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In der Abtei.

Gegen zwölftausend Gefangene schmachteten damals in den achtundzwanzig Kerkern von Paris. Bei der wachsenden Masse Verhafteter, waren große Gebäude zu Gefängnissen eingerichtet worden. – Kläglich und jammervoll war die Lage der Schlachtopfer, bevor sie das Blutgerüst bestiegen. Dicht zusammengedrängt in Räumen, denen Licht und Luft spärlich zugemessen war, litten sie Unsägliches durch Unrat, Ungeziefer und brutale Kerkermeister. Beschimpfungen, Schläge, Mißhandlungen, gehörten zu den Regelmäßigkeiten. Die Nahrung war schlecht, dürftig, zuweilen schauerlich. Wachsmuth, Bd. II. S. 310. Nach l'Epinard, L'humanité méconnue, und anderen Schriftstellern, wurden in manchen Kerkern die Gefangenen mit dem Fleische der Guillotinierten gespeist.

Solche Höhlen der Unmenschlichkeit mit dem Schafott zu vertauschen, von unerträglichen Qualen erlöst zu werden, betrachteten die Gefangenen als Gewinn und Glück.

Indessen waren nicht alle Kerker von gleicher Schauerlichkeit. Es lag vieles am Oberkerkermeister und dessen Gehilfen. Sie konnten manche Linderung verschaffen und den Unglücklichen gestatten, sich in den Gängen und Höfen zu bewegen. Selbst an Kurzweil fehlte es nicht. Die Gefangenen pflegten das Revolutionsgericht nachzuahmen und Todesurteile zu fällen. Dem Urteil folgte der Vollzug. Eine Pritsche oder eine Bank stellten das Schafott vor. Der Verurteilte wurde darauf gelegt, festgebunden und zum Scherze enthauptet. Dieses kindische Spiel sollte dazu dienen, mit dem Gedanken an den Tod vertraut zu machen und die sicher kommende Wirklichkeit leichter zu ertragen. So wußte jener leichtfertige Zug im französischen Charakter selbst das Grausige mit einem gewissen Leichtsinn zu behandeln, mit Guillotine und Tod gleichsam zu spielen. Wachsmuth, Bd. II. S. 311.

Hatte die Schreckensherrschaft den Kerkermeistern noch einige Menschlichkeit gelassen oder war deren Habsucht stärker als ihre Grausamkeit, so gestatteten sie den Gefangenen nicht nur Spiele, sondern auch eine genießbare Kost, – gegen schweres Geld oder kostbaren Schmuck. Die gewöhnliche Nahrung bestand in schlechtem Fleisch, verdorbenem Gemüse, ranzigem Brot und Wasser. Diese Speisen wurden zusammen in einem Kübel vorgesetzt. Von Hunger geplagt griffen die Gefangenen mit den Händen in den Kübel und aßen das Ekelhafteste. Dämmer und Dunkelheit der Räume warfen barmherzig einen Schleier über die gräuliche Kost und verminderten die Eindrücke des Abscheues. Freilich verriet der Geruchsinn teilweise den abscheulichen Inhalt des Kübels.

Dagegen konnte man gegen Bezahlung von zehn Frank einen Hering, Salat, eine Flasche saueren Wein und gutes Brot erhalten. Wer Geld besaß, zögerte nicht, von dieser Menschenfreundlichkeit der Kerkermeister Gebrauch zu machen, – für letztere eine Quelle der Bereicherung.

Dantons Kutsche hielt vor einem düsteren Gebäude, mit halbvermauerten Fenstern, – die Abtei. Das spärliche Tageslicht den Gefangenen noch mehr zu beschränken und die Luftströmung nicht gänzlich zu verhindern, waren trichterförmige Bretterverschläge an den offen gelassenen, nicht vermauerten Fensterteilen angebracht.

Mit den Räumlichkeiten bekannt, öffnete Danton eine Türe des Erdgeschosses und betrat die Wohnung des Oberkerkermeisters Duprat. Dieser Beamte, wohlbeleibt und mit glühendem Weingesicht, war eben daran, Kalbsbraten mit Salat zu verzehren und mit Bordeaux hinabzuspülen. Er saß behaglich auf dem Kanapee, kaute mit Genuß und warf zuweilen befriedigte Blicke auf Wertgegenstände, die einen Tisch neben ihm bedeckten. Der Anblick von goldenen Ringen, goldenen Armspangen, Ketten und anderen Kleinodien würzte augenscheinlich das Mahl Duprats. Diese Schmucksachen waren die Erträgnisse des abgelaufenen Tages, Gefangenen abgenommen, oder von deren Verwandten hieher gebracht, damit Duprat das Gold in Heringe, Salat, Brot und saueren Wein verwandle.

Bei Dantons Eintritt fuhr der Mann zusammen. Ein Haupt des Nationalkonvents, dazu ein Mitglied der neun des allmächtigen Wohlfahrtausschusses, flößte sogar einem Despoten der Abtei Furcht ein. Es trieb ihn zwar, vom Sitze aufzuspringen und den Gewaltigen mit Bücklingen zu begrüßen. Allein der Gedanke, daß Roheit des Benehmens und Pöbelanstand zur Mode geworden und gerade von Danton gefeiert und befolgt wurden, bannte ihn fest. Er blieb sitzen, stellte jedoch die Tätigkeit der Kauwerkzeuge ein und verbarg sein Erschrecken unter freundlichem Grinsen.

»Dir schmeckts, Bürger Kerkermeister! Fütterst Du Deine Gefangenen eben so gut, wie Dich selbst, so verhungert keiner.«

»Ist mir wirklich noch keiner verhungert, Bürger Deputierter!«

»Woher das Geflunker?« frug Danton, auf den Schmuck deutend.

»Eingelieferten Aristokraten abgenommen.«

»Demnach sind viele Frauen unter Deinen Gästen?«

»An die zweihundert.«

»Wirklich hübsche Sachen, – verlockend hübsch!« sagte Danton, Kleinodien in der Hand wägend.

»Gefällt Dir etwas, so nimm! Tote brauchen keinen Schmuck. Da künftig das Revolutionsgericht nur Todesurteile spricht, so gehören alle Eigentümer dieser Sachen der Guillotine. Also nimm, was Dir gefällt.«

»Du redest vernünftig!« erwiderte Danton, eine goldene Kette und zwei wertvolle Armbänder in die Tasche schiebend. »Wie stark ist gegenwärtig Deine Bevölkerung?«

»Vierzehnhundert und siebenzig. Das Aristokratenpack liegt zusammengepöckelt wie die Heringe. Denn wir haben nur zwanzig Stuben und Kammern. Der Konventsbeschluß, jeden Tag hundertundfünfzig Köpfe abzuhauen, kommt gelegen. Es wird Luft, – das heißt, wenn der Zufluß nicht größer wird, als der Abfluß. Gestern schickte ich fünfzehn, heute zwanzig Stück auf das Schafott. Da noch siebenundzwanzig Gefängnisse hier sind, so wurde die Abtei gestern und heute begünstigt.«

»Hast Du nicht einen Gefangenen mit Namen Rovere?«

»Rovere? – Möglich! – Du wirst begreifen, Bürger Deputierter, daß man nicht alle Namen im Kopf haben kann; denke, vierzehnhundert und siebenzig! Dazu der tägliche Wechsel, der Abgang und Zugang. Absolut unmöglich! Will Nachsehen.«

Er suchte auf der Liste. Das Verzeichnis gab nicht den gewünschten Aufschluß. Es war mit republikanischer Leichtfertigkeit geführt und enthielt Namen unter den Lebenden, deren Träger längst verblutet hatten. Die Gerichtsdiener kommen ja täglich mit einer Liste, dachte Duprat, und fordern, was noch zu haben ist. Wozu die Mühe einer genauen Listenführung?

»Ich finde den Namen Rovere nicht mehr, – vielleicht schon lange an die Guillotine ausgeliefert. Wolltest Du ihn sprechen?«

»Allerdings!«

»Gut, – will sehen! Schnauft er noch in der Abtei, – wir werden's gleich hören.«

Er klingelte. Ein Wärter trat ein.

»Scävola, haben wir einen Gefangenen, der Rovere heißt?« frug Duprat.

»Möglich, – ja, – ich glaube!«

»Suche den Kerl und bringe ihn her!«

»Halt!« gebot Danton. – »Kennst Du mich?«

»Wer kennt nicht Danton?«

»Du verschweigst dem Gefangenen, wer ihn zu sprechen wünscht. Frägt er, so nennst Du mich Georges.«

Der Wärter nickte und verschwand.

»Du hast gehört, daß ich unbekannt bleiben will,« wiederholte Danton.

»Nach Wunsch, – obwohl es mir schwer fällt, den glorreichsten Namen der Republik zu verschweigen,« schmeichelte Duprat.

Mit einem Schlüsselbunde im Gürtel, eine Laterne in der Linken und einem Prügel in der Rechten, begann Scävola seine Wanderung durch die schmutzigen Gänge der Abtei. Vor einer offenen Stubentüre blieb er stehen.

»He, – Mucius, zünde Deine Laterne an!« rief er in die Stube hinein.

»Was gibts?«

»Wir sollen einen Schuft suchen, der Rovere heißt. In welcher Nummer mag er liegen?«

»Rovere? – Weiß nicht! Soll er extra, das heißt, außer der Zeit geköpft werden?«

»Kann sein! Der Danton fordert ihn. Vielleicht will er mit dem Schurken ein Hauptlustspiel aufführen.«

»Der Danton?«

»Nun ja, – Danton! Reiße nur Dein Maul nicht so weit auf! Scipio kann auch mitgehen, – je mehr, desto besser.«

»Danton ist da?« rief Scipio, von einer Matratze springend.

»Freilich, Danton! Was wundert Ihr Euch? Wären Robespierre, Danton und Marat nicht, dann hätte der Berg keinen Gipfel, die Republik keinen Kopf, die Abtei weniger Gefangene und die Guillotine noch weniger zu tun. – Scipio, nimm auch Deine Laterne und Deinen Stock. Du, Mucius, vergiß Deinen Stock auch nicht. – Jetzt vorwärts, – marsch!«

»Danton in der Abtei!« wiederholte Scipio.

»Ein Ereignis!« versicherte Mucius.

»Daß ihr's wißt, – inkognito ist er hier, – was bedeutet, niemand soll wissen, daß er hier ist. Georges will er heißen in der Abtei, – nicht Danton. Wer ihn beim rechten Namen nennt, verdient seinen Zorn, und wer Dantons Zorn verdient, dem zahlt die Guillotine den Lohn. Merkts Euch!«

Sie hielten vor einer plumpen Türe, stark mit Eisen beschlagen und numeriert.

»Hier, in Nummer Eins, hockt er nicht!« sagte Scävola. »Lauter Vögel mit goldenen Federn, deren Namen in meinem Gedächtnisse stehen.«

»In dem meinigen auch,« versicherte Mucius. »Grundreiche Bengel, die wir rupfen, bevor sie geköpft werden.«

»In Nummer Zwei hockt er auch nicht, gleichfalls goldene Vögel, von denen jeder dreißig Frank täglich zahlt für eine Schnitte Kuhfleisch, eine gute Suppe mit Weißbrot und eine Flasche Wein.«

»Wie ist's mit Nummer Drei?« frug Scipio.

»Auch nicht!« entgegnete Scävola. »Darin hocken fünfzig aus der Vorstadt St. Denis, – ein Rovere ist nicht darunter, weiß es bestimmt. Die Lumpen sind Hungerleider gegen Eins und Zwei. Von den Schuften zahlt einer nur zehn Frank täglich, manche nur sieben und acht Frank. Dafür kriegen sie auch faule Heringe, kurioses Gemüse, und Wein, der wie Essig schmeckt.«

»Jetzt kommen wir an die Weibsleute, – in Nummer Vier, Fünf und Sechs sind nur Gänse, von denen manche gar wenige Federn zum Rupfen haben.« sagte Mucius.

Sie stiegen eine Treppe höher. Eine lange Reihe numerierter Türen lief durch den Korridor.

»Sieben, – da könnte er hocken!« sagte Scävola, den Schlüssel im Bunde suchend. »Haltet Eure Prügel bereit. Schlagt jeden auf den Kopf, der sich muckst, oder heraus will.«

Die Türe knarrte in den Angeln. Ein dunkler Raum tat sich auf. Dumpfe, übelriechende Luft drang hervor. Das Laternenlicht warf seinen Schein auf einen schmalen freien Vorraum. An diesen schlossen sich etwa zehn Reihen von Pritschen, welche das ganze Zimmer ausfüllten. Die schrägen Pritschen waren durch niedere Bretterwände geschieden und bildeten die Betten der Unglücklichen. Jedes Bett bestand aus einer dünnen, harten Matratze ohne Kopfpolster. – Es rührte sich auf den Schragen. Bleiche Gesichter wandten sich nach den Männern mit den Prügeln. Mancher starrte stumpfsinnig, in den Zügen anderer malte sich Bangigkeit und Schrecken. Da es nicht die Stunde war, in der Revolutionsgericht und Schafott ihre Opfer zu fordern pflegten, so erwarteten die Unglücklichen andere Untaten des Terrorismus. Die Wärter pflegten nämlich zuweilen in betrunkenem Zustande die Gefangenen zu überfallen, zu beschimpfen und zu mißhandeln.

»Heißt einer von Euch Rovere?« frug Scävola.

Keine Antwort.

»Habt Ihr's gehört, verdammtes Pack? Ob einer Rovere heißt?«

Das gleiche Schweigen.

»Den Rovere sollen wir vor die Türe setzen und laufen lassen,« erklärte Scipio.

Seufzen und Ächzen stöhnte durch den schrecklichen Raum.

Die Wärter entfernten sich fluchend. Die Türe fiel in das Schloß.

»In Nummer Acht liegt er schwerlich,« sagte Mucius. »Lauter Herzöge, Grafen und Barone. Ha – ha, – vornehme Gesellschaft! Ächtes Aristokratenblut für die Guillotine.«

Die Türe öffnete sich. Dieselbe Finsternis, der nämliche Modergeruch, die gleiche Einteilung durch Bretterverschläge und Pritschen. Ein Kübel, in dem Vorraum stehend und angefüllt mit einem stinkenden, häßlichen Gemengsel von wüsten Fleischbrocken und Gemüse, erregte Scävolas Zorn.

»Schon wieder nichts angerührt?« rief er grimmig. »Das Brot habt Ihr verschluckt, das gute Fleisch und Gemüse aber stehen lassen. Seid Ihr so naschig? Natürlich! Feine Herren, – Prinzen und Grafen! Wart, ich will Euch essen lehren! Künftig kriegt Ihr nur den Kübel und kein Brot. Will Euch den Gaumenkitzel schon vertreiben, – verfluchtes Aristokratenpack!«

Auf den blassen, feinen Gesichtern der Gefangenen erschien kein Ausdruck der Entrüstung, nicht einmal des Mißfallens über diesen Ausbruch gefühlloser Roheit. Neben den herkömmlichen Mißhandlungen und Qualen bedeuteten solche Worte nichts.

»Hört mich an, hochedle und allergnädigste Halunken!« fuhr Scävola höhnisch fort. »Wir suchen einen nichtsnutzigen Mönch, der aus unserer frommen, ehrwürdigen Abtei fortgejagt werden soll. Rovere heißt der Schelm, – ist Rovere unter Euch?«

»Hier!« antwortete eine Stimme und eine Gestalt bewegte sich nach dem Vorraum.

»Bist Du wirklich Rovere?«

»Ich bin Rovere.«

»Vorwärts, – hinaus!«

Auf den Pritschen wurde es lebendig. Die Gefangenen erhoben sich, ihren scheidenden Leidensgenossen zu umarmen, wie sie zu tun pflegten, wenn einer von ihnen zur Guillotine geführt wurde. Da schwangen die Wärter ihre Prügel.

»Zurück!« riefen sie drohend. »Schon wieder das Abschiedsgewinsel?«

»Herr Graf, leben Sie wohl! Auf Wiedersehen im Jenseits!« sprachen die Unglücklichen.

Scävola schob Isabellas Vater hinaus und schloß die Türe.

Im Tageslicht des Ganges stand der ehedem so stolze Feudalherr, wankend vor Schwäche, in dürftiger Kleidung und langem Bart, ein Bild des Elendes.

»Wohin führt ihr mich?«

»Ein Freund will Dich sprechen, – Georges, glaub ich, heißt er,« antwortete Scipio.

»Georges? Einen Freund dieses Namens kenne ich nicht.«

»Desto besser kennt er Dich,« erwiderte Mucius. »Du kannst Dir einen solchen Freund gefallen lassen. Mächtig genug ist er, Deinen Kopf dem Scharfrichter zu entreißen, wenn Du schon aufs Brett geschnallt wärest.«

»Halts Maul!« gebot Scävola. »Mische Dich in keine Sachen, welche uns nichts angehen.«

Sie stiegen die Treppe hinab und schritten nach der Wohnung des Oberkerkermeisters, der Graf in ängstlicher Erwartung. Scävola öffnete dem Gefangenen die Türe. Duprat trat ihm entgegen.

»Bist Du Rovere?«

»Graf Wilhelm von Rovere bin ich gewesen, – jetzt eine wandelnde Leiche der Abtei,« antwortete mit schwacher Stimme der Graf.

»Bürger Georges hier wünscht Dich zu sprechen,« sagte Duprat, mit einer Handbewegung auf Danton und im Begriffe, sich zu entfernen.

»Einen Augenblick, Bürger Kerkermeister!« sagte Danton, indem er sich erhob. »Du scheinst Dich besser zu nähren als Deine Gefangenen. Der Mann zittert ja vor Schwäche. Der Hunger stiert ihm aus den Augen.«

»Das begreife ich nicht!« erwiderte Duprat. »Die Gefangenen erhalten nach Vorschrift ihre Kost.«

»Können Sie diese Behauptung bestätigen, mein Herr?« frug Danton teilnehmend.

Der Graf traute kaum seinen Sinnen. Das anständige, zuvorkommende Benehmen eines Fremden, der sich für seinen Freund ausgab, und der in der schrecklichen Abtei zu gebieten schien, ließen ihn zweifeln, ob das ganze Wirklichkeit oder Traum sei.

»Wir bekommen täglich einen Kübel voll ungenießbarer Dinge,« antwortete er. »Keine Nahrung für Menschen, zu schlecht für Tiere. Deshalb aß ich, seit den vier Monaten meines Hierseins nur verschimmeltes Brot.«

Danton warf einen strafenden Blick auf den Kerkermeister und heuchelte Entrüstung. In Wahrheit lag ihm an der elenden Kost der Gefangenen gar nichts. Er wollte nur Isabellas Vater von seiner Menschenfreundlichkeit und edlen Gesinnung überzeugen.

»Ich werde eine Untersuchung veranlassen,« sprach er strenge. »Findet die Aussage des Bürgers Rovere Bestätigung, dann wehe Deinem Kopfe! Das Vaterland verurteilt zwar Schuldige zum Tode, will aber Gefangene menschlich behandelt wissen.«

Der Kerkermeister stand, wie vom Blitze getroffen, ohne eine Entschuldigung zu wagen.

»Mein Herr,« wandte sich Danton freundlich an Rovere, »darf ich bitten, hier Platz zu nehmen und zu speisen?«

Dies ließ sich der Hungrige nicht zweimal sagen.

»Überaus gütig, Herr Georges! Bin so frei, von Ihrer rücksichtsvollen Einladung Gebrauch zu machen,« erwiderte Rovere, indem er sich am Tische niederließ und dieselben lockenden Speisen mit Heißhunger zu verzehren begann, welche Duprat mußte stehen lassen.

»Und wie ist das ganze Aussehen dieses Mannes!« fuhr Danton strafend fort. »Ungekämmt, ungewaschen, ungeschoren an Bart und Haupt, – gänzlich verwildert. Du erfüllst Deine Berufspflichten schlecht. Wo bleiben Nächstenliebe und Brüderlichkeit, – die Seele der Republik?«

Dem Kerkermeister vergingen die Sinne. War dies Danton? Danton, der schmutzige blutdürstige Proletarier?

»Bürger, Vergebung!« stotterte er. »Es bedarf nur Deines Winkes, das Versäumte nachzuholen.«

»Mein Herr,« wandte sich Danton zuvorkommend an den Speisenden, »vergessen Sie den Bordeaux nicht!«

»Unendlich gütig, Herr Georges!« versetzte Rovere, das Glas füllend. »Auf Ihr Wohl!«

Der Medusenkopf nickte dankend.

»Bürger Kerkermeister,« fuhr er strenge fort, »Du wirst Rovere die Mittel verschaffen, sich vom Schmutze Deines unsauberen Gefängnisses zu reinigen. Du wirst ihm Bart und Haare scheren lassen. Du wirst ihn mit reinlichen, anständigen Kleidern versehen. Du wirst ihm des Morgens ein gutes Frühstück geben, des Mittags Fleischsuppe, dazu ausgezeichnetes Fleisch, Gemüse und eine Flasche reinen Wein, – von Deinem Bordeaux. Des Abends gibst Du ihm, was er verlangt. Verstanden?«

»Wird alles pünktlich geschehen,« entgegnete Duprat.

»Wehe Deinem Kopfe, wenn Du einen einzigen Punkt übergehst!« drohte der Herkulische. »Du bist allerdings zu der von mir verlangten Kost nicht verpflichtet, deshalb wirst Du auf meine Rechnung den Bürger Rovere speisen.«

»Wie Du wünschest, Bürger Georges!«

»Schließlich wirst Du ihm ein gut möbliertes Zimmer einräumen, ein Zimmer, in dem ich ihn jeden Tag besuchen kann.«

»Bedauere, – ein solches Zimmer gibt es nicht in der Abtei,« entgegnete Duprat im Tone bescheidenen Einwurfes. »Alle Stuben sind vollgestopft mit Gefangenen.«

»Dieser Türe gegenüber, jenseits des Ganges, liegt das gewünschte Zimmer.«

»Bedenke, Bürger Georges, daß sich die Inspektoren darin aufhalten, wenn sie von den mühseligen Untersuchungen der Gefängnisse bei Brot und Wein rasten.«

»Du wirst es ihm einräumen, auf meine Verantwortung,« befahl Danton in einem Tone, der jeden Widerspruch ausschloß.

Der Graf war mit dem größten Erstaunen dieser merkwürdigen Unterredung gefolgt. Ohne das Speisen zu unterbrechen, wandte er kaum sein Auge von Dantons athletischer Gestalt.

»Wer ist dieser Mann?« stand in Roveres Zügen geschrieben. »Wer löst mir das Rätsel seiner edlen Freundschaft?«

Wein und Duprats vortrefflicher Kalbsbraten hatten ihn gestärkt, die körperliche Mattigkeit schwand immer mehr. Der Bordeaux rötete ihm die Wangen und erheiterte sein Gemüt. An vielen üppigen Mahlen hatte der Graf teilgenommen, niemals aber die wohltätige Wirkung der Gaben Gottes so freudig empfunden, wie heute. – Danton trat heran.

»Haben Sie das natürlichste und notwendigste Bedürfnis des Menschen befriedigt, mein Herr?« frug er mit wohlwollender Freundlichkeit.

»Ihrer unaussprechlichen Güte verdanke ich meine Wiedergeburt, Herr Georges! In der Tat, – wiedergeboren! Mir fehlen die Worte zum Ausdrucke meines Dankes. Sie haben sich eines verlassenen Unglücklichen angenommen, Ihre hochherzige Fürsorge übersteigt alle Begriffe, – Sie stehen vor mir im Glanze des edelsten Menschenfreundes. Der Himmel allein kann vergelten, was Sie an mir getan.«

»Ich wußte, daß ich keinem Undankbaren meine Aufmerksamkeit schenke. Haben Sie die Güte, mich zu begleiten.«

Auf Dantons Wink schritt Duprat voran, Türen öffnend. Sie betraten ein geräumiges, helles und bequem eingerichtetes Zimmer.

»Für ein gutes Bett wirst Du sorgen, Bürger Kerkermeister!« sagte Danton, durch eine Handbewegung Duprat entlassend.

Er geleitete den Grafen nach dem Kanapee und ließ sich an dessen Seite nieder.

»Wir sind allein und können uns aussprechen,« hob er unverweilt an. »Sie staunen über die Teilnahme eines Mannes, der Ihnen zum ersten Male im Leben begegnet. Ebenso erweckt mein Einfluß in der Abtei Ihre Verwunderung. Diesen Einfluß verdanke ich meinen Beziehungen zu einigen Mitgliedern des Konvents und Wohlfahrtsausschusses. Niemals habe ich von diesen Verbindungen einen Gebrauch gemacht, der mich zufriedener und glücklicher stimmte. Wer meine Aufmerksamkeit auf Sie lenkte, – fragen Sie? Ein Zufall, der mich in Berührung brachte mit einer Persönlichkeit, die mir, offen gestanden, überaus sympathische Gefühle erweckte, – nämlich Ihre Tochter Isabella.«

»Meine Tochter, – mein Kind?« und der Graf sprang vom Sitze. »Um Gotteswillen, reden Sie! Wo ist meine Tochter, mein unvergleichliches Kind?«

»Behalten Sie Platz, mein Herr! Fassung, – Ruhe! – – Ihr Wort ist richtig, – unvergleichlich! Ja, ein ganz unvergleichliches Wesen! Mir wenigstens begegnete im Leben nichts ähnliches.«

»Wo ist Isabella, – reden Sie doch!« bat Rovere, zitternd vor Aufregung.

»Hier in Paris!«

»In Paris? O Gott, – wehe uns!«

»Keine Furcht, mein Herr!« entgegnete Danton in einem Tone, als gehorche Paris seinen Befehlen. »Nicht ein Haar darf ihr gekrümmt werden. Nur ganz ohne Besorgnis! Seit vier Tagen weilt sie im Hotel »Zur Gleichheit«, – ungesehen, verborgen, sicher. Dort sprach ich sie und vernahm aus ihrem Munde, sie habe das Leben eingesetzt, ihres Vaters Leben zu retten.«

Der Graf verhüllte mit beiden Händen das Gesicht und schluchzte.

»O mein Kind! Du Sonne meines Lebens!« rief er aus.

»Wieder richtig, – eine Sonne!« bestätigte Danton. »Beneidenswert derjenige, dessen Dasein Licht und Wärme der Sonne Isabella beglückt.«

Der heftigen Gemütsbewegung Roveres entging der Sinn dieser Worte.

»Wer ist bei ihr?« frug er ängstlich. »Wer hütet das Kleinod ihres Geschlechtes?«

»Abermals treffend, – das Kleinod ihres Geschlechtes! Ihr Bruder Henry und ein getreuer Diener mit Namen David begleiteten sie hieher.«

»David? O der Gute, treu wie Gold! Sprechen Sie aufrichtig, mein Freund! Sie begreifen die Gefühle eines Vaters. Droht meinem Kinde nicht Gefahr?«

»Nein! Mit meinem Kopfe hafte ich für ihre Sicherheit. Morgen werden Sie Isabella sehen und sprechen.«

»Sie sehen, – sie sprechen? O mein Gott!«

»Ich selbst werde sie hieher begleiten. Zur Beruhigung Ihrer Tochter möchten einige Zeilen von Ihrer Hand dienen. Hier ist Schreibzeug und Papier. Die Zustellung des Briefes werde ich besorgen. Sie adressieren denselben an mich, den Bürger Georges, und versiegeln ihn.«

»O Sie Gütiger, Sie Göttlicher!« rief entzückt der Graf.

Danton klingelte. Duprat trat ein.

»Bürger Rovere wird einen Brief schreiben. Du wirst mir denselben sogleich durch eine zuverlässige Person schicken.«

»Ohne Säumen, Bürger!«

»Für jetzt rufen Berufspflichten,« sagte Danton, sich erhebend. »Auf Wiedersehen morgen, mein Herr!«

Er machte eine rasche Bewegung nach der Türe und verschwand.

Zwei Stunden später hielt Danton Roveres Brief in der Hand, las ihn und lächelte vergnügt.

»Ganz meinen Erwartungen entsprechend, – meine Absichten fördernd!« frohlockte er. »Da heißt es: – »Du hast einen hochherzigen Mann für mein Elend interessiert;« – »meinen Hunger füllt er, kleidet mich, gab mir eine menschenwürdige Wohnung und Lebensmut zurück;« – »er handelt an mir, wie der edelsinnigste Freund«; – »mein liebes Kind, dem großmütigen Herrn Georges können wir niemals vergelten, was er an mir getan und noch zu tun verheißen;« – »der beste Mensch, den ich jemals kennen lernte, zwar etwas rauh von außen, aber an Geist und Herz die Güte selbst, ganz Wohlwollen und Teilnahme.« – – – Sehr gut, – ausgezeichnet!« rühmte Danton. »Wenn mich der Vater so herausstreicht, wie kann die Tochter eine schlimme Meinung von mir behaupten? Sie hat zwar ganz andere Dinge über den schrecklichen Danton vernommen, – Dinge, die keinen Funken Edelsinn und von Menschenfreundlichkeit das gerade Gegenteil verraten. Jawohl, – mein Leumund riecht übel, – nach Brand und Blut! Mein der Leumund redet aus meinen Feinden. Neid und Bosheit verleumden mich. Das schuldlose Opfer einer schlechten Welt bin ich. Der Vater sieht schärfer, urteilt richtig, – wägt meinen Wert nach meinen Handlungen. – Es muß gelingen, auf diesem Wege die Unerfahrene zu täuschen, das Brandmal meines Rufes auszulöschen, ihr Herz zu gewinnen. Nein, sie kann nicht gleichgültig bleiben für den Wohltäter und Retter ihres Vaters! Ihre Hoheit, zum klaren Bewußtsein der Dankespflicht gekommen, wird keinen Preis zu hoch finden. Und ich fordere keinen anderen Preis als sie selber. – – Es kann nicht fehlen! Den Vater schicke ich als meinen Werber voraus, begleitet von einem starken Gefolge Wohltaten, die für mich sprechen. Schließlich komme ich selbst in Gestalt des glühendsten Liebhabers, – mit Worten, feurig und erobernd, wie meine Leidenschaft. – – – Siehst Du, elender Saint-Just, so gewinnt man Frauenherzen! Rasender Dummkopf, verschmähte Liebe mit dem Fallbeil zu strafen! Was nützt ein geköpftes Weib? Wer zertrümmert ein kostbares Gefäß, das er gewinnen kann? Nur tobsüchtige, blinde Rachsucht handelt unvernünftig. – – Angenommen, Isabella ist auf dem Wege der Güte nicht zu gewinnen, – werde ich sie guillotinieren lassen? Ha, – ha, – Unsinn! Ich werde sie allerdings entführen, aber nicht nach dem Schafott. Mein hübsches Landhaus ist ein viel würdigerer Aufenthalt für ein so reizendes Geschöpf. – – Vorläufig leises Auftreten, – klug berechnetes Weben meiner Fäden. Der Brief gehe voran, ich folge morgen und werde als Freund empfangen. Selbst der Bürger »Georges« sei mir Anlaß zur Empfehlung. Ich werde sie bitten, meinen wirklichen Namen vor dem Vater zu verschweigen und mich Georges zu nennen. Warum? Weil der verleumdete und verrufene Danton mein wirkliches Selbst nicht darstelle. Ich werde ihr auseinandersetzen, wie Parteileidenschaften die edelsten Männer beschmutzen, das reinste Streben verunglimpfen. Ich werde Hinweisen auf die reine Person des Welterlösers, aus dem giftige und verlogene Zungen einen Volksaufwiegler gemacht. – Im Grunde ist's zwar nur eine Mohrenwäsche. Warum sollte man aber selbst einen Mohren nicht weiß tünchen können vor gläubigen Augen? – – Und dann, – wer weiß, ob nicht der Mohr seine Farbe wirklich ändert! Es regt sich etwas in mir, das brechen möchte mit dem ewig blutlechzenden Danton. und diese Regung, dünkt mir, wurde geboren in dem Augenblick, als die strahlende Sonne Isabella in die Nacht meiner Seele hineinleuchtete.« Wachsmuth, Bd. II. S. 270. Cantu, Bd. XIII. S. 151.

Er versiegelte den Brief, schrieb die Adresse und klingelte.

»Dieses Schreiben trägst Du nach dem Hotel »Zur Gleichheit«,« befahl er seinem Diener. »Dort fragst Du nach der Bürgerin Isabella Rovere und gibst ihr selber diesen Brief. Du grüßest sie von mir und meldest, daß ich morgen früh zehn Uhr sie besuchen werde.«


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