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Ländliche Ereignisse

Von Dank gegen die waltende Vorsehung erfüllt, drängte es Herrn Ottfried, die Empfindungen seines edlen Herzens durch die That zu äußern. Irgend ein bedeutendes, Gott wohlgefälliges Opfer wollte er bringen für sein großes Glück. Er überlegte einige Tage und konnte das Richtige nicht finden. Als ihn nun Heinrich, der mit Eifer landwirthschaftliche Werke zu studieren begonnen, um nähere Auskunft über die verschiedenen Bodenqualitäten der Ländereien bat, suchte der Vater in seinem Schreibtische nach einer genau aufgestellten Klassenliste. Hiebei kam jenes Verzeichniß des Juden Borg in seine Hände, und das Passende zur Verwirklichung seiner edlen Absicht war gefunden.

Am folgenden Tage ließ er die verzeichneten Schuldner des Juden einzeln vor sich kommen und erforschte von Jedem die Summe des wirklich empfangenen Geldes. Hiebei traten Dinge zu Tage, welche Herrn Ottfried mit Entrüstung und Abscheu gegen den Wucherer erfüllten. Er schrieb an Süßel einen Brief und klingelte eben seinem Kammerdiener, das Schreiben zu befördern, als der Jude angemeldet wurde. Kalt und fast strenge empfing er den Halsabschneider.

»Verzeihen Sie, Herr Edel, wollte schon längst kommen wegen dem Geschäft, aber weil Sie getroffen hat ein großes Unglück, darum hab' ich's verschoben bis auf den heutigen Tag. Jetzt aber kann ich länger nicht warten und möchte hören, – erlauben Sie, ob Sie machen wollen das glänzende Geschäft, – oder ob Sie es nicht machen wollen das höchst rentable Geschäft.«

Edel zog eine Schublade und legte zwei Verzeichnisse vor sich hin.

»Das Eingehen auf Ihren Antrag enthält sehr große Bedenken und Gefahren,« sprach er. »Ihre Forderung beträgt 98,000 Gulden, – in Wirklichkeit aber empfingen die Leute zusammen nur 18,500 Gulden, – sohin verlangen Sie 79,500 Gulden zu viel.«

»Nicht zu viel, Herr Edel, – verzeihen Sie, wahrhaftig nicht zu viel!«

»Ich habe Ihre Schuldner vor mich rufen lassen, und jeden um genaue Angabe dessen ersucht, was er von Ihnen erhielt.«

»Erlauben Sie, Herr Edel, – ich läugne gar nicht, bezahlt zu haben in baarem Geld 18,500 Gulden und dafür zu fordern 98,000 Gulden, – nur sagen wollte ich, verzeihen Sie, daß ich zu viel nicht verlange.«

»Neun und siebenzigtausend Gulden verlangen Sie zu viel.«

»Erlauben Sie, Herr Edel, das ist Geschäft, – und ich bin Geschäftsmann! Je besser ich kann anlegen und umschlagen mein Geld, desto preiswürdiger; denn ich bin ein Mensch, der versteht sein Geschäft.«

»Hier ist ein Mann,« sagte Herr Ottfried, auf das Verzeichniß deutend, »Franz Gimpel heißt er, dem Sie 1200 Gulden liehen, – und diese 1200 Gulden trieben Sie durch Wechsel und andere Manipulationen auf 10,000 Gulden, – und das nennen Sie Geschäft? Himmelschreiender Wucher ist das.«

»Gottes Wunder, – gnädigster Herr Edel, verzeihen Sie, – gestatten Sie, zu sagen, daß es nicht ist ein Unrecht, zu nehmen tausend Procent Zinsen, – wahrhaftig kein Unrecht vor dem Gesetz; denn wir haben ja Wucherfreiheit. Und dann, was hätt's geholfen, wenn ich gegeben hätte dem Franz Gimpel 10,000 Gulden? Gar nichts hätt's ihm geholfen; – ich kenne meine Leut'! Der Gimpel hätte durchgebracht die 10,000 Gulden, wie er hat durchgebracht die 1200 Gulden. Menschen, die nicht wollen arbeiten und nicht sparen und nicht haushalten, – Menschen, die immer wollen sitzen in den Wirthshäusern und wollen nachlaufen den Vergnügen, – solchen Menschen ist überhaupt gar nicht zu helfen mit Geld. Je mehr sie haben, desto mehr brauchen sie.«

»Das ist richtig,« bestätigte Herr Ottfried. »Verkommenen Leuten kann nur durch sittliche Besserung geholfen werden.«

»Nun also, – sehen Sie, Herr Edel, Geschäftsmann bin ich, – warum soll ich nicht machen ein gutes Geschäft? Sogar ein ausgezeichnetes Geschäft, wie es erlaubt das Gesetz? Wucher giebt's nicht mehr, – Geld ist Waare, Handel und Geschäft sind frei, Dank der liberalen Aera.«

»Aber nicht mehr lange; denn die liberale Aera ist rasch bankrott geworden. Sie werden in der Zeitung gelesen haben, daß Wuchergesetze wieder eingeführt werden müssen, wenn unerfahrene und auch verkommene Leute nicht vollständig zu Grunde gerichtet werden sollen. Und auch in dieser Voraussicht der Wiedereinführung von strengen Gesetzen gegen Wucher, muß ich Ihren Antrag ablehnen. Ich will nicht in Collision kommen mit den Strafgesetzen.«

Süßel wurde unruhig.

»Verzeihen Sie, Herr Edel, wie können Sie kommen in Collision mit dem Strafgesetz, da nicht Sie gemacht haben das Geschäft, sondern ich? Und was hab' ich zu fürchten, da ich Geschäfte machte, wie sie erlaubt das Gesetz?« – und des Juden Augen ruhten ängstlich forschend auf Edel.

»In beiden Punkten täuschen Sie sich. Wenn Jemand einen strafbar abgeschlossenen Handel übernimmt, wird er gleich strafbar. Eventuell könnte ich das übernommene Guthaben nicht einklagen. Und dann schützt die gegenwärtige Wucherfreiheit für die Zukunft durchaus nicht. Auch Sie werden gelesen haben, daß den neuen Gesetzen gegen Wucher eine rückwirkende Kraft gegeben werden soll.«

Trotz aller Mühe, die innere Bewegung zu verbergen, erschien die Judenangst dennoch in Süßels Gesicht.

»Darum wiederhole ich,« schloß Edel, »das Eingehen auf Ihren Antrag enthält große Gefahren.«

»Gott sei mir gnädig, – was soll anfangen ich armer Mann!« jammerte Süßel. »Geliehen hab' ich mein baares Geld an Leute, von denen ich weder Kapital noch Zinsen bekomme. – Herr Edel, Sie allein können helfen aus meiner großen Noth. Ich bitte, machen Sie das Geschäft!«

Der Gutsbesitzer bewegte verneinend das Haupt.

»Verzeihen Sie, Herr Edel, – wie gesagt, fort will ich aus dieser Gegend, weit fort! Darum will ich meine Hypotheken auf die vielen Aecker und Wiesen Ihnen verkaufen um einen Spottpreis, – wahrhaftig, um einen Spottpreis!«

»Um welchen Preis?«

»Verlieren will ich 48,000 Gulden, – das ist ein Wort, – achtundvierzig tausend Gulden! Geben Sie mir 50,000 Gulden, und Alles gehört Ihnen.«

»Was Sie da sagen, ist Thorheit. Sie geben 18,500 Gulden, nehmen dafür 50,000 Gulden, und das nennen Sie Verlust? Außerdem wiederhole ich Ihnen, daß ich meinen Grundbesitz nicht ausdehnen will. Bestehen Sie auf einer Forderung, die mit Ihren rechtmäßigen Ansprüchen in gar keinem Verhältnisse steht, so ist jede weitere Unterhandlung überflüssig.«

»Erlauben Sie, Herr Edel, darf ich Sie inständig bitten, auf meine Hypotheken ein Angebot zu machen?«

»Nicht für mich, sondern in der Absicht, den ruinirten Leuten zu helfen, bin ich zum Kaufe bereit und zahle Ihnen das ausgeliehene Kapital, nämlich 18,500 Gulden.«

»Gottes Wunder, – das kann ich nicht, – wahrhaftig nicht! Wo bleiben meine guten Zinsen für 18,500 Gulden die langen Jahre her?«

»Sie hatten die Wiesen verpachtet.«

»Ja, – verpachtet für 600 Gulden, das ist Alles.«

»Verwerfen Sie mein Angebot, dann ist nichts zu machen. Gehen Sie, – meine Zeit ist kostbar.«

»Verzeihen Sie, gnädigster Herr, – noch ein Wort! Sie sind ein großmüthiger Mann und ein sehr reicher Mann, – was bedeuten vor Ihrem Angesichte 1500 Gulden? Wenn Sie mir geben 20,000 Gulden baar, dann ist das Geschäft gemacht. Schlagen Sie ein, allergnädigster Herr Edel, – schlagen Sie ein!« – und mit flehender Geberde hielt er ihm die Rechte hin.

Herr Ottfried schlug ein.

Tag und Stunde des notariellen Aktes wurden festgesetzt, und Süßel kehrte nach der Stadt zurück, in endlosen Selbstgesprächen seinen ungeheuern Verlust beklagend.

Von dem hochherzigen und ächt christlichen Plane Edels hatten die verschuldeten Bauern keine Ahnung. Sie fühlten bitter das Zerrüttete ihrer Verhältnisse, gedachten mit Reue und Schmerz vergangener glücklicher Zeiten, und Manche von ihnen mußten mit ihren Familien förmlich darben. In den Fabriken floß der Verdienst immer spärlicher, Kleider und Betten wurden versetzt, und der Hirschwirth schlachtete an den Samstagen nur mehr ein Schwein, und zwar ein sehr kleines. Die Zeiten waren schlecht.

Noch ein anderer Umstand hemmte die Genußsucht, nämlich die ausgezeichnete Wirksamkeit des Pfarrers Gut. In volksthümlichen und beredten Predigten zeigte er den Bauern die Quellen ihres Glückes und ihres Unglückes, und das Schlagende seiner Ausführungen zwang auch die Hartnäckigsten zur Beistimmung und Ueberzeugung. Die vormals leere Kirche war an Sonntagen dicht gefüllt. Die Bauern kannten keine angenehmere Unterhaltung, keine tröstlichere Belehrung, als die Vorträge ihres Pfarrers, dessen ehrwürdige Persönlichkeit und frommer Wandel, verbunden mit werkthätiger Nächstenliebe, das gepredigte Wort mächtig unterstützte. Sogar im »Hirschen« wurden an Sonntagen die Reden besprochen und von Allen lobend anerkannt, – Schofel ausgenommen. Dieser unwürdige Lehrer gewahrte den steigenden Einfluß seelsorgerlicher Wirksamkeit, die langsame aber stetig wachsende Umkehr zum Besseren, und Zorn kochte in seinem Herzen gegen den »schlauen Jesuiten.«

Der Winter hatte den Ehrentisch aus dem Hofe in die große Wirthsstube versetzt, und die Stammgäste waren am Sonntag Abend um ihn versammelt. Abermals bildete die Predigt des Morgens den Gegenstand der Unterhaltung.

»Man kann es nicht läugnen, der neue Pfarrer versteht sein Geschäft,« anerkannte mit herablassender Miene Schulmeister Schofel. »Der eigentliche beglückende Volksunterricht wird aber nicht ertheilt in den Kirchen, sondern in den Schulen. So sonderbar es vielleicht Manchem klingen mag, – wahr ist's aber doch: – die Lehrer sind für das Volk die Lichter und die Geistlichen sind die Lichtlöscher.«

Dieser Spruch schulmeisterlichen Dünkels verletzte die Bauern. Sie blickten schweigend vor sich hin und dampften gewaltig aus ihren kurzen Pfeifen.

»Sie haben Recht, Herr Schulmeister, wenn man noch zwei Sylben beisetzt,« sagte Schlau in die entstandene Stille. »Es muß nämlich heißen: – die Schulmeister, wie Sie, sind die Irrlichter, und die Geistlichen, wie Pfarrer Gut, sind die Irrlichterlöscher.«

Die Bauern brachen in ein anhaltendes Gelächter aus. Noch war das Lachen nicht verklungen, als der Gemeinderath Huhn eintrat und sich, mit einem zornigen Blicke auf Schofel, am Tische niederließ.

»Ich bedauere sehr, Herr Adjunkt, daß Sie mit meiner Person unzufrieden zu sein scheinen,« bemerkte Schofel spöttisch. »Sonst dürfte die ganze Gemeinde mit meiner Amtsführung zufrieden sein.«

»So, – meinen Sie?« warf Huhn zornig hin. »Mit Ihnen zufrieden? Ha, – ha! Was Sie sind, will ich gar nicht sagen.«

Allgemeines Staunen.

Schofel wurde bleich und betroffen.

»Was hast gegen den Schulmeister, Franzsepp?« frug Lump.

»Was ich gegen ihn hab'? Daheim liegt mein Evele sterbenskrank, – schändlich mißhandelt von dem Schulmeister. Mein Aeltester ist schon in die Stadt zum Doktor. Ihr werdet Neuigkeiten hören, wenn morgen das Gericht kommt.«

Die Bauern sahen sich einander an. Schofel ging hinaus und kam nicht wieder.

In der Frühe des folgenden Morgens betrachteten Vorübergehende das Schulhaus mit eigenthümlichem Ausdruck des Mienenspiels. Das Haus oder dessen Bewohner mochten plötzlich in sehr häßlichem Lichte erscheinen; denn Abscheu und Ekel lagen deutlich in den Zügen der Betrachtenden.

Schofel stand hinter den geschlossenen Jalousieläden des Schulsaales und sah lauschend auf die Straße hinab. Ueber Nacht hatte er sich merkwürdig verändert, – um zehn Jahre war er älter geworden. Unstät und scheu fuhr sein Blick die Straße auf und ab, und auch ihm entging nicht die eigenthümliche Bewegung mancher Vorübergehenden. Da begegneten sich zwei Frauen vor dem Schulhause und blieben stehen.

»Hast Du's schon gehört? Huhn's Evele ist heut' Nacht gestorben.«

»Was, – das hübsch' rothbäckig Mädele? Was hat ihm denn gefehlt?«

Die Gefragte warf einen grimmigen Blick nach dem Schulhause und antwortete mit gedämpfter Stimme, so daß Schofel nichts verstehen konnte. Aber Entsetzliches mochte sie berichten; denn die Andere schlug beide Hände zusammen und bewegte den Kopf hin und her.

»Na, – na, – so was hab' ich aber doch auch noch nit gehört!« sagte sie. »Was es doch für schlechte Leut' giebt!«

Als die Frauen schließlich auseinander gingen, rief die Berichterstatterin zurück: »Die Gensdarmen werden gleich kommen und den schlechten Kerl holen.«

Schofel rannte durch den Schulsaal, wie ein Verzweifelter. Mit beiden Händen fuhr er sich in die Haare und sein Gesicht war in abschreckender Weise verzerrt.

Auf der Straße riefen Knabenstimmen. Schofel blieb lauschend stehen.

»Heisa, – wir haben heut' keine Schul'!«

»Warum nit?«

»Die Gensdarmen holen den Schulmeister. Guck, – dort kommen sie schon!«

Schofel verschwand eilig aus dem Saale.

Zwei Gensdarmen, den Bürgermeister in der Mitte, kamen die Straße herauf, hinter ihnen ein Schwarm Kinder, während sich alle Fenster öffneten und Neugierige herausschauten, manche fragend, was es gäbe. Ein Gensdarm blieb vor dem Hause stehen, der zweite betrat mit dem Bürgermeister die Wohnung. Gräulichs Gesicht war heute nicht feurig, sondern aschgrau angelaufen und seine Amtsmiene sehr bekümmert.

»Ist der Herr Schullehrer daheim?« frug er Schofels Frau, die verwundert und ohne Ahnung des Schrecklichen den frühen Besuch empfing.

»Ja, – er wird im Schulsaal sein.«

Die Männer des Gesetzes gingen dorthin. Schofel war nicht da.

»Dann wird er im Keller sein,« sagte die Frau.

Auch im Keller war er nicht. Im ganzen Hause rief die Frau nach ihrem Manne; nirgends eine Spur von ihm. Lange durchsuchte man das ganze Gebäude und fand endlich Schofels Leiche. Der Elende hatte sich auf dem Speicher hinter dem Schornstein erhängt.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde von dem Selbstmorde durch das Dorf. Nirgends hörte man ein Wort des Bedauerns; denn Schofels Schandthat, welche dem Morde vorausging, war himmelschreiend.

»Siehst Du, Stephan,« sagte der Großvater zu seinem Enkel, »da heißt's auch wieder: wie gelebt, so gestorben! Heut' zu Tag bringen sich so viele Leut' um, – die meisten Selbstmörder mögen aber vorher gerad' so, oder ähnlich gelebt haben, wie der Schofel.«

Das Gerede über Schofel und seine Missethaten währte fort, bis es durch ein gewaltiges Ereigniß gleichsam erstickt wurde.

Einige Tage vor Weihnachten ließ Herr Ottfried sämmtliche Schuldner des Juden Süßel vor sich kommen. Die Geladenen zogen ihre besten Kleider an und gingen nach dem Edelhofe, wo sie in den alterthümlichen Saal geführt wurden. Neunzehn Stühle standen in einer Reihe, und darauf nahm der vollzählich gegenwärtige Gemeinderath, sowie noch sieben Familienväter Platz. Einige Schritte vor den erwartungsvoll Sitzenden stand eine lange Tafel und auf derselben lagen neunzehn Aktenbündel. Die Opfer des Wucherers sahen die Akten und eine Mischung von Staunen und Aengstlichkeit malte sich in ihren Gesichtern. Aber Keiner sprach ein Wort. Alle harrten in banger Erwartung dessen, was kommen sollte.

Herr Ottfried betrat mit seinen beiden Söhnen den Saal. Die Bauern erhoben sich und grüßten achtungsvoll, wobei sie nicht unterließen, mit besorgten Blicken in Edels Zügen zu lesen. Die Scharfsichtigen von ihnen athmeten auf; denn über Ottfrieds Angesicht lag es, wie Sonnenschein, – der augenscheinliche Wiederstrahl seiner Herzensfreudigkeit und seines Glückes. Mit freundlichem Lächeln die Grüße erwiedernd, ließ er sich mit Walther und Heinrich an der Tafel nieder.

»Setzen Sie sich, meine Freunde!« sprach er. »Zunächst meinen Dank für Ihre Bereitwilligkeit und Pünktlichkeit, mit der Sie meiner Einladung gefolgt sind. Nun sogleich zur Sache. – – Der Jude Salomon Süßel hatte auf Ihren Grundbesitz hypothekarische Ansprüche, im Gesammtbetrage von 98,000 Gulden. Alle Rechte des Juden auf Ihre Aecker und Wiesen habe ich käuflich erworben, – hier liegen die Akten und Hypotheken. Keiner von Ihnen ist dem Juden Süßel auch nur mehr einen Kreuzer schuldig. Ich allein bin Ihr Gläubiger.«

Staunen und Ueberraschung der Bauern waren grenzenlos. Unbeweglich saßen sie da und starrten Edel an, der einige Sekunden schweigend vor sich hinblickte.

»Vor etwa vierzig Jahren,« hob er wieder an, »war Faulheim eine wohlhabende Gemeinde, mit arbeitsamen und vermögenden Bauern. Der Feldbau war in bester Ordnung, und keinem Bauer konnte hierin auch nur der geringste Vorwurf von Trägheit oder Vernachlässigung gemacht werden. Und heute? Nun, – ich will über den gegenwärtigen Zustand der Gemeinde schweigen, um Sie nicht zu kränken. – Aber wissen möchte ich doch, warum Faulheim so kläglich zurückgegangen, und sich im Allgemeinen in einer sehr trostlosen Lage befindet. So weit ich die Vorgänge im Dorfe beobachten konnte, glaube ich, für die traurige Veränderung einige Ursachen gefunden zu haben, – allein ich könnte mich täuschen und möchte Ihre Ansicht hören. Wer von Ihnen hat die Gefälligkeit, mir klaren Aufschluß hierüber zu geben?«

Alle sahen auf den redegewandten Schlau, der sich einigemale räusperte und dann vom Sitze aufstand.

»Herr Edel, warum Faulheim so tief heruntergekommen und jetzt in einer so verzweifelten Lage ist, kann ich Ihnen genau angeben, – will's auch der Wahrheit gemäß thun, obwohl ich selber dabei schlecht wegkomme. – – Unsere Aeltern und Vorältern sind fleißige, genügsame und brave Leute gewesen. Sie hielten sich an den Ackerbau und waren das ganze Jahr hindurch thätig und darauf aus, redlich durchzukommen, und als rechte Bauern vor der Welt dazustehen. Unsere Aeltern haben sich immer, wie man sagt, nach der Decke gestreckt, – sie haben keine überflüssigen Ausgaben gemacht. Die Töchter und die Mütter haben im Winter das Garn vom selbstgepflanzten Hanf gesponnen, von dem die blauleinenen Hosen und Wämmse gemacht wurden für die Mannsleut' und die Röcke für die Weibsleut'. Damals hat man noch nichts gewußt von den vielen Vereinen, Tanzmusiken und anderen Belustigungen, denen man heut' zu Tag nachläuft, die Arbeit versäumt und das Geld ausgiebt. Vor vierzig Jahren hat man auch nichts gewußt von dem vielen Wirthshaushocken, – damals war's eine Schand', wenn Einer auf Werktag in's Wirthshaus ging. Dagegen waren unsere Vorältern gute Christen, die Gottes Gebote treulich hielten und den Sonntaggottesdienst nicht versäumten, weil sie glaubten, zum Fortkommen für einen Bauer gehöre auch die Frömmigkeit. Das bekannte Sprüchwort: Bet' und arbeit', Gott giebt allzeit, – glaubten und hielten sie, wie ein Evangelium. Aus all den Ursachen waren unsere Vorfahren glückliche und wohlhabende Menschen.«

Er machte eine kurze Pause. Herr Ottfried nickte beistimmend, und für Dr. Edel war die zwar schlichte, aber verständige Rede eine anziehende Neuheit.

»Heut' zu Tag' ist's aber ganz anders,« hob Schlau wieder an. »In allen Stücken sehen wir gerad' das Gegentheil von dem, was unsere glücklichen Vorältern gethan haben, und darum stecken wir tief im Elend. Von der nichtsnutzigen Jugend, wie sie heut' in den Wirthshäusern hockt und das Geld verthut, will ich gar nicht reden, – jetzt werden die Kinder schon in den Schulen verdorben. Aber wir Alten sind auch nicht besser. Unser Unglück fing in den sieben und vierziger Jahren an, wo man uns gegen die Religion und die Geistlichen hetzte, – und wir waren so dumm, den Hetzereien zu glauben. Damals hieß es: – bist Du auch noch so einfältig? Glaubst Du auch noch die Betrügereien und Märchen von Gott, von Himmel und Hölle? Todt ist todt. Also muß man das Leben genießen. – So hieß es damals und die Kirche wurde immer leerer. Dazu hatten wir noch das Unglück, nacheinander nichtsnutzige Pfarrer zu kriegen, die Alles gehen ließen, wie es ging. Hätten wir immer einen Pfarrer Gut gehabt, Faulheim wäre nicht zu Grunde gegangen. So aber liefen wir dem Vergnügen nach und versäumten die Arbeit. Wer am meisten im Wirthshaus hockte und die meisten Schoppen trank, der war ein ganzer Mann. Die leinenen selbstgemachten und guten Bauernkleider kamen ab, und dafür kleideten wir uns herrisch, wie die Stadtleut'. Namentlich kosteten die Anzüge unserer Weiber und Töchter viel Geld. Jeden Augenblick wollten sie was Neues, sogar seidene Kleider und Sonnenschirme. Und für die Männer gab's jeden Augenblick ein Fest, – hier ein Sängerfest, dort ein Turnerfest, anderswo ein Preiskegeln, und so weiter. Alles mußte mitgemacht werden, – der letzte Gulden wurde an das Vergnügen gehängt. So gingen wir zurück, – es langte nicht mehr, wir machten Schulden und kamen in die Teufelskrallen des Juden Borg, der uns die Hälse zuzog. Arbeiten wollten wir nicht mehr auf den Aeckern, weil es uns doch nichts half und wir's doch nur für den Juden hätten thun müssen. Wir schickten unsere Kinder in die Fabriken, wo ein Geld verdient wird, in dem kein Segen steckt. – – – Das ist's beiläufig, Herr Edel, was uns so herunter gebracht hat, daß einem das Leben verleidet.«

Alle Bauernköpfe nickten traurig, und manche erhoben sich von dem Nicken gar nicht, sondern das Kinn blieb über der Brust liegen.

»Ich danke für Ihre Aufschlüsse, Herr Adjunkt, und finde dieselben ganz zutreffend,« sagte Vater Edel. »Wie glauben Sie nun, daß der unglücklichen Gemeinde könne geholfen werden?«

»Herr Edel, das ist leicht zu sagen,« antwortete Schlau. »Könnten wir unsere Aecker wieder fleißig bauen und rechtschaffen leben, wie unsere Vorältern, dann wäre uns sicher geholfen.«

Wieder nickten beistimmend alle Köpfe.

»Auch ich bin dieser Meinung und bereit, nach meinem besten Vermögen Ihnen zu helfen,« sprach Edel. »In Uebereinstimmung mit meinen beiden Söhnen, stelle ich Ihnen hiermit Ihre hypothekarisch verpfändeten Aecker und Wiesen zur freien Nutznießung zurück. Sie haben mir keine Zinsen zu zahlen, ich erhebe nicht die geringsten Ansprüche.«

Bei diesen Worten übergoß plötzlich die neunzehn Gesichter eine glühende Röthe, und diese war das Merkmal eines Seelensturmes, der sich sonst durch kein Wort und keine Bewegung der Bauern äußerte.

»Aber ich mache meine Bedingungen,« fuhr Edel fort, ein Blatt Papier zur Hand nehmend, auf dem seine Bedingungen verzeichnet waren. »Ich verlange von Ihnen, – Erstens, daß Sie mit Ihren Familien zu einem ächtchristlichen Leben zurückkehren und Ihre Pflichten als gute Katholiken erfüllen. – Sind Sie damit einverstanden?«

»Ja!« antworteten einstimmig die Neunzehn.

»Zweitens verlange ich, daß Sie Ihre Kinder fernerhin nicht mehr in die Fabriken zur Arbeit schicken. Verdienst für die nächsten Wintermonate will ich Ihnen selber geben; denn gleich nach Weihnachten beginnt in meinen Waldungen das Holzschlagen. – Sind Sie einverstanden?«

Ein allgemeines kräftiges »Ja« war die Antwort.

»Drittens verlange ich, daß Sie an Werktagen kein Wirthshaus besuchen, sich niemals berauschen und an Sonntagnachmittagen den Wirthshausbesuch nicht über neun Uhr Abends ausdehnen. – Sind Sie einverstanden?«

Diesmal folgte das »Ja« nicht so rasch, – Einige brachten es nur mit großer Ueberwindung hervor. Doch alle Neunzehn gaben das Versprechen.

»Viertens verlange ich, daß Sie Ihre Feldarbeiten mit Fleiß, Umsicht und zur rechten Zeit thun. Ich selbst werde nachsehen, um mich zu überzeugen. – Sind Sie einverstanden?«

»Ja!« klang es freudig durch den Saal.

»Fünftens endlich verlange ich Ihre Mitwirkung für die sittliche und wirthschaftliche Rettung und Besserung der ganzen Gemeinde. Sie Neunzehn bilden die einflußreichsten Familien in Faulheim. Was Sie wollen und ernstlich anstreben, geschieht. Darum verlange ich, daß Sie ein tüchtiges, braves Leben, Frömmigkeit, Arbeitsamkeit, Nüchternheit und Rechtschaffenheit nach Ihren Kräften fördern helfen. – Sind Sie einverstanden?«

»Ja!« antworteten mit Entschiedenheit die Neunzehn.

»Nun, meine Freunde, hören Sie meine Gegenleistung!« nahm Edel wieder das Wort. »Wer von Ihnen zehn Jahre hindurch die fünf Bedingungen redlich erfüllt hat, empfängt von mir, oder im Falle meines Todes, von meinen Söhnen, die Hypothek auf seinen Grundbesitz zurück, und zwar ohne alle Entschädigung. Ich erlasse und schenke ihm die ganze Schuld.«

Bei diesen Worten kam über die Neunzehn ein solches Staunen, daß die Meisten von ihnen den Mund weit öffneten und mit dem Ausdrucke der freudigsten Ueberraschung Edel anstarrten.

»Selbstverständlich wird die Erfüllung der fünf Bedingungen die Wirkung haben, daß Sie alle aus der gegenwärtigen trostlosen Lage und aus dem Elende herauskommen, und nach zehn Jahren unabhängige, brave und vermögende Bauernfamilien geworden sind. – – Wer jedoch die fünf Bedingungen nicht erfüllt,« fuhr Herr Ottfried mit strenger Miene fort, »der bleibt mein Schuldner und hat nach zehn Jahren die Hypothek einzulösen. Und damit Sie die fünf Bedingungen nicht vergessen, so erhält dieselben Jeder von Ihnen schriftlich.«

Heinrich vertheilte an die Neunzehn ein Blatt Papier mit den Bedingungen.

»So, meine Freunde,« schloß Herr Ottfried, »dies wäre mein Anliegen an Sie! Bitten wir Gott, daß er mit seinem Segen unser Uebereinkommen begnade; denn an Gottes Segen ist Alles gelegen.«

Die Neunzehn hatten sich erhoben und blieben unbeweglich stehen. Sie blickten auf Edel, wie auf ein höheres Wesen. Manche bärtige Lippe zuckte vor Gemüthsbewegung und in jedes Gesicht traten die Zeichen eines überwallenden Freudenrausches.

»Herr Edel,« hob Schlau mit unsicherer Stimme an, »ich möcht' Ihnen jetzt etwas recht Großes sagen, – aber mein Herz ist so voll, daß ich es gar nicht herausbringen kann. Herr Edel, – Sie haben neunzehn Familien vom zeitlichen und vielleicht auch vom ewigen Elend gerettet, und das kann und wird Ihnen nur Gott im Himmel vergelten können. Wir danken Ihnen von Herzensgrund, – Leib und Leben lassen wir für Sie. Wir werden die fünf Bedingungen getreu halten, – dies schwören wir! Nicht wahr, Männer, wir schwören es?«

»Ja, – wir schwören es!« riefen Alle begeistert.

»Ich danke Ihnen, meine Freunde!« sagte Edel.

Er gab Jedem zum Abschiede die Rechte. Lump weinte, wie ein Kind, und Allen glänzten Thränen der Freude und des Dankes in den Augen.

Zwei Stunden später war das große Ereigniß im ganzen Dorfe bekannt und erweckte bei den neunzehn Familien einen unbeschreiblichen Jubel.

»Hab' ich Dir nit gesagt, Stephan, Herr Ottfried kann Alles fertig bringen, wenn er herzhaft zugreift?« triumphirte der Großvater. »Und wenn jetzt im Dorf' das schlecht' Leben aufhört und ein christliches anhebt, dann haben auch wir vor Gott unser Verdienst dabei; denn wir haben ja damals Herrn Ottfried um Hilf' und Erbarmen für die verdorbene Gemeind' angefleht.«

Schon nach wenigen Tagen faßte der Gemeinderath den Ortspolizeibeschluß, daß in allen Wirthshäusern Abends neun Uhr Feierabend sein müsse und keine geistigen Getränke mehr verabreicht werden dürfen.

»Es muß eine andere Haushaltung in der Gemeind' eingeführt werden,« erklärte Schlau. »Das Lumpenleben, das uns alle zu Grunde gerichtet, hat ein End'.«

Wieder einige Wochen vergingen, und ein zweiter Ortspolizeibeschluß verbot das abendliche Herumziehen von Burschen und Mädchen in den Gassen. Der Adjunkt handhabte mit großer Entschiedenheit die Polizei und betrat den »Hirschen« nur dann, wenn er Feierabend gebot.

Mit der Thätigkeit des eifrigen Gemeinderathes verband sich der gute Wille der Einwohner und die kluge Seelsorge des Pfarrers, so daß sich Faulheim rasch aus dem Sumpfe des sittlichen Verderbens erhob.



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