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In Haft.

Namenlos waren Schmerz und Schrecken Hildegards über den unheilvollen Ausgang des Kampfes. Sie wußte ihr letztes Kind in der Gewalt eines Mannes, dessen Härte und Gewissenlosigkeit das Schlimmste befürchten ließen.

Auch über Editha brachte die Schreckenskunde maßloses Wehe und Entsetzen. Sighards Haft war ihr gleichbedeutend mit dessen Ermordung, der vielleicht noch haarsträubende Peinigungen voraus gingen; denn von des Burggrafen Rachsucht und Grausamkeit erwartete sie Alles. Während aber Mutter Hildegard in einem Strome von Thränen und Klagen ihren Schmerz ausschüttete, blieb Editha äußerlich ruhig, – nur die Blässe ihres Angesichtes, sowie der starre Blick ihrer sonst strahlenden Augen, verriethen die Tiefe und Heftigkeit ihres Schmerzes. Als ihre Mutter sie einlud zu einem Gange nach Greifenstein, um die unglückliche Hildegard zu trösten, lehnte Editha mit tonloser Stimme die Einladung ab und ging nach ihrem Zimmer. Dort rang sie in vorübergehender Fassungslosigkeit die Hände, wie eine Verzweifelnde, dann saß sie starr, wie eine Bildsäule von weißem Marmor. Ihr goldenes Haar floß wirr um die Schultern bis in den Schooß hinab, zwei steinkalte, krampfhaft verschlungene Hände bedeckend und ein Gesicht umrahmend, das ein genialer Meister aus dem reinsten und weißesten Marmor künstlerisch vollendeter nicht bilden konnte. Plötzlich raffte sie sich auf und eilte hinab in die Wohnstube, die Herr Baldemar mit gedehnten Schritten durchmaß. Betroffen gewahrte er das veränderte Wesen seiner Tochter.

»Bist Du unwohl, Editha?«

»Unseren Hausfreund, den edlen Sighard, – das letzte Kind einer schwergeprüften Mutter, die wir hochschätzen und lieben, weiß ich in der Gewalt eines gar argen Mannes und fürchte Entsetzliches. Wir müssen Sighard helfend beispringen, müssen ihn retten.«

»Retten?« wiederholte Billungen verwundert. »Ein kindischer Schrecken mag wohl Deine Sinne verwirrt haben. Greifenstein droht nicht die mindeste Gefahr.«

»Doch – doch!« erwiederte sie in banger Hast. »Die Nacht haßt minder das Licht, wie der finstere Graf den lichten Helden Sighard. Nicht ritterliche Ehre, nicht Gottesfurcht hindert den Preußen, Schauerliches zu vollbringen; denn er ist weder Ritter, noch Christ. Eilen wir, bevor ein grauenhaftes Verbrechen geschieht!«

»Editha, – beim Himmel, – Du bist verrückt! Einen Edelmann ermorden, der sich zur ritterlichen Haft ergeben? Ha – ha! Ich sage es, Du bist von irren Sinnen! Doch nein, – Deine quälende Angst ist eine gerechte Strafe für Deine ungerechte und schlechte Meinung von einem ehrenhaften Manne. Natürlich, – jener Burggraf Deiner Vorstellung und Deines Urtheils wäre zu jeglicher Schandthat fähig.«

»Mein Urtheil irrt nicht, – den Ruchlosen kenne ich! O mein Vater, ich bitte, reiten wir sogleich nach Starkenburg, einen entsetzlichen Frevel zu verhüten!«

»Einen Frevel zu verhüten, – wie denn?«

»Durch unsere Fürsprache, und wenn diese nicht fruchtet, durch Zahlung des Lösegeldes. Meine Armspangen, mein goldenes Geschmeide, meine Perlen und Kleinodien, all meine Habe bieten wir dem habgierigen Manne.«

»Ei! – Und wenn Deine Schätze nicht ausreichen?«

»Dann nehme er mein Leben, meine Freiheit und was mir sonst gehört. O mein Vater, rühret Euch, bevor es zu spät wird, – helfet, – rettet!«

Billungen betrachtete schweigend seine Tochter und jetzt glitt es, wie ein glücklicher Einfall, über sein Gesicht.

»Gut, – reiten wir! Gehe, rüste Dich.«

Er trat in eine Kammer, schnallte silberne Sporne mit großen Rädern an die Füße, und vertauschte den Hausrock mit einem verbrämten Gewande.

»Eine günstige Gelegenheit, mein gegebenes Wort einzulösen!« frohlockte er. »Zur unausstehlichen Qual wurde mir dieses voreilige Wort; denn niemals hätte ich Editha bewegen können, einen Mann zu heirathen, welchen sie verabscheut, – den sie nun gar des schmachvollen Verbrechens fähig hält, an dem Gefangenen sich zu vergreifen. Bin zwar nach Herkommen und Recht befugt, meine Tochter nach Gutdünken zu vermählen, – selbst gegen ihre Herzensneigung; – aber Gewalt in solchen Dingen widerstrebt mir. Nun komme ich mit Glimpf über den saueren Handel hinweg; denn ich werde den Grafen bestimmen, als Lösegeld für Greifenstein die Hand Edithas zu begehren.«

Eine Stunde später ritten Billungen und dessen Tochter durch das Thor der Starkenburg. Freudig überrascht empfing der Graf die Gäste. Mit freundlicher Artigkeit und ritterlicher Huldigung behandelte er Editha, – Eigenschaften, die ihm sonst fremd waren, gegenwärtig aber keineswegs gemacht und erzwungen erschienen, sondern als natürliche Eindrücke der wundervollen Schönheit Edithas, deren verhaltener Schmerz und tödtliche Angst um den Geliebten ihrem Wesen eine unsagbare Würde und Hoheit verliehen.

»Zunächst meinen Glückwunsch zu dem erfochtenen Siege, Burggraf!« sagte Baldemar.

»Er wurde theuer bezahlt!« erwiederte Bertolf, indem eine düstere Wolke sein Gesicht bedeckte. »Greifenstein erschlug meine beiden ältesten Söhne, verwundete Steinberg nicht unbedenklich, und sechs und dreißig meiner Knechte sind todt.«

»Nun, – die Knechte lassen sich ersetzen, und Herr Hans wird mit einer ehrenvollen Narbe davonkommen,« tröstete Billungen. »Den Verlust von Beowulf und Bruning werdet Ihr mannhaft ertragen, – fielen sie ja durch die Hand eines gar streitbaren Ritters, den nicht umsonst der Minnesang rühmt.«

»Den ich aber unschädlich machen will,« versetzte Bertolf.

Editha zitterte heftig bei den Worten. Hätte nicht der Dämmer des Ganges, den sie eben durchschritten, Alles in ein Zwielicht gehüllt, das Entsetzen ihres Antlitzes würde auch dem Grafen ihre namenlose Seelenangst verrathen haben.

»Vor allen Dingen möchte ich ein Wort unter vier Augen mit Euch reden, Freund Bertolf! Inzwischen könnte meine Tochter in Gesellschaft Eurer Frau Mutter weilen.«

Der Burgherr öffnete eine Thüre und ließ Editha eintreten. Am Fenster des Zimmers saß Odina, deren abschreckende Häßlichkeit neben Edithas fesselnder Erscheinung noch lebhafter hervortrat.

»Mutter, ich bringe Euch hier Fräulein Editha, die Tochter meines Freundes Baldemar von Auerberg,« sagte vorstellend der Graf, eine kleine Bank, mit beweglichen Polstern, für das Edelfräulein zum Fenster schiebend. »Ich empfehle sie Eurem Wohlwollen, bis zu meiner Rückkehr.«

Sich tief vor Editha verbeugend, verließ er das Zimmer.

Das Weib betrachtete einige Augenblicke schweigend Editha, nicht wenig überrascht von deren ungewöhnlicher Schönheit. Aber nicht Achtung und herzliche Neigung, Empfindungen, die solche Anmuth und jungfräuliche Hoheit naturgemäß einflößten, verkündete der Ausdruck ihres Mienenspiels, wohl aber Neid und Hohn.

»Mich freut es, die Tochter eines deutschen Edelmannes kennen zu lernen, für den mein Sohn, der preußische Withing Bertolf, das Schwert gezogen, um deutsche Ehre und deutsches Recht durch preußische Kraft und Mannheit zu verfechten. Ohne den Grafen von Starkenburg wäre Baldemar von Auerberg, Euer Vater, längst zum Spott der Krämer und Pfahlbürger in Worms geworden.«

Editha empfand so wenig den Stachel dieser Worte, wie sie die abstoßende Häßlichkeit des Weibes zu bemerken schien, in solchem Maße hielten Schrecken und Bangigkeit um Sighard alle ihre Geisteskräfte gefangen. Als jedoch die Alte in das Gespräch den Geliebten verflocht, wurde ihre Spannung auf das Höchste gesteigert. Nebenbei folgte sie dem Zuge weiblicher Klugheit, unter dem Scheine gleichgültiger Nachfrage, die Absichten des Grafen mit dem Gefangenen zu erforschen.

»Welchen Gewinn brachte die wormser Fehde bisher meinem Sohne? Ich wüßte keinen, – den Erlös etwa ausgenommen für einige Wagenladungen erbeuteter Kaufmannsgüter, die von Juden um ein Spottgeld erstanden wurden. Jawohl, – meinen Sohn kommt die Freundschaft zu Eurem Vater hoch zu stehen! Zu Eurem Vater, der selber nicht Hand, noch Fuß rührt. Doch nun mag Bertolfs Waizen blühen; denn Sighard von Greifenstein, der Wormser Schild und schneidiges Schwert, ist in unserer Gewalt. Er soll es schwer büßen, gegen den Adel auf Seite der Krämer gestritten zu haben.«

»Wie mein Vater sagte, übergab sich Greifenstein zur ritterlichen Haft, deren streng geregelte Bestimmungen jede Peinigung oder Gewaltthat ausschließen.«

Die Alte öffnete ihren zahnlosen Mund zu einem boshaften Lachen, und giftig funkelte es in den grauen Augen.

»Es ist wahr, die Deutschen haben merkwürdige Sitten und wunderliche Gebräuche, an die sich jedoch ein Preuße nicht kehrt,« entgegnete sie. »Die Deutschen behandeln gefangene Feinde, wie gute Freunde, was eine große Dummheit und keine entschlossene Mannhaftigkeit verräth. Auch diese deutsche Dummheit kommt von den Mönchen, wie alle Dummheiten, mit denen die deutschen Edelleute behaftet sind. Die Mönche behaupten, man müsse die Feinde lieben und ihnen wohl thun, – wie albern das ist! In Preußen haßt und tödtet man die Feinde, – was natürlich und mannhaft ist. Der Withing Bertolf, mein Sohn, wird nicht tanzen nach der Pfeife der Mönche, er wird verfahren mit seinem Feinde nach der Sitte seiner Väter.«

»Wie darf er einen Edelmann tödten, der sich zur ritterlichen Haft ergab?« brachte die entsetzte Editha mühsam hervor.

»Der sich überwunden ergeben mußte,« verbesserte die Alte. »Ich sagte es ja: – den Preußen binden nicht die thörichten, mönchischen Bräuche deutscher Edelleute. Und dieser Greifenstein,« fuhr sie fort, indem verhaltene Wuth ihr ohnehin abschreckendes Gesicht zur teuflischen Fratze verzerrte, »hat er nicht meine beiden Enkel im Kampfe erschlagen? Hat er nicht zu verschiedenen Malen die Kriegsknechte meines Sohnes nieder gehauen? Hat er sich nicht zum Schilde der starrköpfigen Mönche in Lorsch aufgeworfen? Hat er nicht den fahrenden Bürgermeister von Worms geschirmt und hiedurch den Rechtsverfechter Eures Vaters, meinen Sohn, eines hübschen Lösegeldes beraubt? Droht nicht von seiner Hand Verderben unserem Geschlechte? Darum Rache, – süße Rache! Tod dem Todfeinde!«

Editha saß sprachlos, überwältigt von dem Schrecken ihrer Seele.

»Haarsträubend dünkt Euch dies, nicht wahr, Jungfräulein?«

»Ja, – haarsträubend!« stöhnte es kaum hörbar über ihre Lippen.

»Wirklich? Ei, – ei! Ich dachte, Ihr fändet Lust und Freude am Untergange des stärksten Feindes Eures Vaters.«

»Wir sind innig befreundet mit der Familie Greifenstein.«

»Befreundet, – gar innig befreundet?« wiederholte verwundert das Weib. »Ei, – ei, – wieder ächt deutsch, das heißt, – mönchisch! Greifenstein hat sich verbündet mit Euren Feinden, befehdet auf Tod und Leben Euer Recht, – und Ihr seid dem Todfeinde befreundet? Hm, – hm!«

Baldemars und Bertolfs Eintritt unterbrach das Gespräch. Der Graf erschien verschlossen und finster. Editha las deutlich Mordgedanken in seinen harten Zügen. Kaum hatte er jedoch einen Blick auf Billungens Tochter geworfen, als die schwarzen Wolken von seinem Gesichte verschwanden.

»Edles Fräulein!« begann er, den rauhen Klang seiner Stimme dämpfend. »Euer Vater hat mir eben Euere Jugendverhältnisse zu meinem Gefangenen erklärt, und mir versichert, daß Ihr innigen Antheil nehmt an dessen Schicksal. Offen gestanden, für mich etwas überraschend! Greifenstein that sein Möglichstes, Euren schwer gekränkten Vater nicht zu Recht und Ehre gelangen zu lassen, – ein Benehmen, das geschwisterliche Beziehungen aus den Tagen der Kindheit löst, wie mir dünkt. Da ich jedoch, Euere Gunst zu gewinnen, selbst vor dem Unmöglichen nicht zurück schrecke, so bin ich erbötig, gegen das eidliche Gelöbniß der Urfehde, meinen Gefangenen frei zu geben. Habet die Güte, uns zu dem Gefangenen zu begleiten und dessen Entscheidung zu hören.«

Odina schnellte vom Sitze, den halbnackten Knochenarm warnend gehoben, die unheimlich funkelnden Augen auf ihren Sohn geheftet.

»Withing, – Withing!« rief sie mit häßlich kreischender Stimme. »Gedenke des Spruches! Withing, – gedenke, was Heil und Mannheit von Dir fordern!«

»Seid beruhigt, Mutter! Niemals werde ich untreu der Vätersitte, niemals ungehorsam dem Schutzgeiste unseres Geschlechtes.«

Nach dieser Betheuerung verließ er das Zimmer, Editha und Baldemar nach der Stube des Gefangenen zu begleiten.

Ausgestreckt auf einem hochgethürmten, federreichen deutschen Bette, in das man auf einigen Stufen gelangte, lag Herr Hans von Steinberg. Die Schulterwunde, anfänglich von ihm für unbedeutend gehalten, hatte sich verschlimmert und bedurfte ärztlicher Behandlung, die in Starkenburg fehlte.

Neben dem Bette stand Sighard von Greifenstein und vor ihm ein Becken kalten Wassers, mit dem er Aufschläge machte, und in der sorgfältigsten Weise den Verwundeten pflegte. Es gewährte einen wohlthuenden Eindruck, den kühnen Recken, so furchtbar und gefährlich in der Schlacht, als sanften Krankenwärter zu schauen, eifrig bemüht, Wunden zu heilen, die sein grimmes Schwert geschlagen. Sein männlich schönes Angesicht, von den wallenden Locken seines reichen Haupthaares umrahmt, drückte Besorgniß und Theilnahme aus, und seine Stimme, ehern und dräuend im Kampfe, hatte jetzt den milden, gütigen Ton des Samaritans. Gegenwärtig übte Greifenstein wohl eine der schönsten Pflichten des Ritterthums, welche Beistand den Schwachen und Hilfsbedürftigen auch in dieser Form vorschrieben. Als Krankenwärter trug er nicht das eiserne Kleid des Kriegers, sondern eine eng anliegende Jacke und Beinkleider, welche bei jeder Bewegung die urwüchsige Kraft der Glieder hervortreten ließen.

»Mein trauter Kampfgeselle,« sprach Herr Sighard, nachdem er den kalten Umschlag erneuert, »die Wunde gefällt mir gar nicht! Ich meine, Ihr solltet den Beistand eines kundigen Arztes anrufen. Fahrlässigkeit in solchen Dingen bringt großen Schaden.«

»Und ich meine,« erwiederte Hans, »meine leibliche Mutter könnte nicht gutherziger und zimpferlicher meiner warten, als Ihr es thut.«

»Die sorgsamste Pflege reicht nicht aus, es müssen vielmehr geeignete Mittel der Heilkunde gebraucht werden,« entgegnete Sighard. »Lorsch besitzt einen vorzüglichen Arzt, den Magister Hildebert. Heute in der Frühe schickte ich meinen Knecht nach dem Stifte, dem Befinden Heidolfs nachzufragen. Er fühlt sich in Hildeberts Behandlung vortrefflich. Ich rathe Euch, die Hilfe jenes heilkundigen Mönches anzurufen.«

»Warten wir noch einige Tage,« erwiederte Steinberg. »Verschlimmert sich die Wunde, so reite ich in das Krankenhaus zu Lorsch und werde Bettnachbar und Leidensgenosse Eures Knappen.«

Die Thüre öffnete sich. Editha trat mit ihrem Vater und dem Grafen über die Schwelle.

Das unerwartete Erscheinen der Königin seines Herzens, brachte auf Sighard einen verwirrenden Eindruck hervor. Im ersten Augenblicke stand er unbeweglich, Editha anstarrend, wie eine höhere Erscheinung. Dann schoß eine jähe Gluth über sein Gesicht, er trat rasch heran, ließ sich auf ein Knie nieder und huldigte ihr. Auch das Edelfräulein erröthete flüchtig, indem es huldvoll dem Knieenden die Hand zum Kusse reichte. Allein der Gedanke an die Lebensgefahr, in der sich Greifenstein befand, machte ihr Angesicht ebenso schnell erbleichen.

»Willkommen, adeligstes Fräulein, an der Stätte meiner Haft!« sprach er tief bewegt. »Dank für Eure Theilnahme, – der süßeste Trost in schweren Stunden des Mißgeschickes!«

»Wir wollten nach Euch sehen, lieber Sighard!« sagte Baldemar, dem Gefangenen die Hand drückend. »Zugleich wollen wir den Burggrafen bitten, Euer Lösegeld zu bestimmen, damit Ihr geschwind der Haft ledig werdet.«

»Dank für Eure freundschaftlichen Bemühungen, denen ich selbstverständlich den besten Erfolg wünsche.«

»In der That könntet Ihr einen Fürsprecher von mehr Einfluß und Gewicht kaum finden, als meinen Freund Baldemar,« nahm der Graf das Wort. »Ich habe Euer Lösegeld bedacht, das nicht in Gold und Silber bestehen kann. Schwöret Urfehde, – und Ihr seid frei!«

»Urfehde?« wiederholte Greifenstein, betroffen einen Schritt zurück tretend, »Graf, – Unmögliches fordert Ihr!«

Ein Zug innerer Befriedigung glitt durch Bertolfs Mienenspiel.

»Dennoch für mich die einzig mögliche Bedingung Eurer Freiheit,« versetzte er kalt. »Einen Degen von solcher Stärke und kühnen Tapferkeit werde ich nur gegen die Gewißheit der Haft entlassen, daß er sich niemals rächt, mich niemals wieder befehdet, – kurz, daß er Urfehde schwört.«

»Wie könnt Ihr verlangen, daß ich frevle wider meine Ehre?« sprach unmuthig und gekränkt der Gefangene. »Vor meiner Rache seid Ihr wohl sicher; denn Christenpflicht und Ritterthum verbieten sie. Dagegen wäre es eidvergessen, schimpflich und ehrlos, meine Freiheit zu erkaufen durch Wortbruch an Worms, dem ich auf Ehre meinen Beistand gegen Euch zugesagt. Ebenso schimpflich wäre es, ewigen Frieden einem Manne zu schwören, dessen gewaltthätiges Treiben gegen Lorsch ein guter Ritter nicht geschehen lassen kann, ohne sein Gelübde zu brechen, das ihn zu Schutz und Beistand den Schwachen gegenüber verpflichtet.«

Der Preuße sah Baldemar bedeutungsvoll an.

»Hört Ihr, was mein Gefangener wider mich im Schilde führt?«

»Ein recht verzwickter Handel!« murmelte Billungen.

Jetzt mischte sich Herr Hans in die Sache. Anfänglich durch Edithas Erscheinung gefesselt und mit den Zeichen der Bewunderung sie betrachtend, hatte er dem gesellschaftlichen Theile des Verkehrs keine Beachtung geschenkt. Als jedoch das Lösegeld besprochen wurde und er die Bedingung der Urfehde vernahm, schüttelte er unmuthsvoll den Kopf.

»Ritter Greifenstein hat Recht!« hob er an. »Ihr könnt von einem Edelmanne nichts Ehrwidriges fordern, Graf! Durch Wort, Brief und Handschlag gelobte Herr Sighard den Wormsern Waffenbruderschaft gegen Euch, – das muß gehalten werden. Burggraf, laßt Euch sagen, – mich kränkt Eure schnöde Bedingung, die beweist, daß Ihr ein Preuße seid, der von deutschen Sitten und deutscher Denkweise gar wenig versteht.«

»In solchen Dingen verstehe ich nur meinen Vortheil,« entgegnete Bertolf. »Thörichte Schwäche wäre es, um ritterlicher Bräuche willen sich schwer zu schädigen.«

Steinberg gewahrte Edithas verzehrende Angst, und ihr Anblick erfüllte ihn ebenso mit reger Theilnahme, wie mit Feuer und Begeisterung, einem so reizenden und anmuthsvollen Wesen zu dienen.

»Hört mich an, edle Herren, – hört meinen Vorschlag!« begann er nach einigem Nachdenken. »Herr Sighard wird ohne Zweifel ewige Gefangenschaft und Tod beschworener Ehrlosigkeit vorziehen, – ebenso wenig werdet Ihr nachgeben, Burggraf, ich kenne Euren harten Kopf! Bei solchen Streithändeln ist es deutscher Brauch, ein Schiedsgericht zu bestellen, dessen Spruch die Fehde schlichtet. Ein Ehrenamt ist das Schiedsgericht, und Ehrenämter verleiht deutsches Herkommen mit Vorliebe hochgesinnten, minniglichen Frauen. Bei Turnieren thronen und herrschen sie als Königin, und zieren den Helm des Siegers mit dem Lorbeer. Ihrem Spruche unterwerfen sich die kühnsten Recken und gehorchen ihren Befehlen, die stets Hoheit athmen und Adel der Gesinnung. Darum schlage ich vor, dieses adeligste Fräulein, wie es meine Augen niemals minniglicher geschaut, – dessen engelsgleiche Hülle Bürgschaft bietet für hohen Sinn, – diese hehre Jungfrau möge durch weisen Spruch den Zwist entscheiden.«

»Ohne Bedenken unterwerfe ich meine Sache dem gerechten Urtheile des gnädigen Fräuleins,« sprach mit einer Verbeugung der Graf.

»Auch ich zögere nicht, dem Spruche eines Richters mich zu fügen, der niemals gegen Pflicht und Ehre entscheiden kann,« versetzte Greifenstein.

Im Geiste ihrer Zeit fühlend und denkend, befremdete Editha das angesonnene Schiedsgericht keineswegs. Aber sie fürchtete, einen Spruch zu fällen, der mehr dem Drange ihres Herzens, den Geliebten zu retten, als den kalten, unbeugsamen Forderungen ritterlicher Ehre entsprechen möchte. Indem sie schweigend saß und sinnend vor sich hin blickte, traten die Merkmale eines heftigen Seelenkampfes in ihre Züge, in denen Sighard die ängstlichste Besorgniß für ihn zu lesen glaubte, – eine Wahrnehmung, die ihn mit der höchsten Wonne erfüllte.

»Nach adeligen Kampfgesetzen,« hob sie an, »hat Graf Bertolf ein unbestreitbares Recht, von seinem Gefangenen ein Lösegeld zu fordern, – dagegen hat er kein Recht, eine Bedingung wider Pflicht und Ehre zu stellen. Ohne den Schimpf der Ehrlosigkeit und des Treubruches kann Herr Sighard die verlangte Urfehde nicht schwören. Demzufolge heische Graf Bertolf von seinem Gefangenen ein gangbares und mögliches Lösegeld.«

»Sehr gut, – ich sagte es ja, – ausgezeichnet!« rühmte Hans.

»Meinem weisen und gerechten Richter Dank!« sagte Greifenstein.

»Ich werde Eurem Spruche gemäß verfahren, gnädiges Fräulein!« erklärte Bertolf. »Aber ich verlange Zeit zur Ueberlegung.«

Mit diesen Worten erhob er sich.

Edithas Abschied von Sighard bestand mehr in Blicken und Mienenspiel, als in Worten. Ihre Augen ruhten mit einem Ausdrucke auf ihm, der weit mehr verkündete, als die wärmste Theilnahme und Besorgniß. Ihre Wangen bedeckte flüchtig eine liebliche Röthe, die rasch wechselte mit der Blässe der schmerzlichsten Empfindung.

»Lebet wohl, Herr Sighard!« sprach sie leise, zu gleicher Zeit ihre Hand ihm reichend. »Harret, im Vertrauen auf Gottes Hilfe, eines Ausganges, den wir Beide ersehnen.«

»Ich preise eine Gefangenschaft, die einem Unwürdigen das höchste Glück Eurer Huld und Theilnahme enthüllte,« erwiederte er, mit den Lippen ihre Hand berührend.

»Auf baldiges Wiedersehen zu Auerberg, lieber Sighard!« sprach Herr Baldemar.

Bertolf öffnete die Thüre. Editha schritt hinaus, wandte sich im Gange nochmals um und winkte dem Gefangenen Lebewohl.

»Ein himmlisches Wesen!« rief Hans von Steinberg begeistert aus. »Weiß Gott, hab' mein Lebtag nichts Gleiches gesehen! Ihre Gunst zu gewinnen, möchte ich an das Ende der Welt reiten, mit Drachen und Teufeln zu streiten.«

»Und ich möchte hier ewig gefangen sitzen, gegen die Wonne ihres täglichen Anblickes und ihrer Theilnahme,« erwiederte Sighard, hingerissen von der schwärmerischen Verehrung seines Zeitalters für edle Weiblichkeit.

Der Burgherr geleitete die Gäste nach einem Zimmer, wo ein mit Speisen und Getränken beladener Tisch harrte. Indeß Herr Baldemar sich gütlich that, genoß Editha keinen Bissen. Fortwährend quälten sie die schrecklichsten Befürchtungen, welche ihre Ansicht von der Bosheit und Gewissenlosigkeit des Grafen erweckte, und die bestätigt wurden, durch Odinas entsetzliche Andeutungen.

»Eine Neuigkeit, Freund Bertolf! Gestern Mittag wurde mir Kunde, Kaiser Rudolph komme an den Rhein, – bereits sei er in Heilbronn.«

»Der Habsburger mag kommen oder nicht kommen, – mir höchst gleichgültig!« entgegnete der Preuße.

»Dennoch sollte Euch, dünkt mir, sein Nichtkommen erwünscht sein, sintemal die Wormser ganz gewiß Klage führen werden.«

»Und der Kaiser dürfte keinen Edelmann verurtheilen, der in gerechter Sache Worms befehdete,« versetzte Bertolf.

»Ihr möchtet Euch täuschen, Burggraf! Wie ich höre, nimmt es Rudolph von Habsburg sehr streng mit dem Landfrieden. Er dulde keine Fehden und zwinge den Adel, Recht zu nehmen von den kaiserlichen Landrichtern.«

»Der Adel wird auf seinen Standesfreiheiten bestehen und nach dem frommen Zuchtmeister nichts fragen.«

»Gerade den Adel behandle er scharf und sei hold den Städten, – hörte ich. An die zwanzig Raubvesten habe er gebrochen und die Herren darin kurzweg hängen lassen.«

»Wer sich hängen läßt, verdient den Galgen,« warf der Burgherr kurz hin.

»Offen gestanden, Graf, die wormser Fehde gießt bitteren Wermuth in jeden Tropfen Wein, den ich trinke. Kommt der Habsburger nach Worms, dann giebt es gefährliche Händel.«

»Könnt ohne Wermuth Euren Wein trinken, edler Baldemar! Unbetheiligt seid Ihr an der Fehde. Und mich soll der Kaiser vor seinen Stuhl nicht zwingen. Ich schließe das Thor meines festen Hauses und trotze einem Könige, welcher die Freiheiten des Adels niedertritt und sich unterfängt, freie Männer zu behandeln, wie Juden und hörige Knechte. – – Da Ihr jedoch, wie ich merke, der wormser Fehde gram seid, so könnte mich nur ein einziger Umstand bestimmen, derselben zu entsagen.«

»Dies wäre, lieber Burggraf?«

»Greifensteins Lösung. Unbezwingbar ist der Recke, seiner Stärke keine Lanze, kein Schwert gewachsen. Spielend haut er meine Knechte zusammen. Ich selber wage es nicht, im Kampfe ihn zu bestehen. Darum ewige Haft für den Degen und Fortsetzung der Fehde, – oder Greifensteins Freigebung, die mich zum Frieden mit Worms zwingt.«

»Entscheidet Euch für den Frieden, Herr Graf!« bat Editha.

»Euren Wunsch abzuschlagen, edles Fräulein, fällt noch schwerer, als eine Sache aufzugeben, die nicht siegreich ausgefochten wurde. Den wormser Krämern nachgeben, – ihren frechen Uebermuth nicht beugen, – sie nicht zwingen, durch schwere Buße verletzte Adelsehre zu sühnen, – sie höhnisch triumphiren lassen über mein Zugeständniß, einen ehrenvollen Austrag des Handels nicht erstreiten zu können, – – All dies schmeckt bitterer, als der Tod! Dennoch, wie gesagt, Euer Wunsch sei mir Gebot, so Ihr meinen Gefangenen lösen wollt. Nur Ihr, adeliges Fräulein, seid im Stande und reich genug, das Lösegeld zu zahlen.«

»Mit bestem Willen, Herr Graf!« erwiederte sie in freudiger Bewegung. »Für den Gespielen meiner Kindheit, für den zärtlich geliebten Sohn einer mütterlichen Freundin, gebe ich Alles gerne hin, – mein Geschmeide, meine Perlen, meine ganze Habe.«

»Verzeiht, Editha, weit Höheres fordere ich!« versetzte Bertolf, indem er sich erhob und in feierlichem Tone fortfuhr. »Alles Gold und alles Geschmeide bedeutet nichts, neben dem gemeinten Lösegeld. Erwäget, hochgesinnte Editha, – darf ein Edelmann für schnödes Gold seine Waffenehre gering achten? Sich dem Gespötte hochmüthiger Stadtleute preisgeben, wie ich es thue? Nimmermehr! Allein der Besitz jenes Schatzes, den ich meine, entschädigt für Alles, – verwandelt sogar die Bitterkeit feindseligen Hohngelächters in liebliche Musik. Schenket mir Eure Hand, Editha, – werdet Gräfin von Starkenburg, mein trautes Ehegemahl, und Sighard von Greifenstein ist frei.«

Ein versengender Strahl, flüchtig wie ein greller Blitz, flammte aus ihren Augen auf den Werber. Jetzt starrte sie vor sich hin, unfähig, ein Wort hervorzubringen.

»Vergebet die Kühnheit, Editha, mein höchstes Glück in dem Besitze des köstlichsten Kleinodes zu suchen!« fuhr er in achtungsvoller Haltung fort. »Nicht jetzt verlange ich Eure Entscheidung; denn es hat mein Erkühnen Euch verwirrt. Aber nach drei Tagen will ich nach Auerberg reiten, mein Urtheil zu hören. Verwerfet Ihr mein Werben,« schloß er in drohendem Tone, »dann ist auch Greifensteins Schicksal für immer besiegelt, und die Fehde gegen Worms nimmt ihren Verlauf.«

»Euer Werben, Graf Bertolf, dünkt mir, dem Vater, gar schmeichelhaft. An der Stelle meiner Tochter bedürfte ich keiner drei Tage Bedenkzeit. Meine väterliche Einwilligung gebe ich mit Freude. Nach dem Rechte väterlicher Gewalt, könnte ich zwar mein Kind, selbst gegen dessen Einwilligung, Euch zur Gattin geben, wie es Brauch ist und geübt wird im Reiche.«

»Nicht doch, Freund Baldemar,« unterbrach ihn der Preuße. »Eure Tochter möge sich frei, ohne jeglichen Zwang entscheiden.«

Wie betäubt saß Editha. Immer noch starrte sie vor sich hin, als öffne sich vor ihren Füßen ein höllischer Schlund, der sie zu verschlingen drohe.

Billungen fand es klug, den Besuch abzukürzen.

»Wir machen einen Abstecher nach Lorsch, Heidolf zu besuchen,« sprach er, sich erhebend. »Nach der Kunde dieses Morgens steht es gut mit ihm. Möge die Kopfwunde ihm das Ritterwesen verleiden und Neigung für den Mönchsstand erwecken, zu dem ich ihn von Kindesbeinen an bestimmt habe.«

Wie eine Träumende ging Editha durch die Räume, stützte sich sogar auf den Arm des Grafen, beim Besteigen des Zelters, ohne diese nahe Berührung mit dem Verabscheuten wahr zu nehmen. Auch die Vorstellungen des Vaters, während des Rittes nach Lorsch, und dessen Lobrede auf den edelsinnigen Burggrafen und treuen Freund, hörte sie nicht. Wie geistesabwesend stand sie vor Heidolfs Lager und ritt nach Auerberg zurück, ohne ein Wort gesprochen, oder eine Frage ihres Vaters beantwortet zu haben, so daß Herr Baldemar in nicht geringe Besorgniß über den Zustand seiner Tochter gerieth.

 


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