Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

In der Guillotine.

Mit Aufbietung seiner ganzen Geisteskraft hatte David die furchtbare Gemütsbewegung niedergehalten, um nicht Isabellas Unruhe und Bangigkeit zu vermehren. Er unterschätzte keineswegs Mut und Willensstärke der Gräfin, was ihr jedoch bevorstand, war so entsetzlich, daß eine bloße Mitteilung genügte, um das Schlimmste befürchten zu lassen. Der Mordplan des unnatürlichen Sohnes, sowie Dantons beschlossene Gewalttat mochten auf Isabella lebensgefährliche Erschütterungen hervorbringen. So urteilte wenigstens der getreue Torhüter. Daher sein Schweigen und die namenlose Angst, welche ihn nach dem Wirtshause »Zur Guillotine« trieb. Besaß Gilbert wirklich den behaupteten Einfluß, dem Fallbeil ein Opfer entreißen zu können? Bei der Herrschaft des Proletariates und der Tatsache, daß Menschen der untersten Schichten zu Ansehen und Macht gelangten, war dies gerade nichts ungewöhnliches. Dennoch quälte den Torwächter unsägliche Angst, Gilbert möchte übertrieben und sich gebrüstet haben, ohne die versprochene Hilfe leisten zu können.

David schritt durch die Einfahrt, öffnete die Türe zur Linken und betrat einen Saal. Dicker Tabaksqualm erfüllte den weiten Raum. An zahllosen Tischen saßen Sanscülotte trinkend, essend, rauchend in sehr lauter und lebhafter Unterhaltung. Verwilderte schmutzige Gestalten mit scharf ausgeprägten Gesichtern, grimmige Entschlossenheit zu jeder Bluttat in den unheimlichen Zügen, rote Mützen auf den Köpfen, teilweise ohne Jacken und Blusen, mit aufgestülpten Hemdärmeln saßen nach Hunderten umher. Vor ihnen standen Schnapsflaschen, selten Gläser mit Wein. Ein Getöse schreiender Stimmen, geschwungene Fäuste, heftige Geberden, grinsende Gesichter, Gelächter und Flüche, – und das ganze roch nach Brand, Raub und Blut.

David erkannte sofort, daß er sich an einem Orte befinde, wo die gefährlichsten und radikalsten Elemente von Paris zusammenströmten.

Er war an der Türe stehen geblieben und spähte nach Thomas. Ein Proletarier trat vor ihn.

»Wen suchst Du, Bürger?«

»Meinen Freund, Thomas Gilbert.«

»Wie heißest Du?«

»David!«

»Dann bist Du schon der Rechte,« sagte der Proletarier, ergriff den Torwächter beim Arm und führte ihn nach einem dichtbesetzten Tische.

»Bürger-Geschworener Gilbert hat mir aufgetragen, Dich zu unterhalten, bis er kommt,« sagte der Proletarier. »Nun, – es fehlt nicht an Unterhaltung. Du brauchst nur Deine Ohren aufzumachen. Trinke, Bürger!« – und er schob ihm ein gefülltes Schnapsglas hin.

»Wurde vielleicht Gilbert unversehens anderswohin gerufen?«

»Weiß nicht! Gar zu lange wird er nicht ausbleiben. – Du kennst ihn von früher her?«

»Wir beide sind aus dem Limousin, alte Freunde. Zufällig begegneten wir uns. Ich freute mich ungeheuer und war verwundert, meinen Landsmann auf einem so ehrenvollen und wichtigen Posten zu finden; denn zum Geschworenen taugt nicht jedermann.«

»Gilbert hat seinen Platz im Justizpalast redlich verdient,« erwiderte der Proletarier. »Du weißt es nicht? Das ging so zu! – Einige Schurken klagten Marat, den großen Marat, der Konspiration an. Da berief Gilbert eine Versammlung unserer Sektion. Alle Sanscülotte liefen zusammen, hörten Gilberts Rede und seinen Plan, wie man den Volksfreund Marat retten müsse. Gilberts Vorschlag fand allgemeinen Beifall und wurde sogleich ins Werk gesetzt. Noch am nämlichen Tage traten einige Sektionen miteinander in Verbindung. Es gab viel Lärm und Bewegung. Wie nun Marat vor das Revolutionstribunal kam, da erwarteten ihn viele Tausend Bürger mit dem festen Willen, das ganze Tribunal an die Laterne zu hängen, wenn es Miene mache, Marat zu verurteilen. Aber es machte keine Miene dazu. Sogar Fouquier und Collot hatten Angst. Da sich Marat mit seiner heiseren Stimme nicht verständlich machen konnte, so verteidigte ihn Gilbert im Namen des Volkes. Du hättest die Rede hören sollen, – das war etwas! Und das Volk redete auch ein Wort dazu, – ein Wort, das man zwei Stunden vor Paris hören konnte. So wurde Marat freigesprochen. Wir setzten dem braven Sanscülott einen Eichenkranz auf den Kopf und führten ihn nach dem Konvent, wo er seinen alten Platz wieder einnahm. Gilbert aber, der sich um das Vaterland verdient gemacht und im Namen der Proletarier gesprochen hatte, wählte das dankbare Volk zu den Geschworenen.« Wachsmuth, Bd. II. S. 117.

»Ich bin stolz darauf, einen solchen Freund zu haben,« sagte David, dem Gilberts augenscheinlicher Einfluß zu großem Troste gereichte. »Immer hatte er ein edles Herz. Unrecht konnte er niemals leiden und war gleich Feuer und Flamme gegen jede Brutalität.«

»So ist er heute noch! Viel gilt er bei den Geschworenen, oft gibt seine Stimme den Ausschlag,« versicherte der Proletarier. »Jetzt pass' auf, – eben fängt Fabret zu reden an, – ein Patriot, der weiß, wie das Volk denkt und was es will. Merk' auf, – aus Fabrets Mund hörst Du alle Sanscülotte von Paris und von ganz Frankreich.«

An einem Tische in Mitte des Saales hatte sich eine schmutzige Gestalt erhoben, in zerrissenen Kleidern, mit bleichem Gesicht und stechendem Blick. Er sprang auf seinen Stuhl und klatschte einigemale in die Hände.

»Stille, – stille, – Fabret will sprechen!« rief es von allen Seiten.

Das Getöse schwieg. Alle saßen erwartungsvoll.

»Bürger! Ich lade Euch ein, das zu betrachten, was wir bis heute fertig gebracht haben. Seht einmal vier Jahre zurück. Damals gab es noch einen Tyrannen, den man König nannte. Es gab Privilegierte, Adel und Geistlichkeit. Es gab despotische Gesetze und Knechtschaft. Es gab eine Armee von Beamten, für welche das Volk in seinem Schweiße arbeiten mußte. Es gab Galgen, Rad und Henker, aber nur für das unterdrückte Volk. Es gab in Frankreich fünfundzwanzig Millionen Sklaven, nämlich das ganze Volk, und nur eine Million Freie, nämlich die Privilegierten. Dazu gab es eine schreckliche Geistesknechtschaft, nämlich die Religion des Aberglaubens, und einen Gott, der seine Freude an der Geistesknechtschaft und an der Sklaverei des Volkes hatte. Bürger! Wie steht es heute? Wo ist der allerchristlichste Tyrann?«

»Er hat niesen müssen!« rief eine Stimme? Die Sanscülotte nannten das Guillotinieren »niesen«.

»Wo sind die Henker des Volkes, die Privilegierten?« fuhr der Redner fort. »Wo ist die blutaussaugende Vampyrenarmee der Beamten? Wo sind die Pfaffen, diese geistigen Henkersknechte, welche im Bunde mit der Tyrannei das arme Volk unterjochten?«

»Sie haben alle geniest, – prosit!« riefen lachend die Proletarier.

»Ich sage, – der heilige Zorn des erwachten Volkes hat sie alle zertreten,« rief Fabret mit wachsendem Feuer, »die fünfundzwanzig Millionen Sklaven haben ihre Menschenrechte zurückgefordert, sie haben das Sklavenjoch zerbrochen und sich zum freien Volke gemacht. Das souveräne Volk hat noch mehr getan. Es hat auch die Geistestyrannei zerschlagen, den religiösen Wahn abgeschafft. Die Kirchen, diese Brutnester der Geistesknechtschaft, hat das souveräne Volk ausgeleert. Mit Betstühlen, Heiligenbildern und Altären hat es seine Suppe gekocht. Schließlich hat es auch den Herrgott abgesetzt, und die menschliche Vernunft zur höchsten Gottheit erhoben. Heute ist jeder Patriot sein eigener Gott, weil jeder souverän ist. Den blödsinnigen Glauben an einen Gott haben zwar schon in den Zeiten der Tyrannei viele gescheite Leute und Philosophen erkannt und verspottet, Allein, wir die Proletarier, wir, das souveräne Volk, haben die Philosophie praktisch gemacht. Die Stubengelehrten kochten die Suppe, wir essen sie. Krieg haben wir allen Tyrannen erklärt, sowohl jenen, die auf Erden sind, wie jenem, der im Himmel sein soll. Der Volkswille ist heute die einzige Religion, die Volkssouveränität der einzige Gott.« Cantu, Bd. XIII. S. 147.

»Und der Bauch die einzige Kirche!« rief eine Stimme.

Wieherndes Gelächter.

»Bürger, was wir gewannen bisher, habe ich angedeutet. Jetzt merket auf! Angeben will ich, was wir noch erreichen müssen, wenn Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vollkommen durchgeführt werden sollen. – Mit der Gleichheit steht es noch herzlich schlecht. So lange es noch Reiche und Arme gibt, ist Gleichheit nur ein leeres Wort. Darum sage ich: – Gleichheit der Güter!«

Ein ungeheuerer Beifallssturm brach los. Die Proletarier klatschten in die Hände und schrieen: – »Teilen, – nieder mit den Reichen! Gütergemeinschaft, – Gleichheit des Besitzes! Teilen, – teilen!«

»So lange das souveräne Volk hungert, während die Reichen prassen, schmeckt die Freiheit bitter und Gleichheit ist gar nicht vorhanden,« redete Fabret weiter. »Die ganze Gesellschaft muß vernunftgemäß eingerichtet werden. Jedermann hat einen Bauch, darum muß die naturgemäße Gesellschaft gegründet werden auf das Prinzip der animalischen Bedürfnisse. Ich will sagen, – weil jedermann einen Bauch hat, so müssen auch die Mittel jedermann geboten werden, seinen Bauch zu füllen. Der Bauchdienst bleibt immer die Hauptsache.«

»Ganz richtig! Bravo!« rief es vielstimmig.

»Was helfen dem souveränen Volke Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wenn es vom leeren Bauche beständig gezwickt und gequält wird? Darum hat Hebert Recht, wenn er im Konvent den Antrag stellte, alle Luxusgärten auszurotten und dieselben mit Kartoffeln zu bepflanzen. Recht hat Hebert, wenn er beantragt, alle Reichen arm zu machen, damit eine wirkliche Gleichheit hergestellt werde und die leeren Bäuche der Sanscülotte zu bellen aufhören. Man hat Hebert widersprochen. Seine Anträge kamen nicht zum Beschlusse im Konvent. Allein Hebert ist ein Freund des Volkes, ein echter Proletarier. Gibt es etwa im Konvent geheime Aristokraten? – Bürger, haltet Eure Augen offen! Sorget dafür, daß die richtigen Leute unter die Guillotine kommen. Unterstützen wir Hebert. Er meint es redlich mit der Volkssouveränität, und keine Volkssouveränität, keine Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, so lange es noch Reiche und Arme gibt.« Wachsmuth, Bd. II. S. 268.

Er stieg herab unter stürmischem Gebrüll der Sanscülotte. An allen Tischen begann eine leidenschaftlich erregte Besprechung des vorgeworfenen Gegenstandes.

»Nieder mit den Reichen! Teilen, – Gleichheit des Besitzes! Teilen, – Gütergemeinschaft!« waren allenthalben die herrschenden Schlagwörter.

»Nicht wahr, Fabret hat den Nagel auf den Kopf getroffen?« sagte Davids Nachbar. »Er weiß, wie das Volk denkt, was ihm fehlt, was es will. Bei der nächsten Wahl muß Fabret in den Konvent. Säße er darin, die Reichen wären längst gerupft.«

»Wo bleibt nur Gilbert? Er wird mich doch nicht vergessen haben?«

»Gewiß nicht! Dir scheint etwas Schweres auf dem Herzen zu liegen, Bürger!«

»Du hast recht, – meine Freundschaft und Sehnsucht nach Gilbert wiegen schwer.«

»Ich meine, so ein Anliegen,« fuhr der Proletarier fort, dem Davids erwartungsvolle Bangigkeit auffiel.

»Natürlich, Bürger, Gilbert liegt mir sehr an.«

»Du verstehst mich nicht! So ein Anliegen, – einen Wunsch, – eine Not, mein' ich. – Ah, ich merke, Du hast kein Vertrauen zu mir!«

»Du täuschest Dich, Bürger! Mir fehlt weiter gar nichts als Gilbert.«

Bei der argwöhnischen Zudringlichkeit des Proletariers kam David ein Wortstreit gelegen, der sich am Tische erhob und die Aufmerksamkeit seines Nachbars erregte. Derselbe Moro, welcher Napoleon Bonaparte aufzuhängen unternahm, hatte seine Begriffe von Volkssouveränität auseinandergesetzt, die Göttlichkeit jedes Sanscülotten erklärt und schließlich behauptet, der Gottesdienst dürfe nur im Essen, Trinken und Tanzen bestehen. Hiebei geriet er in Widerspruch mit anderen, welche eifrig für den Dienst der Vernunftgöttin eintraten, wie er in Notre-Dame, der Kathedrale von Paris, dargestellt werde.

»Was hab' ich davon,« sagte Moro, »wenn man beim Vernunftgottesdienst singt, auf einem Gerüst herumläuft und die Göttin küßt, – davon krieg' ich nichts in den Bauch.«

»Du entstellst die Sache; so geht es dabei nicht her,« behauptete ein anderer. »Man muß alles sagen, und nicht stückweis' oder falsch. Kein Mensch läuft dabei auf einem Gerüst herum, und ein hübsches Mädchen, das wenig Kleider an hat und die Göttin vorstellt, zu küssen, ist auch ein Spaß. – Waret Ihr schon dabei, Bürger?«

Verneinende Kopfbewegungen.

»Nun, merkt auf, will's Euch erklären! Also, – in Notre-Dame ist ein Tempel der Philosophie erbaut, Philosophie aber bedeutet Vernunft. Der Tempel sieht aus wie ein Hügel und soll den Berg im Konvent vorstellen. Um den Berg herum kann man gehen auf Pfaden, zwischen Töpfen mit Blumen und Gesträuchen. Oben auf dem Berg sitzt die Vernunftgöttin, das schönste Mädchen in Paris. Es hat einen blauen Mantel an, sonst gar nichts, und auf dem Kopfe einen Eichenkranz. Um den Berg herum gehen hübsche junge Mädchen, singen Freiheitslieder und die Musik spielt dazu. Ist das nicht prächtig? Wartet, es kommt noch viel schöner! Ein langer Zug wurde aufgestellt. Voran die Musik, dann die weißen Mädchen, dann die Vernunftgöttin. Sie saß auf einem Thron, der von zehn Sanscülotten an langen Stangen getragen wurde. Jetzt kamen wir, viele Hundert Männer und Weiber. So gingen wir, lustig johlend und singend, nach dem Konvent. Im Sitzungssaal hielt ein Gemeinderat an die Deputierten eine Rede über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Vernunft. Wie er fertig war mit der Rede, verließ die Vernunftgöttin ihren Thron und ging zum Präsidenten des Nationalkonventes, während alle Deputierten ganz eifrig und beifällig die hübsche Göttin betrachteten. Laloi, der Präsident, umarmte die Göttin und küßte sie. Dasselbe taten alle Sekretäre. Darauf setzte sich die Göttin wieder auf den Thron. Alle Deputierten sprangen von den Sitzen und gingen mit zurück nach Notre-Dame, wo man der Vernunft die herrlichsten Lieder sang und dazu Musik machte. – War das nicht hübsch?« Cantu, Bd. XIII. S. 147. Wachsmuth, Bd. II. S. 255.

»Dein Bauch sagt – nein! Denn er blieb leer dabei,« rief Moro. »Unser Gottesdienst macht ein ganz anderes Gesicht; denn man wird satt dabei. Ich will erzählen, – die Bürger sollen entscheiden. – – Ihr alle kennt die große Kirche St. Eustache. Stellt Euch vor, Bürger, im Chor der Kirche sind Tische aneinander gereiht und so aufgestellt, daß sie zusammen aussehen wie ein ungeheuer großes Hufeisen. Am obersten Tisch, gerade in der Mitte des Hufeisens, sitzt die Vernunftgöttin. Sie hat eine rote Mütze auf dem Kopf und einen blauen Mantel an. Jetzt kommt die Hauptsache, nämlich alle Tische sind schwer beladen mit Fleisch, Würsten, Pasteten, Kuchen, Wein- und Branntweinflaschen. Ist die Gemeinde beisammen, dann gibt die Göttin ein Zeichen, daß der Vernunftgottesdienst angeht. Alles läuft an die Tische und greift zu. Man ißt und trinkt nach Herzenslust, – umsonst, versteht sich. Einen Hauptspaß machen dabei immer die Kinder. Auch die Racker kriegen ihren Branntwein, sind aber bald besoffen; da purzeln und taumeln die Knirpse in der Kirche herum, daß wir daran unsere Freude haben. Sind die Platten, Körbe, Schüsseln und Flaschen geleert, dann geht's hinaus auf den Platz vor der Kirche. Dort wird von Brettern der Betstühle ein großes Feuer angezündet. Jetzt gibt's um das Feuer einen lustigen Tanz. Ist's gerade heiß, so wirft man Jacken und Hosen weg und tanzt im Hemd, wie's echten Sanscülotten gefällt. Was dabei allerlei für Schnurren und Scherze vorkommen, könnt Ihr Euch denken. Leo, Bd. V. S. 116. – – Jetzt sagt, Bürger, ob unser Gottesdienst nicht hübscher und respektabler ist als jener in Notre-Dame!«

Die Umsitzenden nickten beifällig.

»Man muß gestehen, Moro hat recht!« rief ein Proletarier. »Die Tische mit Würsten, Schinken, Pasteten, Schnaps und Wein in St. Eustache sind weit anziehender als der leere Berg in Notre-Dame.«

»Ich sagte es ja!« rief Moro triumphierend. »Unser Gottesdienst muß in ganz Frankreich und in der ganzen Welt eingeführt werden, weil er vernünftig ist, und er ist vernünftig, weil er dem Bauche gefällt. Von Liedern und Musik wird man nicht satt. Bürger, – unser Gott ist der Bauch!«

Allgemeiner Beifall.

»Ah, – seht, da kommt Simon mit dem Buben des Tyrannen!« rief ein Sanscülott. »Hieher, Simon! Setze Dich zu uns, Tyrannenbändiger!«

Die Einladung galt einem falsch lächelnden Manne, der einen Knaben an der Hand hielt. Das Kind blickte scheu und ängstlich umher. Es hatte feine, edle Gesichtszüge, war in Lumpen gekleidet, von Schmutz überladen und dermaßen elend und abgemagert, daß Hunger und Mißhandlungen seine steten Begleiter zu sein schienen. Dieser Knabe war der Sohn des ermordeten Ludwig XVI., mithin der rechtmäßige König von Frankreich. Der Konvent hatte den Prinzen dem Schuster Simon übergeben mit dem Befehle, den Königssohn in der Weise der Sanscülotte zu erziehen. Hiebei leitete den Konvent die Absicht, nicht allein den jugendlichen König herabzuwürdigen, sondern ihn durch fortgesetzte Mißhandlungen töten zu lassen; denn Simon war ein entsetzlich gemeiner und grausamer Mensch. Er ließ den Prinzen die niedrigsten Dienste verrichten. Jedes Versehen strafte er unbarmherzig mit dem Knieriemen. Nicht einmal die Nachtruhe ließ er ihm. »Schläfst Du, Capet?« rief er ihm fast in jeder Nacht zu. Der Kleine mußte aufstehen und irgend etwas verrichten. Nebenbei mußte er die gemeinsten Gassenlieder lernen und Schnaps trinken. Sechs Monate hindurch bekam er kein sauberes Hemd, so daß er von Ungeziefer gequält wurde und vor Schmutz starrte. Der Konvent erreichte seinen Zweck, – der junge König wurde langsam zu Tode gepeinigt? Leo, Bd. V. S. 135.

»Wie geht's, kleiner König? Wie befindet sich Eure Majestät? Kannst Du schon Stiefel putzen?« höhnten die Proletarier.

Das unglückliche Kind sah furchtsam auf die verwilderten Gestalten.

»Simon, was ist das?« rief ein Sanscülott. »Dein Prinz würdigt das souveräne Volk keiner Antwort? Dein Knieriemen hat ihm den Tyrannen noch nicht ausgetrieben.«

»Willst Du antworten, verfluchter Capet?« schrie Simon, dem Knaben einen Puff versetzend.

»Was soll ich antworten?« stieß weinend der Kleine hervor.

Die Proletarier lachten.

»Gib ihm zuerst ein Glas Schnaps,« sagte Moro. »Hier, trinke, dummer Capet! Trinke Verstand aus dem Glase eines Sanscülotten, welcher auch dabei gewesen, wie man Deinen Vater hat niesen lassen.«

Der Knabe weinte bitterlich.

»Was ist's mit dem Kleinen?« frug David seinen Nachbar.

»Der Sohn des guillotinierten Tyrannen. Lange wird er nimmer schnaufen. Simon hält ihn gut – – Aber, – Du wirst ihn doch nicht bedauern, Bürger?«

Diese Frage veranlaßte Davids überwältigende Gemütsbewegung, die ihn beim Anblicke des königlichen Kindes erfaßte. So stark waren die Empfindungen des Mitleides und des Zornes, daß der Torwächter von Rovere einen Augenblick seine Fassung verlor und wahrscheinlich eine verhängnisvolle Antwort gegeben haben würde. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter. David erhob sich rasch. Gilbert stand vor ihm.

»Ich war lange, mein Freund! Hatte große Mühe. Die Sache ging nicht so leicht,« sprach leise der Bürger-Geschworene. »Aber sie geht dennoch, wenn man sie gehen macht.«

Er sprang auf Davids Stuhl und klatschte in die Hände. Das Getöse des Saales schwieg.

»Der Ausschuß unseres Klubs versammelt sich auf der Stelle!« rief Gilbert.

Sofort erhoben sich etwa zwanzig Proletarier und schritten nach der Türe.

»Komme!« sagte Gilbert, seinen alten Bekannten beim Arm fassend. »Plädiert hab' ich vor den Geschworenen, daß mir das Wasser vom Gesichte herunterlief,« fuhr er fort, indem sie durch einen dämmerigen Gang schritten. »Aber es war nicht umsonst. Ha, – Rache, – Rache! Heute noch brennen mir die Peitschenhiebe auf dem Rücken, – Rache! Mich schuldlosen Menschen in den Tod nach Cayenne schicken, – Rache! Hätte Schurke Henry doch tausend Köpfe, die man ihm abschlagen könnte!«

»Nach Cayenne hat er Dich geschickt, Thomas? Davon hab' ich nichts gewußt.«

»Wirst es gleich hören. Und dann,« – er blieb flüchtig stehen und sagte mit scharfer Betonung, »den alten Rovere kann ich nur dadurch retten, daß ich ihn zum vollständigen Narren mache. Du wirst mir darin nicht widersprechen.«

»Durchaus nicht, mein Freund!«

Sie betraten eine düstere Stube. Um einen Tisch saß der Ausschuß eines Zweiges des Jakobinerklubs, echte Sanscülotte, die Auslese der Grimmigsten des Proletariates. Erwartungsvolle Spannung lag in den Gesichtern und forschende Blicke fielen auf David, den Gilbert an seiner Seite niedersitzen hieß.

»Ein alter Freund und guter Patriot, – ich stehe für ihn!« begann Thomas, den Torwächter vorstellend. »Jetzt zur Sache! – Bürger, es handelt sich um einen Schurkenstreich gegen die Gerechtigkeit, den wir, das souveräne Volk, zu hindern berufen sind. Dann handelt es sich um ein Verbrechen gegen die Freiheit, das wir rächen müssen. Hört, Bürger, hört! – – – Vor vier Jahren hatte ich eine Braut, die hübsche Madelon von Nod. Sie gefiel dem jungen Grafen Henry von Rovere, dem Sohne ihres Grundherrn. Was tat Henry Rovere? Er zwang meine Braut, bei ihm in Dienste zu treten. Ich machte dem Mädchenräuber Vorstellungen, bat und beschwor ihn, meine Braut herauszugeben. Der Schurke Henry aber verhöhnte mich und sagte, meine Braut könne ich haben, wenn sie bei ihm den Dienst ausgestanden. Ich kam wieder. Dieser Bürger, damals Torhüter und Leibeigener des Tyrannen, warnte mich brüderlich. Allein ich schenkte den Warnungen dieses edlen Menschen ebensowenig Gehör wie seinen rücksichtsvollen und schonenden Andeutungen, die er mir machte über Madelon, welche mich an den Schuft Henry verriet. Wieder stand ich vor dem Tor und begehrte Einlaß. Wieder mahnte mich David und bat, dem Tyrannen aus dem Wege zu gehen. Da kam Schurke Henry geritten und schlug mich wie einen Hund mit der Reitpeitsche. Darauf ritt der Lump nach Limoges, meiner Vaterstadt, zum Polizei-Direktor. Was tat er dort? Am folgenden Tage sollte ichs erfahren. Die Henkersknechte der Tyrannei ergriffen mich, legten mir Ketten an und schickten mich nach Cayenne. Ihr seht, der edle Graf hatte mich für immer aus dem Wege geschafft! – – Allein er irrte sich. Die Pestluft von Cayenne war nicht so grausam wie der edle Graf. Ich starb nicht, sondern kehrte nach sieben Monaten zurück nach Frankreich, wo mich die Freiheit begrüßte. Ich kam nach Paris. Was ich hier tat und tue, wißt Ihr. – – Heute begegne ich meinem alten Freunde David. Ich frage ihn nach meinem Tyrannen Henry Rovere. Nun hört, was dieser Schurke weiter getan und noch tun will! Seine Familie, Vater, Mutter, Geschwister, beredete er, zu emigrieren. Warum? Damit er allein in den Besitz des Vermögens gelange. Dann zog der heuchlerische Wicht Proletarierkleidung an, spielte den Patrioten, täuschte das Revolutionskomitee in Limoges und nahm meine falsche Madelon zum Weibe. Dies alles genügt aber dem Schurken noch nicht. Er will weiter, – höher hinauf, – Deputierter oder gar Diktator werden. Wie kann er dazu gelangen? Durch eine glänzende patriotische Tat und durch gute Freunde, die einen langen Arm haben. Wie fängt der Spitzbube dies an? Hört! Seinen Vater, damals schon ein halber Narr, ein ganz unzurechnungsfähiger Mensch und jetzt vollständig verrückt, – seinen Vater also lockt er nach Rovere zurück. Mit dem Vater kommt auch Isabella, Henrys Schwester, ein ungeheuer schönes Mädchen. Beide, Vater und Schwester, kann der edle Patriot Henry sehr gut brauchen für seine verschmitzten Absichten. Den Vater klagt er an als Emigrierten und Verdächtigen, – bringt es fertig, daß der Narr hier vor dem Revolutionsgericht verurteilt werden soll. Warum hier? Damit der Patriot Henry leuchten kann vor Paris; denn er selber will persönlich vor Gericht erscheinen und seinen närrischen Vater unter die Guillotine bringen. Wer bewundert nicht den Patriotismus eines Mannes, der sogar den eigenen Vater anklagt und dem Schafott überliefert? In der Tat, Henry Rovere ist ein tugendhafter Mensch, ein großer Bürger! Solche Leute kann die Republik für die höchsten Ämter brauchen. Um aber Kommissär oder Präsident des Revolutionskomitees oder etwas ähnliches zu werden, hat man einflußreiche Freunde nötig, – etwa so einen Danton. Nun gebt acht, – einen Danton! Ihr glaubt vielleicht, so etwas gelinge dem Spitzbuben Henry nicht? Ihr täuscht euch, Bürger! Wie fängt er's an? Der schlaue Henry nimmt seine bildschöne Schwester, kommt hierher und stellt sie Danton vor. Und Danton? Nun, – er sieht und wird besiegt. Um solchen Preis könnte man schon für einen so ausgezeichneten Patrioten, der sogar seinen Vater guillotinieren läßt, ein gutes Wort einlegen. Übermorgen sollen wir den alten Narren Rovere verurteilen und die patriotische Gesinnung des jungen Rovere bewundern. – Was sagt Ihr dazu, Bürger?«

Die Proletarier waren mit Aufmerksamkeit der Rede gefolgt. Auf die Frage lachten sie grimmig.

»An die Laterne mit dem Schuft! Sein Blut würde die Guillotine beschimpfen. An die Laterne!«

»Ganz Eurer Ansicht, Bürger!« fuhr Thomas fort. »Allein die Sache hat ihren Haken. Der Gerechtigkeit droht Gewalt. Nur mit Hilfe des souveränen Volkes komme ich zu meiner Rache und die Gerechtigkeit zu ihren: Recht. Ihr habt es gehört: – Danton ist im Spiel.«

»Pah, – Danton!« rief ein Sanscülott verächtlich. »Wenn das souveräne Volk spricht, dann muß Danton sein großes Maul halten.«

»Bürger-Geschworener!« ergriff Fabret das Wort. »Wir begreifen und verstehen Dich. Du möchtest Rache nehmen an dem Tyrannen Henry Rovere und dazu hast Du zehnmal das Recht. Wir unterstützen Dich. Das Volk vergißt nichts. Du hast seinen besten Freund, den edlen Sanscülotten Marat, gerettet und für ihn das Volk gegen seine pfiffigen Feinde geführt, übermorgen wird das souveräne Volk Dir beistehen. Sprich, – was verlangst Du?«

»Dank Freunde! Im Namen der Gerechtigkeit und heiligen Rache bitte ich Euch, heute und morgen im Volksklub der Sektionen fünfzehn und sechzehn die Sache zu betreiben. Ich vertraue Eurer Klugheit, sie ist bewährt. Manche Geschworene sind feige genug, Dumas und Fouquier zu fürchten. Also muß das souveräne Volk eintreten für die Gerechtigkeit.«

»Es wird eintreten!« sprachen einstimmig die Sanscülotten.


 << zurück weiter >>