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Abermals Gewölk.

Das Leben in Valfort begann jenen regelmäßigen Kreislauf wieder, welchen der Revolutionssturm unterbrochen hatte. Englisches Geld und bourbonische Umtriebe versuchten zwar, die Vendee zur Empörung gegen die bestehende Regierung zu verleiten. Paul's Teilnahme konnte jedoch der neue Aufstand nicht finden, weil derselbe den Interessen des gestürzten Königsgeschlechtes und den unlauteren Absichten der Engländer dienen sollte. Paul arbeitete nach Kräften dem Aufstande entgegen. Derselbe gedieh zu keiner Bedeutung und erlosch bald.

Mit lebhafter Teilnahme verfolgte Baron Valfort die glänzende Laufbahn Napoleon Bonaparte's, in dem er ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung zu erkennen glaubte. Die Leistungen dieses Mannes überstiegen weit das Maß des Gewöhnlichen. Er hatte sich aus eigener Kraft, auf den Schwingen des Genie's, vom Artillerieoffizier an die Spitze der französischen Armee rasch emporgeschwungen. Der Sieg schien ihm vermählt. Er schlug die Italiener, die Österreicher, die Russen, und trug seine Waffen siegreich bis nach Ägypten. Die gleiche geniale Begabung bewies er für das Verfassungsleben. Durch endlose Parteikämpfe war Frankreich innerlich zerrissen, nirgends Halt, Ordnung, Sicherheit. Das todmüde gehetzte Volk ersehnte Ruhe, haltbare, staatliche Verhältnisse. Dies alles gab ihm Napoleon. Das schwache Direktorium jagte er davon, den gesetzgebenden Körper trieb er auseinander. Dann griff er mit starker Hand in das Chaos, und begann die Riesenarbeit einer neuen Regierungsform. Er ließ sich zum Konsul wählen, umgab sich zum Scheine mit republikanischen Äußerlichkeiten, war jedoch in Wirklichkeit Frankreichs Herrscher. Das Volk jauchzte ihm zu, weil es dem siegreichen Feldherrn vertraute, weil es den Drang fühlte, sich an den Gewaltigen festzuklammern, sowie das Bedürfnis nach Kraft und Ordnung empfand.

Auch Paul gehörte zu den Bewunderern Napoleons. Im Kreise der Familie erzählte er gerne sein Begegnen mit dem Kapitän Bonaparte in Paris, und dessen Rettung aus den Henkerfäusten der Sanscülotten.

»Er hat mir zwar einen Besuch versprochen, und ich wäre glücklich, dieses leuchtende Meteor am Himmel göttlichen Waltens empfangen zu dürfen. Indessen wäre es mehr als unbescheiden, die Beachtung eines Mannes zu fordern, der um sein Haupt den Lorbeer vieler Siege und auf den Schultern Frankreichs staatliche Ordnung trägt.«

Dennoch sollte der Baron, wider alles Erwarten, mit Napoleon in nahe Berührung kommen.

Isabella war eine würdige Schülerin Salome's. Mit Umsicht und Eifer schaltete sie in dem ausgedehnten Haushalt. Das Gesinde achtete und bewunderte sie. Kein Mißton trübte das Glück ihres Ehelebens. Der Baron liebte sein Weib in ungeschwächtem Maße, es war und blieb das Kleinod seines Herzens. Kehrte er von seinen Berufsgängen nach den Feldern und Weilern müde und erschöpft zurück, so genügte ein seelenvoller, hingebender Blick aus ihren treuen Augen, den abgespannten Gutsherrn zu erheitern, und ihn alle Widerwärtigkeiten vergessen zu lassen, die mit einem so großen Grundbesitze verbunden sind. In vier Jahren hatte sie ihm drei Mädchen geschenkt, die kräftig heranwuchsen. Seine Vaterfreuden und das Bewußtsein, im Besitze einer Gattin zu sein, die nur für ihn zu leben schien, genügten vollkommen, dem jungen Manne alle Zerstreuungen entbehrlich zu machen, und nur im trauten Familienkreise Erholung und Vergnügung zu suchen. Da stellte sich bei Isabella ein Gemütszustand ein, der Paul in großen Schrecken versetzte.

Der Winter kam frühe und mit großer Strenge in das Land. Es schneite unaufhörlich. Die grauen Wolken strichen über die Hügelrücken dahin und glichen einer Decke, die sich auf Alles niedersenkte. Dann kam Nordwind, heiterer Himmel, scharfe Kälte und Schneedecke, so weit das Auge reichte. Das Landleben in der Vendee wurde ungemein einförmig. Man hörte nur die regelmäßigen Schläge der Dreschflegel und das Geklapper der Windmühlen. Die Natur schlief, und auch die Menschen schienen von einem Halbschlafe befangen, welcher die Öde und Langeweile des winterlichen Daseins nicht empfinden ließ. Schon im vergangenen Winter hatte Paul an seiner Gattin eine trübe Stimmung bemerkt, die ihn beunruhigte. Seiner erheiternden Unterhaltung und liebevollen Aufmerksamkeit gelang es, den unheimlichen Geist zu beschwören. Nun aber trat dieser krankhafte Zustand in einer solchen Stärke hervor, daß Valfort in hohem Grade bestürzt wurde. Isabella sprach immer weniger, saß stundenlang an derselben Stelle und starrte über die endlose Schneefläche. Dem Haushalte wartete sie mit gleicher Regelmäßigkeit, allein ihr Tun war mechanisch und lustlos. Selbst das Lächeln der Kinder schien den wehmütigen, an Trübsinn grenzenden Ausdruck im Angesichte der Mutter zu verstärken.

In der zartfühlendsten Weise versuchte Paul, Ursache und Wesen dieses Zustandes zu ergründen. Sie beruhigte ihn. Seine Angst hatte nur die Folge, daß Isabella ihren Zustand vor ihm zu verbergen strebte. Sie lächelte bei seinem Eintreten in das Zimmer, aber sie lächelte in einer Weise, die ihm durch die Seele schnitt. Ihr Lächeln erschien wie ein Weinen der Seele, von der Liebe in ein heiteres Gewand gekleidet. Sie lächelte wie ein Opfer, das lieber sterben, als den Geliebten betrüben will. Drang er in sie um Aufklärung, so stürzten zuweilen Tränen aus ihren Augen, sie schlang den Arm um seinen Nacken und küßte ihn.

»Sei beruhigt, mein Paul! Was könnte mir fehlen, da ich Dich habe? Frauenlaunen, weibliche Stimmungen, die keiner Beachtung wert sind.«

Allein das Übel wuchs und mit ihm Valforts grenzenlose Angst. Er sprach wiederholt mit dem Grafen, Isabellas Vater. Diesen hatte der Winter von seinen Bußarbeiten auf dem Steinfelde vertrieben. Er bewohnte ein abgelegenes, stilles Gemach, wo er die Kirchenväter las und sich in religiöse Betrachtungen versenkte.

»Ich habe dieselbe Wahrnehmung gemacht und meine Tochter um Erklärung ihres Benehmens gebeten. Sie beruhigte mich. Neulich aber brach sie in einen Strom von Tränen und in Anklagen gegen sich selber aus. »O ich Undankbare!« rief sie schmerzlich. »Gottes Güte gab mir Glück und Frieden an der Seite eines Gatten, dessen ich unwürdig bin. Mein Paul und meine Kinder sollten mir die höchsten irdischen Güter sein, – mich erfüllen mit Wonne. Und mich zerknicken und zerbrechen äußere Verhältnisse, – Kleinigkeiten, nicht der Rede wert, – die Einsamkeit, die Ode, die Rauheit des Winters! Ich verdiene jede Züchtigung und will ohne Klage leiden.« – Eine Gemütskrankheit, wie Du siehst, lieber Paul!«

»Woher mag dies kommen?«

»Ich suchte bereits nach einer Erklärung und fand die Ursache des Leidens in dem Gegensatze zwischen Gegenwart und Vergangenheit,« antwortete Graf Wilhelm. »Du hast mein unseliges Haus gesehen, in dem rauschende Vergnügen und glänzende Gesellschaften wechselten ohne Ende. Isabellas rege Teilnahme fand zwar jene Lebensweise nicht, dennoch blieb dieselbe nicht ohne mächtige Einflüsse, – auch meine Schuld!« seufzte er. »In den ersten Jahren ihres Hierseins ersetzte das Ungewöhnliche, das Neue den Abgang früherer Gewohnheiten, den Mangel zerstreuender Lustbarkeiten. Jetzt haben das Ungewöhnliche und Neue den ersetzenden Einfluß verloren, die Folgen früherer Lebensgewohnheiten treten zutage. Während mich die Einöde der Vendee beglückt, die Grabesruhe ringsum ernste Betrachtungen fördert, üben Stille und tägliches Einerlei auf das Gemüt Isabellas nachteilige Einwirkungen. Ihr Zustand erscheint mir wie eine Art Heimweh nach dem Vaterhause Rovere.«

Der Baron überlegte das Vernommene und nickte bestätigend.

»So ist es! Und das Heimweh soll eine gefährliche Krankheit sein.«

»Beruhige Dich, mein Sohn! Isabella wird diese Schwäche überwinden. Ihre Liebe zu Dir ist tief und innig. Du weißt ja, die Liebe erträgt alles, duldet alles, überwindet alles!«

»Von der Wahrheit und Opferfreudigkeit ihrer Liebe bin ich überzeugt,« versetzte der Baron. »Meine Isabella wird ohne Klage leiden. Sie wird das ergebene Opfer eines schleichenden, vielleicht tödlichen Übels sein. Mir aber gebietet dieselbe Liebe zur Heilung und Rettung meiner Gattin alles einzusetzen.«

Insgeheim schickte er seinen Vertrauten Pierre mit einem Briefe zum Arzte. Dieser kam zum Besuche.

»Ich habe einige Kranke in St. Jean,« erklärte er Isabella, »und wollte mir bei dieser Gelegenheit die Ehre nehmen, Sie und Ihre werte Familie zu begrüßen.«

Lange unterhielt er sich mit der Leidenden, die nicht ohne Anstrengung dem Zwange des gesellschaftlichen Anstandes genügte.

Valfort begleitete den Arzt eine Strecke Weges.

»Was halten Sie von dem Zustande meiner Gattin?«

»Unbedenklich ist er gegenwärtig gerade nicht, könnte sich jedoch verschlimmern, höchst bedenklich, sogar tödlich werden.«

Paul erschrak so heftig, daß er stehen blieb, erblaßte und den Doktor mit weit offenen Augen anstarrte. Ein solches Urteil hatte er nicht erwartet.

»Wie gesagt,« fuhr der Doktor fort, Pauls Entsetzen gewahrend, »im gegenwärtigen Stadium besteht noch keine Gefahr, obwohl die Krankheit nicht unbedenklich ist und zwar deshalb nicht, weil sie in steigendem Grade wiederholt. Gemütsleiden sind tückische Übel, die gleichsam in Filzschuhen einherschleichen und allgemach die Lebenskraft untergraben.«

»Welchen Ursachen schreiben Sie das Leiden zu?« frug der Baron mit einer Stimme, die ihren metallreichen Klang verloren hatte.

»Die Entstehungsgründe scheinen mannigfache zu sein, – jedenfalls sind die Schrecken und körperlichen Anstrengungen der Vergangenheit nicht unbeteiligt. Wunderte mich längst, wie ohne schlimme Folgen die gnädige Frau aus dem Wirbelsturm von Bedrängnissen hervorgehen konnte. Was hat sie nicht durchgemacht während Ihrer langwierigen Krankheit! Welche körperliche Anstrengungen verursachte ihr die liebevolle Pflege, abgesehen von den beständigen Ängsten und Gemütsbewegungen! Besäße die gnädige Frau nicht eine Konstitution von seltener Kraft und Zähigkeit, sie hätte längst erliegen müssen. Es haben sich Krankheitskeime gebildet, die sich jetzt durch äußere Einflüsse zu entwickeln beginnen.«

»Was verstehen Sie unter diesen äußeren Einflüssen?«

»Nun, mein lieber Baron, wir beide sind Kinder der Vendee, gewöhnt an das Stilleben und die Einförmigkeit unserer Heimat. Um kurz meine Ansicht zu sagen, so geht dieselbe dahin, die gnädige Frau bedarf dringend einer Luftveränderung, eines anregenden, zerstreuenden Wechsels. Ein längerer Aufenthalt im reizenden Limousin, in Rovere, wo das Gemüt durch tausend Erinnerungen angesprochen wird, dürfte von der besten Wirkung sein.«

Valfort eilte zum Grafen und meldete ihm des Doktors Diagnose.

»Mein Gott, welches drohende Unglück!« rief der geängstigte Gemahl aus. »Jede Prüfung wollte ich ergeben tragen, dem schwersten Schlage stehen, – aber den Verlust meiner Isabella, – nein, das übersteigt mein Vermögen, – das würde mich zerbrechen!«

»Der Doktor hat zu schwarz gesehen, Dir unnötigen Schrecken eingejagt,« behauptete Rovere.

»Nein, – nein, – die Gefahr besteht! Wir müssen ihr begegnen,« rief Paul erregt. »Der Arzt hat Recht, – ein Aufenthalt in Rovere wird von der heilsamsten Wirkung sein.«

»Erstrebe keine Unmöglichkeiten! Rovere ist ja Staatseigentum.«

»Der Staat verkauft und das Oberhaupt des Staates ist mir verpflichtet. Konsul Bonaparte wird die Bemühungen seines Lebensretters unterstützen.«

»Rovere liegt öde, verwüstet, ohne Einrichtung.«

»Einige Wochen genügen, die notwendigen Gemächer wohnlich herzustellen. Keine Einwendungen, mein Vater! Müßte ich Valfort verkaufen, um Rovere zu erwerben, müßte ich meine Heimat verlassen, für die ich so oft das Leben eingesetzt, – jedes Opfer bringe ich, meine Gattin zu erhalten.«

Ohne des Grafen Entgegnung abzuwarten, verließ Paul rasch das Zimmer.

»Es ist schon so, wie hier geschrieben steht!« murmelte Graf Rovere, auf eine Stelle der Bibel deutend, die vor ihm geöffnet lag. »So hat Gott, der Herr, zum ersten Menschenpaare gesprochen: »Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen«. Was Mann und Weib verbindet, ist eine von Gott gewollte, in das Menschenherz gesenkte Macht. Von mir kann ich Unseliger dies nicht sagen; denn Gott lebte nicht in mir.«

Der Baron war nach seinem Arbeitszimmer geeilt und hatte Pierre rufen lassen. Dieser bewohnte mit seinem Weibe, der munteren Hanna, ein freundliches Gelaß in den Ökonomiegebäuden. Er bekleidete das Amt eines Aufsehers, ohne die Ehrenstelle eines Vertrauten seines Herrn einzubüßen. In wenigen Worten erklärte ihm Valfort die Lage.

»Davon hat mir Hanna längst gesagt, Gnaden! Sogar geweint hat sie oft über die gar zu große Traurigkeit der gnädigen Frau, die allen Lebensmut verloren habe.«

»Und mich Blinden beruhigten oberflächliche Beobachtungen!« rief Paul, sich vor die Stirne schlagend.

»Blind waren Sie nicht, Gnaden! Hanna erzählte, jedesmal, so oft Sie in die Nähe kamen, Ihre Stimme und Tritte hörbar wurden, habe die gnädige Frau sich zusammengerafft und angestrengt, heiter zu scheinen. Darum konnten Sie nicht sehen, wie's eigentlich steht.«

»Und Du hast mir nichts davon gesagt?«

»Gnaden, Verzeihung, – wie durfte ich verraten, was die gnädige Frau zu verbergen trachtete?«

»Ah, – Du stehst auf ihrer Seite und bist mir deshalb noch schätzbarer! Schon gut, Pierre! Morgen reiten wir, – nach Paris. Rüste alles.«


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