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Ein heikeler Anstoß

Inzwischen hatte Anna mit dem Kinde die Anhöhe erstiegen, auf deren Spitze ein altes Benediktinerkloster in Trümmern lag. Einige hohe Pfeiler der Kirche strebten noch empor und darüber zogen kühn geschwungene Bogen, die jeden Augenblick herabzustürzen drohten. Am Boden lagen mächtige Steinplatten, theilweise zerschlagen, auf denen infulirte Aebte eingemeiselt waren, umgeben von altdeutschen oder lateinischen Inschriften. Diese Steinplatten bedeckten ehedem die Gräber jener Männer, welche in dem Kloster den Krummstab geführt, und waren von denselben Vandalenhänden von ihrer Stelle geworfen und zerschlagen worden, welche den prachtvollen gothischen Bau zerstört und habgierig in den Grüften nach Schätzen gewühlt hatten. An den dicken Mauern hing zuweilen ein kleiner Rest Mörtelbekleidung, mit verwitterten Zeichnungen und Farben alter Kirchenmalerei. Zierlich gemeiselte Rosetten und Kapitelle ragten aus dem Schutt, und noch manches Andere erinnerte an die vernichteten Herrlichkeiten gothischer Baukunst. Epheu schlang sich um hingestürzte Säulen, oder kletterte an den Mauern empor, aus deren Spalten Gesträuch und verkrüppelte Föhren wuchsen. Einige Schritte von dem eingestürzten Kirchenportal entfernt, erhob sich über einem mächtigen Würfel ein altdeutsches Liebfrauenbild von Stein, in einen faltenreichen Mantel gekleidet, eine Krone auf dem Haupte und in den Armen das Jesuskind. Dieses Steinbild war aus der Klosterzerstörung gerettet und hier aufgestellt worden für alle gläubigen Verehrer Marias, und der Knieschemel, ein länglicher Stein, bewies durch seine Reibungen, daß nicht wenige Andächtige an diesen stillen Ort kamen. Weiterhin, knapp vor dem steilen Abhange des Hügels, erhob sich eine Gruppe schattiger Linden, unter denen Ruhebänke standen, von der Familie Edel hingestellt, zu deren Besitzungen die Klosterruinen gehörten. Man genoß hier eine reizende Aussicht über das Thal, auf die nahe Stadt und dann auf ein weites, mit Dörfern besätes und mit Frühlingsfluren geschmücktes Land, bis in der Ferne ein bläulicher Gebirgszug den Gesichtskreis abschloß.

Anna nahte dem Liebfrauenbilde und stellte von ihren Armen das Kind zur Erde.

»Jetzt sei hübsch ruhig, Traudchen; denn ich hab' mit der lieben Mutter Gottes zu reden!« mahnte sie.

Die Kleine beobachtete Annas Thun und sah flüchtig zu dem Steinbilde empor. Dann erweckten die Blumen des Rasens ihre ganze Aufmerksamkeit.

Anna kniete auf dem Steine nieder und hob zu beten an mit einer Innigkeit und so dringendem Flehen, als gelte es, durch Marias Fürbitte das höchste Glück auf Erden zu erlangen, oder irgend ein drohendes Unheil abzuwenden. Das Beten der Jungfrau dehnte sich immer weiter. Zuweilen zuckte es schmerzlich um ihre Lippen, in den lichten Augen glänzten Thränen und rollten über die Wangen herab, gleich stummen Klagen eines schwer bedrängten Herzens.

Da tauchte über der steilen Wand, wo die Lindenbäume standen, der Kopf eines jungen Mannes auf. Das Gesicht glühte vom raschen Steigen und die spähenden Augen waren nach dem Liebfrauenbilde gerichtet. Aus Furcht, die Betende zu stören, blieb er einige Minuten unbeweglich stehen. Dann stieg er vorsichtig und geräuschlos weiter und trat unter die Linden. Die Gestalt war hoch gewachsen und kräftig, in dieselbe hechtgraue Tracht gekleidet, wie Herr Ottfried. Seine Lippen zierte ein röthlicher Schnurrbart, sein Blick war gutmüthig und seine Gesichtsbildung erinnerte sehr an Walther. Und nicht blos äußerliche Familienähnlichkeit, sondern auch frommer Sinn und Berufstüchtigkeit machten Friedrich, den Neffen Ottfrieds, zu einem würdigen Edel.

Die Gegenwart des jungen Mannes blieb unbemerkt; denn das Kind saß auf dem Rasen, an das Fußgestell der Marienstatue den Kopf gelehnt, und schlief, einige Blumen in den Händen, die es gepflückt hatte. Anna hob flehend beide Arme empor; Edel sah es und sein Mienenspiel wurde tief ernst. Er zog den Hut vom Haupte, faltete die Hände und betete. Offenbar bestand zwischen Anna und ihm ein gemeinschaftliches Anliegen, das sie der mächtigen Fürbitterin aller Bedrängten gläubig empfahlen.

Endlich erhob sich das Mädchen, ruhig und ergeben. Bei der ersten Wendung gewahrte sie den jungen Mann, und das Lächeln zärtlicher Neigung spielte um ihren Mund. Er trat grüßend heran.

»Eine gute Weile bin ich schon hier, Anna, – wollte Dich aber nicht stören. Setzen wir uns auf jene Bank.«

Sie ließ sich am Ende der Bank nieder und er am entgegengesetzten Ende; denn er kannte Annas empfindsame Scheu in manchen Dingen.

»Nun, Anna,« hob er nach kurzer Pause an, »hast Du meine Bitte reiflich überdacht? Bist Du endlich zu einem Entschlusse gekommen, der mich zum glücklichsten Menschen macht?«

Sie antwortete nicht sogleich, sah ihn nicht an und blickte vor sich hin.

»Von meiner Seite wollte ich ums Leben gern ›Ja‹ sagen,« erwiederte sie. »Weil ich aber ›Nein‹ sagen muß, darum bin ich sehr unglücklich.«

Ihre Thränen brachen hervor.

Er saß niedergedrückt und sehr betroffen.

»Du sollst nicht so bitterlich weinen,« hob er nach einer Weile wieder an; »denn ich kann mir einen vernünftigen Grund nicht denken, weßhalb Du mein Werben abschlagen solltest.«

»Weil Sie angeführt wären, Herr Edel!« gestand sie schluchzend.

»Angeführt, – weil Du das brävste, klügste und fleißigste Mädchen im ganzen Lande bist? Und das ›Sie‹ und ›Herr‹ laß endlich einmal bei Seite. Nenne mich ›Du‹ und ›Fritz‹ – wie oft schon bat ich darum.«

»Dies kann und darf ich nicht,« versetzte Anna. »Sie sind ein grundreicher, angesehener Herr, – und ich bin, im Vergleich zu Ihnen, doch nur ein armes, unbeachtetes Mädchen. Sie finden überall eine Frau und brauchen sich mit mir nichts zu vergeben.«

»O ja, Millionen könnte ich finden, die alle begierig wären, den grundreichen Fritz Edel zu heirathen, der noch dazu kein häßlicher Bursch ist. Unter den Millionen wäre aber gerade Jene nicht, die ich ersehne, – nämlich Anna Oswald. Und warten kann ich auch nicht länger. Zum Heirathen werde ich gedrängt, – so zu sagen gezwungen.«

»Wer kann einen Menschen zum Heirathen zwingen? Mich soll Niemand zwingen, – ich werde immer ledig bleiben.«

»Warum willst Du ledig bleiben?«

»Weil ich Jenen nicht heirathen kann, den ich allein,« – sie hielt erröthend inne und fuhr verwirrt fort: »nun ja, – weil kein Anderer sich rühmen soll, erlangt zu haben, was ich Ihnen abschlagen mußte.«

Er verstand den verschwiegenen wahren Grund und blickte mit dem Ausdrucke des höchsten Glückes auf das schöne Mädchen.

»Höre mich an, Kind, ich will Dir sagen, weßhalb ich zum Heirathen genöthigt bin. – – – Nach dem Wunsche meines Onkels sollten seine Söhne alle Landwirthe werden. Meine Tante hingegen wünschte, daß wenigstens Einer von den Söhnen studiere und dereinst ein hochgestellter Beamte im Staate werde, – so etwa Kreisdirektor oder gar Minister. Unablässig trug sie meinem Onkel diesen Herzenswunsch vor, und weil er seine Frau gar innig liebt, darum gab er ihren Bitten nach. Der Aelteste, mein Vetter Walther, studierte also. Wie er auf die Universität kam und dort einige Jahre zugebracht hatte, ging plötzlich eine seltsame Veränderung mit ihm vor. Fast schwermüthig kam er heim und erklärte, nicht weiter studieren zu wollen, weil er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, in einem heidnischen Staatswesen Beamtendienste zu leisten. Dabei blieb er. Alle Vorstellungen und alles Einreden war umsonst. Dies geschah vor etwa sechs Jahren, als gerade mein Vetter Heinrich das Gymnasium absolvirt hatte und nun eine höhere landwirthschaftliche Anstalt besuchen sollte. Nun fing meine Tante gar inständig zu bitten an, Onkel möge gestatten, daß Heinrich in den Staatsdienst trete und jene glänzende Stellung dereinst einnehme, die ihr vorschwebte. Der jüngste Sohn Carl könne Landwirth werden und einmal den Edelhof übernehmen. Heinrich war mit seiner Mutter ganz einverstanden; denn er wollte absolut kein »»Bauer«« werden, wie er sagte. Lange widerstand mein Onkel; endlich gab er dem Bitten meiner Tante aber doch mach. Heinrich ging also auf die Universität, wo er schon im sechsten Jahre ist, und wo es ihm so gut gefällt, daß er seit einigen Jahren gar nicht mehr nach Hause kommt. Wie man hört, hat er es schon ziemlich weit gebracht und alle Aussicht, die hochgespannten Wünsche und Erwartungen seiner Mutter zu erfüllen. – – Da starb im vorigen Jahre mein Vetter Carl, und seitdem ist mein lieber, guter Onkel der halbe Mann nicht mehr. Oft ist er sehr traurig und kummervoll. Für ihn besteht die Gewißheit, daß keiner seiner beiden Söhne einmal den Edelhof übernehmen und das Geschlecht fortpflanzen wird; denn Heinrich geht in den Staatsdienst und Walther heirathet nicht, weil er weder sich, noch eine Frau unglücklich machen will, – wie er behauptet.«

»Der arme Mensch!« sagte Anna. »Wie oft hat er mich schon gedauert, wenn ich ihn so einsam, tief herab den Kopf gebeugt, durch die Felder gehen sah! Die Leute meinen, er sei halb irrsinnig.«

»Das ist eine unbegründete Nachrede,« entgegnete er. »Mein Vetter hat wohl seine Eigenheiten. Er studiert sehr viel, – sitzt oft den ganzen Tag und halbe Nächte hindurch vor den Büchern. Im Uebrigen ist er jedoch ein sehr guter, verständiger, sogar sehr gescheidter Mann. – – Vor einem halben Jahre nun rief mich Onkel Ottfried in sein Arbeitszimmer und sagte: ›Friedrich, Du weißt, wie es mit Walther und Heinrich steht. Von ihnen wird keiner auf dem Edelhofe wirthschaften. Du allein bist berufen, unser Geschlecht hier fortzupflanzen und den uralten Familienbesitz weiterzuführen. Darum ist es mein inniger Wunsch, daß du sobald als möglich heirathest und zwar ein frommes und tüchtiges Mädchen, wie es für den Landwirth paßt. Außerdem wirst du in einigen Wochen siebenundzwanzig Jahre alt und bist sehr wohl im Stande, vorläufig den Waldhof mit seinen Gütern zu übernehmen. Das Uebrige wird sich später finden.‹ – – Seitdem wiederholt mein Onkel jeden Augenblick diesen Wunsch. Er drängt mich, zu heirathen, – was ich auch gesonnen bin, im Falle mir Jene für das Leben die Hand reicht, die ich so herzinnig liebe.«

Er schwieg und harrte vergebens der Antwort. Als er nun zu ihr hinüber blickte, sah er, wie Thräne um Thräne über ihre Wangen herab rollte:

»Anna, weßhalb weinst Du? Liebst Du mich etwa nicht?«

Sie nickte mit dem Haupte bejahend, ohne aufzusehen.

»Dann gieb mir wenigstens den eingebildeten Grund Deiner Weigerung an, damit ich ihn widerlege.«

»Ach Gott, – – ich – kann es ja nicht sagen!« brachte sie mühsam hervor, verhüllte mit ihrem Tüchlein das Gesicht und weinte heftig.

Er saß schweigend und harrte in Geduld, bis sie ruhiger geworden.

»Anna, hast Du mir gar nichts zu sagen?«

»Doch, Herr Edel! Wie ich vorhin die Mutter Gottes angerufen hab' in meiner Noth, da klang es mir durch die Seele: – Herr Ottfried soll entscheiden! Tragen Sie also Ihrem Herrn Onkel die Sache vor. Billigt er Ihre Wahl, dann –«

»Dann wirst du mein?«

»Ja!«

»Gott sei Dank!« rief er strahlenden Angesichtes. »Sogleich will ich meinen Onkel sprechen. Für seine Zustimmung bangt mir nicht.«

»Sie werden sich täuschen!« erwiederte sie im Tone tiefer Trauer. »Ich will jetzt heimkehren, – die Hausarbeit ruft mich. Wir gehen aber nicht mit einander, Herr Edel, damit Sie nicht um meinetwillen in das Gerede der Leute kommen.«

Sie nickte ihm grüßend zu, trat zum Muttergottesbilde, nahm das immer noch schlafende Kind in den Arm und schlug eilends den Weg nach dem Dorfe ein.

Edels Blick geleitete die Weggehende, bis sie hinter Bäumen verschwand, und dann stürmte er die jähe Wand hinab.

Auf Herrn Ottfried hatte der Brief seines Sohnes einen fast niederschmetternden Eindruck hervorgebracht. Unglück und Schande der Familie Edel, einen Apostaten aus ihrem alten katholischen Geschlechte hervorgehen zu sehen, schienen unabwendbar. Der bekümmerte Vater bestieg ein Pferd und ritt durch die Fluren. Bei seiner Rückkehr frug er nach Friedrich und gebot, den Neffen, sobald er heim käme, nach seinem Arbeitszimmer zu schicken. Dort ging Herr Ottfried mit großen Schritten hin und her, ohne mit seiner Gemahlin auch nur ein Wort über Heinrichs Brief zu sprechen.

Rasche Tritte im Vorzimmer störten endlich den gedankenvollen Mann. Der Neffe trat herein, in den Zügen ein eigentümliches Spiel von Glück und Besorgniß.

»Friedrich,« hob der Großgrundbesitzer an, nachdem er dem jungen Manne gegenüber Platz genommen, »ein besonderer Anlaß bestimmt mich heute, Dich zu fragen, was Du bisher zur Erfüllung meines dringenden Wunsches, bezüglich Deiner nothwendigen Verehelichung, gethan hast.«

»Von meiner Seite ist Alles geschehen, lieber Onkel!« antwortete er nicht ohne Zagen. »Meine Wahl fiel auf ein Mädchen, das ebenso hübsch, wie brav, ebenso tüchtig, wie passend für einen Landwirth ist.«

»Sieh' nur den Schelm!« rief mit heiterer Miene Herr Ottfried. »Gewiß eine alte, längst gehegte Liebe, welche mir der Duckmäuser verschwiegen hat!«

»So ist es wirklich, Onkel! Längst liebe ich die Jungfrau, – aber ganz im Geheimen, ohne ihr, oder sonst Jemand eine Sylbe davon gesagt zu haben. Außerdem war ich ihrer Gegenliebe nicht sicher, – nun bin ich es. Aber ein anderes Hinderniß hat sich ergeben, – irgend ein Anstoß, den sie verheimlicht. Unter Thränen bekannte sie zwar, mir angehören zu wollen, jedoch nur dann, wenn Herr Ottfried einverstanden sei. Versage er seine Einwilligung, dann könne sie einen Anderen nicht lieben und werde niemals heirathen.«

»Wer ist's?« forschte Edel.

»Du wirst vielleicht staunen, lieber Onkel, über die Seltsamkeit meiner Wahl!« antwortete er, mit verlegenem Seitenblick. »Weder reich, noch vornehm ist sie, – kein feines Fräulein, das Französisch parlirt und Klavier spielt, aber nicht einmal eine gute Suppe kochen, oder den Waizen von der Gerste unterscheiden kann. Was wollte ich mit einer solchen Frau auf dem Waldhofe? Meine Erwählte ist ein Landmädchen. Es versteht das Hauswesen gründlich, hat Lust und Liebe zur Arbeit und wird in der ländlichen Einsamkeit des Waldhofes müßige Gesellschaften und Theevisiten nicht vermissen.«

»Recht, mein Lieber! Du hast Dich bei Deiner Wahl von sehr gesunden Grundsätzen bestimmen lassen,« lobte der Onkel. »Nun, – wie heißt Deine Auserwählte?«

»Anna Oswald!«

Bei den Worten legte sich eine düstere Enttäuschung über Ottfrieds Angesicht, während der Neffe in bangvoller Erwartung vor ihm saß.

»Deine Wahl ist ausgezeichnet!« hob endlich der Oheim an. »Anna ist ein sittenreines, tüchtiges, ganz tadelloses und auch hübsches Mädchen, – wohl die einzige Lilie unter Faulheims Unkraut und Dorngestrüpp. Sie würde Dich beglücken und eine vorzügliche Hauswirthin geben. – Dennoch besteht ein sehr heikeler Anstoß, – ein Hinderniß, das Anna nicht verschuldet, – aber ein Anstoß, der nicht zu umgehen ist, ohne die Ehre zu kränken. Im Punkte der Ehre aber, Du weißt es, sind die Edel sehr empfindlich.«

Er war aufgestanden und schritt durch das Zimmer. Der junge Mann saß da, wie vom Blitze getroffen. Es mußte wohl ein sehr bedeutendes Hinderniß sein, da weder Annas Liebe, noch seines Onkels Achtung für die Erwählte darüber hinwegkamen.

»Darf ich fragen«, was es ist?« klang Friedrichs fast heisere Stimme durch den Raum.

»Ein Punkt, über den man nicht gerne spricht,« lautete die kurze Antwort.

»Wie seltsam!« hob Fritz nach einer Weile wieder an. »Anna weint bittere Thränen, wenn ich nach dem Grunde ihrer Weigerung frage, – sie bekennt unter heißen Zähren: »Ach Gott, ich kann es ja nicht sagen!« und dann wieder: ›Sie wären angeführt mit mir!‹ – Das ist doch höchst verwunderlich!«

»Ganz die ehrenhafte, zartfühlende Anna!« erklärte Ottfried.

»Und mein Onkel weigert sich gleichfalls, mir das entsetzliche Ding von Anstoß zu verrathen!«

Edel blieb vor dem jungen Manne stehen.

»Ich will das Geheimniß Dir enthüllen! Mit kurzen Worten: – Anna ist von unehelicher Geburt, – ihr Vater lebt mit ihrer Mutter seit etwa vierundzwanzig Jahren in wilder Ehe.«

Der Neffe wurde leichenblaß. Er saß da und starrte vor sich hin, wie in einen Abgrund zwischen ihm und Anna.

»Die Sache ist freilich veraltet und vergessen,« fuhr Edel fort. »Kein Mensch in Faulheim nimmt an dem schmutzigen Verhältniß Anstoß, – die Faulheimer sind ja nicht ultramontan und setzen sich über solche Kleinigkeiten hinweg. Für die Ehre unserer Familie liegt jedoch die Sache ganz anders. Die Edel sind gebunden durch den unbefleckten Ruf ihres alten Geschlechtes, namentlich durch das katholische Bewußtsein. Der ganze liberale Janhagel würde ein Hohngelächter aufschlagen und seinen Spott ausgießen über die ultramontanen Edel, die solche ehrenrührige Verbindungen eingehen.«

Der Neffe war augenscheinlich der Meinung seines Oheims, – das schmerzhafte Zucken des Angesichtes und der erloschene Blick seiner Augen bewiesen es.

Edel hatte seine Spaziergänge durch das Zimmer wieder begonnen, offenbar nach Möglichkeiten suchend, den Anstoß zu beseitigen. Zuweilen warf er einen teilnehmenden Blick auf den jungen Mann, der in stummer Verzweiflung vor sich hinstarrte.

»Laß nicht alle Hoffnung sinken, Fritz!« sprach er jetzt. »Unsere heilige Kirche, die eine so weise Mutter ist, hat auch ein Mittel gefunden, die Schande unehelicher Geburt zu beseitigen. Versteht sich Oswald dazu, nachträglich mit Annas Mutter sich kirchlich trauen zu lassen, dann werden die Kinder des wilden Zusammenlebens legitimirt, der Schandfleck ist abgewaschen. Mit Freuden gäbe ich dann meine Einwilligung zu Deiner Verbindung mit jenem tugendhaften und tüchtigen Mädchen.«

Die Rede wirkte auf den jungen Mann, wie auf einen Todten, der zum Leben erwacht.

»Onkel, – lieber Onkel, sei gesegnet für dieses Wort! Ich hatte das Gefühl, die ganze Welt sei in Trümmer gegangen und ich müsse versinken in meinem Jammer.«

»Beruhige Dich, – es wird noch Alles gut! Uebermorgen kommt Oswald nach Hause, ich werde mit ihm reden und hoffe das Beste.«



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