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Feudal.

Das Schloß des Grafen Rovere erhob sich auf einer sanften, die nächste Umgebung beherrschenden Anhöhe. Der stolze Edelsitz war ein Prachtbau im kalten Renaissancestil. Weitläufige Gartenanlagen mit Weinlauben, Ziersträuchern, Blumenbeeten und Buschwerk umgaben denselben. Auch die nackten Figuren einer geschmacklosen und geistig armen Zeitrichtung fehlten nicht, zum vermeintlichen Schmuck der Anlagen. Dennoch war der Adel zur Revolutionszeit einige Stufen in der Menschenwürde tiefer gestiegen als jener gewesen, welcher die nackten Männer und Frauen und Faune aus Marmor bilden ließ. Ein richtiger Edelmann der Zopfzeit mußte nämlich viele Schulden haben und seine Gläubiger nicht bezahlen. Es gehörte zum guten Ton, Maitressen zu halten, seine glänzende Equipage vor der Türe einer berühmten Tänzerin stehen zu haben und dabei seiner Frau jede sittliche Ausschreitung zu gestatten. Cantu, Bd. XII. S. 964.

»Wir, der junge Adel,« schreibt Herr von Segur, »schritten ohne Unruhe für die Zukunft heiter auf einem Blumenteppich dahin, welcher uns den gähnenden Abgrund verbarg. Voltaires Philosophie riß uns in ihrer spottenden Weise mit sich fort, indem sie uns amüsierte. Man betrachtete alle sittlichen Bande als Ketten, sowie den alten Glauben und geheiligte Sitten als Vorurteile. Aber kein furchtbareres Erwachen folgte jemals verführerischen Träumen. Mémoires de Segur I. 25.«

Nicht allein das Vorbild des absoluten, im Sumpfe der Entartung dahinfaulenden Königtums hatte das Sittenverderbnis des Adels bewirkt, sondern auch die Einflüsse einer schlechten Philosophie. Der alte Lügengeist durchschritt im Philosophenmantel ganz Frankreich, besuchte mit Vorliebe die Schlösser, pries des Menschen freie Selbstbestimmung, verwarf den Zwang religiöser Pflichten und gewann zahllose Anhänger. Die unerwarteten Erfolge machten die Philosophen kühner. Sie unternahmen es, das Christentum von der Erde verschwinden zu lassen. Sie organisierten sich, entwarfen kluge Vernichtungspläne und bildeten allzeit schlagfertige und stets kämpfende Streithaufen, mit einem kriegskundigen General an der Spitze – Voltaire.

»Sollte es fünf bis sechs Menschen von Verdienst, die miteinander im Einverständnisse sind, nicht gelingen, das Christentum zu vernichten, da es zwölf dummen Kerlen gelang, dasselbe zu stiften?« meint Voltaire. Lettre à d'Alembert. 24 Juli. 1760.

Diese Siegeszuversicht ihres Generals teilten sämtliche Philosophenhäuptlinge, – nicht ohne Grund. Denn mit den Christenfeinden im Philosophenmantel hatten sich die Illuminaten und Freimaurer verbündet. Diese Geheimbündler herrschten an den Fürstenhöfen, sie waren die Räte der Krone und bekleideten die höchsten Staatsämter.

Auch einen gemeinsamen Schlachtruf hatten die Philosophen. Er hieß: »Nieder mit der Infamen!«

Unter »der Infamen« verstanden sie die Kirche des Sohnes Gottes.

Die Waffen der Philosophen waren geistige. In Werken mit gelehrtem Anstrich, in Schauspielen, Romanen, Gedichten, Broschüren und Flugblättern verbreiteten sie mit vielem Fleiße antichristliche Gesichtspunkte. Ebenso geschickt gebrauchten sie das lebendige Wort in den höchsten Gesellschaftskreisen, an Fürstenhöfen, in Palästen und Schlössern des Adels. Nach wenigen Jahrzehnten ergoß sich die philosophische Aufklärung wie eine Giftflut über ganz Frankreich.

Die Verhöhnung des religiösen Glaubens und christlicher Sittenlehre wurde Mode.

Verachtung jeder göttlichen Offenbarung war ein Merkmal zeitgemäßer Bildung.

Die biblischen Berichte als Ammenmärchen zu verlachen, erwarb den Ruhm der Wissenschaftlichkeit und Philosophie.

Glaubenstreue hingegen und frommer Wandel verfielen der Lächerlichkeit.

Jedermann beeilte sich, die Schranken der christlichen Sittengesetze zu durchbrechen und die philosophischen Ehren zu erlangen. Nicht allein unter Vornehmen, sondern auch unter Handwerkern, Lakaien und Bauern wimmelte es von Philosophen und Philosophinnen. Denn auch das Frauengeschlecht wollte nicht den Dummköpfen des Glaubens, wohl aber den Denkenden und Genießenden des Unglaubens beigezählt werden. Vgl. Stark-Buchfelner, Triumph der Philosophie. S. 19-141.

Nur wenige bemerkten den Abgrund, zu dem eine solche Richtung hintreiben mußte. Zu diesen wenigen gehörte Frankreichs erster Minister, Kardinal Fleury.

»Man sieht nur Leute,« schreibt er in seinen Denkwürdigkeiten, »die sich der Vermessenheit ihres Stolzes oder den Verirrungen hingeben, zu denen Leidenschaften sie treiben. Nie zeigte man so üppige Pracht, nie solche Verachtung gegen die Tugend. Der Luxus lebt von Ungerechtigkeit, der gewaltsame Zustand, in dem sich alle befinden, vernichtet den Grund der Sitten. Und doch erhebt sich niemand dagegen, niemand findet es befremdend, daß sich alle unsere Zeitgenossen vom Strome fortreißen lassen und dem allgemein herrschenden Vorurteil huldigen, es helfe zu nichts, besser als andere zu leben, weil nach diesem Leben nichts von uns übrig bleibe. Die Macht schlechter Begierden hat das Licht erstickt oder doch verdunkelt. Sollten wir vielleicht in die letzten Tage getreten sein, wo christliche Liebe erkaltet, wo Gottlosigkeit herrscht und wo der Menschensohn, wenn er kommt, keinen Glauben mehr findet auf Erden!« Gfrörer, Bd. II. S. 126 f.

Glauben fand auch der Menschensohn nicht auf dem Grafenschlosse Rovere. Ein so altes, angesehenes Geschlecht mußte selbstverständlich dem Zeitgeiste huldigen, dem religiösen Unglauben und der Philosophie. Der Graf hielt zwar noch einen Schloßkaplan, aber nicht als Seelsorger, sondern weil derselbe herkömmlich und zum Glanze der Familie gehörte.

Bis zu den feinsten Unterscheidungen wurden zu Rovere die Formen zeitgemäßer Bildung beobachtet. Dahin gehörte eine gewisse leere Gefühlsschwärmerei, eine nichtige, tatlose Empfindelei. Für alles hatte die allgemeine Verweichlichung der Sitten ein schwächliches Wohlwollen. Man beklagte den harten Druck des verarmten Volkes, man ließ sich herab, mit den Unterdrückten flüchtig zu verkehren, aber man dachte nicht daran, das Joch der Hörigen zu erleichtern. Es lag in dem feudalen Wohlwollen keine Wahrheit, es war nur Schein, Phrase, Modesache.

Während der Adel dem absoluten Königtum gegenüber zum gefügigen Hofadel herabgesunken war, hielt er starr an seinen Vorrechten und Privilegien dem dritten Stande gegenüber. Unerbittlich übte er seine Jurisdiktion über die Bauern. Das Rechtsverfahren entsprach oft mehr der Willkür des Feudalherrn als den Gesetzen. Er bewachte eifersüchtig das Privilegium, alle höheren Staatsämter zu erhalten. Der Edelmann konnte solche Ämter niederlegen, ohne deren Einkünfte zu verlieren. Kinder von langen Ahnenreihen wurden gleichsam in goldgestickten Uniformen geboren. Es gab Herzöge und Grafen von sieben Jahren, welche Obristen waren und deren Gehalt bezogen. Aber für den talentvollen, strebsamen Bürgerlichen gab es keine Möglichkeit, eine Stellung in der Gesellschaft zu erringen, die seinen Vorzügen entsprach. Wachsmuth, Bd. I. S. 8 ff.

Der Seidenweber Gilbert durfte wohl erwarten, vom Grafen Henry herablassend empfangen und angehört zu werden, weil diese Behandlungsweise eines Bürgerlichen zur Mode gehörte. Hoffen durfte er aber nicht, den Feudalherrn zu einer wirklichen Teilnahme oder zur Entsagung auf ein Recht über die Hörige Madelon zu bewegen. – Die Schwierigkeit seines Unternehmens wurde Thomas klarer, sein Mut kleiner, je mehr sich der junge Mann dem Schlosse näherte. Stürmischen Schrittes hatte er Nod verlassen, wie ein Mensch, der ein natürliches Recht gegen himmelschreiende Anmaßung verteidigen will. Und jetzt nahte er unsicher und scheu dem Schloßtor. Nach einigem Bedenken und Räuspern zog er die Glocke. Sofort öffnete sich die kleine Tür im Torflügel. Der Seidenweber trat ein und stand einem merkwürdig gebildeten Menschen gegenüber.

Gilberts Gegenüber war ein Mann von mittlerer Größe, im besten Lebensalter. Seine ungewöhnlich langen Beine standen mit dem Oberkörper in keinem Verhältnis. Die Schultern zeigten gegen die Armgelenke hin eine bedenkliche Neigung himmelwärts zu steigen, so daß der Hals wie aus dem Mittelpunkte einer Mondsichel hervorwuchs. Ebenso merkwürdig war die Bildung des Kopfes und Gesichtes. Ersterer hatte die Richtung seiner Ausdehnung gleichfalls himmelwärts genommen und hiedurch eine Form erhalten, die mehr einer Flasche als einer Kugel glich. In dem langen Gesichte nahm alles die Form der Mondsichel an. Die beiden Brauen wölbten sich in hohen Bogen über den Augen. Die Nase bildete eine stark gekrümmte Linie, deren äußerstes Ende fast die Oberlippe berührte. Sichelförmig war auch der Mund und von solcher Ausdehnung, daß ihm die Neigung innezuwohnen schien, mit den Winkeln die Ohrläppchen zu erreichen. Ein langer, spitzgedrehter Knebelbart hing am Kinn, das Komische der ganzen Gesichtsbildung zu erhöhen. Als Gegenstück zur Verlängerung des Gesichtes nach unten durch den Knebelbart saß auf dem Kopfe eine hohe, kegelförmige Filzmütze. Die beiden Hände staken in den Seitentaschen eines langen Rockes, der augenscheinlich auf den Leib seines gegenwärtigen Trägers nicht angemessen war. Der Gesichtsausdruck des Menschen war gutmütig, aber im Blick leuchtete schalkhafte Laune und in den Linien des Mienenspiels saß allenthalben der Schelm.

Thomas hatte seinen ganzen Vorrat von Anstandsförmlichkeiten zusammengerafft, von denen er jetzt, im Bewußtsein, einem herrschaftlichen Schloßbeamten gegenüber zu stehen, und in der Beklommenheit seiner Notlage den ausgiebigsten Gebrauch machte. Seine Verbeugungen waren sehr tief und endlos, bevor er sich erlaubte, die Stimme im bescheidensten Tone zum Herold seines Anliegens zu machen.

»Habe ich die Ehre, den gnädigsten Grafen zu sprechen?«

Die Frage goß einen ganzen Strom humoristischer Laune über den Langrock aus. Die sichelförmigen Augenbrauen stiegen noch höher, der Halbbogen des Mundes dehnte sich noch weiter gegen die Ohren und noch schalkhafter glänzten die Augen.

»Leider kann ich Ihnen diese Ehre nicht gewähren, mein Sohn, sintemal ich nicht der Graf in allerhöchster Person, sondern nur des Grafen Torhüter David bin.«

»Um Vergebung, mein Herr!« sagte Thomas errötend. »Ich wollte eigentlich fragen, ob ich die Ehre haben könnte, den gnädigsten Herrn Grafen zu sprechen?«

»Wem soll der Graf diese Ehre geben?«

»Dem Seidenweber Thomas Gilbert aus Limoges.«

»Seidenweber, – ein hübsches Metier!« rühmte David lächelnd. »Ihre Kunst macht Grafen, Herzöge, Fürsten, Könige und Kaiser, wenn es wahr ist, daß Kleider Leute machen. Da nun, die Wahrheit eines unbestreitbaren Satzes angenommen, große Herren ohne seidene Kleider unmöglich sind, so folgt daraus, daß Ihre Kunst Grafen, Fürsten, Könige und Kaiser macht. Dennoch können Sie den Grafen nicht sprechen, mein Sohn, dieweilen der Herr im Deputiertensaal zu Versailles sitzt, wenn er es nicht gerade vorzieht, im Schloßpark frische Luft zu schöpfen.«

»Ich weiß dies, mein Herr! Vielleicht könnte ich aber wagen, den gnädigen Grafen Henry zu sprechen.«

»Wagen können Sie dies wohl, mein Sohn, wenn anders Ihre Absichten kein Wagnis enthalten.«

Thomas stand überlegend und sann, ob er nicht einem Manne, der ihm so klug und wohlwollend erschien, sein Geheimnis anvertrauen und von dessen Einsicht Vorteil ziehen könnte.

»Was ein Wagnis in Schlössern bedeutet, weiß ich nicht, aber mein Anliegen ist dieses,« – und er berichtete ausführlich.

Davids Gesicht war wo möglich noch länger geworden und ein Zug stiller Entrüstung glitt darüber hin.

»Echt feudal!« sprach er halblaut.

»Gewiß fatal!« bestätigte Gilbert. »Einem jungen Menschen, der im Begriffe steht, sich zu verheiraten, könnte eine größere Fatalität gar nicht zustoßen.«

»Zu Ihrer Fatalität hat aber doch die Feudalität des Grafen Rovere ein gesetzliches Recht, mein Sohn! Und wenn Ihre Fatalität mit der Feudalität in Streit sich einläßt, so wird der Feudale über den Fatalen einen glänzenden Sieg davontragen.«

»Was raten Sie mir demnach, Herr David?«

»Ich rate Ihnen zu bedenken, daß feudale Herren oft fatale Wünsche, noch fatalere Gelüste und alle Rechte haben, – der Feudalen Knechte und Mägde hingegen keine Wünsche und noch weniger Rechte haben dürfen.«

»Ich verstehe!« sagte Gilbert mit erwachendem Unwillen. »Sie meinen demnach, man müsse sich das Schimpflichste gefallen lassen und jedes Menschenrecht vergessen?«

»Ah, – Sie reden von Menschenrechten? Ein gefährliches Wort in einem Feudalherrnschloß!« sprach der Torwächter. »Hätten Sie keine Zeitungen gelesen und darin keine Menschenrechte gefunden, dann hätten Sie nicht notwendig, Menschenrechte zu vergessen. Menschenrechte gibt es für Hörige doch nur auf Zeitungspapier. Sehen Sie, mein lieber Sohn, deshalb ist's klug, nichts zu lernen; denn wer nichts gelernt hat, braucht sich der Mühe des Vergessens nicht zu unterziehen.«

»Bin kein Höriger, mein Herr!«

»Eines Feudalen Höriger sind Sie zwar nicht, wohl aber des Monopols Höriger, nämlich ein Mensch, der arbeitet und schwitzt für das Monopol und für den Geldsack des Monopolpächters. Nun, Sie haben sich Ihres Strickes nicht zu schämen, sintemal jeder nicht feudale Franzose umstrickt ist. – Aus allen diesen Gründen rate ich Ihnen, ein gelesenes Menschenrecht am Stricke ihrer Geburt aufzuhängen.«

»Zum Aufhängen mag es allerdings noch kommen,« stieß Gilbert erregt hervor.

»Was schon ist, mein Sohn, kommt nicht erst, bisweilen Galgen und Rad längst in Ehren bestehen, – leider nur für die Klasse der Rechtslosen und Kleinen. Die Großen überragen den Galgen und können deshalb unmöglich gehängt werden.«

»Sehr gut und noch merkwürdiger!« sagte Gilbert überrascht. »Mir hätte nicht geträumt, hier solche Wahrheiten zu hören.«

»Weil in den Schlössern so viel gelogen wird, mein Sohn? Bedenken Sie, daß ich in keinem Schlosse wohne, sondern in diesem Häuschen eines hörigen Knechtes,« fuhr er fort, auf die bescheidene Wohnung des Torwächters hindeutend, welche sich an die hohe Umfassungsmauer lehnte und fast verschwand unter überhängenden Ästen hochgewachsener Ziersträucher. »Seit vielen Jahren sitze ich hier, – sehe, – höre, – schweige, – denke. Was eingeht und was ausgeht in diesem Schlosse, hat die Prüfung meiner Augen zu passieren. Gar vieles wird gesprochen, was nicht für meine Ohren ist, aber ich verstopfe mir niemals die Ohren. Betrachten Sie dazu meine lange Nase, – glauben Sie mir, der Geruchsinn bedeutet viel in der Welt. Was man nicht hört und sieht, das riecht man. Und weil die Gerüche von ganz Frankreich, in Gestalt von Mode, Sitte, Ton, Anstand, Bildung durch das Grafenschloß hindurchgehen, so empfindet meine lange Nase immer, wie es riecht in ganz Frankreich. Wohlgerüche kommen bisweilen aus der Vendee herüber, – alle übrigen Luftströmungen erzählen von zunehmender Fäulnis. Und auch Sie, mein Sohn, tragen keinen Veilchenduft meiner unglücklichen Nase zu, – Ihre Sache stinkt. Der Stinker sind aber nicht Sie, – ein anderer ist's.«

Der seltsame Torwächter machte eine heftige Bewegung und Zornesfunken sprühten aus seinen Augen.

»Vergeben Sie meine Schwatzhaftigkeit!« fuhr er fort. »Ich begegne selten einem ehrlichen Menschen, – geschieht dies aber, so wandelt mich die Lust der Mitteilung an, – – vielleicht auch das vergebliche Bemühen, da, – unter der Brust, etwas zu erleichtern, was die Gewohnheit des Denkens und Beobachtens zu Zentnerlasten zusammengetragen hat. – – Was ich Ihnen sagte, mein Sohn, dürfte von Nutzen sein dem allergnädigsten Grafen Henry gegenüber. Vor allen Dingen vergessen Sie Ihre eingebildeten Menschenrechte. Erwägen Sie den himmelhohen Unterschied zwischen einem Privilegierten und einem Monopolisierten. Was Ihnen auch der allergnädigste Graf Widerwärtiges sagen mag, Sie dürfen nicht die Empfindung und Entrüstung eines Menschen haben, – sonst wird Ihre Sache unrettbar verloren sein. Je untertäniger und kriechender, desto besser; denn alles Kriechende gefällt den Großen, weil sie gerne von oben herabsehen. Ebensowenig dürfen Sie durch allergnädigste Freundlichkeit und Herablassung sich täuschen lassen, weil dies nur eine Larve von Löschpapier ist. – Nun kommen Sie!«

»Tausend Dank, Herr David! Ich werde von Ihren Winken den besten Gebrauch machen.«

Der Torwächter geleitete Thomas nach dem Schlosse. Sie gingen über einen schattigen Platz, mit drei Reihen alter Linden bestanden. Am Portal übergab ihn David einem bordierten Portier, der mit strenger Amtsmiene Gilberts Hut ergriff und bei Seite legte. Sodann durchschritten beide hohe Korridore und prachtvolle Räume, bis sie ein glänzendes Vorzimmer erreichten, wo der Seidenweber aus der Hand des Portiers in die Fürsorge eines Kammerdieners überging.

»Wie heißen Sie und woher?« frug der Diener nach einem musternden Blicke.

»Thomas Gilbert aus Limoges.«

»Hier warten!« befahl der Bediente und verschwand.

Das geringschätzende Benehmen des Kammerdieners verletzte Gilberts bürgerliches Selbstgefühl. Aber die unverdiente Geringschätzung gab ihm seine feste Haltung wieder, in den Prachträumen und in der Nähe eines Menschen etwas in das Schwanken geraten, dessen Standeshoheit ihm nach Willkür die Braut versagen oder gestatten konnte.

»Ich will alles hinabschlucken, – sogar die Menschenrechte vergessen, um Madelons willen,« sprach er vor sich hin.

Der zurückkehrende Bediente winkte, öffnete eine Tapetentüre und ließ ihn eintreten. Thomas befand sich im Schlafzimmer des Grafen; denn Bauern und Bürgerlichen gegenüber die Regeln des Anstandes zu beobachten, hielt sich der philosophierende Adel nicht verbunden. Henry von Rovere mochte eben das Bett verlassen und bis tief in den Tag hinein von nächtlichen Strapazen ausgeruht haben. In einen langen Schlafrock gehüllt, saß er ohne Appetit bei einem reichen Frühstück. Seine Augen blickten müde, sein Angesicht war bleich, seine Gestalt hochgewachsen und hager. Kaum hatte er einen Blick auf Gilbert geworfen, und dessen linkisches Benehmen und plumpe Verbeugungen bemerkt, als ihn eine mutwillige Laune überfiel.

»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, mein Herr?«

»Zu dienen, – gnädiger Herr Graf! Ich bin der Seidenweber Thomas Gilbert aus Limoges.«

»In meine Dienste wollen Sie treten, Herr Gilbert?« frug der junge Schloßherr mit verhaltenem Lachen.

»Dies gerade nicht, gnädigster Herr Graf! Im Gegenteil, – ich wollte eigentlich,« – er stockte und fand keinen schicklichen Übergang zu seinem Anliegen. Er half sich mit einer sehr tiefen Verbeugung und machte dazu einige lebhafte Armbewegungen.

Rovere flüchtete zum Taschentuch, hielt es vor den Mund und lachte hinein.

»Nun, – mein Herr, – bei »eigentlich« blieben Sie stehen, – was weiter?«

Diese Rede brachte Henry stückweise hervor, in dem Bemühen, sein Lachen zu unterdrücken.

Gilbert sah verwirrt zu Boden und suchte hastig im Vorrat seiner Anstandsformeln.

»Ich wollte eigentlich den gnädigsten Herrn Grafen um Verzeihung bitten für meine Kühnheit.«

»Welche Kühnheit hätte ich Ihnen zu verzeihen, Herr Gilbert?«

»Die Kühnheit, in so früher Morgenstunde, oder vielmehr beim Frühstück, Euere Gnaden zu beschweren.«

»Sie wollen mich beschweren, mein Herr? Welche Lasten gedenken Sie mir aufzubürden?«

Thomas gewahrte jetzt, daß er gräflicher Laune zur Zielscheibe diente. Diese Wahrnehmung gab ihm plötzlich eine andere Haltung. Er richtete sich stramm auf, verzichtete auf weitere Verbeugungen und Formeln, und sein Blick begegnete fest dem spöttisch lauernden Auge Rovere's.

»Von Lasten ist keine Rede, gnädiger Herr! Um es kurz zu sagen, – ich bin der Bräutigam Madelon's Duval und möchte Sie bitten, meiner Braut zu gestatten, mich heiraten zu dürfen.«

»Ah – so!« versetzte Henry gedehnt, und sein spöttisches Mienenspiel verwandelte sich in den Ausdruck einer pikanten Erinnerung. »Sie haben einen ausgezeichneten Geschmack, Thomas Gilbert! Die Tochter unseres Hörigen Duval macht in der Tat eine hübsche Figur. Aber ich bedauere, für den Augenblick Ihrer Bitte nicht entsprechen zu können, weil Madelon bei mir in Dienste zu treten hat.«

»In welche Dienste?« frug Thomas in fast drohendem Tone.

Die Frage und die Entschiedenheit des Fragers weckte neuerdings Rovere's Spötterlaune.

»Sie werden doch gütigst erlauben, mein Herr, daß Graf Rovere aus seinen Leibeigenen geeignetes Dienstpersonal sich auswähle? – Oder nicht, – mein Herr?«

Eine verfängliche Frage in Gilbert's Augen. Bejahte er dieselbe, dann gab er die Geliebte freiwillig preis und der Zweck seines Bemühens war hinfällig geworden. Verneinte er die Frage, so verletzte er den Grafen oder forderte dessen Spott heraus, den er deutlich im Hintergrunde lauern sah. Deshalb fand er geraten, die Frage zu umgehen.

»Euere Gnaden können zu Ihren Diensten noch viele andere Mädchen finden.«

»Keines so hübsch und mir so gefällig, wie Madelon,« versicherte Rovere.

Bei den Worten schoß Gilbert alles Blut nach dem Kopfe. In den Ohren sauste es ihm und ein Sturm brach los in seinem Innern. Daß Rovere seine Braut »hübsch« fand, konnte er noch hören, – daß er sie aber ihm »gefällig« nannte, empörte den jungen Seidenweber im höchsten Grade. Die Hände zogen sich unwillkürlich zu Fäusten zusammen, ein Rachefeuer brannte in den Augen und seine Lippen stießen dumpfe Laute hervor. So jäh war der Überfall und so vollständig die Überrumpelung der Fassung, daß er nicht einmal das laute Lachen des Grafen vernahm, der sich an der Verwirrung des Bräutigams ungemein belustigte. Aber etwas anderes sah und hörte Gilbert, was ihm seine Haltung wieder gab. Vor seinen Augen erhob sich, wie in einem Nebel, die merkwürdige Gestalt des Torhüters David. Er sah, wie der Mann warnend den Finger hob und hörte die Worte: »Was Ihnen auch der gnädigste Graf Widerwärtiges sagen mag, Sie dürfen nicht die Empfindung und Entrüstung eines Menschen haben, – sonst wird Ihre Sache unrettbar verloren sein.« Gesenkten Blickes hörte er die Warnung; die Zornesglut seiner Wangen verschwand.

»Herr Graf, – oder vielmehr gnädigster Herr Graf, ich kann mir gar nicht denken, welchen Dienst Madelon Ihnen leisten könnte!«

»Den Dienst, mir zu gefallen, mein Herr!« antwortete Rovere mit verbissenem Lachen.

»Ja, – aber, – ich meine, die Braut eines anderen könnte einem Manne von, – von« –

Er stockte und wagte nicht, das Wort auszusprechen.

»Nur zu, mein Herr, nur zu!« drängte Henry. »Sie gehören ja zum dritten Stande, und der dritte Stand erhielt das Recht der Meinungsäußerung. Also, – einem Manne von? – – Ich bitte, lassen Sie den Ausspruch Ihrer Weisheit nicht unvollständig!«

»Ich wollte sagen, die Braut eines anderen könne einem Manne von Ehre nicht gefallen!«

Rovere lachte hell auf.

»Sie glauben dies wirklich, mein Herr? Ein sehr engherziger und altfränkischer Glaube! Soll etwa die hübsche Madelon häßlich werden in meinen Augen, weil sie Ihre Braut ist? Dies wäre doch die allergrößte Ungerechtigkeit und Torheit meinerseits. Auf Ehre, mein Herr, die hübsche Madelon gefällt mir ausgezeichnet! Ich nehme an, Sie werden gütigst erlauben, daß mir gefällt, was ich anziehend finde.«

»Nein, dies erlaube ich Ihnen nicht!« stieß Gilbert hervor.

Rovere brach abermals in schallendes Gelächter aus.

»Mein Herr, wie grausam Sie doch sind! Ich beklage aufrichtig Ihre Härte gegen einen Menschen, der mit Ihnen auf dem Gebiete des Schönen den besten Geschmack teilt.«

»Sie geben mir also die Erlaubnis, gnädiger Herr Graf, Madelon zu heiraten?«

»Nach überstandener Dienstzeit, – ja, mit Vergnügen!«

»Wenn aber Madelon nicht in Ihre Dienste treten wollte?«

»Fürchten Sie das nicht, Herr Bräutigam! Ein so hübsches und gefälliges Mädchen gibt mir gewiß keinen Korb.«

»Wenn Sie Ihnen aber doch einen Korb gäbe?«

»Dann wäre ich leider gezwungen, den fatalen Ungehorsam durch Gewalt zu beugen.«

»Gewalt gegen ein wehrloses Mädchen, Eure Gnaden? Ich meine, das stehe einem Edelmann nicht gut an.«

»Eine engherzige Meinung, die Folge zurückgebliebener Bildung, Herr Bräutigam! Indessen hat mich Ihre Bildung doch ausgezeichnet amüsiert.«

Der Kammerdiener trat ein und überreichte, mittels einer silbernen Platte, dem Grafen zwei Briefe. Rovere öffnete ein Schreiben und las. Der Inhalt mußte von Bedeutung und längst erwartet sein; denn hastig sprang Henry auf und klingelte.

»Sie können gehen!« wandte er sich im Tone des Befehls und mit gänzlich veränderter Haltung an Gilbert.

Der Seidenweber blieb fest stehen, seine Herzensangelegenheit weiter zu vertreten.

»Gnädigster Herr Graf, ich bitte inständig –«

»Schweigen Sie!« unterbrach ihn strenge Rovere. »Verschwinden Sie augenblicklich! Zu Schwank und Scherz bleibt mir ferner keine Zeit.«

»Aber, – allergnädigster Herr Graf, von meiner Seite war's bitterer Ernst!«

»Tölpelhafter Lümmel!« murmelte Rovere zwischen den Zähnen. »Jean,« gebot er dem Bedienten, »schaffe mir diesen Menschen aus den Augen!«

Kaum berührte der Kammerdiener des Ausgewiesenen Arm, als dieser auffuhr und die Hand des Bedienten zurückstieß.

»Ich finde allein den Weg, – – alles findet seinen Weg, – das Recht und das Unrecht!« rief Thomas im Tone der Drohung.

Nach diesen Worten stürmte er hinaus.

»Der größte Einfaltspinsel, der mir jemals begegnete,« warf Rovere hin. »Toilette, – rasch! Ist meine Schwester ausgefahren?«

»Die gnädige Gräfin geruht, gegenwärtig ihren Lieblingsplatz auf dem Balkon des grünen Saales einzunehmen,« antwortete Jean.

»Hat sie Gesellschaft?«

»Für den Augenblick nicht. Aber ich sah eben in der Ferne den Wagen des Herzogs Chatel herüberkommen.«

Der Kammerdiener öffnete Schränke, indes Rovere den Brief wiederholt las.

Thomas eilte, glühend von Zorn, durch die Räume. Barhaupt wäre er davon gerannt, hätte ihm nicht am Portal der Portier seinen Hut auf den Kopf gesetzt. Ohne Dankeswort für den Dienst stürmte er über den Platz mit den schattigen Bäumen nach dem Tor, wo ihn David erwartete.

»Nun, mein Sohn, wie lief's ab?« frug teilnehmend der Torhüter.

»Recht hatten Sie! Wer so einem Herrn gegenübertritt, darf nicht fühlen und denken wie ein Mensch, – darf keine Ehre, keinen Charakter und keinen Rechtssinn haben,« antwortete heftig der Seidenweber. »Es ist schändlich! Wissen Sie, was der gnädige Graf getan hat? Gefoppt hat er mich, – gehänselt, verhöhnt hat er mich, – zum Narren hielt er mich! Behandelt hat er mich, wie ein Ding, das nichts ist, – wie ein Spielwerk seiner Laune. Und Frechheiten, – unverschämte Frechheiten hat er mir lachenden Mundes in das Gesicht hinein gesagt. Meine Madelon gefalle ihm, – hat er gesagt! Deshalb müsse meine Madelon ihm dienen, weil sie ihm gefällig sei, – hat er gesagt! Ist dies keine niederträchtige Frechheit? Ich könne meine Madelon haben, wenn sie bei ihm den Dienst ausgestanden, – hat er gesagt. Ist dies keine Unverschämtheit? Schon gut! Den dritten Stand hat er verhöhnt, – schon gut! Ich gehöre zum dritten Stande, – und der dritte Stand wird seine Menschenrechte zurückfordern.«

»Langsam, mein Sohn, – nur langsam und bedächtig! Danken Sie Gott, daß Ihr Hitzkopf ohne Peitschenhiebe davon kam.«

»Peitschenhiebe? Ha – ha!« lachte wild der Seidenweber. »Hiebe gibt's bald, aber nicht auf unsere Rücken.«

»Doch, doch, mein Sohn, – auf unsere Rücken! Hiebe, Püffe und Fußtritte hat ja das Volk ertragen gelernt. Und dann, mein Sohn, seien Sie vorsichtig, damit nicht Ihre Zunge Sie an den Galgen redet!«

»Ein Mensch bin ich, Herr David!«

»Ein zweifelhaftes Glück in feudaler Luft, mein Sohn!«

»Stürme reinigen die Luft, – und es kommt ein Sturm, Herr David!«

»Dies habe auch ich in den Zeitungen gelesen, mein Bester! Bis der Sturm gekommen, mögen Sie nach Belieben über Menschenrechte denken. Sie dürfen aber nichts tun oder sagen, was Ihre Ansprüche auf Menschenrechte verraten könnte, so lange feudales Gesetz und feudale Knute regieren. – Was Madelon betrifft, so überlegen Sie mit Duval, oder besser mit der klugen Frau Duval, was zu machen ist.«

Er öffnete die Pforte.

»Herr David, ich danke für Ihre guten Ratschläge! Sie sind ein edler Mensch, – ich danke!« rief Thomas und eilte fort.


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