinen hast Du's getroffen,«, sagte Schlau. »Aber es giebt auch brave Beamte, die's ehrlich meinen mit dem Volke. – Wer aus unserem Wahlkreis das nächste Mal in die Kammer und in den Reichstag kommt, könnt' ich jetzt schon sagen,« versicherte er mit einem bedeutsamen Blicke auf Herrn Ottfried. »Wir müssen aber agitiren, und daran soll's nicht fehlen.«

Bis zum späten Abend währte der Austausch der Meinungen. Dr. Heinrich staunte über den gesunden Verstand und die praktischen Ansichten der Bauern.

»Ich bin über die Entwickelung der Geisteskräfte dieser einfachen Landleute überrascht,« vertraute er heimlich dem Bruder. »Die Redeform ist zwar mangelhaft, allein der Inhalt würde manchen Politiker zieren.«

»Unsere Bauern sprechen aus der Lebensschule, in der leider nicht alle Staatslenker gesessen und gelernt haben,« erwiederte Walther.

Endlich gab Pfarrer Gut das Zeichen zum allgemeinen Aufbruche. Herr Ottfried bot ihm den Wagen an; er zog es jedoch vor, in Mitte seiner Pfarrkinder den Heimweg anzutreten.

Einige Tage vor der Hochzeit war die Dekoration der Kirche vollendet und die Gerüststangen aus derselben entfernt worden. Der Meister hatte es verstanden, ohne Schädigung der architektonischen Schönheiten und erhebenden Stimmungen des gothischen Styles, seine Aufgabe zu lösen. Die Bauern erkannten ihre Kirche nicht wieder und waren entzückt über deren Herrlichkeit.

»Großvater, in unserer Kirch' ist's so schön, wie im Himmel!« versicherte begeistert Stephan Ehrlich.

»Wenn auch das nit,« erwiederte lächelnd der Großvater, »so stimmt doch ein hübsches Gotteshaus für den Himmel.«

Dem Bürgermeister wurde die Kirchenmalerei Anlaß, zur Ausführung eines guten Gedankens, den ihm der kluge Pfarrer nahe gelegt. Jeden Sonntag, vor dem Hochamte, stand Schlau auf dem Kirchenplatze, von den Angesehensten des Dorfes umringt, und dort sagte er, was er an die Dorfschelle hängen wollte, ohne es durch den Büttel ausschellen zu lassen.

»Ihr Männer, wir können allesammt Gott danken; denn wir haben dies Jahr eine ausgezeichnete Aernte gemacht. Speicher, Keller und Scheuern sind voll. So eine Menge Gras, wie dies Jahr gewachsen ist, gedenkt mir gar nicht. Das best' und einträglichst' Gras wächst aber doch vor den Thürschwellen unserer Wirthe.«

Die Bauern lachten anständig und stimmten bei.

»Nur fürcht' ich,« fuhr Schlau fort, »das Gras vor den Thüren der Wirthshäuser möcht' in den langen Winterabenden von unseren Burschen wieder abgetreten werden. Das müssen wir verhüten. Wir müssen unseren Buben für die langen Winterabende einen hübschen Zeitvertreib schaffen, der uns nichts kostet und an dem wir alle zusammen eine rechte Freud' haben. Wie ist das anzufangen? Ich will's euch sagen. – Nämlich, wir haben jetzt eine so prächtige Kirch', daß sich der Tempel Salomonis gar nicht daneben darf sehen lassen. In so eine Prachtkirch' gehört auch ein schöner Gesang, – dreistimmig oder gar vierstimmig. Darum wollen wir einen Kirchengesangverein gründen für unsere Burschen. Der neue Schulmeister ist recht und brav, er versteht auch viel Musik und wird an den langen Winterabenden mit den Sängern die hübschen Lieder einüben, die wir beim Gottesdienst zu hören kriegen. Dadurch schlagen wir zwei Mücken mit einer Patsche, – wir halten unsere Burschen vom Wirthshaus ab, und bekommen dazu einen ganz erbaulich schönen Kirchengesang.«

Allgemeiner freudiger Beifall.

Sofort wurde das Werk in Angriff genommen. Am folgenden Sonntage verkündete der Pfarrer nach der Predigt, wer von den Burschen dem Kirchengesangverein beitreten wolle, möge sich beim Herrn Lehrer melden. Sie kamen alle. Gleich nach Allerheiligen begannen die Uebungen. Bald war der Kirchengesangverein eine angesehene Korporation und dessen Mitglieder stolz auf ihre Leistungen. Frau Beata schenkte dem Verein eine sehr schöne Fahne, die bei feierlichen Processionen vor den Sängern hergetragen wurde.

Der Landesherr war wieder zu den Herbstjagden gekommen, hatte Herrn Ottfried nach seinem Jagdschlosse eingeladen und ihn mit den herkömmlichen Worten empfangen: »Wie geht es Ihnen, mein lieber Herr Nachbar?« Drei Tage weilte Edel in der nächsten Umgebung des Fürsten und hatte mit ihm wiederholt vertrauliche Besprechungen.

Nach der Heimkehr verbreitete sich Edel, seinen Söhnen gegenüber, eingehend über diese Unterhaltungen, welche ausschließlich socialer und kirchenpolitischer Natur waren.

»Unseren Landesherrn beseelt das beste Streben,« sagte er. »Allein der Cultusminister, dieser schlaue Fuchs, mißbraucht die schwache Seite des Fürsten, seine nebelhafte Furcht vor Rom, in der allerschlimmsten Weise. Als Protestant hat der Fürst von Geist und Wesen der katholischen Kirche ganz falsche Begriffe. Vom Standpunkte des fürstlichen Landesbischofes will er dieselbe regieren, was gleichbedeutend ist mit der vollständigen Vernichtung des kirchlichen Organismus. Hiezu kommt die Herrschsucht des Bureaukratismus und der heidnische Geist unseres Staatswesens, so daß in nicht ferner Zeit die Kirche verstaatlicht werden muß, wenn nicht Trennung von Kirche und Staat Heil und Rettung bringt.«

»In der Kirche selber dürfte sich Widerspruch gegen eine Trennung erheben,« sagte Walther. »Die Staatsgeistlichen fühlen weder den Druck, noch die Schmach der goldenen Ketten, mit denen sie an den Staatswagen gebunden sind. Auch Israel, das Volk Gottes, ertrug die ägyptische Knechtschaft, bis der Herr durch Moses und schwere Plagen sein Volk aus der Sklaverei herausführte. Und dann behagten die Entbehrungen und das Manna in der Wüste Vielen durchaus nicht, – sie sehnten sich zurück nach den Fleischtöpfen Aegyptens.«

»Deine Andeutung mag zutreffen,« versetzte Herr Ottfried. »Will aber Gott den ferneren Bestand seiner Kirche in deutschen Landen, dann wird er die Dinge in einer Weise lenken, welche die Freiheit der Kirche erzwingt. Ueberhaupt muß in nicht wenigen fundamentalen Beziehungen des Staatslebens eine Umkehr stattfinden. So lange die Schofel in den Volksschulen und die Uebel an den Universitäten lehren, – so lange die Wolf und die Bär an den Regierungstischen und die Fuchs auf den Ministerstühlen bureaukratischer Allmacht sitzen, – so lange die Schaal und die Streber als taubes Salz in der Kirche wirthschaften: – so lange ist an eine gründliche Heilung der neudeutschen Krankheiten nicht zu denken. Die Wendung zum Besseren kann nur, wie es den Anschein gewinnt, vom deutschen Volke ausgehen, indem es einsichtsvolle, für Wahrheit, Recht und Freiheit begeisterte Männer in die Kammern und in den Reichstag schickt.«

Die nächsten Wahlen gaben Herrn Ottfried Gelegenheit, für seine Ueberzeugung wirksam einzutreten, seine Liebe für das Volk und dessen Wohlfahrt zu bethätigen. Er wurde zuerst in die Landeskammer und dann in den Reichstag gewählt, wo er der lebensfähigsten und achtungswürdigsten Gruppe, dem Centrum beitrat.

Eines Tages empfing er im Ständehause eine Depesche erfreulichen Inhaltes. Sie meldete nämlich, der Storch habe sich im Edelhofe niedergelassen und dahin ein kräftiges Knäblein gebracht. Dann sei der Storch nach dem Waldhofe geflogen und habe dahin ein hübsches Mägdlein getragen. Am gleichen Tage erhielt er einen Brief Walthers aus Innsbruck, wo dieser gediegene junge Mann in die Gesellschaft Jesu getreten war, und nun dem Vater in begeisterten Worten sein Glück und die endliche Befriedigung seines geistigen Ringens schilderte.

Seit Edels thatkräftigem Eintreten für die gute Sache und der seelsorgerlichen Wirksamkeit Guts sind über drei Jahre verflossen. Die Bewohner Faulheims machen in sittlicher und wirthschaftlicher Beziehung rüstige Fortschritte. »Fabriker« giebt es keine mehr, und Drescher, der Socialdemokrat, ist längst verschwunden, weil ihm der Boden für seine Wühlereien entzogen worden. Faulheim ist gerettet und liegt, wie eine fruchtbare grüne Oase, in der Wüste der Zeit. Und da Gott das deutsche Volk mit so großen Vorzügen begnadete und dasselbe durch Gemüthstiefe, Gerechtigkeitsgefühl und Freiheitssinn vor allen Nationen sich auszeichnet, so besteht die hoffnungsfreudige Gewißheit, daß die Ostertage Kleinfaulheims der geistigen und wirthschaftlichen Auferstehung Großfaulheims nur eine Spanne Zeit vorausgegangen sein werden.



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