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Der Amtmann

Der Gang zum Amtmann war für Stephan Ehrlich keine leichte Aufgabe. Er hätte ihn wohl noch weiter hinausgeschoben, wären nicht seine Kinder aus der Schule gekommen mit gräulichen Berichten über Schofels neueste Spöttereien und Bosheiten gegen die Religion. Jetzt warf sich Stephan Ehrlich in seinen Sonntagsstaat, ergriff einen derben Stock und marschirte im Sturmschritt nach der Stadt. Erst vor dem Amtsgebäude machte er Halt, stand eine Weile in der Straße und überlegte noch einmal Worte und Ausdrücke, in welche er die Klagen seines bekümmerten Vaterherzens und die Entrüstung seines christlichen Bewußtseins vor dem gewaltigen Amtmann zu kleiden gedachte. Dann raffte er sich zusammen, klopfte an die Bureauthüre und trat ein.

An einem Tische saß schreibend Amtmann Wolf, nach dem Maßstabe des vollendeten Bureaukratismus ein ausgezeichneter Beamte, und noch dazu ein Jude. Für seine rastlose Thätigkeit und Umsicht im Verwaltungsfache trug er bereits farbige Bändchen in einigen Knopflöchern und im Herzen die sichere Hoffnung, auf die zunächst in Erledigung kommende Regierungsrathsstelle. Als er den ehrerbietig grüßenden Bauer bemerkte, legte er die Feder bei Seite, lehnte sich im Sessel zurück und warf einen forschenden Blick auf den Besuch.

»Wer seid Ihr und was wünscht Ihr?«

»Herr Amtmann, – verzeihen Sie, ich bin der Ackersmann Stephan Ehrlich aus Faulheim, und muß zu Ihnen kommen mit einer schweren Klag' über unseren Schulmeister Schofel.«

Und jetzt hob Stephan ein langes Klagelied an, in dem er alle Missethaten Schofels in ergreifenden Naturlauten besang. Der Amtmann hörte aufmerksam zu, und manchmal glitt ein satyrisches Lächeln über die gelblichen Gesichtszüge des Juden.

»Mein lieber Mann,« sagte Wolf, nachdem Stephan zum Schlusse gekommen, »Euer ganzer Vortrag enthält nicht einen einzigen Punkt, der eine begründete Beschwerde gegen Lehrer Schofel darbietet. Hat Schofel Crucifix und Heiligenbilder aus dem Schulsaale entfernt, so that er nicht unrecht; denn solche Dinge gehören in die Kirche.«

»Verzeihen Sie, Herr Amtmann, – das Crucifix und die Heiligenbilder hängen schon mehr – als hundert Jahre im Schulsaal', und zwar nicht umsonst. Unsere Kinder sollen als gute Christen erzogen werden, und darum ist's sehr nützlich, wenn sie unseren Herrgott und die lieben Heiligen vor Augen haben.«

» O sancta simplicitas!« rief der Amtmann aus, betrachtete fast mitleidig den dummen Bauer und fuhr dann belehrend fort: – »Damals hatten die Bilder ihre Berechtigung, weil die Schule zugleich eine religiöse Erziehungsanstalt war. Heute ist sie dies nicht mehr. Außerdem sitzen auch protestantische und jüdische Kinder in der Schule zu Faulheim, und diese dürfen nicht geärgert werden – durch die Gegenwart von Bildern, welche ihr religiöser Glaube verwirft.«

»Verzeihen Sie, Herr Amtmann, – wenn die protestantischen und jüdischen Kinder nicht geärgert werden dürfen, durch die Gegenwart von Heiligenbildern, dann dürfen auch die katholischen Kinder nicht geärgert werden, durch's Wegnehmen von Heiligenbildern. Darum mein' ich, es soll jede Confession ihre eigene Schul' haben, dann geschieht Niemand ein Unrecht.«

»Dies zu bestimmen, liegt keineswegs in unserer Befugniß, sondern in der staatlichen Anordnung,« entgegnete Wolf.

»Ja, – aber, – verzeihen Sie, Herr Amtmann, – ist's denn nothwendig, daß Schofel über unsere Religion vor den Kindern spottet? Gestern hat er wieder gesagt, die Reliquienverehrung sei der größte Unsinn. So dumm seien die Katholiken noch, daß sie sogar das Heu anbeten, von dem die Esel bei der Geburt Jesu gefressen haben. – Müssen wir uns diese Lügen und Spöttereien des Schulmeisters gefallen lassen?«

»Solche Bemerkungen enthalten weder Lügen, noch Spott,« sprach lächelnd der Jude. »Das sind vielmehr aufklärende Erläuterungen zum Geschichtsunterricht, welchen Schofel nach dem von der Regierung eingeführten Leitfaden ertheilt.«

»So, – so!« erwiederte Ehrlich, dessen christlich deutsches Herz stark zu pochen anfing. »Verwunderlich ist's doch, daß die Regierung Schulbücher einführt, in denen die Katholiken verhöhnt werden.«

»Wahrheiten dürfen nicht als Hohn empfunden werden, und das Geschichtsbuch enthält die lauterste Wahrheit,« erklärte Wolf.

»In dem Fall muß ich von der Regierung anders denken, wie ich bis dato über sie gedacht hab',« sagte Ehrlich.

»Ueber Gedanken giebt es keinen Richter,« entgegnete Wolf.

»Jawohl, Herr Amtmann, – und aus Gedanken werden schließlich Thaten! – Und das Gebet, welches Schofel jeden Morgen vor den Kindern verrichtet und das ich Ihnen vorgesagt hab', – ist das nicht der reinste Spott und Hohn auf unseren Herrgott selbst?« sagte Ehrlich, mit steigendem Unmuth.

»Gewiß nicht!« antwortete Wolf. »Das Gebet hat vielmehr eine sehr klug gewählte Form, durch die weder Juden, noch Katholiken, noch Protestanten verletzt werden können; denn es ist gerichtet an den »Unerforschlichen«, der nicht im Himmel der Juden, noch der Christen, sondern im »Nichts« wohnt. Zudem entspricht das Gebet genau dem Staatsgeiste. Der Staat kennt ja auch weder ausschließlich einen Gott der Christen, noch der Juden, weil er unparteiisch und neutral ist. Das Allerhöchste des Staates besteht in seinem Willen, und er kennt keinen anderen Gott, als sich selbst, wie der Staatsphilosoph Hegel lehrt.«

»So, – so, – das hab' ich noch nicht gewußt!« sagte Stephan Ehrlich. »Für meinen Theil kenne ich aber einen Gott, und Der ist nicht der Staat, sondern der allmächtige Gott, welcher Himmel und Erde erschaffen hat, – Der Mensch geworden ist, Den die Juden gekreuzigt haben, Der auferstanden ist von den Todten, in den Himmel gefahren, von dannen Er am Ende der Welt wieder kommen wird, zu richten die Guten und die Bösen. Das ist mein Gott, Herr Amtmann, – und an diesen Gott glauben auch meine Kinder. Und weil ich dereinst vor dem allwissenden und heiligen Gott über meine Kinder muß Rechenschaft geben, darum schicke ich sie nicht mehr zum Schofel in die Schul', damit sie von dem Religionsspötter nicht verdorben werden.«

»Ihr müßt Eure Kinder schicken, – wir haben staatlichen Schulzwang,« sprach strenge der Amtmann.

»So, – ich muß meine Kinder verderben lassen?« versetzte Ehrlich mit blitzenden Augen. »Das wäre ja die himmelschreiendste Tyrannei.«

»Keine Tyrannei, sondern ein Zwang für zurückgebliebene Leute, ihre Kinder zeitgemäß bilden und erziehen zu lassen,« belehrte der Amtmann.

Diese Rücksichtslosigkeit des Bureaukraten erbitterte Ehrlich immer mehr.

»Wir Katholiken sind darum keine zurückgebliebenen Leute, weil wir fest beim Alten bleiben, beim alten Glauben und bei der alten Rechtschaffenheit, und weil uns das neumodische Gesindel, bei dem nichts ist, als Schwindel und Nichtsnutzigkeit, nicht zu Seinesgleichen zählen darf. Meine Kinder sollen nicht auf neudeutsch erzogen werden, – kurz und gut, meine Kinder bleiben aus der Schul'.«

»Dann werdet Ihr so lange mit Geld und Gefängniß gestraft, bis Ihr die Kinder schickt,« sprach stirnrunzelnd der Jude.

»Doch nicht, Herr Amtmann! Es giebt noch Länder, wo die gottvergessene Schultyrannei nicht existirt, – Länder, wo man die Aeltern nicht zwingt, die unschuldigen Kinder von einem Schofel verderben zu lassen. Dorthin wandere ich aus mit meiner ganzen Familie, – nach Amerika.«

»So wandert aus,« sprach gleichgültig der Beamte.

»Leicht fällt mir das Auswandern nicht, sondern schwer, – sehr schwer! Wer verläßt gerne seine deutsche Heimath? Das Herz blutet mir, wenn ich nur daran denk'. Doch lieber lass' ich mir das Herz aus dem Leibe reißen, als Religion und Gottesfurcht aus dem Herzen meiner Kinder. – Sie können, scheint's, dies Alles nicht begreifen, Herr Amtmann, – Sie lachen darüber, weil Sie halt ein Jud' sind, der kein Vaterland hat.«

»Unverschämter Mensch!« rief zornig auffahrend der Beamte. »Wie könnt Ihr Euch unterstehen, mir solche bengelhafte Grobheiten in das Gesicht zu werfen?«

»Verzeihen Sie, Herr Amtmann, es war nicht bös gemeint! Wär' auch gar nicht zu Ihnen gekommen mit meiner Klag', wenn mich Herr Ottfried Edel nicht zu Ihnen geschickt hätt'.«

Mit einem Schlage änderte sich die Haltung des Juden; der Grimm seiner funkelnden Augen erlosch, das dräuende Gesicht wurde glatt und freundlich; denn auch er kannte Edels Einfluß in den höchsten Regierungskreisen, sowie den »lieben Herrn Nachbarn« des Landesfürsten.

»Herr Edel schickte Sie? Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?«

»Weil ich daran nicht gedacht hab', Herr Amtmann!«

Wolf saß eine Weile überlegend.

»Sagen Sie dem Herrn Edel meine achtungsvolle Empfehlung, und ich würde selber hinaus kommen, die Sache zu untersuchen.«

Schon am folgenden Tage erschien der Beamte auf dem Edelhofe, wo ihn Herr Ottfried freundlich empfing. Nach einigen schmeichelhaften Bemerkungen für »den ersten und rationellsten Großgrundbesitzer des Landes,« – wozu »die prachtvollen und mustergiltig bewirthschafteten Fluren« Anlaß boten, kam der Amtmann auf den eigentlichen Zweck seines Erscheinens.

»Gegen Lehrer Schofel behördlich einzuschreiten, liegen keine Gründe vor,« sagte Wolf. »Der Mann bewegt sich in den Schranken berechtigter Befugnisse. Unsere Schulen sind eben keine religiösen Anstalten, sie dienen lediglich dem Unterrichte zeitgemäßer Bildung, und ich gebe zu, daß zuweilen diese Bildung mit dem religiösen Empfinden in Widerspruch geräth. Aendern kann ich dies nicht. Der Verwaltungsbeamte hat nur den Vollzug staatlicher Verordnungen und Gesetze in seinem Bezirke zu controliren. Deßhalb bedauere ich lebhaft, Herr Edel, die Beschwerden eines Mannes als unbegründet abweisen zu müssen, für den Sie Interesse zeigen.«

Walther, welcher der Unterredung beiwohnte, gewahrte jetzt im Angesichte seines Vaters eine Veränderung, ein Mienenspiel, das er an ihm früher niemals bemerkt hatte. Ottfrieds Augen wurden groß und leuchtend, und die Flammen innerer Empörung schlugen in sein Angesicht, während er äußerlich seine Ruhe bewahrte.

»Ich begreife, Herr Amtmann, daß Sie vom Standpunkte des herrschenden Systems nicht verpflichtet sind, einem katholischen Vater Hilfe zu leisten gegen die Frivolitäten eines Religionsspötters, der sich berechtigt hält, die Glaubensüberzeugung zu kränken und die Kinderherzen zu vergiften. Obwohl nun Schofel nach dem eingeführten Geschichtsbuche unterrichtet, so überschreitet er doch jedenfalls seine Befugnisse und die strenge gezogenen Schranken des geschichtlichen Leitfadens, wenn er den Kindern aus seinem eigenen glaubenslosen Geiste gehässige und religionsfeindliche Erläuterungen giebt. – Die Verordnung schreibt ein Schulgebet vor, – was jedoch Schofel den Kindern täglich vorspricht, ist kein Gebet, sondern eine Gotteslästerung, nach christlichen Begriffen. Weit besser kein Gebet, als ein solches. – – Die Heiligenbilder anlangend, so muß ich gestehen, daß ihre Entfernung mich schmerzlich berührte. Das Crucifix wurde von einem meiner Vorfahren in die Schule gestiftet, es ist einige hundert Jahre alt und von bedeutendem Kunstwerth. Jetzt liegt es in irgend einer Ecke des Schulspeichers. Die Heiligenbilder sind Geschenke meines Vaters und recht hübsche Darstellungen, ganz geeignet, auf das kindliche Gemüth die besten Eindrücke hervorzubringen. Außerdem ist die Schule tatsächlich eine katholische; denn es befinden sich nur vier protestantische und zwei jüdische, dagegen siebenundneunzig katholische Kinder in derselben. Nach meiner Auffassung ist darum die Wegnahme der Bilder eine Rechtskränkung der Katholiken.«

Der Beamte staunte sehr, Edel eine so entschiedene Sprache in einer solchen Sache führen zu hören, – Edel, der sich um Faulheims Angelegenheiten niemals kümmerte. Aber es kam noch viel stärker, – dem Juden sogar bedenklich und gefährlich.

»Stephan Ehrlich ist vielleicht der einzige, Gott und seinem Landesherrn treu ergebene Mann in Faulheim, – alle übrigen sind herabgekommene, dem Wucherer verfallene Bauern und Fabrikarbeiter,« fuhr Edel fort. »Wie Ihnen jedenfalls bekannt, Herr Amtmann, ist Faulheim socialdemokratisch, reif für den Umsturz aller staatlichen Ordnung und gesellschaftlichen Verhältnisse. So tief konnte der Ort nicht sinken, wären dessen Bewohner nicht systematisch, bereits in der Schule, um die religiöse Ueberzeugung gebracht worden. Es ist ja eine unbestrittene Thatsache, daß nur auf dem Boden des religiösen Unglaubens die Socialdemokratie gedeiht. In gut katholischen Dörfern und Städten giebt es keine Socialdemokraten. Die Revolution steigt immer aus den giftigen Sümpfen sittlicher Entartung und religiöser Glaubenslosigkeit empor. Das ist auch die Ansicht unseres allergnädigsten Landesherrn, der bei den Herbstjagden zuweilen über diesen Gegenstand mit mir zu sprechen geruht. Deßhalb wird jeder einsichtsvolle, für die öffentliche Wohlfahrt besorgte Beamte den erhaltenden Glauben schützen gegen den zersetzenden Unglauben, – den frommen Ehrlich gegen den boshaften Religionsspötter Schofel. Die Schule darf keine Socialdemokraten und Fürstenmörder züchten.«

Der Amtmann saß sprachlos, und der Jude schrumpfte sichtlich zusammen unter der Wucht solcher Worte.

Und Walther sah aus strahlenden Augen auf seinen herrlichen, unvergleichlichen Vater.

»Herr Edel, Ich danke Ihnen, – bin Ihnen wirklich zum größten Danke verpflichtet!« versicherte der Amtmann. »Ihre gründliche Kenntniß der Verhältnisse hat mich auf Nebenumstände aufmerksam gemacht, welche die Sachlage vollständig ändern. Unverweilt werde ich die geeigneten Maßregeln treffen.«

Wie von Amtseifer getrieben, erhob er sich, nahm unter vielen Förmlichkeiten Abschied und fuhr nach der Stadt.

»Vater, – mein herzlieber Vater, auch ich danke Dir und küsse Deine Hand!« rief Walther begeistert aus. »Du bist der gefährdeten Unschuld ein starker Helfer geworden gegen den Schulteufel und Verführer Schofel. Gesegnet sei Stephan Ehrlich, der von meinem guten Vater den Bann grollender Thatlosigkeit genommen.«

»Ei, Walther, Du schwärmst ja förmlich!« sprach lächelnd Herr Ottfried, als ihn der Sohn umarmte und küßte.

»Ja, ich bin namenlos glücklich, – Gott sei gepriesen! Mein Vater hat die Fesseln des Geschehenlassens zerbrochen, – erhoben hat er sich und das Schwert ergriffen, seit Jahrhunderten von unseren Ahnen tapfer geschwungen, – das Schwert für Gott und Glaube, für Wahrheit und Recht. Und dieses Schwert wird noch, in Verbindung mit streitbaren Waffengenossen, jene Ketten zerhauen, mit denen ein gottloser Zeitgeist die Kirche gefesselt.«

»Um die Religion als Staatsmaschine und deren Diener als Staatspfaffen zur Unterdrückung der Volksfreiheit herabzuwürdigen,« ergänzte Herr Ottfried mit blitzenden Augen.

Einige Tage später kam vom Amte an den Bürgermeister ein Rescript, – »zur Mittheilung und Darnachachtung« für den Lehrer Schofel.

Darauf kamen die Kinder Ehrlichs von der Schule heim, mit der frohen Botschaft, das Crucifix und die Heiligenbilder seien im Saale wieder aufgehängt, der Lehrer spreche nicht mehr das wüste Gebet, er spotte auch nicht mehr über Religion und mache ein ganz frommes Gesicht.

»Siehst, Stephan, ich hab' Dir's ja gesagt, Herr Ottfried bringt's fertig!« rief froh der Großvater. »Wart' nur, er bringt noch mehr fertig.«

»Bekämen wir jetzt für den Streber einen rechten Seelsorger, dann könnt' Faulheim noch gerettet werden,« meinte Stephan.

Die Schulgeschichte sollte jedoch für Ehrlich keinen angenehmen Abschluß finden.



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