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Vermählung und Verlobung

Schon am zweiten Tage seines Amtsantrittes in Faulheim begab sich Herr Gut zu Gräulich, dem Bürgermeister.

»Ah, – Sie sind der neue Pfarrer!« rief der Ortsvorstand, als der Geistliche unter dem Eingang der Stube erschien. »Wenn Sie's gerad' so machen, wie der Streber, dann sind Sie mir ganz recht.«

»Herr Bürgermeister, ich erlaube mir, Ihnen den neuen Seelsorger in Faulheim hiermit vorzustellen,« sprach in würdiger Haltung der Greis. »Zugleich bitte ich, Sie möchten in meinem schwierigen Berufe mich gütigst unterstützen.«

Den Bürgermeister mochte jetzt eine Ahnung seines plumpen Benehmens überkommen; denn er stand vom Stuhle auf und lüftete seine Hauskappe.

»Ich denk', wir werden mit einander auskommen, Herr Pfarrer! Viel ist für Sie nicht zu thun; denn es giebt keine Betschwestern hier, und noch weniger Betbrüder.«

»Dann soll es mein redliches Bemühen sein, Liebe zum Gebet meinen Pfarrkindern einzuflößen,« sprach ernst Herr Gut. »Sodann mögen Sie gütigst entschuldigen, wenn ich in einer wichtigen Angelegenheit sogleich Ihren Beistand erbitte. Wie Ihnen bekannt, lebt Oswald seit vielen Jahren in wilder Ehe, weil das Bürgermeisteramt den Civilakt nicht vollziehen und demzufolge der Pfarrer nicht copuliren durfte. Jedenfalls ist die Sache längst verjährt, und ich bitte Sie, beim Amte deßhalb anzufragen.«

»Anfragen? Nein, – das will ich bleiben lassen!« erwiederte unhöflich der Ortsvorstand. »Was ich thun soll, schreibt mir das Amt ungefragt. Zudem ist das Copuliren ganz unnöthig, und von unnöthigen Geschäften bin ich kein Freund. Man hat immer genug zu thun, – mehr als genug!«

»Wenn Sie die Mühe scheuen, dann werde ich an das Amt schreiben.«

»Oho, – was fällt Ihnen ein, sich in meine Sachen zu mischen?« rief Gräulich verletzt. »Ich brauch' Sie gar nicht, – weiß selber, was ich zu thun hab'.«

»Sie weigerten sich ja eben, an das Amt zu schreiben.«

»Weils ganz und gar überflüssig ist. Warum? Das will ich Ihnen sagen. – Schreib' ich an's Amt, dann bleibt die Sach' wenigstens vierzehn Tag' dort liegen, – dann geht's an die Regierung. Bei der Regierung bleibt's wenigstens vier Wochen liegen. Dann geht's an's Amt zurück, wo's wieder beiläufig acht Tag' liegen bleibt. So vergehen wenigstens acht bis zehn Wochen, eh' ich Antwort krieg'. Oswalds Frau lebt aber keine zwei Tag' mehr. Heut' hat er zu mir gesagt, sie wär' so schlecht, daß sie jede Minut' ausgeh'n könnt'.«

»Dieser Umstand ändert freilich die ganze Sachlage,« sprach unruhig der Pfarrer. »Wohnt Oswald in der Nähe?«

»Gleich da drüben, in dem großen Haus mit den grünen Fensterläden.«

Der beunruhigte Seelsorger verabschiedete sich unverweilt.

Gräulich steckte sein rothes Gesicht zum Fenster hinaus und sah ihm nach mit finsteren Blicken.

»Jetzt merk' ich, daß ich einen dummen Streich gemacht hab',« brummte er. »Hätt' ich dem Streber ein schlechtes Zeugniß ausgestellt beim Amt, so hätten, wir den Streber behalten. Ich Esel! – Wer konnt's aber auch wissen, daß wir so 'nen Jesuiten kriegen, der gleich alte Geschichten aufrührt? – – Hm, – ein feiner, schlauer Silberfuchs! Aber – nimm Dich in Acht, Alter, – ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen und weiß, was ich zu thun hab'.«

Herr Gut nahte einem stattlichen Bauernhause, durch Mauer und Hofthor von der Straße abgeschlossen, und durch sorgfältige Unterhaltung und behäbige Wohnlichkeit von allen Häusern der Gasse sich auszeichnend. Im Hofe, welchen Stallungen und Scheuer begrenzten, stand der Hahn, in Mitte scharrender Hühner, auf dem hochgethürmten Düngerhaufen und krähte den Eintretenden fröhlich an. Die Ordnung im Hofhalt, die Reinlichkeit der Hausflur und die blanke Sauberkeit der Stube zur Linken, deren Thüre weit geöffnet war, entgingen dem Geistlichen nicht. Er stand zögernd in der Flur, unwissend, wohin er sich wenden solle. Nichts regte sich, Niemand kam ihm entgegen, das ganze Haus schien ausgestorben, – ein schlimmes Zeichen. Zur Rechten bemerkte er eine Thüre. Er klopfte leise an, trat ein und fand die ganze Familie trauernd und schmerzgebeugt um das Bett einer scheinbar Sterbenden versammelt. Oswald ging dem Pfarrer entgegen, wobei freudige Ueberraschung sein trübes Gesicht erhellte. Anna stand mit ihren drei jüngeren Geschwistern bei Seite. Durch Friedrich Edel von allen Vorgängen und Gründen zur Hoffnung unterrichtet, erkannte sie den Zweck des Besuches und eine namenlose Spannung und Aengstlichkeit malte sich in ihrem Gesichte.

»Ich bin Ihr neuer Pfarrer und Ihnen gilt mein erster seelsorgerlicher Besuch,« sprach Herr Gut, Oswald freundlich die Hand reichend.

Der Mann konnte nur mit einem warmen Händedruck erwiedern, die Lippen bebten ihm, er warf einen bangen Blick mach dem Bette und Thränen rollten über sein bärtiges Gesichts

Die Kranke schien geschlummert zu haben. Ihre abgemagerten Hände lagen gefaltet über der Decke und in dem bleichen Gesichte die Merkmale schwerer, Leiden. Die Krankheit schien mehr eine geistige, als eine körperliche zu sein, und qualvoller Seelenschmerz am Lebensnerv des Weibes zu fressen. Beim Klange der fremden Stimme öffnete sie die Augen. Ihr Blick war starr auf den Geistlichen gerichtet, dessen ehrwürdige Erscheinung belebend auf sie wirkte. Zum größten Erstaunen Oswalds richtete sich die vermeintlich Sterbende in sitzende Stellung auf und streckte dem Priester beide Hände entgegen.

»Wie geht es Ihnen, liebe Frau?« sprach dieser herantretend.

Sie hielt seine Rechte mit beiden Händen fest, wie einen Rettungsanker und blickte zu ihm auf, gleich einer Verhungernden und Verdurstenden zum Born des Lebens.

»Hochwürdiger, – Sie hat Gott geschickt, – der barmherzige Gott!« flüsterte sie mit schwacher Stimme. »Unser Flehen ist erhört, – wir werden gerettet!«

»So ist es, liebe Frau! Gott schickt mich zu Ihnen. Er wird Ihr verzeihender Vater und Tröster sein. – Aber Sie sind sehr entkräftet, darum verhalten Sie sich ganz ruhig. Ich werde mit Ihrem Manne reden, und Sie hören zu.«

Auf einen Wink des Vaters verließen alle Kinder die Stube.

Die Kranke war in die Kissen zurückgesunken und ihr geisterhaft stierer Blick ruhte beständig auf dem Priester.

»Es gereicht mir zur größten Freude, Sie mit Gott aussöhnen zu können und zwar ohne Aufschub,« begann in mildem Ernste der Pfarrer. »Sie haben sich seit vielen Jahren schwer versündigt, aber Gott ist barmherzig, – er verzeiht dem reuigen Sünder und wären seine Vergehen zahllos, wie der Sand am Meere. Demnach ist es nothwendig, daß Sie und Ihre Frau eine reumüthige Beicht ablegen über die ganze Zeit dieses unerlaubten Verhältnisses. Bereiten Sie sich gut vor, fassen Sie tiefe Reue über den vergangenen Lebenswandel und feste Vorsätze der Besserung für die Zukunft. Morgen früh um fünf Uhr werde ich in der Kirche Ihre Beichte hören, und dann bei der heiligen Messe Ihnen das heiligste Abendmahl reichen. Ihrer Frau spende ich hier die heiligen Sakramente. Dann werde ich Sie copuliren, weßhalb nothwendig ist, daß zwei Zeugen gegenwärtig sind.«

Hieran schloß er noch eine kurze eindringliche Ermahnung und gewahrte jetzt die Unruhe Oswalds, der aufmerksam und erschüttert den Worten gefolgt war. Da nämlich Gut von den Hindernissen der Trauung nichts erwähnte, so glaubte Oswald, dem Geistlichen sei die drohende Strafe unbekannt und seine Ehrlichkeit trieb ihn, das Gefährliche der Handlung aufzudecken.

»Herr Pfarrer, ich danke von ganzem Herzen für Alles, – für Ihre hübsche Ermahnung und für Ihre gar große Güte. Bin auch gerne bereit, Alles zu thun, was eine Aussöhnung mit Gott fordert. Aber ich muß Sie aufmerksam machen, daß Sie wenigstens vier Wochen in's Gefängniß kommen, wenn Sie uns copuliren.«

»Ich weiß dies, mein Freund!« unterbrach lächelnd Herr Gut. »Man muß jedoch unter allen Umständen seine Pflicht erfüllen. Die Sache duldet keinen Verzug. Komme ich deßhalb in's Gefängniß, so hat dies wenig zu bedeuten. Besser einige Wochen hier sitzen, als ewig dort brennen, weil man die Seelen verderben ließ.«

Oswald sah mit großen Augen auf den Geistlichen und eine grenzenlose Ehrfurcht ergriff ihn.

»Hochwürden, hätt' ich Sie eher kennen gelernt, ich wäre nicht so weit heruntergekommen! Ja,« – fuhr er fort, von Bewunderung hingerissen, »Sie sind der gute Hirt, der's Leben läßt für seine Schaafe!«

Der Pfarrer richtete noch einige Worte der Ermunterung an die Kranke, verabschiedete sich und ging nach dem Edelhofe.

Am folgenden Morgen nahmen die geistlichen Funktionen den bestimmten Verlauf. Zeugen bei der Trauung waren Stephan Ehrlich und Lehrer Treu. Es war eine eigenthümliche Trauung, – die Vermählung eines kräftigen Mannes mit der Todtkranken. Anna kniete bisher am Boden. Sie hatte die Gebete vor der heiligen Communion, laut von dem Geistlichen vorgesprochen, andächtig nachgebetet. Als jedoch die Vermählung ihrer Aeltern begann, kam eine stürmische Gemüthsbewegung über sie. Das Mädchen ging nach seiner Kammer und weinte heftig.

Die Kranke hatte es glücklich überstanden. Sie lag wohl erschöpft in den Kissen, aber aus ihrem Gesichte war der kummervolle Ausdruck und aus ihrem Blick die bangvolle Starrheit geschwunden.

»Hochwürdiger,« – flüsterte sie, »jetzt ist mir leicht! Ich mein' g'rad', ein Berg sei von mir genommen. Jetzt bin ich in meiner Seele ruhig und zufrieden. Gott vergelt's Ihnen!«

Oswald ergriff tief bewegt die Hand des Pastors.

»Herr Pfarrer, ich dank' Ihnen für Alles, was Sie an uns gethan! Und was ich in der Beicht' versprochen hab', das halt' ich. Ich will das frühere Aergerniß gut machen. Sie werden mich jeden Sonntag beim Gottesdienst sehen. Auch den Käsehandel geb' ich auf, – brauch' nimmer in der Welt herum zu fahren, wie der ewige Jud'. Ich bleib' daheim und baue meine Aecker. Herr Hochwürden, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich jetzt so glücklich bin! Gott vergelts Ihnen!«

Nicht weniger glücklich war der gewissenhafte Priester. Mit dem beseligenden Bewußtsein, zwei Verlorene gerettet und einer ganzen Familie den Frieden gegeben zu haben, verließ er das Haus.

Schon am nächsten Tage wußte ganz Faulheim, was geschehen. Die früheren vergeblichen Bemühungen Oswalds, getraut zu werden, waren bekannt, ebenso Gram und Gewissensqualen seiner Frau. Schlau hatte einmal gesagt: »Die Sanne des Oswald hat eine Gewissenskrankheit; die Geschicht' drückt ihr noch das Herz ab.« Dieser Spruch des Wortführers im Dorfe war zur allgemeinen Ansicht geworden. Jetzt rühmten alle Theilnehmenden den neuen Pfarrer, der sich nicht fürchte, wie Streber, und dem an den Leuten etwas liege.

Schofel, der Schulmeister, ging zum Bürgermeister, den er zu Hause beim Bierkruge fand, eingehüllt in eine dicke Tabakswolke.

»Haben Sie es schon gehört, Herr Bürgermeister?«

»Weiß Alles!«

»Es ist aber doch ein kühnes Unternehmen von dem neuen Pfarrer, Sie zu übergehen, und ohne den Akt des Civilbeamten die Trauung vorzunehmen«, hetzte Schofel. »Das ist ungesetzlich und strafbar.«

»Weiß schon, was ich zu thun hab'! Wenn der Gemeindeschreiber kommt, wird ein Bericht an's Amt gemacht. Will's dem Pfaffen schon weisen, was er zu thun hat und was nicht. In's Zuchthaus muß er.«

»Natürlich, – die Majestät des Gesetzes muß gewahrt werden,« schürte Schofel. »Sie sind der Wächter des Gesetzes und in Faulheim der Vertreter der Staatsbehörde. Ohne Ihre Genehmigung darf Niemand getauft, Niemand begraben und Niemand copulirt werden.«

Die Amtsmiene Gräulichs wurde immer strenger und seine Tabakspfeife qualmte entsetzlich.

»Warten Sie nur, – will den frechen Pfaffen schon Mores lehren!«

»Dazu haben Sie die Macht und auch die Pflicht!« versicherte Schofel. »Unsere Schutzgesetze gegen alle Uebergriffe der herrschsüchtigen Priesterkaste sind so viele, daß sich kein Pfaffe, ohne staatliche Erlaubniß, auch nur rühren kann. Es handelt sich aber darum, diese Schutzgesetze anzuwenden.«

»Will sie schon anwenden! Stricke und Ketten für trotzige Pfaffen, die nicht tanzen wollen nach der Pfeife des Staates, sind nicht umsonst gemacht. In's Loch muß der Silberfuchs! Und wenn er wieder herauskommt, darf er sich nicht mucksen, – sonst!« – und er hob drohend die Faust.

»Ganz richtig, Herr Bürgermeister! Faulheim, – das aufgeklärte Faulheim, läßt sich weder in den Pfaffensack stecken, noch in die mittelalterliche Finsterniß des religiösen Aberglaubens hineintreiben. Wir genießen die Freiheiten moderner Bildung und neudeutschen Geistes.«

Beide gingen nach dem »Hirschen,« wo die Unterhaltung fortgesetzt und über den neuen Pfarrer weidlich geschimpft wurde.

Herr Gut besuchte die Familie Oswald, wo er, zu seinem Erstaunen, das Weib außerhalb des Bettes fand.

»Hochwürdiger, mir fehlt gar nichts mehr, bin ganz gesund, nur noch etwas schwach,« versicherte sie. »O wie glücklich bin ich jetzt, – wie neu geboren!«

»Das sind Sie auch, liebe Frau! Den alten Menschen haben Sie abgelegt und den neuen in Gott angezogen. – Und wie geht es Ihnen, Oswald?«

»Dank der Nachfrag', – ausgezeichnet! Ich mein', es wär' Alles neu in der Welt. Ich hab' jetzt auch wieder rechte Lust und Freud' am Leben und will rechtschaffen hausen. – Nur eins drückt mich, Herr Pfarrer! Gestern Abend wurde im Hirsch arg über Sie gescholten, weil Sie uns herausgerissen haben aus dem Verderben. Der Bürgermeister will Sie beim Amt verklagen. Vorhin war ich bei ihm und hab' ihm eingeredet, er solle das nicht thun. Allein er ist ganz wild.«

»Seien Sie deßhalb ohne Sorgen, Oswald! Um der guten Sache und der Ehre Gottes willen, lasse ich gerne mich einsperren,« sprach mit einem verklärenden Lächeln der würdige Priester. »Je ungerechter die Verfolgungen, desto größer das Verdienst vor Gott. Sie wissen ja, was der Heiland sagt: »Freuet euch und frohlocket, euer Lohn wird groß sein im Himmel!« – – Ihr Wohlbefinden, liebe Frau, freut mich sehr!« schloß er, sich verabschiedend. »Wenn ich in einigen Tagen wieder komme, wird Ihre Genesung noch viel weiter vorgeschritten sein.«

Er reichte ihr die Hand, welche sie ehrerbietig küßte.

»Sanne«, sagte Oswald, vom Geleite zurückkehrend, »unser neue Herr Pfarrer ist kein gewöhnlicher Mensch! Wer so denkt und handelt, muß ein Heiliger sein. Ja, wären alle Geistlichen wie er, die Welt wäre nicht so verdorben und auch nicht so unglücklich.«

Anna trat rasch ein. Ihre Wangen glühten ungewöhnlich und ihr hübsches Angesicht strahlte von Glück.

»Eben kommt er.«

»Wer denn?« frug Oswald.

»Herr Edel.«

Da war er schon. Festlich gekleidet, hoffnungsfroh und ernst zugleich, erschien der junge Mann vor den Eltern der Geliebten.

»Ich komme heute in einer sehr wichtigen Angelegenheit,« begann er nach freundlicher Begrüßung. »Mein Oheim hat Ihnen bereits gesagt, wie sehr ich die persönlichen Vorzüge Ihrer Tochter Anna zu schätzen weiß, wie innig und aufrichtig ich dieselbe liebe, und kein größeres Glück hienieden kenne, als mit Anna ehelich für das ganze Leben verbunden zu werden. Von Anna's Gegenliebe überzeugt und beglückt, komme ich nun, Ihre älterliche Einwilligung zu erbitten.«

Durch Oswalds männliche Züge glitten die Merkmale der Freude und auch des Ernstes.

»Herr Edel,« erwiederte er nach einigem Bedenken, »Sie sind ein sehr reicher Mann, und was noch weit mehr ist, ein rechtschaffener, tüchtiger und ehrenhafter Mann. Obwohl Sie überall eine reiche und vornehme Frau bekämen, haben Sie doch meine Tochter gewählt, und das macht mich stolz! Daneben aber thut es mir recht leid, Anna zu verlieren; denn sie führte das ganze Hauswesen. Wie klug und tüchtig Anna ist, kann ich mit Worten Ihnen gar nicht beschreiben. Sie wird auf dem Waldhof ein Hauswesen führen, das sich vor der ganzen Welt kann sehen lassen. – – Meine Frau ist mit mir einverstanden, wir geben Ihnen unser Kind – Komm' her, Anna!«

Sie trat heran. Der Vater legte ihre Rechte in jene Edels.

»Gott segne euren Bund!« sprach Oswald mit bewegter Stimme. »Bleibet euch einander treu bis in den Tod, hauset rechtschaffen und seid glücklich!«

Edel küßte seine Braut, steckte ihr ein goldenes Ringlein an den Finger, und die einfache Verlobungsfeier war vollbracht.

»Nun, Anna, wirst Du endlich ›Du‹ zu mir sagen?« frug er lächelnd.

»Ja – Du bist jetzt vor Gott mein herzlieber Bräutigam!« erwiederte sie, die glänzenden Augen zu ihm aufschlagend, in denen das unbeschreibliche Glück ihrer Seele wiederstrahlte.

»Eine Bitte hätt' ich noch, – nämlich die Hochzeit noch etwas zu verschieben,« sagte Oswald. »Meine Frau ist noch schwach und kann dem Haushalt nicht vorstehen. Darum möcht' ich bitten, etwas gemach zu thun.«

»Seien Sie deßhalb unbesorgt, Vater Oswald!« entgegnete Edel. »Wir warten bis zum Spätherbst. Unsere Frau Mutter hat sich in wenigen Tagen ganz wunderbar erholt, – man sollte es gar nicht für möglich halten.«

»Sie haben recht, ganz wunderbar!« sagte die Genesende, aus deren Augen bisher Thränen der Rührung und des Mutterglückes geflossen. »Gott hat Barmherzigkeit an mir geübt. Wer so lange elend war und gelitten hat, wie ich, der betrachtet die Welt mit anderen Augen. Darum sage ich, – liebe Kinder, habet stets Gott vor Augen, weichet niemals und in keinem Punkte von dem Wege seiner Gebote, und ihr werdet glücklich sein.«

Beistimmend und dankend nickte Edel mit dem Haupte.

»Heute Nachmittag vier Uhr werde ich Dich abholen, liebe Anna, um meinen Verwandten Dich vorzustellen,« sagte er, sich verabschiedend.

Anna sah der Vorstellung bangen Herzens entgegen. Sie fürchtete, zu mißfallen, im Bewußtsein ihrer Ungeschicklichkeit, in gebildeten Kreisen zu verkehren, sowie in der Geringschätzung ihrer selbst und in der Unkenntniß ihres eigenen Werthes. Ihr Vater, den langjähriges Reisen in vielseitige Berührung mit der Welt gebracht, sprach der Schüchternen Muth ein.

»Sei nicht thöricht, Kind! Herr Ottfried ist ein gescheidter Mann und hat ein richtiges Urtheil über die Menschen. Bist Du auch ein ungeschliffener Edelstein, so bist Du vor dem Kenner deßhalb nicht weniger werth, als ein geschliffener. Der Schliff wird schon noch kommen. Sei bei der Vorstellung bescheiden und klug, wie Du ja immer gewesen, aber nicht scheu und erschrocken.«

Friedrich Edel kam zur bestimmten Stunde angefahren. Pochenden Herzens bestieg Anna den Wagen. An allen Fenstern umliegender Häuser erschienen neugierige und staunende Gesichter; denn die Sache war geheim gehalten worden. Jetzt wußten die Faulheimer die Merkwürdigkeit nicht zu erklären, – Oswalds Anna in der Prachtkutsche des Edelhofes, an der Seite des jungen. Edel. Von stattlichen Pferden gezogen, rollte der Wagen dahin.

»Onkel und Tante, Walther und Beata freuen sich ungemein, Dich zu empfangen,« sagte Friedrich, die Aengstlichkeit seiner Braut bemerkend.

»Ach, – Fritz, – und mir ist so bange!«

»Warum denn, Kind?«

»Weil ich ein so geringes, unverständiges Mädchen bin, das nicht paßt für ein so vornehmes Haus.«

»Auch nicht für den Waldhof?« neckte er.

Ihre klugen Augen leuchteten und ihr Mund lächelte.

»Führe mich, wohin Du willst, Fritz, – ich gehe mit Dir und fürchte nichts.«

»Und ich werde in der Einsamkeit des Waldhofes an Deiner Seite nichts vermissen, – wir werden glücklich sein.«

Der Wagen hielt. Friedrich nahm seine Braut bei der Hand und geleitete sie nach dem Gesellschaftszimmer, wo Herr Ottfried und Frau Clara, Walther und Beata versammelt waren.

»Meine liebe Braut, Anna Oswald!« sagte vorstellend der junge Mann.

Clara und Beata küßten das erröthende und sehr befangene Mädchen. Ottfried und Walther gratulirten.

Anna brachte kein Wort hervor. Die prüfenden Blicke und die vornehme Haltung der Tante verwirrten und ängstigten sie. Da schlug Herr Ottfried den richtigen Ton an, den Bann zu lösen.

»Anna und ich sind alte Bekannte,« sprach er. »Wir bauten unsere Aecker um die Wette, und oft ärgerte ich mich, wenn Annas Waizen besser stand, als der meinige. Wie mag sie erst auf dem Waldhofe wirtschaften? Suche Dir nur ausgezeichnete Oberknechte, Friedrich, wenn Du Ehre einlegen willst; denn Deine künftige Frau ist der beste Bauer in ganz Faulheim.«

»Das bedeutet nicht viel, Herr Onkel!« sagte die aufthauende Anna. »Auch das Beste in Faulheim ist noch sehr mangelhaft. Ich spüre dies an mir, und möchte wegen meiner Kühnheit um Verzeihung bitten und um Nachsicht für meine Wenigkeit, die es gewagt hat, einer so angesehenen, weit über mir stehenden Familie angehören zu wollen.«

Herr Ottfried warf einen triumphirenden Blick auf seine Frau.

»Ja, ja, – ich weiß schon, wie es mit Deiner Wenigkeit steht, Anna!« sprach er in heiterer Laune. »Du bist klüger, als wir alle; denn keine von den thörichten Jungfrauen bist Du, deren Lampenlicht erlosch, weil sie kein Oel eingegossen. Das Oel guter Werke füllte immer Deine Lebenslampe. Von allen Deinen Pflichten hast Du auch die kleinste nicht vergessen, obschon Du Tochter, Schwester, Hausfrau, Vater, Mutter und barmherzige Schwester gewesen, – und dies Alles zusammen bildet das Gegentheil von Wenigkeit.«

»Sie könnten mich stolz machen, Herr Onkel, wenn ich nicht wüßt', daß Sie aus lauter Güte meine vielen Fehler nicht sehen wollen. Aber,« – fuhr sie ernst fort, »ich will mir eine rechte Mühe geben, der Familie keine Schande zu machen, eifrig zu lernen, was ich noch nicht weiß und allen meinen Pflichten nachzukommen.«

Hiebei blickte sie Frau Edel treuherzig an, als erwarte sie von ihr die nöthige Unterweisung.

Man begab sich in das Nebenzimmer, wo der Kaffee harrte. Frau Clara unterhielt sich mit der Braut und ihre vornehme Zurückhaltung verwandelte sich bald in Bewunderung über den seltenen Verstand und den praktischen Scharfblick des einfachen Landmädchens.

Dann gingen Beata und Anna nach dem Garten, wo man sie Hand in Hand wandeln sah, in trautem Verkehr einer rasch geschlossenen Jugendfreundschaft. Der glückliche Bräutigam stand beobachtend am Fenster und bemerkte nicht, wie neben Beatas seltener Schönheit seine Braut als bescheidenes Veilchen blühte.

»Nun, Clärchen, wie bist du mit Friedrichs Wahl zufrieden?« frug Edel seine Frau.

»Anna ist ein wackeres, talentvolles Mädchen,« antwortete sie. »Ohne Zweifel wird sie ihrer Stellung auf dem Waldhofe gewachsen sein. Du weißt jedoch, lieber Ottfried, daß ich für unseren Neffen eine Lebensgefährtin aus angesehenen Gesellschaftskreisen gewünscht hätte.«

Er kannte den hochstrebenden, fast eiteln Sinn seiner Gattin, ihren einzigen Fehler, und schwieg.

Gegen Abend geleitete Friedrich seine Braut nach dem älterlichen Hause zurück. Obwohl ihr Blick und Mienenspiel für ihn die zärtlichste Neigung ausdrückten, glaubte er doch, Sorge und Aengstlichkeit in ihrer Haltung wahrzunehmen.

»Mir dünkt, irgend ein Umstand beunruhige Dein Gemüth; – was, ist es, Anna?«

Sie nickte ernst mit dem Haupte.

»Du hast es errathen, lieber Fritz! Wie eine schwere Ahnung liegt es über mir, – wie ein großes Unglück, das sich heranwälzt, unser Glück zu stören, unseren Bund zu verhindern.«

»Auch ich empfinde etwas Aehnliches, – sehr natürlich!« entgegnete er. »Im Besitze eines sehr großen Schatzes, fürchtet man, denselben zu verlieren, – das ist Alles!«

Die Verlobung erregte in Faulheim und der ganzen Umgegend das größte Aufsehen. Die Bauern fühlten sich außerordentlich geschmeichelt, durch Edels Wahl, der kein vornehmes Stadtfräulein erkoren, sondern ein Mädchen aus ihrer Mitte. Sein Lob wurde in ganz Faulheim gesungen, und Niemand beneidete die stets bescheidene Anna um ihr Glück.

Noch ein Umstand erregte viel Gerede. Herr Ottfried hatte plötzlich die lange Reihe dürrer Nußbäume fällen lassen. Seit vielen Jahren betrachteten die Faulheimer jene Bäume als Zeichen des Zornes eines schwer beleidigten Mannes, sowie als stete Anklage verübter Missethat.

»Gebt Acht, dies bedeutet was Besonderes!« verkündete Schlau. »So lang' die dürren Nußbäum' standen, und das ist schon über zwanzig Jahre her, kümmerte sich Herr Ottfried um Faulheim gar nichts. Wir waren für ihn gar nicht da und konnten untergehen, ohne daß er sich gerührt hätt'. Jetzt sind die Zornbäum' fort, – er will Oswalds Anna gar noch seinem Neffen zum Weib' geben und wahrscheinlich mit unserem Dorf' Freundschaft schließen. Na, – die Freundschaft des reichsten Mannes im Land' könnten wir schon brauchen; denn alle zusammen sind wir recht übel daran.«



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