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Paul's Heimgang.

Der Balkon des grünen Saales mit der reizenden Fernsicht war Pauls Lieblingsplatz. Auch heute saß er dort, im bequemen Urgroßvaterstuhl, vor ihm Salome, ein geistliches Betrachtungsbuch in der Hand, aus dem sie jeden Morgen ein Kapitel dem greisen Ahnherrn vorzulesen pflegte. Gegen seine Gewohnheit war Paul heute über dem Vorlesen eingeschlafen. Dieser Umstand fiel der jugendlichen Gräfin auf, noch mehr ein lebhaftes Träumen des Schlafenden. Das silberglänzende Haupt- und Barthaar umrahmte ein Gesicht, in dem sich das höchste Entzücken spiegelte. Er hob beide Arme, stieß einen Laut hervor und erwachte.

»Ah, – sie haben mich zurückgelassen!« sagte er.

»Es war ein Traum, mein Vater!«

»In meinem Leben hat mir so nicht geträumt,« sprach ernst der Greis. »Nein, dies war kein Traum! Liebes Kind, rufe mir Deinen Großvater hierher.«

Salome verschwand eilends.

Paul saß nachdenkend, indem heitere Lichter mit ernsten Schatten in seinem Gesichte wechselten.

Bevor Graf Gottfried erschien, betrat eine hochbetagte Gestalt im Priestertalar den Balkon, Pauls ältester Sohn Klement, dessen Erscheinung sehr an Pater Oheim erinnerte. Auch Klement war Jesuitenpater im nahen Kloster St. Martin. Papst Pius VII. hatte durch die Bulle: Solicitudo omnium ecclesiarum des vierzehnten Klemens Bulle: Dominus ac redemptor noster aufgehoben, die in so himmelschreiender Weise vernichtete Gesellschaft Jesu für den ganzen Erdkreis wiederhergestellt. Als nun die Jesuiten nach Frankreich zurückgerufen wurden, schenkte ihnen Graf Paul die alte Abtei St. Martin, wo die rührigen Söhne des heiligen Ignatius eine segensreiche Tätigkeit entfalteten, eine höhere Bildungsanstalt gründeten und ihre Meisterschaft in Erziehung und Belehrung der Jugend die Söhne der höchsten Familien Frankreichs herbeilockte.

Pater Klement begrüßte mit kindlicher Herzlichkeit seinen Vater und küßte ehrerbietig dessen Hand.

»Du kommst gerade sehr gelegen, mein lieber Klement! Setzet Euch und höret, meine Söhne!« fuhr Paul fort, als zugleich Graf Gottfried den Balkon betrat. »Ich habe Euch eine Mitteilung zu machen, die betrüben könnte, wenn sie nicht auch eine sehr große Freudenbotschaft enthielte.«

Er schwieg einen Augenblick und sah flüchtig mit eigentümlich glänzenden Augen zum Himmel, während die beiden Söhne in gespannter Erwartung Ungewöhnliches ahnten.

»Ich sitze hier,« begann Paul, »und folge aufmerksam Salomes Vorlesung aus Pontes Betrachtungen. Mit einem Male war ich weg, entrückt im Geiste. Nicht schlafend und nicht wachend, in einem mir gänzlich fremden Zustande. Um mich her strahlte alles in Glanz und Pracht. Aus dem Glanze hervor trat meine selige Isabella, in einer so blühend schönen Jugend und in einer Verklärung, die sich mit Worten nicht beschreiben lassen. Mit einem Lächeln, so himmlisch hold und rein, wie es diese Erde nicht kennt, nahte sie mir, umgeben von meinen lieben Eltern und vielen Personen, die mir unbekannt sind. Sie alle waren jugendlich schön, in Lichtgewändern, strahlend von Glück und Wonne. Sie alle nickten mir freundlich zu, indem sie ganze Ströme der lieblichsten Wohlgerüche über mich ausgossen. – Ich sehe und staune, überwältigt von dieser ganz unbeschreiblichen Herrlichkeit. Isabella war mir auf zwei Schritte nahe gekommen. »Mein Paul,« sprach sie, »am neunten Tage werden wir in Gott, dem Inbegriff ewiger Liebe und Seligkeit, für immer vereinigt.« Ihre lilienweiße und leuchtende Hand machte eine grüßende Bewegung des Abschiedes. Ich breitete die Arme nach ihr aus und erwachte.«

»Ein hübscher Traum!« sagte Gottfried.

»Vielleicht ein bedeutungsvolles Gesicht,« versetzte Klement.

»Das ist es!« bestätigte der Greis. »Am neunten Tage wird mich Gott heimrufen.«

Die beiden Söhne senkten traurig die ergrauten Häupter.

»Gottfried,« fuhr der Graf fort, »telegraphiere unverweilt nach der Vendee, nach der Bretagne und Normandie, nach Toulouse und Marseille, – rufet alle meine Kinder zusammen, damit ich sie sehe und segne, bevor ich scheide. Lieber Klement, verständige meinen Beichtvater Alphons und bitte ihn, mich übermorgen mit dem heiligen Viatikum für den letzten Kampf zu stärken.«

Tief bewegt verließen die Söhne den Balkon, ihres Vaters Aufträge zu vollziehen.

Paul erhob sich und ging nach seinen Gemächern, die letzten Anordnungen zu treffen.

In der gräflichen Familie rief der Vorgang die tiefste Niedergeschlagenheit hervor; denn alle liebten den ehrwürdigen Ahnherrn innig und zärtlich. Obwohl bei dem höchsten Greisenalter Pauls, dessen Scheiden täglich zu erwarten stand und sich alle mit diesem Trauerfall vertraut zu machen suchten, so brachte das nun wirkliche Eintreten des längst Gefürchteten dennoch allgemeine Bestürzung hervor. Der gewöhnliche Frohsinn wich tiefer Niedergeschlagenheit, die Freude war fortgezogen aus dem Schlosse, um ihre holde Herrschaft dem Schmerze zu überlassen.

Nur Paul blieb heiter. Er tröstete die Seinen, die sich in den nächsten Tagen immer zahlreicher um ihn sammelten. Aber sein liebevolles Bemühen hatte die entgegengesetzte Wirkung. Den Getrösteten schlichen Tränen aus den Augen und manche verließen den Familienkreis, um ihre Bewegung zu verbergen.

Einen wirkungsvolleren Trost bildete der Umstand, daß Paul gesund blieb und nicht das geringste Merkmal der nahen Auflösung eintrat. Man sagte sich: »Gottlob, es war nur ein Traum! Unser Vater wird uns nicht genommen.«

Allein der Trost war von kurzer Dauer. Am Morgen des achten Tages traten höchst bedenkliche Schwächen ein. Paul konnte das Bett nicht verlassen.

Inzwischen hatten sich alle Töchter und Söhne, Enkel und Urenkel, nebst deren Gatten und Gattinnen, über hundert Herren, Damen und Kinder, um das Sterbelager ihres ehrwürdigen Familienhauptes versammelt. An jeden einzelnen richtete er einige väterliche Worte, zuweilen liebevolle Ermahnungen und jedem gab er seinen Segen.

Der Morgen des neunten Tages fand den Greis in völliger Erschöpfung. Er war nicht imstande, ein Glied zu bewegen und konnte nur leise sprechen. Pater Klement stand dicht neben seinem Lager und betete aus einem Buche mit gedämpfter Stimme Sterbegebete. Hielt er inne, so bewegte Paul nach ihm die Augen mit der Aufforderung, weiter zu beten. Die übrigen Familienglieder knieten im Zimmer und im anstoßenden Saale, alle in tiefer Gemütsbewegung.

Mit einem Male löste der Sterbende die gefalteten Hände und verlangte mit lauter Stimme, in sitzende Haltung aufgerichtet zu werden. Pater Klement, aus der Seelsorge mit dem letzten Aufflackern der Lebenskraft bekannt, stürzten Tränen aus den Augen.

»Alle herein!« sagte Paul.

Schweigend, mit geisterhaft leuchtenden Augen, betrachtete er einige Sekunden die um ihn Gescharten.

»Liebe Kinder!« hob der Sterbende leise aber gut verständlich an. »Mein Herr und Gott, in dessen Diensten ich mein ganzes Leben lang ausgeharrt, ruft mich heim, – fort aus der Fremde. Bleibet auch Ihr fremd dem Geiste dieser Welt. Gedenket meiner Lehren, befolget sie beharrlich, – wandelt in den Fußstapfen Eures Vaters. Höret immer in Demut und Gehorsam die Stimme Eurer Mutter, der heiligen katholischen Kirche; denn sie ist Gottes Mund. Traget beständig den Schild des Glaubens, die Pfeile der Lügen und alles Bösen aufzufangen. Der Helm des Heiles, das Wort Gottes, beschirme jederzeit Euer Haupt. Frommes Gebet betaue stets das Leben Eurer Seele. Gedenket, – vergesset niemals: – was der Mensch säet, das wird er ernten.«

Er sank in die Kissen zurück.

»Betet!« flüsterte er.

Mit unsicherer Stimme vollzog Pater Klement den letzten Wunsch seines Vaters, der mit geschlossenen Augen lag, ein Ablaßkreuz in den gefalteten Händen.

Durch die hohen Fensterbogen goß die Sonne ihre reinsten Lichtströme. Aber das Sonnenlicht war matt und glanzlos, im Vergleiche zu dem verklärten Leuchten, das flüchtig über Pauls Antlitz schimmerte, während er die scheidende Seele seinem Schöpfer zurückgab.

Ein ergreifendes Schluchzen und Weinen erfüllte den Raum. Viele gingen hinaus, in ihren Gemächern rückhaltlos den überwältigenden Schmerz ausschütten zu können.

Selbst das Schloß, eben noch heiter im Sonnenschein, stand jetzt im Schatten einer dunklen Wolke, als habe es sich in Trauer gekleidet.

Nach Pauls testamentarischer Bestimmung wurde seine Leiche in der Familiengruft zu Valfort an der Seite Isabellas beigesetzt.

*

Der nahe bevorstehende Einsturz des kirchenfeindlichen zweiten Kaiserreiches, sowie die folgende schwere Heimsuchung seines Vaterlandes, bestätigten wiederum Pauls Überzeugung, daß nur in aufrichtiger Rückkehr zur Kirche und in der Herrschaft christlicher Ideen das Heil Frankreichs beruhen könne.

Ebenso würden ihm die Schreckenstage der Pariser Kommune und die gegenwärtigen Umtriebe der Radikalen bewiesen haben, daß immer noch die Elemente des Bankrottes Einfluß besitzen in Frankreich, das, mit dem Gifte des Religionshasses in seinen Gliedern, nicht genesen kann.


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