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Wie Sighard die Mannen des Burggrafen erschlägt.

Wenige Schritte von der Stelle entfernt, wo im lorscher Walde von der Landstraße ein Waldweg abzweigt, erhob sich eine Eiche von ungeheuerer Größe. Kaum vermochten zehn Männer mit ausgespannten Armen den Stamm dieses Waldriesen zu umfangen. Kaiser Carl der Große soll bereits unter diesem Baume gerastet haben, weßhalb er Carls-Eiche genannt wurde.

Am Stamme der Eiche lehnte gegenwärtig Hans von Steinberg, vom Wirbel bis zu den Füßen in Stahl gehüllt. Neben ihm ragte seine Lanze aus dem Boden, mit einem Schafte von ganz ungewöhnlicher Dicke und für die Kraft eines Riesen berechnet. Durch eine Lichtung der Bäume sah er beständig über die Landstraße hin, und zwar in der Richtung gegen Greifenstein, wobei die Merkmale ungeduldiger Spannung sein Gesicht belebten. Einige Schritte von ihm entfernt, standen die Reisigen in einer Gruppe beisammen, in leisem Tone sprechend, während die Pferde an Bäumen fest gebunden waren.

Am Saume des Waldes, hinter einem Stamme verborgen, stand Rambald, spähend nach dem fahrenden Goldschmiede aus Worms.

Kein Geräusch verrieth die Gegenwart der wegelagernden Rotte. Amsel und Drossel sangen ihre Morgenlieder, der Specht hämmerte Larven und Gewürm aus dürren Aesten, der Kuckuck ließ seinen einförmigen Ruf erschallen, und Thautropfen des Frühlingsmorgens hingen an Grashalmen und Gesträuchen, glänzend und funkelnd im Sonnenschein, wie blitzende Diamanten. Hie und da schritt noch ein Hirsch, der sich bei der Atzung verspätet, leichtfüßig, mit stolz gehobenem Geweih, über die Straße, im Dickicht des Forstes zu lagern. Zuweilen fuhr ein Lastwagen schwerfällig vorüber, und rüstige Wanderer, den würzigen Duft des blühenden Waldmeisters athmend und von den Herrlichkeiten des deutschen Waldes heiter gestimmt, zogen singend vorbei.

»Hm, – hm, er bleibt lange!« brummte Hans. »Ueber eine Stunde schon liegen wir an dieser Stelle, und immer noch kein Sighard. Wie, – sollte der tapfere Held gar seine Schutzbefohlenen preisgeben, – sie unvertheidigt wegfangen lassen, aus Furcht vor meiner Lanze? Pah, – dummes Zeug! Solch ein Degen weiß nichts von Furcht. – – Hm, – weßhalb kommt er nicht? Auf eine viertel Stunde kann ich die Straße überschauen, – aber kein Sighard nahe und ferne! Und mir brennt das Herz im Leibe nach einem Waffengang mit dem Recken.«

Rambald trat hastig heran.

»Eben naht die Kutte, – gerade zur rechten Zeit; denn öde und leer ist die Straße.«

»Mach's kurz ab!« erwiederte Hans gleichgültig, ohne sein Spähen einzustellen. »Reite ihm mit einem Knechte entgegen, nehmet den Aftermönch in die Mitte, – dann rechts ab in den Waldweg.«

Goldschmied Veit, ein junger Mann, saß auf einem paßtretenden Klepper, wie er sich für den bescheidenen Franziskanerbruder ziemte, die Kaputze seines Mönchsgewandes über den Kopf gezogen. Von der Pracht des Waldes begeistert und vom Zauber des Frühlingsmorgens umfangen, sang er bald Strophen feierlicher Choräle, bald summte er ein lustiges Reiterlied, ohne Ahnung dessen, was ihm bevorstand. Im geheiligten Gewande der allgemein verehrten Baarfüßermönche hielt er sich gefeit gegen jede Gefahr. Ohne den Verrath des Juden Machol, wäre er auch in dieser Verkleidung sicher den Krallen des Burggrafen entgangen. Selbst der Anblick von zwei Bewaffneten, die in scharfem Trabe nahten, machte ihn nicht stutzig. Sie ritten an ihm vorbei, wandten die Pferde und nahmen Veit in die Mitte.

»Mit Verlaub, ehrwürdiger Bruder, wenn wir Euch das Geleite geben,« sagte Rambald. »Im lorscher Walde ist's nicht ganz geheuer, – es haust da mancherlei Raubwild.«

Veit betrachtete verwundert und betroffen die unheimlichen Gesellen.

»Wer sollte einem Sohne des heiligen Franziskus ein Leid zufügen?« frug er mit unsicherer Stimme.

»Kein Mensch, – gewiß nicht!« antwortete Rambald. »Doch wißt, frommer Bruder, es verstecken sich allerlei Leute in die Kutte, um Solchen eine Nase zu drehen, die nach Fehdebrauch ein Recht auf sie haben. Da ist z. B. ein gewisser Goldschmied Veit aus Worms, der meint, dem Burggrafen Bertolf in der Mönchskutte entschlüpfen zu können. Ha, – ha, der Schelm hat sich arg verrechnet!«

Veit erschrack heftig. Zu gleicher Zeit ergriff Rambald die Zügel seines Pferdes und zwang es in den Waldweg, bei dem sie eben anlangten.

Noch war der Gefangene vor Ueberraschung und Schrecken zu keiner Erwiederung gekommen, als er sich von einem Haufen berittener Waffenknechte umringt sah, die ihn mit rohem Lachen begrüßten.

»Willkommen, frommer Bruder, im grünen Walde!«

»Habt Ihr etwa zum heiligen Nazarius nach Lorsch wallfahrten wollen?«

»Was trägt er da unter der Kutte um den Leib? Wahrhaftig, – einen ledernen Gurt, vollgepfropft mit Gold!«

»Das ist gegen die Ordensregel, – Franziskaner dürfen kein Gold bei sich tragen.«

»Rambald, erlöse ihn von dem ungerechten Mammon!«

»Die Hand von dem Golde, Schurke!« donnerte der übel gelaunte Steinberg, welcher die Hoffnung aufgegeben hatte, mit Sighard eine Lanze zu brechen, den Reisigen an. »Den Gurt trägt er selber nach Starkenburg, und Niemand soll den Gurt lösen von seinem Leibe, als der Graf! – Wetter und Hagel über alle Feiglinge, die sich zum Kampfe nicht stellen! Dieser Greifenstein ist eine Memme, ein hasenherziger Junge, sonst hätte er sich eingefunden, Jene zu schützen, die seiner Hut vertrauen.«

Mit diesen Worten bestieg er sein gewaltiges Streitroß und ritt an die Spitze des Zuges, der sich sofort in Bewegung setzte.

Hätte Steinberg schließlich wiederholt, was er anderthalb Stunden hindurch beharrlich gethan, nämlich nach dem sehnlichst Erwarteten noch einmal ausgeschaut, so würde er zwei Reiter bemerkt haben, die in großer Eile der Carls-Eiche nahten. Es ereignet sich jedoch häufig im Leben, daß man, trotz aller Mühe und Anstrengung, nicht zum Ziele gelangt, weil der günstige Augenblick des Handelns übersehen wurde. So zog nun Herr Hans durch den Wald, grollend und Sighards Feigheit verwünschend, die ihm nicht gestattete, eine empfangene Scharte auszuwetzen. Was ihm von Schmähworten zu Gebote stand, schüttete er aus über Greifenstein, bis der Goldschmied ihm zur Seite ritt.

»Ich muß gegen die an mir verübte Gewaltthat Verwahrung einlegen,« hob Veit an. »Höchst unchristlich ist es, einen schuldlosen Wanderer auf der Landstraße anzufallen, und ihn gefangen wegzuführen. Laßt mich in Frieden meine Reise fortsetzen, so Ihr ein guter Edelmann seid.«

Diese Ansprache war nicht geeignet, Steinbergs Groll und böse Laune zu besänftigen.

»Was Ihr da vorbringt, ist alles leeres Gerede und Schnickschnack einer verlogenen Krämerseele,« erwiederte er in barschem Tone. »Zuerst lügt Ihr mit Eurer Kutte, die sagt, Ihr wäret ein Mönch, – dann lügt Ihr mit Eurer Zunge, die sagt, Ihr wäret schuldlos. Kein Wormser ist schuldlos vor dem Burggrafen; denn allen hat er Fehde angesagt. Unrecht geschieht Euch nicht, dieweilen es Brauch ist, Befehdete niederzuwerfen und von ihnen Lösegeld zu nehmen. In gleicher Weise dürfen auch die Wormser mit dem Burggrafen umspringen, so es ihnen gelingt, ihn aufzuheben.«

Ein gellender Hornstoß unterbrach die Belehrung des würdigen Edelmannes. Augenblicklich wandte er das Pferd und schaute zurück.

»Halt!« befahl er den Reisigen. »Wer mag das Horn geblasen haben? Sollte das Zeichen etwa uns gelten?«

»Wahrscheinlich hat's Der vom Greifenstein geblasen,« meinte Rambald.

Von Hansens Gesicht entwichen alle finsteren Wetterwolken.

»So ist es, – wahrhaftig! Hat Keiner ein Horn, damit wir den Ruf erwiedern?«

»Wer denkt an Hörner, Euer Edlen, so man im Stillen und ohne Geräusch sein Tagewerk verrichten soll?« erwiederte ein Knecht.

»Dann will ich ihm ein anderes Zeichen geben,« sagte Hans, wölbte beide Hände vor dem Munde und rief mit dröhnender Stimme durch den Wald: »Holla – he! Hoiho! Holla – he!«

Regungslos und lauschend saßen die eisernen Reiter in den Sätteln, namentlich Steinberg, dessen Spannung einen solchen Grad erreichte, daß er auch den Mund zum Horchen öffnete. – Einige Sekunden vergingen in tiefer Waldesstille. Dann wiederholte sich der Hornstoß in bedeutender Nähe und mit solcher Macht, daß die erschreckten Pferde unruhig schnaubten und stampften.

»Donnerwetter, – das braust und schmettert, wie die Posaune zum jüngsten Gericht!« bemerkte ein Knecht.

Im nächsten Augenblicke ritt Greifenstein um die Biegung des Weges, ihm zur Seite Heidolf.

Rambald gedachte des verheißenen Kampfpreises und habgierig glühten seine Augen. Als er jedoch die näher kommende Hünengestalt betrachtete, wie ein Thurm von Stahl über dem gepanzerten Rosse sich erhebend, da fand er den Beistand von acht tapferen Gesellen kaum hinreichend, zur Bewältigung des Recken.

Heiter und freudig bewegt, wie zur Begrüßung des Freundes, ritt Steinberg dem Feinde entgegen.

»Willkommen, Herr Ritter!« rief er ihm zu. »Schon glaubte ich, Ihr würdet mir die Ehre versagen, mit Euch eine Lanze brechen zu dürfen.«

»Euer Glaube trifft zu, Hans von Steinberg!« erwiederte ernst der edle Degen. »Was Euch die Satzungen des Ritterthums versagen, kann ich Euch nimmer gewähren. Vielmehr bin ich hier, diesen ehrwürdigen Bruder aus Eurer Gewalt zu befreien.«

»Meinethalben, – wie es Euch gefällt! Nach dem Grunde frage ich nicht, wenn Ihr nur mit mir rennt. – Was Ihr jedoch hier vor Euch seht, ist kein Mönch, sondern ein verkappter Goldschmied. Niemand soll mir den Schimpf nachsagen, einen frommen Bruder des gebenedeiten Franziskus aufgehoben zu haben.«

Sighards Blick ruhte forschend auf dem Gefangenen.

»Verzeiht die Täuschung, gnädiger Herr! Ich bin Veit, ein Goldschmied aus Worms, und borgte dieses ehrwürdige Gewand zu meiner Sicherheit. Wer meine Vermummung an den Burggrafen verrieth, weiß ich nicht.«

»Gehört auch nicht hieher,« unterbrach ihn Steinberg. »Nicht viel Redens, – rennen wir! Seht, Herr Ritter, da liegt eine hübsche Strecke in gerader Linie, – messen wir ab! Auch läuft der Weg just gerade so, daß wir Beide gleiches Licht und gleichen Wind haben.«

Mit frohem Eifer, als gelte es irgend ein scherzhaftes Spiel, und nicht einen Kampf auf Leben und Tod, maß Steinberg eine Strecke von etwa dreihundert Schritten mit seinem Lanzenschafte, und schied dieselbe in zwei gleiche Theile. Während dies geschah, winkte Rambald seine Waffengenossen zur Seite.

»Gedenket unserer Abrede!« mahnte er eindringlich. »Wird Steinberg aus dem Sattel geworfen, dann fallen wir zumal über Greifenstein her und hauen ihn nieder. Seid mannhaft, haltet euch wacker! Der Burggraf wird's euch lohnen.«

Laut zählend und messend, hatte Steinberg wiederholt die Strecke durchschritten, und nach Verlauf von zehn Minuten war die Rennbahn bezeichnet. Jetzt hielten die Kämpen an beiden Enden, hoch zu Roß, unter dem rechten Arm die langschaftige Lanze, in der Linken den Stahlschild. Beim Mittelpunkte der Bahn saß Heidolf zu Pferde, das Hifthorn in der Hand und im Begriffe, das Zeichen zu geben.

Unter den Bäumen, am Rande des Weges, hielten die Reisigen, ihre wuchtigen Streitäxte in der nervigen Faust, die Schilde kampfbereit am Arme, feindselige Blicke nach Greifenstein werfend.

Wie zwei Figuren aus Erz hielten die beiden Gewappneten einander gegenüber, und keine Bewegung verrieth, daß Leben die eisernen Gestalten beseele. In erwartungsvoller Spannung harrten die Zuschauer, – selbst der Wald schien die Dinge zu belauschen, die da kommen sollten; denn tiefste Stille herrschte, kein Laubblatt regte sich. Sighard senkte die Lanze und hob den Schild. Steinberg machte die gleiche Bewegung. Heidolf setzte das Horn an den Mund, das Zeichen ertönte, und mit Blitzesschnelligkeit stürmten die beiden Hünen aufeinander los. Ein donnerähnliches Krachen, weithin durch den Wald schmetternd, verkündete den Zusammenstoß. Nach allen Seiten flogen die Splitter der Lanzenschafte, und dieses gelungene gegenseitige Zerbrechen der Waffen würde beim Turniere rauschenden Beifall der Zuschauer verdient haben. Gegenwärtig aber wurde kein Sturm der Bewunderung, nicht einmal ein Laut der Anerkennung hörbar; denn Schrecken hatte den ehemaligen Klosterschüler und den Goldschmied ergriffen, und die Reisigen sahen Steinberg in den Sand geworfen. Mit solcher Macht hatte ihn Sighards Lanze getroffen, daß der Sattelgurt zerriß und der Riese einen schweren Fall that. Während sein Roß mit wildem Satze zur Seite sprang, raffte er sich stöhnend auf.

In Folge des furchtbaren Stoßes, war Sighards Streithengst auf die Hinterbeine gesunken, und kaum hatte ihn der gewandte Reiter wieder in seiner Gewalt, als die Reisigen mit lautem Kampfgeschrei über ihn herfielen. Dieses plötzlichen Angriffes nicht gewärtig, trafen schwere Axthiebe den Gewappneten, bevor sich derselbe zur Wehre setzen konnte. So ungestüm war der Anfall und so hitzig, daß in blinder Wuth die Knechte darauf los schlugen, und mancher Axthieb nicht Greifenstein, sondern die Reisigen traf. Da zuckte es, wie leuchtender Wetterstrahl durch die Luft, – Held Sighard hatte sein mächtiges Schwert gezogen. Dem blitzenden Strahl folgte ein zermalmender Schlag, und ein Knecht sank mit gespaltenem Kopfe vom Pferde.

»Ha, – Verräther, – Schurken, – Buben!« rief grimmig der Ueberfallene, und jedes Wort begleitete ein Hieb, welcher den Tod brachte.

Scheu wichen die Starkenburger zurück; denn bereits lagen ihrer Fünf in den letzten Zuckungen am Boden.

»Schämt euch, Gesellen!« schrie Rambald. »Vor einem Einzigen wollt ihr ausreißen? – Weg mit den Aexten, – sie schlagen nicht durch! Greift zu den Schwertern! Auf, – rächen wir unsere Freunde!«

Sighard verfolgte nicht einen Schritt weit die Weichenden, wohl deßhalb nicht, weil er einen Kampf mit reisigen Knechten des Ritters unwürdig erachtete. Allein der meuchlerische Ueberfall empörte ihn. Das bluttriefende Schwert in der eisernen Faust, hielt er in Mitte der Leichen, die um ihn her lagen, einem gereizten Löwen ähnlich, der zum Sprunge gerüstet, die Bewegungen der Feinde beobachtet. Abschreckend flammten seine Augen, und dumpfe Zorneslaute rollten dräuend durch die Oeffnungen des Helmes, die verhaltene Wuth des ergrimmten Recken bezeichnend.

Der muthige Rambald schwang seinen Pallasch und stürzte an der Spitze seiner Genossen abermals heran. Besonderes Vertrauen schien er hiebei auf seinen starken Schild zu setzen, der mit dickem Leder überzogen und rings um den Rand mit Eisenbändern beschlagen war. Hoch empor hielt er diese verlässige Wehr, die ihn decken sollte gegen des Feindes schneidiges Schwert. Im nächsten Augenblick fiel der Schild, in zwei Stücke zertheilt, von seinem Arm. Dieses unerhörte Ereigniß und die plötzliche Zerstörung seines stärksten Schutzmittels, brachte auf Rambald einen solchen Eindruck hervor, daß er wie gelähmt im Sattel saß. Sighard verschmähte es jedoch, die flüchtige Blöße und Bestürzung des Gegners zu benützen. Sein Schwert sauste auf zwei andere Knechte nieder, die ihn heftig angriffen. Der Eine fiel ohne Kopf vom Pferde, dem Anderen trennte ein Hieb den Arm von der Schulter. Er wankte im Sattel, schrie laut auf und stürzte zu Boden. Da traf Sighards Haupt ein so wuchtiger Schlag, von Rambalds starker Faust geführt, daß ihm die Ohren summten und nur der harte Stahl des Helmes sein Leben schirmte. Darob ergrimmte gewaltig der Held. Zischend fuhr sein Schwert nieder und bis in den Hals hinein spaltete ein furchtbarer Streich Rambalds Kopf. Den letzten Reisigen ergriff ein solches Entsetzen, daß er sein Pferd herum riß, dem sicheren Verderben durch die Flucht zu entrinnen.

Ueber und über mit Blut bespritzt, rastete nun Herr Sighard auf dem schnaubenden Rosse, mit einem Anfluge von Beschämung auf die Erschlagenen niedersehend; denn er hatte aus Nothwehr gethan, was die Satzungen jedem Ritter verbieten: – er hatte gestritten mit unebenbürtigen Feinden.

Eigenthümlich war das Verhalten der Zuschauer, während eines Kampfes, der einen so blutigen und raschen Verlauf nahm.

Obwohl der Knappe nach den bestehenden Regeln nur verpflichtet war, seinen Ritter mit dem Schilde gegen feindliche Hiebe nach Möglichkeit zu decken, nicht aber am Kampfe Theil zu nehmen, so stand es ihm doch frei, dies zu thun und sich durch Tapferkeit auszuzeichnen Heidolf that weder das Eine, noch das Andere. Das grausige Gemetzel übte auf ihn solchen Schrecken, daß er weit mehr Neigung empfand, das Blutvergießen zu verhindern, als durch Theilnahme am Streite zu vermehren. Als der Klosterschüler von ritterlicher Fehde und Abentheuern träumte, nahm sich Alles in der Vorstellung ganz anders aus, als in der Wirklichkeit. Der eingebildete, durch jugendliche Phantasie ausgeschmückte Waffenstreit hatte für ihn ebenso viele Anziehungskraft, wie die nackte Wirklichkeit Abstoßendes und Entsetzliches. Dennoch würde er sich ohne Zweifel ermannt und seinem Herrn Beistand geleistet haben, wäre dieser in Gefahr gekommen. Allein Sighards gewaltige Stärke und Waffenkunst beherrschten mit solcher Uebermacht die Wahlstatt, und er schlug so rasch und sicher die Feinde nieder, daß er gleichsam spielend die Starkenburger überwand.

Veit hatte sich hinter einen Baumstamm geflüchtet, betrachtete mit Zeichen des Entsetzens das mörderische Streiten und rang die Hände.

Ganz verschieden war Steinbergs Verhalten. Er hatte sich, beim Beginn des Kampfes, unter eine Buche zurückgezogen, stöhnend und seufzend unter schrecklichen Schmerzen. Wie zerbrochen hing sein rechter Arm herab, der ihm bei der geringsten Bewegung unausstehliche Pein verursachte. Als jedoch das blutige Handgemenge begann, nahm er mit solcher Begeisterung an demselben Theil und folgte mit solcher Bewunderung allen Bewegungen und Schwertschlägen Greifensteins, daß er seine Schmerzen vergaß. Laut erhob er sogar seine Stimme zu Aeußerungen des Staunens und Lobes.

»Ha, – der Kampf eines Löwen mit Wolfshunden!« rief er. »Welch ein starker Degen, – welche grimme Schwerthiebe! Wahrhaftig, – die Stahlhaube durchgehauen, wie 'nen Kürbis, – Kopf und Hals bis an die Schultern gespalten! Hei, – wie geschwind die Gesellen von den Rossen fallen! Nein, – solche Stärke, – solchen Recken sah ich nimmer!«

Als Greifenstein zum Schlusse der Blutarbeit gekommen, wollte sich Steinberg ihm nahen. Bei der Bewegung überfielen ihn jedoch so rasende Schmerzen, daß er laut aufschrie. Sighard stieg vom Pferde und trat heran.

»Wie befindet Ihr Euch, Hans von Steinberg?«

»Oh, – ich erdulde Höllenqual!« rief der Verwundete, das Gesicht verzerrend. »Hier an der Schulter, – es ist gräßlich!«

Sighard faßte prüfend den Arm. Steinbergs rauhe Stimme heulte abschreckend durch den Wald.

»Der Arm ist an der Schulter aus dem Gelenke, wir müssen ihn einrichten. – Heidolf,« – gebot er nach flüchtiger Ueberlegung seinem Knappen, »löse alle Schwertriemen der gefallenen Knechte und bringe sie hieher. Fasset Muth, Herr Hans!« tröstete er den ächzenden, unter namenlosen Qualen sich windenden Feind. »Gelingt es uns, den Arm in das Gelenke zu bringen, so ist der Schaden mit den Schmerzen beseitigt. Solch ein Fall kommt ja öfter vor und wird leicht gehoben. Ich werde Euch mit diesen Schwertriemen an den Baum festbinden und den Arm in das Gelenke ziehen. Seid Ihr einverstanden?«

»Mir ist Alles Recht! Oh – oh – nicht zum Aushalten!«

Greifenstein that, wie er gesagt. Je drei Schwertriemen zusammenschnallend, band er zwei Male den Verletzten an den Baum fest.

»Ich werde nun mit aller Kraft an dem Arm ziehen,« erklärte Sighard. »Das Einrücken des ausgesprungenen Knochens wird zwar Eure Schmerzen sehr steigern, – seid jedoch ein Mann und haltet Euch wacker!«

Herr Hans biß die Zähne zusammen. Den linken Fuß vorstemmend, schickte sich der Ritter an, seine Heilkur zu beginnen, – einen barmherzigen Samaritan darstellend, welcher Jenem Hilfe bringt, der ihn eben erst mit dem Tode bedrohte. Kaum begann er, an dem Arm zu ziehen, als Steinberg ein Schmerzensgeschrei anhob, das mehr dem Gebrüll eines Löwen, als menschlichen Lauten glich. Schauerlich hallte die Donnerstimme des Riesen durch den Wald; denn mit wachsender Kraft zog der ritterliche Arzt. Was die Stärke von sechs Männern kaum vermochte, leistete Herr Sighard. Die Schwertriemen krachten und dehnten sich, tief in das dicke Leder hinein schnitten die Schnallen, sinnbetäubend brüllte der angebundene Hüne, so daß sämmtliche Hirsche, Rehe und Eber, im Umkreise einer Stunde, entsetzt die Flucht ergriffen. Jetzt that es einen Krach, der Armknochen war in das Gelenke gesprungen.

»Es gelang,« sagte froh Herr Sighard.

»Oh – oh!« stöhnte Hans, den Schweiß vom Gesichte wischend.

»Wie ist Euch nun?«

»Der Schmerz zieht ab, – wird immer weniger.«

»Könnt Ihr den Arm bewegen? Versucht es! – Es geht ja vortrefflich! Zu Hause legt Ihr nasse Tücher auf das Schultergelenke, und morgen ist Alles spurlos verschwunden.«

»Edler Degen, ich danke Dir! Großmüthig habt Ihr an mir gehandelt, – willls Euch gedenken.«

»Weiter nichts that ich, als meine Pflicht. Ihr wißt ja, Ritter sollen im gerechten Kampfe nicht allein Wunden schlagen, sondern auch Wunden heilen.«

»Beides versteht Ihr meisterhaft, Held Sighard! In meinem Leben sah ich keinen Degen dermaßen streiten, wie heute Euch. Ersticken würde ich vor Schande und Grimm, von einer Lanze zwei Male aus dem Sattel gehoben zu werden. Was jedoch ein gar kühner und streitbarer Mann gethan, das schmerzt weniger. Laßt Euch sagen, Herr Sighard, – mein Leben gäbe ich willig für die hohe Ehre, Euch rühmlich im Streite zu bestehen!«

»Und ich wünsche, Euch niemals wieder zu begegnen unter Umständen, die Eurem Wappenschilde keine Ehre bringen,« versetzte ernst der Sieger.

Steinberg runzelte die Stirne.

»Hört mich an, Herr Sighard! Kein Edelmann verdient in höherem Maße meine Achtung, als Ihr, – im Punkte der Ehre bin ich jedoch sehr empfindlich. Niemals hab' ich ehrwidrig gehandelt, – will lieber einen Dolch verschlucken, als durch Ehrwidrigkeit meinen Wappenschild besudeln. Aus dem Ritterstande wurde ich gestoßen, – aber mit Unrecht; denn Juden nieder zu werfen, schändet nicht, dieweilen Juden ein vermaledeit Volk sind, deren Sinnen und Trachten nur dahin geht, Christen zu betrügen und auszuplündern. Auch gegenwärtig handelte ich der Ehre nicht zuwider, sintemal ich des Burggrafen Genosse und Waffenbruder bin in einer löblichen Fehde, die Rechtens und dem Herkommen gemäß angesagt wurde.«

»Ihr täuschet Euch!« erwiederte Greifenstein. »Des Burggrafen Fehde gegen Worms widerstreitet den Gesetzen des Reiches und ist strafbarer Landfriedensbruch.«

»Der Adel nimmt Recht von seinem Schwert, von sonst Niemand!« entgegnete trotzig Herr Hans.

»Ein heidnischer Grundsatz, der allerdings vor vielen hundert Jahren, da unsere Vorfahren noch in der Finsterniß der Abgötterei schmachteten, zu Recht bestand,« erklärte Greifenstein. »Die deutschen Heiden kannten nur das Recht der Stärke, – das Faustrecht, von dem sich gar manche traurige Spuren bis in die Gegenwart erhielten. Wir aber sind keine Heiden, sondern Christen, vor Gott durch das Evangelium verpflichtet, auch das Recht der Schwachen anzuerkennen, sowie Streitfragen zu entscheiden durch das Gesetz, – nicht mit Gewalt, durch rohe Unterdrückung des Rechtes. Genau in diesem Geiste des christlichen Rechtsbewußtseins verfährt das Ritterthum, dessen Satzungen die gewaltthätige Unterdrückung des Nebenmenschen verdammen. Auch die Juden sind Menschen, sohin unsere Nächsten, denen wir Recht schulden. Sind die Juden Blutsauger des Volkes und arglistige Betrüger, so möge sie das Gesetz strafen an Leib und Leben, wie es ja geschieht. Verharren die Juden unverbesserlich in ihrer Gemeinschädlichkeit, mögen sie sogar alle zusammen des Landes verwiesen werden. Doch Bedrückung und Ermordung derselben ist unadelig und gegen das Evangelium. Demzufolge geschah Euch kein Unrecht durch die Ausstoßung aus dem Ritterstande.«

Steinberg war aufmerksam der fließenden Rede des ehemaligen Klosterschülers gefolgt.

»Ich merke, ebenso gut versteht Ihr, das Wort zu führen, wie Lanze und Schwert. Ist meine Gesinnung heidnisch, – nun, – dann helfe mir Gott! Genug hievon, – kann just in solchen Dingen mit Euch nicht streiten. – Jetzt wollen wir unseren Handel in's Reine bringen. Nach Herkommen ist Euch mein Roß und meine Rüstung verfallen, – desgleichen Rosse, Wehr und Waffen der Knechte.«

»Ich mache von den Rechten des Siegers keinen Gebrauch,« erwiederte Greifenstein. »Mir genügt es, den fahrenden Goldschmied befreit zu haben.«

Steinberg blickte schweigend vor sich hin, wobei eine lebhafte Gemüthsbewegung über seine rauhen Züge glitt.

»Herr Sighard,« sprach er aufblickend, »zum zweiten Male handelt Ihr dermaßen edelsinnig an mir, daß es gar weichmüthig mir um das Herz wird. Auf hübsche Rede verstehe ich mich schlecht, – sage nur: – ich danke Euch! Sollte ich einmal in den Fall kommen, Euch Gleiches vergelten zu können, werdet Ihr an Hans von Steinberg einen Edelmann finden.«

»So lebt denn wohl, und Gott sei mit Euch!« erwiederte Greifenstein, indem er sein Pferd bestieg, und mit Heidolf und Veit nach der Landstraße zurückkehrte.

Beide Hände auf den Kreuzgriff des vor ihm stehenden Schwertes gestützt, blickte Hans dem sich entfernenden Sieger nach, und zwar mit einem Gesichtsausdrucke, der sowohl Bewunderung für Greifensteins Heldenmuth, wie Achtung für dessen ächt ritterliche Gesinnung enthielt. Dann wandte er sich nach dem geflüchteten Reisigen, der immer noch in einiger Entfernung zu Pferde saß, und winkte ihn heran.

»Du bleibst hier, hältst Wache bei Leichen und Rossen. Ich werde gegen Starkenburg reiten und Knechte schicken, die Gefallenen fort zu schaffen.«

Er bestieg sein Pferd, verfolgte den Waldweg und bald war seine riesige Gestalt unter den Bäumen verschwunden.


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