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Ottfried Edel

Für den bedeutendsten Großgrundbesitzer des Kleinstaates gilt Ottfried Edel. Im bunten Wechsel von Fruchtfeldern, Weinbergen und Wiesen, dehnen sich weithin seine Güter. Auch die bewaldeten Höhen der westlichen Berge gehören ihm. Dieses große Besitzthum der Familie Edel war die Errungenschaft einsichtsvoller und tüchtiger Bewirthschaftung von Jahrhunderten, gegenwärtig zu Dreiviertel in Ottfrieds Hand vereinigt. Das letzte Viertel gehört Friedrich Edel, einem Neffen Ottfrieds, der in früher Kindheit als Doppelwaise in sein Haus gekommen, – jetzt zu einem siebenundzwanzigjährigen Manne und vorzüglichen Landwirth herangewachsen.

Eine Gruppe stattlicher Gebäude, auf sanfter Anhöhe gelegen, bildet den Stammsitz der Familie. Das Wohnhaus ist ein langgestreckter, dreistöckiger Bau, mit alterthümlichen Giebeln und Erkern, im Style des XV. Jahrhunderts. Seine Fronte geht nach dem nahen Wiesenthal, das ein munterer Bach hastigen Laufes durcheilt, und bietet die Aussicht auf eine gesegnete Landschaft, mit Dörfern und Weilern besät, bis in der Ferne hohe Berge den Gesichtskreis abschließen. An das Wohnhaus reihen sich in länglichem Viereck die Oekonomiegebäude, Stallungen und Scheuern mit sehr hohen Dächern. Alles zusammen umschließt einen weitgedehnten Hof, in dessen Mitte ein laufender Brunnen sein klares Wasser in ein ungeheueres Steinbecken gießt. Ein munteres Hühnervolk verschiedener Nationalitäten belebt den Hof, Gänse und Enten waschen das Gefieder in dem ablaufenden Wasser des Brunnens, und rothnasige Hähne der Wälschen spannen streitsüchtig pustend die rauschenden Flügel. Wägen und Karren, Pflüge und Eggen, nebst allen möglichen landwirthschaftlichen Geräthen und Werkzeugen, stehen oder hängen in musterhafter Ordnung und Sauberkeit an ihren bestimmten Plätzen.

In gleich musterhafter Ordnung löst ein zahlreiches Gesinde die Ausgaben der Tagesarbeiten. Die Leute schaffen mit sichtlicher Lust und Liebe; denn Herr Ottfried, obwohl genau im Punkte pflichtgemäßer Arbeiten, und ebenso strenge an Zucht und guter Sitte haltend, ist väterlich besorgt für das Wohlergehen seiner Untergebenen. Nach einem alten Herkommen ist das Gesinde des Großgrundbesitzers gleichsam erblich auf dem »Edelhofe«, wie der Familiensitz genannt wird. Wenige Schritte von den Oekonomiegebäuden beginnen die Häuser eines kleinen Dorfes, worin die Arbeiterfamilien wohnen, und selten überkam ein Glied derselben die Lust, den Dienst der Edel zu verlassen; denn Noth und Elend der modernen Arbeiter kennt das Gesinde des Edelhofes nicht. Es weiß sich als Glieder eines großen Ganzen, und arbeitet frohen Muthes in dem Bewußtsein, daß es Theil nehme an dem Wohlbefinden der Gesammtheit. Zu jedem Arbeiterhause gehört ein Grundstück zur freien Nutznießung der Insassen, und weder Steuern, noch Umlagen, von dem Großgrundbesitzer getragen, drücken die Arbeiter.

So hatte sich aus dem Mittelalter ein Verhältniß gerettet, das sehr an die Beziehungen der Eigenleute zu den Grundherren erinnert. Und dieses patriarchalische Verhältniß enthob zugleich der peinlichen Noth moderner Gutsbesitzer mit den Arbeitern.

Dagegen forderte Herr Ottfried mit unerschütterlicher Strenge von seinem Gesinde Rechtschaffenheit und sittliches Betragen. Ausschweifungen duldete er nicht. Trunkenbolde und Zuchtlose wurden nach dreimaliger vergeblicher Mahnung unerbittlich entlassen. Und da Edel selber durch sein Beispiel allen voranleuchtete, und sein musterhafter Wandel Achtung und Ansehen erzwang, so kam er selten in die traurige Lage, einen Verstockten wegschicken zu müssen.

Gleiches Ansehen genoß Herr Ottfried im ganzen Lande. Seit vielen Jahren saß er im Kreisrathe, wo seine Stimme in landwirthschaftlichen Dingen vom höchsten Gewichte, und bei widersprechenden Ansichten entscheidend war. Er besaß die Gunst des Kreisdirektors, der ihn oft berieth, weil er Ottfrieds Einsicht und Erfahrungen zu würdigen verstand. Sogar die Huld des Landesherrn warf einen lichten, beneidenswerthen Schein auf Edels Person. Wenn der Fürst, ein leidenschaftlicher Waidmann, seine wildreichen Forste besuchte, die an Edels Wald grenzten, so lud er ihn regelmäßig für einige Tage auf sein Jagdschloß, zur Theilnahme am Jagdvergnügen. Und jedesmal empfing ihn der joviale Fürst mit warmem Händedruck und den freundlichen Worten: »Wie geht es Ihnen, mein lieber Herr Nachbar?« Auch liebte es der Fürst, mit dem klugen und biedern Nachbarn in vertraulicher Weise zu verkehren und so über ländliche Verhältnisse Manches zu erfahren, was die Regierungsorgane verschwiegen, oder nicht wußten.

Trotz dieses Ansehens und Einflusses blieb Edel bescheiden. Nirgends drängte er sich vor, ausschließlich der Bewirthschaftung seiner Güter lebend. Nicht einmal die religiös-politische Bewegung, die seit Jahren ganz Deutschland erschüttert, die Gemüther aufregt und bis in die Familien hinein ihre Wirkungen übt, erweckte sein Interesse. Kam in Gesellschaften die Rede auf sociale und kirchenpolitische Tageserscheinungen, so schwieg Herr Ottfried und blickte ernst vor sich hin. Einem scharfen Beobachter entging jedoch nicht, daß Edels Gleichgültigkeit und Verschlossenheit für die höchsten Güter keineswegs oberflächlicher Beurtheilung der Zeitbewegung entsprangen, sondern einem resignirten Vorsatze, den trübe Erfahrungen erzeugt haben mochten.

Gegenwärtig gießt die Maisonne ihre belebenden Strahlen über die Landschaft aus. Soweit das Auge reicht, entfaltet der Wonnemonat seine Herrlichkeiten. Wie Riesenbänder von Grün und Roth und Gelb laufen die mit wechselnden Fruchtarten und blühendem Reps bestellten Aecker durch die Fluren, und die zarten Blättlein der Weinberge stehen, wie grüngelbe Lichter, im Sonnenschein. Die Obstbäume an den Feldwegen, die nach allen Richtungen Edels unabsehbaren Besitz durchschneiden, prangen in voller Blüthenpracht, erfüllen die Luft mit Wohlgerüchen, und sind besucht von zahllosen honigsammelnden Bienen. Die Bienen gehören den Arbeiterfamilien Ottfrieds, von denen jede einige Stöcke im Gärtchen hinter dem Hause besitzt, und zwar auf Wunsch ihres Brodherrn; denn Edels Streben geht dahin, auch das Leben der arbeitenden Klasse etwas zu versüßen und seinen Getreuen ein trautes Heim zu bereiten.

Während die Fluren Edels in hoffnungsvoller Pracht sich entfalten, und das kundige Auge selbst in geringfügigen Dingen die umsichtigste Bewirthschaftung gewahrt, bieten die Felder jenseits des Baches einen traurigen Anblick gräulicher Verwahrlosung. Der Bach nämlich zieht die Grenzscheide zwischen der Gemarkung des Dorfes Faulheim und den Gütern Edels, und es besteht ein Grundsatz der Familie, niemals ihr Besitzthum über den Bach auszudehnen. Vielleicht entsprang diese Gewohnheit der menschenfreundlichen Absicht, den Besitzstand des Dorfes nicht zu beschränken, dessen Bauern die Uebermacht des Edelhofes nicht fühlen zu lassen. Allein die Bewohner Faulheims verdienten keineswegs diese Rücksicht; denn ihre Gemarkung war schlecht bebaut, sehr viele Aecker lagen vollständig brach, nur ganz wenige bezeugten Fleiß und Thätigkeit ihrer Eigenthümer.

Das Dorf selbst, dem Edelhofe in etwa halbstündiger Entfernung gegenübergelegen, trägt nicht den Charakter eines ächten Bauerndorfes. Es scheint fast ausschließlich von Fabrikarbeitern bewohnt, die ihren Unterhalt in der nahen Stadt suchen, deren Schlöte man in östlicher Richtung, schwarzen Dampf ausspeiend, emporragen sieht. Die kleinen Häuser sind zwar alle hübsch angestrichen mit Wasserfarben, sie haben grell rothe und grüne Fensterläden, weiße Vorhänge hinter den Scheiben und noch anderen billigen Zierrath. An Sonntagen bewegen sich städtisch geputzte Leute durch die Gassen, nicht nach der Kirche, sondern nach den Wirthshäusern, in denen bis tief in die Nacht hinein gezecht wird. Aber dies Alles kann dem prüfenden Blicke den Mangel gediegenen Wohlstandes ebenso wenig verbergen, wie geistige Verarmung und sociales Elend.

Von dem Dorfe führt die Landstraße westlich nach dem Edelhofe hinüber, berührt dort die Mauern des geschmackvoll angelegten Gartens, durchschneidet eine Stunde weit die Güter Edels, steigt einen Hügel empor und verschwindet darauf hinter der Anhöhe. An einem Sonntagnachmittage gingen auf dieser Straße zwei Männer von Faulheim nach dem Edelhofe. Der Eine von beiden, ein steinalter Bauer, bot eine seltene und bemerkenswerthe Erscheinung; denn er ging einher in der Tracht einer längst vergangenen Zeit. Sein Rock, von unverwüstlichem Tuch, war geziert mit sehr großen blanken Metallknöpfen, die so nahe beisammen saßen, daß sie in einiger Entfernung zwei silberglänzenden Borten glichen, die auf beiden Seiten des Bruststückes herabliefen. Die weiten Rockflügel gingen fast bis zu den Schuhen hinab, welche silberne Schnallen schmückten. Die Beinkleider reichten nur bis zu den Knieen und fanden ihre Fortsetzung in weißen Strümpfen. Unter dem Rocke trug er eine rothe Weste, mit vier Reihen Knöpfen, von denen jeder einen glänzenden Mariensechsbätzner darstellte. Auf dem Kopfe saß ihm ein gewaltiger dreispitziger Hut, unter dem einige silberne Locken nach dem Nacken hinabfielen. Der Greis schritt langsam unter der Last seiner fünfundachtzig Jahre einher, gestützt auf einen derben Krückenstock. Sein Gesicht durchzogen zahllose Falten und Fältlein, und zwei hellblaue Augen sahen mit fast kindlicher Gutherzigkeit unter weißen Brauen hervor.

Neben dieser ehrwürdigen Gestalt ging ein Mann im kräftigsten Alter, gekleidet in die zeitläufige ländliche Tracht. Sorge und Bekümmerniß lagen in seinen Zügen. Fast beständig sah er nach dem Edelhofe hinüber, wie nach einem Hafen der Hoffnung und Hilfe.

Beide gelangten jetzt zur Gartenmauer, wo einladend eine Bank stand.

»Setzt Euch ein bischen nieder, Großvater, und ruht aus!« sagte der Mann.

»Bin gerad' nit müd', Stephan! Die Hauptsach' ist, daß uns Herr Ottfried Gehör schenkt. Aber ich fürcht', er mag nichts wissen von unserer Sach'!«

»Sorgt nicht, Großvater! Herr Ottfried ist ein edler Mensch.«

»Dies wohl! Doch kann er nit vergessen, was ihm die Faulheimer angethan haben, – obgleich das schon zwanzig Jahr' her ist und darüber.«

Stephan spähte über die Felder.

»Wenn ich recht sehe, kommt dort Herr Ottfried!« sagte er, in die Ferne deutend. »Geht er den Feldweg fort, dann muß er hier vorbei. Also bleiben wir sitzen, derweilen will ich meine Red' nochmals überlegen, wie ich sie mir ausgedacht hab'.«

Der Großvater nickte beistimmend und nahm aus der birkenen Tabaksdose eine Prise. Sein Enkel suchte mühevoll nach Worten und Formen, zum Ausdrucke seiner Nothlage.

Inzwischen kam der Erwartete langsam näher, ein hochgewachsener Mann, mit völlig ergrautem Haupthaare, aber von kräftiger Gestalt, trotz der sechszig und einiger Jahre. Einfach war seine Kleidung, – ein hechtgrauer Joppen mit grünem Stehkragen, Weste und Beinkleider von derselben Farbe, und auf dem Kopfe ein breitkrämpiger Filzhut. Sein Gesicht umrahmte nicht der gewöhnliche Vollbart, es war glatt rasiert und glich einem offenen Buch, mit tiefsinnigem Inhalt. Aber gleich neben dieser Aufrichtigkeit und schlichten Natürlichkeit schlich es zuweilen, wie trübe Schatten durch Edels männliche Züge. Irgend ein geheimer Kummer mochte ihn drücken. In verstärktem Maße trat diese Gefühlsstimmung hervor, als er flüchtig stehen blieb und in ein Seitenthal hineinschaute, an dessen Ende sich einige Gebäude erhoben, der Waldhof, Eigenthum seines Neffen Friedrich. Ein halbunterdrückter Seufzer rang sich über Ottfrieds Lippen, er beugte das Haupt und ging weiter. Indessen blieb für düsteres Grübeln dem vielbesorgten Landwirth keine Zeit. Schon nach wenigen Schritten verscheuchte eine tiefe Furche im Wege, vom letzten Gewitter gerissen, die trüben Gedanken. Dann kamen hundert andere Beobachtungen in den langgestreckten Ackergewannen, welche Aufmerksamkeit und Sorge des Oekonomen forderten.

Ihm dicht zur Seite hielt sich ein Neufoundländer, ein starkes und gewaltiges Thier, das mit seinem Herrn ging und stand. Der treue Begleiter hob jetzt den Kopf höher, weit öffneten sich die Nasenflügel dem feinen Geruchssinn und die Augen spähten über die Fluren. Gleich darauf tauchten zwei Gestalten zwischen den gelben Blüthen des Repsfeldes in Mitte des Weges auf. Ottfried bemerkte sie, und eine wohlwollende Empfindung glitt über sein Gesicht.

Ein junges Landmädchen führte ein Kind von etwa vier Jahren an der Hand. Das Mädchen war von hübscher und kräftiger Gestalt, in die bescheidene Tracht seines Standes sauber und züchtig gekleidet. Von städtischem Flitter, worin gegenwärtig die Landmädchen an Sonntagen einher zu gehen pflegen, fand sich keine Spur an ihm. Kein falscher Haarzopf, kein seidener Kragen, kein Sonnenschirm, keine Frauenstiefel mit hohen, dünnen, schwindsüchtigen Absätzen. Sein glänzend schwarzes Haar lag in dicken Zöpfen um das Haupt, aus den braunen lichten Augen strahlte Herzensreinheit, und zu den beiden Grübchen in den kräftig gerötheten Wangen konnte der Mund gar schalkhaft lächeln. Beim Anblicke des Gutsherrn erschrack sie sichtlich. Ihre Hand fuhr unwillkürlich nach der Brust, als wolle sie dort etwas besänftigen, oder verbergen. Diese heftige Gemüthsbewegung war jedoch schnell vorübergehend. Nun begrüßte sie mit wohlklingender Stimme den Begegnenden.

»Guten Tag, Herr Edel!«

»Guten Tag, Anna!« erwiederte er freundlich. »Wohin gehst Du?«

»Zur Mutter Gottes droben.«

»Sehr löblich!« rühmte er. »Du bist wohl das einzige Mädchen in Faulheim, das zur Mutter Gottes geht. Alle übrigen gehen diesen frommen Weg nicht, sondern die bekannte breite Straße, von der unser Herrgott sagt, daß sie zum Verderben führte.«

»Leider, Herr Edel, – leider!« entgegnete sie, flüchtig den Blick senkend, und rasch den berührten Punkt verlassend, fuhr sie fort: »Wir haben keine Vesper heut', weil der Herr Pfarrer, gleich nach dem Hochamt, verreist ist. Darum wollen wir bei der Mutter Gottes Vesper halten.«

»So, – auf Sonntag verreist der Herr Pfarrer! Nun, die Familien Oswald und Ehrlich ausgenommen, könnte er das ganze Jahr verreisen, – Alles übrige in Faulheim braucht keinen Pfarrer. – – Was ist das für ein Kind?«

»Mein Kind, Herr Edel! Ich hab's angenommen und will ihm Mutter sein, weil seine rechte Mutter gestorben ist, – und einen Vater hat es nicht.« __

»Der letzte Fall wird immer häufiger in Faulheim,« sprach er, im Tone durchklingenden Ekels. »Du bist ein wackeres Mädchen, Anna! Zu den Lasten und Arbeiten der Haushaltung, welche Du fast allein führen mußt, übernimmst Du noch die Mühe und Verantwortung, dieses arme, verlassene Kind zu erziehen. Das ist großartig!«

»Ich habe es Ihnen abgesehen, Herr Edel!« erwiederte sie lächelnd.

»Mir? Wieso?«

»Auch Sie haben ein armes, verlassenes Kind angenommen. Sie haben das Kind erzogen, wie ein guter Vater, – haben es dann bei den frommen und gelehrten Klosterfrauen ausbilden lassen, – und jetzt ist aus dem fremden Kinde das feine und gar schöne Fräulein Beata geworden.«

»Das ist wahr, kluge Anna! Dennoch besteht zwischen unserer Handlungsweise ein gewaltiger Unterschied. Ich habe tausend Hände, Du hast nur zwei. Neben der Haushaltung und den Sorgen um den Feldbau, nimmt Dich auch die Pflege Deiner kränklichen Mutter in Anspruch. Sohin ist das Verdienst eines schweren Opfers ganz auf Deiner Seite, nicht auf der meinigen.«

»Das Gröbste wird bald abgenommen,« entgegnete sie. »Uebermorgen kommt mein Vater heim. Ich will ihm zureden, daß er daheim bleibe und einmal aufhöre, mit seinem Käsewagen in der Welt herumzufahren.«

»Möge Dein Bemühen von Erfolg sein, Anna! Empfehle mich der Mutter Gottes.«

Er grüßte achtungsvoll und schritt weiter.

Anna nahm das Kind auf den Arm und ging eilends von dannen.

»Ein herrliches Mädchen!« sprach Ottfried vor sich hin. »Merkwürdig, daß in dem Sumpfe Faulheim eine so köstliche Pflanze wachsen und gedeihen konnte!«

Er nahte der Bank, von der sich die beiden Männer ehrerbietig grüßend erhoben.

»Ah, – der Großvater!« rief Edel freundlich, dem Greise die Hand reichend. »Wie geht es mit der Gesundheit?«

»Dank der Nachfrag', Herr Ottfried! Ziemlich gut steht's mit meiner Gesundheit, – nur die Unterthanen wollen nit mehr recht, – sie spüren halt die Fünfundachtzig.«

»Die man Euch sonst wenig anmerkt, Großvater! Es freut mich sehr, Euch wieder einmal zu sehen. Darf ich Euch ein Gläschen von meinem Fünfundsechsziger anbieten?«

»Dank für die Wohlmeinung, Herr Ottfried, – aber der Wein thut mir nit gut. Wir sind eigentlich herüber gekommen, in einer recht großen und wichtigen Sach' mit Ihnen zu reden, – wenn Sie's erlauben.«

Edel mochte den Gegenstand der Angelegenheit errathen; denn es glitt wie Abneigung durch sein Mienenspiel. Eine Ablehnung schwebte ihm bereits auf den Lippen, aber ein Blick auf den ehrwürdigen Alten und die Bittschrift seines Gesichtes, entschied für geneigtes Gehör. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Thüre in der Mauer, und stieg mit dem Besuche die Treppe empor nach dem Garten. Ein hübscher Pavillon, von dem man eine anziehende Aussicht genoß, nahm sie auf. Dort saß Edels ältester Sohn, ein elegant gekleideter junger Mann, vor einem runden Steintische, die Zeitung lesend. Neben ihm lag ein geöffnetes Taschenbuch, in das er aus den Tagesberichten Notizen zu machen pflegte. Ein brauner Vollbart bedeckte den größten Theil seines Gesichtes und dichtes, kurz geschnittenes Haar sein Haupt. Sein Blick war scharf und sehr ernst, der Ausdruck seines bleichen Gesichtes traurig, fast melancholisch. Er hatte sich erhoben, die Grüße der Bauern mit einem stummen Nicken des Kopfes erwiedert, und dann wieder Platz genommen, die Lektüre fortzusetzen.

Stephan warf einen bedeutsamen Blick auf den ernsten jungen Mann, wie auf ein Wesen, das Mitleid verdient. Auch der Großvater murmelte Unverständliches in teilnehmenden Lauten, indem er den Dreispitz vor ihm zog.

»Bist Du schon zurück von Heilborn, Walther?« frug Edel. »Was macht Dein alter Lehrer?«

»Läßt Dich grüßen, Vater! Im Uebrigen geht es ihm ausgezeichnet, – das heißt, wie einem Manne, welcher das beglückende Bewußtsein in sich trägt, seit dreißig Jahren ein guter Hirt zu sein, stets bereit, das Leben zu lassen für die Schafe und seine letzte Kraft einsetzend für seinen göttlichen Herrn und Meister.«

Stephan vernahm staunend die langsam, fast feierlich gesprochenen Worte, und der Großvater flüsterte ihm zu: – »Das war 'ne große Red'!«

Herr Ottfried rückte Stühle für die Bauern und nahm ihnen gegenüber Platz.

»Nun, Großvater, laßt einmal hören, was Euch zu mir führt!«

»Eine ganz wichtige Sach', Herr Ottfried! Aber ich komm' mit dem Reden nit mehr recht fort, – und da, der Stephan, mein Enkel, wird's Ihnen deklariren.«

Stephan räusperte sich zur Einleitung seines Vortrages, stolperte befangen über die ersten Worte, kam aber dann, von dem Gegenstande angeregt, in lebendigen Fluß.

»Ja, Herr Edel, – gerad' so ist's, wie der Großvater sagt! Es kann auf der Welt nichts Wichtigeres geben, als unsere Sach', – nur fällt mir's schwer, den Handel gerad' so vorzubringen, wie er eigentlich steht. Im Grund' brauch' ich auch nicht Alles zu sagen; denn Sie wissen so ziemlich, wie's in Faulheim hergeht. Die Hauptsach' wissen Sie aber doch nicht, und die will ich jetzt anführen. – – – Ich bin Vater von sechs Kindern. Davon gehen zwei in die untere Schul', zum Lehrer Treu, der ein rechtschaffener Mann und braver Lehrer ist. Die zwei Aeltesten gehen in die obere Schul', zum Lehrer Schofel, der genau so ist, wie er heißt, – schofel »Schofel« bedeutet in der Volkssprache den höchsten Grad von Nichtswürdigkeit.

Walther Edel, der fortwährend in die Zeitung sah und zu lesen schien, in Wirklichkeit aber aufmerksam Stephans Rede folgte, lächelte bei den letzten Worten des Bauern und nickte kaum merklich mit dem Haupte.

»Wie der Schofel die Kinder schlecht macht und verdirbt, kann ich Ihnen gar nicht genug sagen, Herr Edel! Früher waren Heiligenbilder und ein Crucifix im Schulsaal', – Alles hat der Schofel hinausgeschafft und gesagt, solches Zeug gehöre nicht in einen Unterrichtssaal. Ein Meter und ein Globus seien besser, hat er gesagt, wie alle Heiligen- und Herrgottsbilder, an denen sich die protestantischen und jüdischen Kinder ärgern. Er hat gesagt, – die Volksschul' sei eine aufklärende Staatsanstalt und kein religiöses Erziehungshaus, um einfältige Betbrüder für die Kirche zu züchten. – Das hat mir der Schofel in's Gesicht gesagt, weil ich ihn wegen der Heiligenbilder zur Red' gestellt hab'. – In der Schul' spöttelt und höhnt er über die Religion, so daß mein ältestes Mädchen oft schon heimkam und geweint hat. – – Weil's Vorschrift ist, betet er jeden Morgen mit den Kindern, – aber wie? Das Gebet ist ganz kurz und lautet so: »Unerforschlicher, der du im Nichts wohnst, wir begehren nichts von dir, als ein fröhliches, lustiges Leben, und nach dem Tode ein Versinken in die Glückseligkeit des Nichts.« – So betet er jeden Tag den Kindern vor. Daneben müssen die Kinder täglich in einem Buch lesen, das wimmelt von Spott, Lügen und Verläumdungen gegen unsere Religion, und das ganz gräulich schmäht gegen Päpste, Jesuiten, Klöster, Ablaß, Beicht, und viele andere katholische Dinge. Auch darüber hab' ich den Schofel zur Red' gestellt. Er aber hat gesagt: »Das verstehen Sie nicht. Die Regierung hat das Lesebuch eingeführt. Wenn's den dummgläubigen Römlingen nicht gefällt, so ist das nur ein Beweis für die Vortrefflichkeit des Lesebuches.« – – Er selber, der Schofel, glaubt gar nichts und rühmt sich in den Wirthshäusern seines Unglaubens. – In der Schul' tändelt er oft mit hübschen Mädchen, und was man über den Punkt dem Schofel nachsagt, will ich vor Ihrer Ehr' gar nicht wiederholen. – – So treibt's der Schofel bereits acht Jahre lang. Er verdirbt die Jugend in Grund und Boden. Darum haben wir auch in Faulheim eine so lüderliche Jugend. Ein wahres Gesindel wächst heran. Menschen, die weder an Gott, noch an den Teufel glauben, und zu jeder Schlechtigkeit fähig sind. Fast bei jedem Amtstag stehen Burschen und Mädchen, sogar kleine Buben, wegen Diebstahl, Fenstereinwerfen, Unzucht, Betrug und anderen Schlechtigkeiten vor Gericht. Ich aber will meine Kinder nicht verderben lassen von dem schlechten Schofel. Von bösen Gesellschaften kann ich sie abhalten, aber in die Schul' muß ich sie schicken, sonst werd' ich gestraft mit Geld, oder gar eingesperrt. Bedenken Sie doch, Herr Edel, was es heißt, – ein Vater muß seine Kinder zu einem gottlosen Menschen in die Schul' schicken und verderben lassen! Das ist doch eine himmelschreiende Tyrannei, worüber sich einem das Herz im Leibe umdreht. Wenn die Regierung wüßt', was der Schofel für ein Mensch ist, sie müßt' ihn ja gleich absetzen. – – Nur Sie können mir helfen, Herr Edel, in meiner schweren Noth! Sie gelten ja Alles bei der Regierung. Wenn Sie dem Kreisdirektor über den Schofel ein Licht anzünden, so wird er auf der Stell' fortgejagt. – Darum möchte ich Sie inständig bitten, Herr Edel, sich doch meiner armen Kinder zu erbarmen, – Gott wird's Ihnen lohnen, und ich will Ihnen ewig dankbar sein.«

Ueber Ottfrieds Angesicht hatte sich ein trüber Ernst gelegt, und jetzt hingen die Blicke des Großvaters und seines Enkels erwartungsvoll an den Mienen des schweigend vor sich niedersehenden Mannes.

»Ihr seid ein gewissenhafter Vater, Stephan Ehrlich und verdient meine Achtung!« hob Edel an. »Wer aber, außer Euch, klagt sonst noch in Faulheim über den Lehrer? Sind nicht Alle mit ihm zufrieden?«

»Leider Gottes, – ja!« antwortete Ehrlich. »Ganz Faulheim ist liberal und der Schofel Allen recht. Darüber darf man sich aber nicht wundern; denn fast alle Faulheimer sind abgehauste Bauern, und jetzt Fabriker, – und Fabriken sind schlechte Schulen für Rechtschaffenheit und Religion. Die Bauern im Dorf' sind leicht zu zählen, und diese gehören fast alle dem Juden Borg. Nirgends ist mehr ein festes Fundament, Alles morsch und voll Nichtsnutzigkeit. Vor der Kirchenthüre wächst Gras, nur die Wirthshäuser werden fleißig besucht und dort wird von den Fabrikern an den Sonntagen verjubelt und verzecht, was sie in der Woche verdient haben.«

Edel nickte beistimmend mit dem Haupte.

»Euer Urtheil trifft zu! Seit Jahren beobachte ich das fortschreitende Verderben in Faulheim. – Gäbe es in Deutschland doch nur ein Faulheim!«

Er schwieg niedergedrückt.

»Soweit der Liberalismus herrscht, ist Faulheim!« las Walther mit lauter Stimme aus der Zeitung.

»Warum bringt Ihr Eure Beschwerde nicht vor den Herrn Pfarrer?« frug Ottfried.

»Mein Gott – unser Pfarrer!« seufzte Stephan. »Unser Pfarrer schiebt ja mit dem Schofel im ›Hirsch‹ jede Woch' ein paar Mal Kegel. Er wird seinem Spielkameraden nicht wehe thun. Außerdem bekäme er Streit mit dem Bürgermeister und Gemeinderath, die alle zusammen liberal sind.«

»Was versteht Ihr eigentlich unter Liberalen?« frug Walther, wobei sich lebhaftes Interesse für die ländliche Begriffsbestimmung in seinen Zügen malte.

»Ein Liberaler,« antwortete Stephan nach kurzem Besinnen, »ist halt ein Unchrist.«

»Sehr gut!« rühmte Walther, dessen ernste Zurückhaltung, zur großen Verwunderung seines Vaters, plötzlich aufthaute. »Liberal ist unchristlich und Liberalismus Unchristenthum, – das stimmt! Ihr nennt Faulheim liberal, – was wir jedoch vor unseren Augen sehen, jenes Dorf, ist nur Kleinfaulheim, – es gibt auch ein Großfaulheim, und dieses erstreckt sich, wenige glückliche Punkte abgerechnet, über das ganze Land und noch viel weiter. – Ja, mein Freund, der Liberalismus ist eine neudeutsche Errungenschaft, – und Ihr mit Euren Ansichten, Gefühlen und Ueberzeugungen steht noch auf altdeutschem Boden. Ihr seid weit zurückgeblieben mit Eurer altfränkischen Gottesfurcht und Ehrlichkeit. Seid klug, Freund Ehrlich, fügt Euch dem modernen Zeitgeiste, dessen Verbreiter und Lehrer auch der Schulmeister Schofel ist.«

»Nein, das thu' ich nicht, Herr Walther! Mit so einem Zeitgeist will ich nichts zu schaffen haben.«

»Aber er mit Euch,« versetzte Walther. »Ihr könnt Euch dem Zeitgeiste ebenso wenig entziehen, wie der Luft, die Ihr athmet. Wenn Ihr nicht fest gerüstet steht und täglich flüchtet unter Gottes Hut, dann werdet Ihr ebenso gewiß der Macht des Zeitgeistes verfallen, wie ein Strohhalm dem Strom, in den er fiel.«

Der Großvater blickte seinen Enkel an, nickte mit dem Dreispitz und raunte ihm zu: »Das war wieder 'ne große Red'.«

Herr Ottfried sah mit wachsender Ueberraschung und geheimer Vaterfreude auf seinen Sohn. Walthers verschlossenes Wesen war vollständig geschwunden. Die bleichen Wangen hatten sich geröthet, der melancholische Ausdruck seines Blickes hatte sich in jenen geistiger Schärfe und lebendiger Theilnahme für den Gegenstand verwandelt.

»Ihr beklagt Euch über den Schulmeister Schofel, weil er die Kinder verderbe, – das ist aber nur die Ansicht Eures zurückgebliebenen altdeutschen Standpunktes, Freund Ehrlich!« fuhr Walther fort. »Wenn Schofel Crucifix und Heiligenbilder aus der Schule warf, so handelte er nach zeitgemäßer Bildung, welche lehrt:

Christen, Jud' und Hottentott
Glauben all' an einen Gott!

Und dieser Toleranzgott ist jener Unerforschliche, der im Nichts wohnt, wie Schofel täglich den Kindern vorbetet. Einen Gott aber, der sich geoffenbart, der in Glaubens- und Sittenlehren die Wege bezeichnet, welche die Menschheit wandeln müsse, – einen Gott, der sogar eine Kirche gestiftet, die man hören müsse, auf die Gefahr hin, von ihm ewig verworfen zu werden, – – einen solchen unduldsamen Gott kann die neue Welt nicht brauchen. Dieser Gott ist abgeschafft und die neue Welt stark genug, dem Zürnen seiner Allmacht, und der zermalmenden Wucht seiner Strafgerichte zu widerstehen. – – Ihr sollt auch nicht meinen, daß Schofel seine Befugnisse überschreitet, wenn er die Kinder aus einem Buche lesen läßt, worin Religion und kirchliche Einrichtungen verspottet werden. Die Regierung hat ja das Lesebuch eingeführt, und neudeutsche Bildung gefällt sich gerade darin, altdeutsche Heiligthümer in die Rumpelkammer überwundener Vorurtheile zu werfen. Wenn Schulmeister Schofel vor den Kindern witzelt und spöttelt über das Religiöse, so ist das nur eine Kleinigkeit gegen die Heldenthaten mancher Hochschulmeister auf den Universitäten. Dort wird von Hochschulmeistern mit viel Gelehrsamkeit bewiesen, daß Gott ein Wahn und Religion eine Thorheit sei. Himmel und Hölle und das ganze Jenseits haben die Hämmer der Hochschulmeister gründlich zerschlagen, aus dem Menschen sogar einen Affen gemacht, welcher das Recht habe, zu leben, wie ein Affe, – geil, schmutzig, diebisch und mordsüchtig. Solchermaßen gebildet und belehrt, treten später Zöglinge dieser Hochschulmeister in das Leben, als Richter, Amtmänner, Regierungsräthe, Kreisdirectoren und amtiren im Geiste ihrer Bildung. – Wie bedeutungslos erscheint also Schofels Wirksamkeit gegen jene der Hochschulmeister! Und wenn der liberale Zeitgeist auf den Hochschulen das Verderbniß duldet und fördert, warum sollte er es in den Volksschulen verhüten?«

Die Bauern saßen offenen Mundes, Schrecken und Grauen in den Mienen, und lauschten der Schilderung.

»Ei, – ei!« sagte der Großvater. »Ich mein', auf solchen Beinen wird die Welt nit gar weit laufen.«

»Bin gleicher Ansicht, Großvater!« antwortete Walther. »Die Welt ohne Gott wird laufen, bis in den Abgrund einer allgemeinen socialen Revolution. Liegt die ganze gottlose Bildung, namentlich die satanische Kaste ungläubiger Volks- und Hochschulmeister, im Abgrunde begraben, dann wird der alte, unabsetzbare Gott, der keineswegs im Nichts, sondern in seiner Kirche wohnt, eine neue Menschheit erschaffen.«

»Bis dahin kann ich aber nicht warten,« sagte Stephan, mit einem bittenden Blicke auf den Großgrundbesitzer. »Herr Edel, Sie verdienen sich einen Gotteslohn, wenn Sie uns von dem Schofel erlösen. Es handelt sich ja nicht blos um meine Kinder, sondern um die Kinder der ganzen Gemeinde.«

Ottfried erwiederte nichts. Er sah gegen Westen, wo über den Fluren eine lange Reihe hoher Bäume emporragte, entblättert und dürr, – ein trauriger Anblick in Mitte der lachenden, blühenden Felder. Der Großvater bemerkte den Ausblick und verstand ihn.

»Herr Ottfried,« hob der Greis an, »Sie betrachten die hübschen Nußbäum', welche Ihnen die Faulheimer vor zwanzig Jahren geringelt und zum Absterben gebracht haben. Zum Andenken an die Unthat, haben Sie die Bäum' stehen lassen. Noch andere Bosheiten haben die Faulheimer an Ihnen verübt, – Alles aus dem Grund, weil Sie das Best' der Gemeind' gewollt haben und den vielen Schlechtigkeiten mannhaft entgegengetreten sind. Ja, – damals hat's Verderbniß angefangen! Früher, – vor vierzig Jahren, war Faulheim eine fleißige, brave und wohlhabende Gemeind', – und jetzt! – – Wahr ist's, was die Faulheimer Ihnen haben angethan, ist nit leicht zu vergessen, – doch aber mein' ich, Herr Edel, Sie sollten's nit mehr nachtragen. Ich mein', Sie sollten sich wenigstens meiner Urenkel erbarmen; denn Sie wissen, Herr Ottfried, von unserer Familie war Niemand dabei. Wir haben niemals zu Ihren Feinden gehalten.«

Edel schwieg.

Walther hatte wieder zur Zeitung gegriffen und las jetzt, mit leiser, aber nachdrucksvoller Stimme, aus derselben: »Vergieb uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.«

Diese Mahnworte des Weltheilandes blieben nicht ohne Eindruck auf den Gutsherrn.

»Ihr habt recht, Großvater!« sprach er. »Die vielfachen Bosheiten und der schwere Undank einer Gemeinde, deren Wohlfahrt ich erstrebte, sind nicht leicht zu vergessen. Mein Vorsatz, Faulheim seinem Schicksale zu überlassen, bestand bis jetzt unerschütterlich. Ein Versuch, Schofel zu entfernen, würde abermals die ganze verkommene Brut gegen mich hetzen. Außerdem ist eine Beseitigung des elenden Schulmeisters nicht zu erwarten; denn Schofels Treiben verletzt keine staatliche Verordnung. Die Dinge liegen genau so, wie mein Sohn sie geschildert.«

Stephan bewegte nachdenklich den Kopf, vor sich hinstarrend, als tauche irgend ein schreckliches Gebilde aus dem Boden vor ihm auf. Walther beobachtete jede Miene und Bewegung des Landmannes.

»Nicht wahr, guter Ehrlich, Euch will der Verstand stille stehen?«

»Grad' so ist's, Herr Walther! Es will mir gar nicht in den Sinn, daß ein Schulmeister soll das Recht haben können, die Kinder zu verderben.«

»Zu verderben? Seht, Freund Ehrlich, es kommt nur darauf an, was man unter ›verderben‹ versteht! Nach Eurem christlichen Standpunkt führt Alles zum Verderben, was gegen Gott und seine Kirche streitet. Ihr seid eben ein altdeutscher Ehrlich. Dagegen hat nach neudeutscher Bildung und Auffassung die Kirche, welche doch Gottes Mund ist, gar nichts in das Staatswesen hineinzureden. Der Staat ist selber Gott, und zwar nicht der heilige Gott der Offenbarung, sondern der Gott Hegels, Feuerbachs, Schofels und anderer Schulmeister. Was dieser Staatsgott befiehlt und einführt, ist Alles recht und gut. Der Staatsgott kann Alles, darf Alles und ist überall gegenwärtig, sogar in den Sparbüchsen der Dienstboten. Hat er nun Schulen eingeführt, in denen Christen-, Juden- und ungetaufte Heidenkinder zusammen sitzen, so ist dies auch gut. Stellt er in Volks- und Hochschulen Lehrer an, die keine Christen, sondern Juden oder Heiden sind, so ist dies abermals gut. Wenn diese heidnisch gesinnten Lehrer den Christengott verläugnen und über die Religion spötteln, so hat dies gar nichts zu bedeuten, so lange sie in den vorgeschriebenen Unterrichtsfächern ihre Schuldigkeit thun. Sohin verderben beispielsweise neudeutsche Hochschulmeister die studirende Jugend gar nicht, wenn sie wissenschaftlich darlegen, daß es niemals einen Gott gegeben und daß nichts ewig sei, als die Zelle und der Urschleim. Mancher Sohn verläßt christlich, gläubig und fromm das älterliche Haus, und kehrt als gebildeter Heide von der Universität heim, – dies kommt sehr häufig vor heut zu Tage.

Ottfried machte eine heftige Bewegung und fuhr leise stöhnend mit der Hand über die Stirne.

»Also verdirbt der Schofel die Kinder nicht«, schloß Walther, »im Gegentheil, er klärt sie auf und bildet sie nach neudeutscher Art.«

»Demnach muß ich dem Schofel meine Kinder preisgeben?« fuhr es über Stephans Lippen.

»Ich sehe keinen Ausweg, Freund Ehrlich!« antwortete Walther. »Unsere Schulen sind lediglich Staatsanstalten, in denen nur die Wissenschaften das Wort führen, Gott und Kirche aber schweigen müssen. In anderen deutschen Staaten, z. B. in Bayern, besitzt die Kirche vorläufig noch einen beschränkten erziehlichen Einfluß in den Schulen, – allein wir sind eben nicht in Bayern. – – Darum ergebet Euch in das Unvermeidliche, kommt nicht in Widerspruch mit dem allmächtigen Staate und überlaßt Eure Kinder dem Schofel.«

Der Bauer machte jedoch nicht den Eindruck eines Menschen, der sich ergibt, sondern eines tiefgekränkten, in seinem Rechtsgefühl tödtlich verletzten Mannes. Die deutsche Natur und der angeborene Freiheitsinn erhoben sich mit solcher Macht, daß Ehrlichs Augen wild aufleuchteten, sein Gesicht zornig glühte und seine Fäuste sich ballten.

»Meine Kinder dem Schofel hingeben? In alle Ewigkeit nicht!« rief er. »Die Kinder sind meine Kinder, – ich bin ihr Vater, – ich hab' sie christlich und brav zu erziehen und darüber muß ich einmal vor Gott Rechenschaft geben. Ist's neudeutsche Art, die Eltern mit Gewalt zu zwingen, ihre Kinder zum Teufel in die Schul' zu schicken, dann weiß ich schon, was ich zu thun hab'.«

Es sprühte ihm Feuer aus den Augen und sein ganzer Körper bebte vor Erregung.

»Was wollt Ihr thun, Ehrlich?« frug Herr Ottfried.

»Ich ziehe fort von hier, – weit fort in ein Land, wo noch Freiheit gilt und Recht, – wo Eltern ihre Kinder noch christlich erziehen dürfen. Ja, – es bleibt dabei, wir gehen nach Amerika!« rief er, entschlossen aufstehend. »Kommt, Großvater, – hier ist unser Bleiben nimmer, – fort, nach Amerika!«

»Stephan, unterdrückt diesen Gedanken zur Auswanderung!« sprach in ruhigem Ernst Herr Ottfried. »Ich weiß,, daß Ihr mit Leib und Seele an Eurem deutschen Vaterlande hängt. Bleibt, wo Ihr geboren und erzogen seid.«

»Wenn aber das Vaterland so an mir handelt?« rief der Bauer, mit Thränen in den Augen. »Mein Vaterland ist mir lieb, – ja! Es gibt aber noch viel Größeres, als das Vaterland, und das ist Gottes Wille und meine Seele und die ewige Wohlfahrt meiner Kinder.«

»Ganz richtig!« bestätigte Edel, mit achtungsvollem Nicken des Hauptes. »Darum hört meinen Rath, Stephan! Geht nach der Stadt und bringt Eure Beschwerde gegen Schofel vor den Amtmann.«

»Der wird mich kaum anhören, – höchstens mit ein paar Worten mich abspeisen, – das weiß ich schon.«

»Er wird Euch anhören! Sagt ihm, ich habe Euch zu ihm geschickt.«

»Wenn das ist, Herr Edel, – wenn Sie's erlauben, daß ich auf Sie mich berufen darf, dann kann's helfen. Ich danke Ihnen, Herr Edel, für die Erlaubniß!«

Die Bauern verabschiedeten sich und verließen den Garten. Schweigend gingen sie eine Strecke auf der Landstraße dahin.

»Die Leut' sagen immer, Walther Edel sei überstudirt, oder halb übergeschnappt, – das ist nicht wahr!« brach Stephan das Schweigen. »Herr Walther ist ein grundgescheidter Mensch und auch ein frommer Mensch!«

»Er ist halt ein ächter Edel!« versetzte beistimmend der Großvater.



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