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Die Schlacht.

Die Armee der Vendee zerfiel in drei Abteilungen. Die erste Klasse bestand aus Scharfschützen, großenteils mit Doppelbüchsen bewaffnet. Sie bildeten das Korps der Plänkler und begannen die Schlacht. Sie lagen hinter Wällen, durch Bäume und Gebüsche gedeckt, und bewegten sich mit großer Schnelligkeit und Sicherheit in den Hohlwegen und längs der Zäune. Da sie nur auf kurze Schußweiten und ganz sicher zielten, so ging ihnen selten eine Kugel verloren. Beim Vorrücken des Feindes wichen sie eilig zurück, luden die abgeschossenen Büchsen im Laufen, setzten sich abermals in gedeckten Stellungen fest, und sandten ihre tödlichen Geschosse in den Feind. Diese Plänklerkorps hatten keine Offiziere und leiteten sich selbst. Nur der Kern, aus den berühmten Scharfschützen des Bezirkes von St. Jean bestehend, kämpfte unter Paul's erprobter Führung.

Die zweite Abteilung bestand aus den stärksten, entschlossensten Männern, und hieß »die Schar der Tapfern.« Ungestüm und wild war der Anfall dieser Leute. Ihre Kühnheit kannte weder Maß, noch Grenze. Während des Büchsenfeuers der Plänkler rückten sie vor, erhoben ein furchtbares Geschrei und stürzten in kampfglühenden Massen auf die feindlichen Bataillone. So heftig war der Angriff, daß gewöhnlich beim ersten Anprall die Republikaner in Verwirrung gerieten, die Waffen von sich warfen und Reißaus nahmen.

Die dritte Abteilung bildeten jene Bauern, die sich mehr durch Eifer und guten Willen als durch Kraft und Gewandtheit auszeichneten. Sie waren schlecht bewaffnet, führten Äxte, Lanzen, oder auch nur eisenbeschlagene Stöcke. In ungeordneten Haufen standen sie in der Nachhut und kamen selten zum Kampfe.

Als in der Ferne die ersten Schüsse krachten, scharten sich die Frauen um den Pfarrer von St. Jean. Er zog ein Buch hervor und begann, mit lauter Stimme die Litanei von allen Heiligen zu beten.

Auch Isabella kniete nieder. Allein ihr Beten hatte keinen Schwung, keine Andacht. Sie lauschte beständig in die Ferne. Sie wußte Paul in Gefahren, und ihre Seele bebte.

Das Gewehrfeuer wurde immer heftiger. Ununterbrochenes Geknatter und Gekrache, zuweilen ein erschütternder Zusammenknall, wie das plötzliche Entladen Tausender von Gewehren. Nicht einen Augenblick verstummte das Schießen. Ein geübtes Ohr konnte den scharfen Büchsenknall der Schützen deutlich von dem dumpfen Gewehrfeuer der Republikaner unterscheiden. Dann wieder verhallten die Büchsen unter furchtbaren Explosionen, als ob ganze Bataillone zusammenfeuerten. Näher und näher wälzte sich das Getöse heran. Die Republikaner schienen vorzurücken, die Kämpfer der Vendee zu weichen. Die Stimme des vorbetenden Priesters wurde dringender. Die Frauen hoben die Hände zum Himmel.

»Daß Du die Feinde Deiner heiligen Kirche erniedrigen wollest!« rief der Greis.

»Wir bitten Dich, o Gott, erhöre uns!« flehten die Frauen.

Da brauste ein furchtbares Geschrei über die Landschaft. Die Schar der Tapfern griff an. Die Entscheidung nahte. Die Heftigkeit des Gewehrfeuers nahm zu und erstreckte sich auf ausgedehntere Linien. Dann folgte ein Schlag, tief, mächtig, das tausendfache Krachen der Gewehre, betäubend – die Donnerstimme der Kanone. Und zur ersten Stimme gesellten sich rasch mehrere, dann viele, bis ein ganzer Chor von Donnerstimmen seine Wetterschläge über das Land dahinrollte. Weiße Dampfsäulen schossen in die Luft empor, blieben in der windstillen Höhe stehen und bildeten graues Gewölk, das wie ein Leichentuch über dem Schlachtfelde ausgespannt war. In den Donnerschlägen aber und in dem entsetzlichen Rollen versank alles, Kampfgeschrei, Gewehrfeuer, und auch die Stimmen der Betenden.

Isabella kniete am Boden, im Zustande halber Betäubung. Der Kanonendonner, der Pulverdampf, die vorschwebenden Bilder des Entsetzlichsten, die Schrecken ihrer Seele, verwirrten ihre Sinne. Sie glaubte sich mitten im Schlachtgewühl. Sie hörte um sich her die Frauen rufen: »O Du barmherziger Gott, hilf uns! O Du heiliger Gott, erbarme Dich unser! Sei uns gnädig, rette uns!« Sie meinte, den Aufschrei der Fallenden zu hören, die Hilferufe der Verwundeten, – und auch Paul's Stimme, der niedersank, in der Brust die Todeswunde! Sie sprang empor, mit wirren Blicken um sich schauend. Entsetzt aufschreiende Weiber wiesen nach dem Hügelrücken, wo flüchtende Gestalten auftauchten.

»Ach Gott, – wir haben verloren!« schrieen händeringend die Frauen. »Fort, – die Blauen kommen!«

Der alte Pfarrer bemühte sich, die Bestürzten zu beruhigen. »Seid doch nicht so kleinmütig! Ihr wollt davonlaufen, die Verwundeten im Stiche lassen? Unser ist der Sieg! Vertrauet, harret!«

In Wirklichkeit bedeuteten jene fliehenden Männer, die in wachsender Anzahl den Hügel herabstürmten, Rückzug und Niederlage.

General Westermann, die Kampfesweise der Vendee berechnend, hatte ein starkes Plänklerkorps weit vorgeschoben, mit dem die gleiche Waffengattung des Feindes sofort in ein hitziges Gefecht geriet. Dann schob er einige Bataillone nach, deren Führer die Weisung erhielten, sich langsam zurückzuziehen, sobald die Scharen der Tapferen anstürmen.

Bonchamps, Oberbefehlshaber der Vendeer, hatte durch Spione genaue Kenntnis von den Stellungen der feindlichen Armee, ahnte jedoch Westermanns Kriegslist nicht. Als er nun den Befehl zum Angriffe gab, warfen die Scharen der Tapferen, mit ihrem gewöhnlichen Ungestüm, die republikanischen Truppen zurück. Die Sieger drängten heftig vor, die Weichenden leisteten männlich Widerstand, ohne jedoch ihre rückgängige Bewegung einen Augenblick einzustellen. Die Bäume und Wälle mit den hohen Hecken, welche das Land bedeckten, verhinderten Bonchamps, die Bewegungen des Feindes zu erspähen, einen Überblick des Schlachtfeldes zu gewinnen. Er ließ dem Kampfe seinen natürlichen Lauf, nämlich jene Entwicklung, die von den Bodenverhältnissen und der Kampfesart der Insurgenten bedingt war. Zugleich hoffte er von dem unwiderstehlichen Anprall seiner Tapferen denselben Erfolg, wie von Felsblöcken, die von Höhen niederstürzen und alles zermalmen. Aber Bonchamps täuschte sich.

Westermann hatte nur einige leichte Geschütze in das Vordertreffen geschickt. Die übrigen Kanonen waren in verdeckten Batterien und mit kluger Berechnung aufgestellt. Vor diese lauernden Feuerschlünde wurden die ungestüm vordringenden Insurgenten von dem zurückweichenden Feinde gelockt. Mit einem Male begann eine wütende Kanonade. Ganze Fluten von Kartätschen zerrissen die dichten Massen der Aufständischen, ohne jedoch den wilden Ansturm nur einen Augenblick zu hemmen. Über die Leichen der Gefallenen hinweg stürzten die Lebenden auf den Feind. Nur das glühende Verlangen, für die heilige Sache der Freiheit und des Glaubens zu sterben, konnte eine solche Todesverachtung erklären. Aber die Artillerie entwickelte eine steigende Vernichtungsmacht. Neue Batterien wurden demaskiert, die Insurgenten gerieten in ein vernichtendes Kreuzfeuer. Von allen Seiten brachen Feuerströme hervor, und donnernd schmetterten Kanonenschlünde Tod und Verderben in den Feind. Bonchamps gab das Zeichen zum Rückzuge, welcher die gelichteten Scharen bald aus der Schußlinie der Artillerie brachte; denn die Kanonen konnten über die Wälle und Gräben nicht folgen, blieben in Batterien stehen und mußten ihre verderbliche Wirksamkeit einstellen. Diesen Umstand hatte Westermann vorgesehen. Er ließ frische Bataillone anrücken, welche ungestüm die Weichenden angriffen und zurückdrängten, ohne jedoch die zähe Tapferkeit der Aufständischen zur förmlichen Flucht nötigen zu können.

Bonchamps rief die dritte Abteilung seines Heeres zur Unterstützung. Diese bestand aus einigen Tausend schlecht bewaffneten, dem Greisenalter nahe stehenden Bauern. Kühne Leistungen konnten die beschränkten Kräfte dieser Leute nicht erwarten lassen. Sie lagerten in einem Wiesentale, etwa eine Viertelstunde hinter der Schlachtlinie. Als die republikanischen Kanonen zu donnern begannen, beobachteten sie in banger Erwartung den Verlauf des Kampfes. Verwundete schleppten sich heran, begehrten Wasser und ersehnten weibliche Hände zur Verbindung ihrer Wunden. Die trüben Mienen dieser Männer, sowie kurze Bemerkungen, welche eine Niederlage befürchten ließen, waren nicht geeignet, den Mut der Schlechtbewaffneten zu erhöhen. Näher und näher kam das Getöse. Die Freunde wichen, die Feinde rückten vor. Die Leute mit den Äxten und Prügeln überkam der Drang, vor einer Macht zu flüchten, der nicht einmal die Scharen der Tapferen zu widerstehen vermochten. Als nun einige Bestürzte herbeiliefen und schrien: »Fort, – reißt aus, – nichts als Himmel und Blaue! Reißt aus, – Alles verloren!« da bemächtigte sich der Alten ein solcher Schrecken, daß sie ihre Holzschuhe von den Füßen schoben und zu flüchten begannen, – anfänglich zögernd, wie von Scham und dem Vorwurfe der Feigheit gelähmt, dann in wachsender Zahl. Sie wandten sich gegen Osten, einen Hügel ersteigend, der sie auf dem kürzesten Wege in die schützenden Wälder rettete, – dieselbe Anhöhe, welche Isabella von der anderen Seite betrachtete.

Als die besten Läufer nach dem Rastplatze der Frauen die unheilvolle Kunde der Niederlage brachten und zur Flucht mahnten, da ergriffen Schmerz und namenlose Angst die Mütter und Weiber. Ein herzzerreißendes Jammergeschrei erfüllte die Luft. Jede Familie glaubte die Ihrigen tot, und alle erwarteten von der bekannten Unmenschlichkeit der Sieger das Schrecklichste. Nur der greise Pfarrer von St. Jean bewahrte seine Ruhe. Die Arme ausbreitend und die Augen zum Himmel gehoben, rief er im Tone gehorsamer Ergebung: »Herr, dein heiliger Wille geschehe!«

Das Benehmen Isabella's unterschied sich wesentlich von jenem ihrer Umgebung. So lange die Entscheidung schwankte, teilte auch sie die Schwäche ihres Geschlechtes. Sie zagte und fürchtete. Jetzt aber vollzog sich mit einem Schlage eine merkwürdige Verwandlung. Hochaufgerichtet stand sie da. Ihre Wangen glühten, ihre Augen flammten. Von mächtiger Begeisterung ergriffen, dehnten sich ihre Glieder unter den geheimnisvollen Einwirkungen seelischer Kräfte. Ihr schöner Leib wuchs empor zu einer Hünengestalt, angetan mit Würde und Macht und dem Zürnen eines Seraphs, der sich erhebt zum Kampfe. Am Stamme des nahen Baumes lehnte eine kleine seidene Standarte, mit dem Bilde der Muttergottes auf der einen, und mit jenem St. Georg's auf der anderen Seite. Mit der Rechten die Fahne ergreifend und hochhaltend, wies sie mit der Linken zum Schlachtfelde hinüber.

Die Bauern, eben noch voll Angst und zur Flucht gepeitscht, betrachteten mit Staunen und Zagen die strahlende Gestalt, deren dräuendes Zürnen in den leuchtenden Augen und deren ganze überwältigende Erscheinung eine hinreißende Aufforderung war zum Kampfe für Gott und Heimat. Ihr Anblick entzündete die Mutlosen und schwellte die Brust der Zaghaften.

»Was sehe ich, Ihr Männer des Bocage, Ihr fliehet!« rief sie mit helltönender Stimme. »Ihr fliehet vor Feinden, die Ihr so oft überwunden habt? Ihr wollt Eure Heimat, Eure Heiligtümer, Eure Weiber und Kinder jenen Unholden preisgeben? Wo bleibt Euer Glaube an die Heiligkeit Eurer Sache? Euer Vertrauen auf Gottes Hilfe? Wohlan, – folget mir! Ich führe Euch zum Siege unter diesem Banner! Maria und St. Georg!«

Und keiner widerstand einer so außerordentlichen Erscheinung. Alle ergriff ein unbeschreiblicher Enthusiasmus.

»Maria und St. Georg!« riefen sie, schwangen kampflustig ihre Waffen und folgten Isabella, die mit flatterndem Banner, eiligen Schrittes den Hügel erstieg, wie gehoben, getragen und beflügelt von der Macht glühender Begeisterung.

Von der Anhöhe niederlaufende Schwärme sahen die emporsteigende Schar und die geweihte Fahne. Sie vernahmen wiederholt den stürmischen Schlachtruf: »Maria und St. Georg!« Sie stutzten, blieben stehen und glaubten, in Isabella ein höheres Wesen zu schauen, das ihnen Gott zu Hilfe geschickt.

Bezüglich des »höheren Wesens« war die Täuschung nicht vollständig. Auch das blödeste Auge erkannte, daß hier ein Mensch geheimnisvollen Einflüssen gehorche, welche die Naturschranken zu verrücken vermögen, die Schüchternheit der Jungfrau in Heldenmut, die Schwäche in Kraft, die Weiblichkeit in kühne Mannhaftigkeit verwandeln. War auch Isabella kein Engel des Himmels, kein St. Michael, wie die Bauern meinten, so war sie doch ein Medium des Überirdischen, ein Rüstzeug Gottes, dessen Anblick genügte, die ganze dritte Abteilung des Heeres in der Flucht zu hemmen und zum begeisterten Kampfe fortzureißen.

Auf dem Rücken des Hügels angelangt, blieb sie stehen, mit ihr die Bauern. Sie blickten zu Tal, wo die Republikaner Schritt vor Schritt Feld gewannen. Stets kämpfend wichen die Insurgenten langsam zurück, von Wall zu Wall, unausgesetzt ihre sicher treffenden Büchsen und Gewehre entladend. An manchen Punkten kam sogar das Gefecht zum Stehen. Es bedurfte augenscheinlich nur einer geringen Unterstützung, um den Sieg zu wenden.

Dieselbe Macht, welche Isabella zum Außerordentlichen begeisterte, zeigte ihr jetzt den Weg, den Feind tödlich zu treffen. Nach einem Punkte hindeutend rief sie mit lauter Stimme: »Dort werfet Euch den Blauen in die Seite und schlaget sie mit Vernichtung! Vorwärts, – Maria und St. Georg!«

Ein kampfdurstiges Geschrei ausstoßend, stürmten die Männer von der Höhe nieder.

Isabella blieb auf dem Hügelrücken stehen, das wehende Banner hochhaltend, weithin sichtbar, wie ein Mahnzeichen für die Streitenden zur Tapferkeit, und wie eine Verheißung des Sieges. Nur zwei hochbetagte Knechte, deren besonderer Hut Paul seine Braut empfohlen, standen ihr zur Seite.

Wie ein Sturmwetter fiel die letzte Heeresabteilung der Insurgenten dem Feinde in die Flanken. Wütend schlugen sie mit Äxten und Prügeln, und stachen mit Lanzen in den Feind. Dieser eben so unerwartete, wie ungestüme und gefährliche Angriff brachte die Blauen in Verwirrung. Die Scharen der Tapferen benutzten rasch die glückliche Wendung, erhoben ein wildes Kriegsgeschrei und gingen zum Angriffe über.

Kurze Zeit vor dem Augenblicke, als Isabella auf der Höhe erschien, mußte der schwerverwundete Paul von Valfort das Schlachtfeld verlassen. Baron Martel und Pierre stützten den Wankenden und brachten ihn an einen sicheren Ort hinter der Linie. Sie öffneten sein Kleid und fanden knapp unter der linken Schulter eine tiefe Schußwunde. Pierre wurde leichenblaß; denn sofort erkannte er die Tötlichkeit der Verwundung.

»Es hat nichts zu bedeuten, – nur ein Streifschuß!« behauptete der vom Kampfe erregte Valfort. »Mußte gerade jetzt die tückische Kugel treffen, – jetzt, wo man das Unglück des Tages wenden könnte? Rasch – stillet das Blut, – leget Verband an, – ich fühle mich stark genug, die Büchse zu führen!«

»Sie bedürfen der Ruhe und Pflege, mein Freund!« versetzte Martel, eifrig bemüht, mit Pauls Schärpe einen dürftigen Verband herzustellen. »Hätten wir doch Charpie, – es blutet entsetzlich!«

»Soll ich hinüberlaufen zum Rastplatz der Frauen?« erbot sich der bestürzte Pierre.

»Dummkopf, – hier bleibst Du!« zürnte Valfort. »Willst du den bloßen Schein erwecken, im Augenblicke höchster Not davon gelaufen zu sein? Martel, ich beschwöre Sie, mich meinem Schicksale zu überlassen und mit Pierre in den Kampf zurückzukehren!«

»Einen Waffenfreund elend verbluten zu lassen, wäre ebenso schimpflich, als feige zu fliehen vor dem Feinde«, entgegnete der Baron.

»Zum Verzweifeln! Hören Sie denn nicht, daß immer noch die Blauen Boden gewinnen? Ist niemand da, der sie zurückpeitscht? Nicht allein kampfunfähig, bin ich noch dazu verurteilt, zwei tapfere Männer zurückzuhalten vom Kampfe, – zurückzuhalten im Momente höchster Not!«

»Heiliger Gott, – was ist das? Kommen uns die himmlischen Heerscharen zu Hilfe?« rief Pierre, zur Höhe hinüberdeutend, wo die goldgestickte Standarte in Isabella's Hand leuchtend flatterte, und eine dichte Masse Bewaffneter auftauchte.

Die beiden Edelleute sahen und staunten. Jetzt erkannte Paul's Falkenauge die weibliche Gestalt.

»Bei allen Heiligen, Isabella!« sprach er.

In demselben Augenblicke stürmte die dritte Heeresabteilung von der Höhe nieder. Ihr betäubendes Schlachtgeschrei erschütterte die Luft und übertönte das Gewehrfeuer. Darauf erscholl ein mörderisches Getöse von der Stelle, wo die Anstürmenden in den Feind brachen. Dann riefen Hornsignale die Scharen der Tapferen zum allgemeinen Angriffe. Ein wütender Kampf entbrannte. Die Republikaner wurden zurückgeworfen, ihre Reihen durchbrochen und bald lösten sich die Bataillone in völlige Flucht auf. Wachsmuth, Bd. II. S. 222.

»Viktoria!« rief Pierre triumphierend. »Gnaden, – hören Sie das Siegesgeschrei der Unsrigen? Viktoria!«

Paul saß am Boden, mit dem Rücken an einen bemoosten Stein gelehnt, fortwährend nach Isabella hinüberschauend. Wie in weiter Ferne, und wie eine Sache, die ihn kaum berührte, vernahm er das Schlachtgetöse. Er fühlte nicht den Schmerz der Wunde, beklagte nicht mehr seine Unfähigkeit zum Streite, er sah nur Isabella, die in luftiger Höhe, wie losgelöst von der Erde, die Siegesfahne in der Hand, zu schweben schien. Und als jetzt die Hörner die bekannten Siegesfanfaren schmetterten, brachen Tränen aus den Augen des jungen Mannes.

»Martel«, sprach er mit schwacher Stimme und seligem Lächeln, »Frankreich hat nicht bloß eine Jungfrau von Orleans, sondern auch eine Jungfrau von Chatillon.«

Noch ein Blick auf Isabella, – das Bewußtsein schwand ihm und er lag ohnmächtig in den Armen Martel's.


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