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Münsterbauer.

Der tief religiöse Zug des Mittelalters bändigte nicht allein die Leidenschaften, adelte nicht blos die Denkweise des Volkes und beugte urwüchsigen Trotz unter das Joch Christi, er befruchtete zugleich die Geister für Kunst und machte sie empfänglich für Ideale. Was von Malerei, Schnitzwerken, Bildnerei und Baudenkmalen des Mittelalters, aus den Stürmen der Kriege und vandaler Zerstörungswuth, in die Gegenwart gerettet wurde, ist zwar nur Weniges im Verhältnisse zur Zahl und Mannigfaltigkeit vernichteter Kunstwerke, – es ist zudem nur Stückwerk und Ruine, – dennoch aber läßt es die Großartigkeit und Volksthümlichkeit eines blühenden Kunstlebens deutscher Vergangenheit ahnen. Bei der unbestreitbaren Blutsverwandtschaft zwischen Kunst und Religion, war die allgemeine Begeisterung für Kunstgebilde ein naturgemäßer Trieb der herrschenden religiösen Richtung. Das fromme Gemüth und der ideal strebende Sinn der Menschen fanden Wohlgefallen an religiösen Kunstwerken und schönen Formen, von den Riesenbauten der Dome angefangen, bis herab zur häuslichen Ausstattung und den Dingen im täglichen Gebrauche.

Betrachtet man die Ueberreste gothischer Münster, so wird klar, daß nicht Einzelne solche Werke schaffen und deren Inneres ebenbürtig ausschmücken konnten, – dazu gehörte vielmehr die Beihilfe aller Stände, die Theilnahme des ganzen Volkes.

Auch den Bau der Liebfrauenkirche zu Worms förderten alle Stände, vom Leibeigenen angefangen, bis hinauf zum höchsten Adel. Aus weiter Ferne flossen Gaben, kamen Hohe und Niedere, durch Geschenke und Handleistungen ihrem frommen Sinn zu genügen. Darum bot auch der Bauplatz, außerhalb der Ringmauern gelegen, ein sehr bewegtes Bild von ameisenartiger Thätigkeit. Wie ein kleines Dorf erschienen die Bauhütten der Steinmetzen, unter deren Händen der rohe Stein zierliche Formen und sinnvolles Leben annahm, bis er, in das Ganze gefügt, einen Theil jener himmelwärts strebenden Pfeiler bildete, die harmonisch zusammenflossen im Kreuzgewölbe, oder in schwindelnder Höhe ein sinnig reizendes Blätterwerk entfalteten.

Zünftig waren die Steinmetzen, wie alle Gewerke, und sittlich strenge waren ihre Satzungen. Meister und Gesellen müssen christliche Ordnung halten, sich einander brüderlich beistehen, jeden Sonntag das Hochamt besuchen und mindestens im Jahre einmal die heiligen Sakramente empfangen. Flucher, Schwörer, Unzüchtige und Trunkenbolde wurden nicht geduldet. Für den Gottesdienst und die Pflege erkrankter Brüder hatte jeder Zunftgenosse eine Wochengabe zu entrichten. In den Meisterschulen und Steinmetzenhütten wurden Lehrlinge und Gesellen unterwiesen und ausgebildet. Jeder Geselle war zu Lehr- und Wanderjahren verpflichtet, und Meister wurde Keiner, der sich in praktischer Beziehung nicht erprobt und ein reifes Meisterwerk geliefert.

Kaiser und Päpste beschenkten die Steinmetzenzünfte oder Bauhütten mit Vorrechten und Freiheiten, von denen die wichtigste war, daß sie nach eigenen Gesetzen sich regieren durften. Auf jedem Bauplatze war eine Hütte errichtet, wo der Werkmeister unter einem Baldachin saß, das Schwert der Gerechtigkeit in der Hand, wenn er Gericht hielt. Daher die Satzung: »Ein jeglicher Meister soll seine Hütte frei halten, daß darinnen keine Zwietracht geschehe, frei soll er seine Hütte halten, wie eine Gerichtsstätte.«

Zehn bis zwölf Brüder hatten einen Werkmeister, welcher Mönch war, den Bau leitete und über alles Zugehörige die Aufsicht führte.

Die erste rein deutsche Bauhütte war jene im Kloster Hirschau, gegründet im Jahre 1082, von dem Abte Wilhelm, dem Heiligen, einem geborenen Pfalzgrafen von Scheyern.

Kaiserliche Privilegien und päpstliche Bullen gestatteten allen Gliedern der Baubruderschaften, frei von Land zu Land zu reisen, daher die Benennung »freie Maurer, Freimaurer«. Das Zusammenwirken aller Bauhütten war streng und geheimnißvoll. So lange die Bauhütten Theile der Klostergemeinschaften bildeten, war ihre Sprache die lateinische.

Den harmonischen Aufbau des Werkes zu ermöglichen, stand die Steinmetzenzunft in enger Verbindung mit den Zünften der Bildschnitzer, Zimmerleute, Metallgießer und Schlosser, und nur diese gegenseitige Unterstützung und Förderung konnte die Einheit eines Ganzen wahren, das in endloser Fülle kleiner Theile sich zergliederte.

Als Hartmann von Oppenheim mit seinen beiden Begleitern die Baustätte betrat, schritten sie nach jener Stelle, wo der »Bauwart« in seiner Bude saß. Das Amt des Bauwartes bestand in der Annahme freiwilliger Gaben für den Münsterbau. Diese Gaben waren mannigfaltig, ein buntes Gemenge der verschiedenartigsten Dinge. Der Edelmann opferte Rüstung und Waffen, weßhalb Panzerhemde, Schwerter und Helme in der geräumigen Bude des Bauwarts hingen. Zierliche Kästchen enthielten goldenes und silbernes Geschmeide, Edelsteine und andere Kleinodien, von Bürgern und Patriziern geopfert. An den Wänden hingen Kleidungsstücke, von dem gold- und pelzverbrämten Gewande des Reichen angefangen, bis herab zur einfachen Jacke des Armen. Auch Betten und Linnenzeug bewahrte ein besonderer Raum. Um die Bude lagen Ställe, in denen sich Kühe, Rinder, Pferde und Schweine befanden, die Opfergaben von Bauern und Grundherren. Einige Zünfte in Worms hatten es übernommen, die Thiere so lange zu unterhalten, oder zu mästen, bis sie verkauft wurden. An bestimmten Tagen wurden auch die übrigen Gegenstände versteigert und floß der Erlös in die Baukasse.

Diese Opfergaben liefern zugleich einen Beweis, wie die großartigen Kunstbauten des Mittelalters entstanden, wie das gesammte Volk, Reiche und Arme, nach Vermögen und mit Begeisterung dieselben schufen. Gleich allen Erscheinungen jener gestaltungskräftigen Zeit, kleidete sich auch die Bauweise in lebendige Farben und geistvolle Poesie.

Nicht minder bedeutend waren die Leistungen der Baubruderschaften, die sich zur unentgeltlichen Arbeit an dem Werke verpflichteten. Und diese Bruderschaften bestanden in allen christlichen Staaten des Mittelalters. Abt Aimon von St. Pierre sur Dive schreibt im Jahre 1145: »Es ist ein überaus wunderbares Schauspiel, daß hervorragende, auf ihre Abstammung stolze, an ein gemächliches Leben gewöhnte Männer an einem Karren ziehen, um Steine, Kalk, Holzstücke und Alles, wessen es für den heiligen Bau bedarf, herbeizuführen. Mitunter sind tausend Menschen, Männer und Weiber, den Karren vorgespannt, und doch vernimmt man nicht den geringsten Lärm. Ruhen sie einen Augenblick, so reden sie wohl, aber nur von ihren Sünden, die sie unter Thränen und Gebet bekennen. Alsdann werden sie von Priestern ermahnt, den Haß abzulegen, die Schulden zu erlassen, und ist Einer so herzenshart, seinen Feinden nicht zu vergeben und die heiligen Ermahnungen in den Wind zu schlagen, alsbald wird er vom Karren losgebunden und aus der heiligen Arbeitergemeine verstoßen Cantu, B. VII, S. 694.

Oppenheim und seine Begleiter grüßten den Bauwart, und ließen einige Silberstücke in den aufgestellten Opferstock gleiten.

»Vergelt's Gott und Unsere Liebefrau!« dankte der Mann in der Bude.

»Könnt Ihr uns nicht sagen,« frug Heinz Sterren, »an welchem Orte Graf Wolfram von Simmern heute arbeitet?«

Der Gefragte deutete nach einer Stelle, wo weiße Dämpfe emporstiegen.

»Der heilige Mann, nach welchem die Ehrsamen forschen, ist gerade beim Kalklöschen. Wollt Ihr ihn sprechen, so kommt Ihr just gelegen; denn eben beginnt die Ruhestunde. Während der Arbeit redet Bruder Wolfram nicht ein Wort, außer was sein muß.«

Die Bürgermeister und Windeck gingen nach der bezeichneten Stelle, wo Graf Wolfram, in der Nähe einer Mörtelpfanne, auf einem Stein saß. Er trug die grobe und einfache Kleidung gewöhnlicher Arbeiter, darüber einen Lederschurz mit einem Bruststück. Seine untersetzte Gestalt war von kräftigem Bau, hager und von schwerer Arbeit angegriffen. Sein Haupt bedeckte ein Hut, unter dessen Krämpe zwei sinnende Augen hervorblickten und ein ernstes Gesicht belebten. Vormals ein mächtiger Herr und fehdelustiger Degen, hatte ihn die Leidenschaft bis zur Blutthat fortgerissen und ein Verbrechen sein Gewissen belastet. Dann erfaßte ihn die religiöse Strömung seiner Zeit, bittere Reue überkam ihn und der Vorsatz zur Lebensbesserung. Einen Theil seines Vermögens gab er den Armen, hängte Waffen und Rüstung in der Kirche auf, und sich selbst verurtheilte er zu einem strengen Bußleben. Er wurde ein Knecht Marias, der hochgebenedeiten Mutter des Herrn, und übernahm die niedrigsten Arbeiten beim Bau des Liebfrauenmünsters. Seine Nahrung war dürftig, seine Wohnung eine Bretterhütte in der Nähe des Bauplatzes, sein nächtliches Ruhelager ein Schragen mit einem Holzblock als Kopfkissen. Diese Selbstverläugnung und Härte sollten die Missethat des früheren Lebens sühnen und büßen. Während seine Arbeitgenossen, die Mörtelträger, zum Brode Fleisch aßen und Wein tranken, hielt er ein trockenes Stück Roggenbrod in der Hand, von dem er aß, und aus einem Napfe mit Wasser stillte er seinen Durst.

Beim Nahen der Bürgermeister erhob er sich, grüßte freundlich und blieb in bescheidener Haltung vor ihnen stehen.

»Wir suchen Euren klugen Rath in einer wichtigen Sache, Herr Graf,« begann Oppenheim.

»Mit Verlaub,« unterbrach ihn Graf Simmern, »man nennt mich gemeinhin Bruder Wolfram, weßhalb ich bitte, den Grafen bei Seite zu lassen.«

»Wie Ihr wollt!« versetzte Herr Hartmann mit achtungsvoller Verbeugung. »Unser Handel ist folgender,« und er berichtete eingehend Ursprung und Verlauf der Fehde mit Bertolf.

»Die ganze Bürgerschaft ist erbittert über den Burggrafen,« fuhr Oppenheim fort. »Man fürchtet, er werde die Stadt schädigen, indem er die Handelsstraße sperrt, unsere Waaren wegnimmt und die fahrenden Kaufleute niederwirft. Darum sind einsichtsvolle und verständige Männer des Dafürhaltens, Worms möge eine Streitschaar gegen Bertolf rüsten und diesen preußischen Landschaden austilgen. Andere meinen, mit gewappneter Hand sei dem Feinde nicht beizukommen; denn gar fest und nicht zu stürmen sei die Starkenburg, so daß Unglimpf und Schaden für uns sich ergeben möchten aus der Fehde. – Da Ihr nun im Kriegswesen wohl erfahren seid, Bruder Wolfram, und wir mit Grund Eurer Klugheit vertrauen, so möchten wir in gedachtem Handel um Euren guten Rath bitten.«

Der Graf stand eine Weile schweigend und blickte sinnend nieder.

»Den Preußen Bertolf kenne ich und auch den Geist seines Geschlechtes,« hob er an. »Kaiser Friedrich der Andere that nicht wohl daran, aus dem Slavenlande preußisches Unkraut auf deutschen Boden zu verpflanzen. Stehlen und rauben, unterdrücken und knechten, sind Stammeseigenheiten der Preußen, und Bertolf läßt nicht von der Art, – ich kenne ihn. Nebenbei ist er schlau und verschmitzt, weßhalb er ohne Zweifel mit berechnender Ueberlegung die Fehde gegen Worms angehoben und sich für den Span trefflich gerüstet hat. Ein Zug wider ihn wäre zwecklos, vielleicht auch gefährlich; denn Starkenburg ist unbezwingbar, mit Gewalt nicht zu nehmen. Eine Umlagerung, durch Hunger den Feind zu bezwingen, würde sich sehr in die Länge ziehen, der Stadt ungeheuere Kosten verursachen, das umliegende Land schwer schädigen.«

»Ganz mein Dafürhalten,« sagte Bürgermeister Sterren. »Jahr und Tag müßten viele hundert Bürger vor der Veste liegen, Hauswesen und Gewerbe vernachlässigen, und Worms hätte große Opfer zu übernehmen. Dabei verlöre gar Mancher das Leben, und am Ende könnten wir noch mit Schande abziehen.«

»So ist es!« sprach kopfnickend Graf Simmern.

»Was rathet Ihr demnach, Bruder Wolfram?« frug Windeck.

»Zunächst geht mein Rath dahin, den gesetzlichen Weg zu beschreiten,« antwortete der Graf. »Verklagt den Landfriedensbrecher vor dem Vogte des Kaisers. Der Landvogt wird den Angeklagten vor sein Gericht laden, und Bertolf ist verpflichtet, von dem Vogte Recht zu nehmen.«

»Der Geladene wird nicht erscheinen,« warf Windeck ein.

»Auch meine Ansicht, – er wird die Vorladung mit Trotz erwiedern,« fuhr Wolfram fort. »Allein der Gerichtsgang muß eingehalten werden, und Bertolfs Schlauheit soll keinen Vortheil aus verletztem Rechtsbrauche ziehen. Verlief ein Termin von sechs Wochen und der Angeklagte erschien nicht, so wird ihn der kaiserliche Landrichter verurtheilen. Das zu Recht bestehende Urtheil harrt nun der Vollstreckung; diese zu erzielen, sendet Worms einen Boten mit ausführlichem schriftlichem Berichte an den Königshof, – und Rudolph, glaubt mir, wird in seiner Kraft und Gerechtigkeit schon Wege finden, den preußischen Landschaden auszutilgen.«

Windeck bewegte mißbilligend das Haupt, die Bürgermeister sahen bedenklich nieder; augenscheinlich fanden sie des Grafen Bescheid nicht zweckdienlich.

»Euer Rath ist zwar gut und weise, Bruder Wolfram!« sagte Oppenheim. »Allein der gewiesene Weg ist sehr weit und führt in die Länge. Wer schützt inzwischen unsere Kaufleute?«

»Vorläufig bedarf es keines Schutzes,« antwortete Simmern. »Der Winter steht vor der Thüre, die Straße nach Franken und Schwaben wird unfahrbar, – für Bertolf giebt es nichts zu rauben. Wurde bis Frühjahr keine Abhilfe, dann hat Euch Gott selber den stärksten Schirmer und die treueste Hut für die fahrenden Leute Eurer Stadt angewiesen, – ich. meine den jungen Helden Sighard von Greifenstein. Sein festes Haus liegt kaum eine Stunde von Starkenburg entfernt und würde allen Gefährdeten sichere Zuflucht bieten. Demzufolge schließet, wenn sich bis Frühjahr die Sache nicht wendet, mit Sighard einen Vertrag, dahin lautend, sein Haus den fahrenden Bürgern von Worms zu öffnen und dieselben mit seinen Waffenknechten auf der Landstraße so weit zu geleiten, als Bertolfs Raubfänge reichen. In solcher Weise verschafft Worms seinen Bürgern Schutz, ohne sich in eine bedenkliche Fehde zu stürzen.«

Beifällig nickten die Bürgermeister.

»Dies geht, – vortrefflich!« sagten sie.

»Wird Greifenstein Willens, oder stark genug sein, gemeinten Vertrag einzugehen?« frug Windeck.

»Natürlich wird ihm Worms eine Schaar Waffenknechte stellen müssen,« antwortete Simmern. »Am Willen des kühnen und tapferen Recken zweifelt nicht. Zum Schutze Bedrängter verpflichtet ohnehin das Ritterthum, und was ich von Greifenstein hörte, beweist, daß er ein guter Ritter ist.«

»Bruder Wolfram, wir danken Euch und zweifeln nicht, daß Bürgerschaft und Rath Euren klugen Bescheid billigen und befolgen werden,« sagte Oppenheim.

»Habt Ihr irgend ein Begehren, Bruder Wolfram, so würde dessen Gewährung uns gar sehr freuen,« versicherte Sterren.

»Allerdings habe ich ein tägliches und stündliches Begehren, das Ihr gütig unterstützen möget,« versetzte gesenkten Blickes der Graf. »Begehret von Gott Barmherzigkeit und Verzeihung für einen großen Missethäter.«

Nach diesen Worten verbeugte er sich, der Mahnung eines Glöckleins gehorchend, welches die rastenden Arbeiter zur Fortsetzung ihrer Thätigkeit rief.


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