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Lehrstunden.

Heidolfs kriegerischer Sinn war nicht von Bestand, sein ritterlicher Beruf wurde sogar in ernste Zweifel gezogen, und zwar von ihm selbst. In den ersten Monaten machte er bedeutende Fortschritte in Führung der Waffen; denn er hatte mit jugendlichem Feuer sich geübt. Auch jetzt noch lauschte er aufmerksam den Vorträgen Sighards über Aufgaben und Pflichten des Ritterthums. Allein er konnte das Kloster mit seinem stillen Frieden nicht vergessen. Zuweilen überkam ihn eine sehnsüchtige Wehmuth und ein fast unabwendbarer Drang, nach Lorsch zu eilen und ein frommer Mönch zu werden. Oft saß er stundenlang am Fenster seiner Kammer und sah hinab auf das alte Stift, dessen ragende Thürme ihn zu grüßen und einzuladen schienen. Er gedachte der ehrwürdigen Väter, ihrer Milde und liebevollen Güte, ihrer Lehren und Mahnungen, die stets nach dem höchsten Ziele wiesen. Jetzt von ihnen geschieden und der Welt angehörend, blickte er mit den Gefühlen der Ehrfurcht und Bewunderung zur strengen Lebensweise und beharrlichen Tapferkeit dieser treuen Ritter Christi empor, die stets kämpfend, beständig in Waffen, das Himmelreich zu erstreiten nicht abließen.

Eitel und nichtssagend, thöricht und kleinlich, erschien ihm fast das weltliche Ritterthum, im Vergleiche zu den geistigen Anstrengungen, zu den Nachtwachen, Gebeten und Entsagungen der Ritter Christi. Kindisch dünkte ihm jetzt sein früheres Träumen von Ritterthaten, seine Sehnsucht nach Abentheuern und blutigem Streit. – Er machte sich Vorwürfe, Hohes um Niederes dahin gegeben zu haben, und oft perlten Thränen der Reue und des Heimwehes nach Mutter Lorsch über seine Wangen. Täglich verrichtete er die im Kloster üblichen Gebete mit großer Andacht, und das zierlich geschriebene Psalterium, von Propst Burkhard zum Andenken ihm geschenkt, gebrauchte er, wie ein Kleinod.

Von dieser Gemüthsstimmung sprach er jedoch niemals ein Wort zu Greifenstein oder zu Editha, welche fast täglich herüber kam und gewöhnlich den Lehrstunden beiwohnte. Scheinbar ein gelehriger und aufmerksamer Edelknappe, war er innerlich in die rauhe Kutte der Novizen zurückgekehrt.

Seit dem Einzuge des holden Frühlings in das Land, genoß Heidolf den Unterricht im Freien. Etwa tausend Schritte von der Burg Greifenstein entfernt, bedeckte ein grüner Rasenplatz den Kamm des Höhenzuges. Herkömmlich übten sich dort die Edlen von Greifenstein in den Waffen, und auch Heidolf lernte hier die rittermäßige Führung von Lanze, Schwert und Keule, den Gebrauch des Schildes und die Leitung des Rosses. Eine riesige Buche erhob sich in Mitte des vom Hochwalde umgrenzten Planes, ihr schattiges Dach über Sitzbänke ausbreitend, die um ihren mächtigen Stamm liefen. Einige Schritte von der Buche entfernt, wand sich ein vielbetretener Pfad nach Auerberg über den Rasenplatz, bis er sich in dem Waldesdunkel verlor. Gewöhnlich fand Editha den Bruder mit Sighard unter der Buche, wenn sie herüber kam zum Besuche, – und der Ritter schien die Lehrstunden mit Absicht in jene Tageszeit verlegt zu haben, die Editha zu ihren Besuchen wählte. Vor Ankunft der Ersehnten, war Sighards Vortrag überaus trocken, der Magister nicht selten sogar bis zu einem Grade zerstreut, welcher bewies, daß sein Geist nicht bei dem Gegenstande weile. Unablässig spähte er nach jener Stelle, wo der Pfad im Dämmer des Waldes verschwand. Tauchte dann Edithas helle Gestalt auf, so erglühte Herr Sighard und senkte, wie ein ertappter Schuldiger, den Blick. Mit ritterlichem Anstand empfing und begrüßte er das Edelfräulein, dessen Anmuth und wunderbare Schönheit wie ein Zauberstab wirkten, den trockenen Magister für den Lehrstoff begeisterten, sogar die Bergeshöhe mit so strahlendem Lichte verklärten, wie es, nach Sighards Empfinden, tausend Sonnen nicht vermochten.

Dasselbe Spiel wiederholte sich heute. Vor Edithas Ankunft hatte der Vortrag keine Schwingen. Kaum aber saß die Herrliche ihm zur Seite, mit einer Handarbeit beschäftigt und der Unterweisung folgend, so flossen die Worte des Lehrers beseelt und lebendig über dessen beredte Lippen.

»Das Wesen des christlichen Ritterthums liegt schon angedeutet in den Ceremonien der Einkleidung,« belehrte Greifenstein. »Der Knappe bereitet sich vor zum Empfange des Ritterschlages durch dreitägiges Fasten, Gebet und Bußübungen. In der Frühe des dritten Tages nimmt er ein Bad, das Sinnbild geistiger Reinigung und der Freiheit von allen Lastern. Darauf legt er ein schneeweißes Gewand an, zum Zeichen der Unschuld, und empfängt den heiligen Leib des Herrn. Das weiße Gewand vertauscht er dann mit einem scharlachrothen, die Pflicht andeutend, zur Vertheidigung des Glaubens sein Blut zu vergießen. Die Haare werden ihm abgeschnitten, zum Zeichen ritterlicher Dienstbarkeit, – das heißt, nicht nach persönlicher Neigung oder Abneigung darf er handeln, sondern nach den strengen Satzungen des Ritterthums. Jetzt folgt die Waffenwache, welche darin besteht, daß der Knappe die Nacht vor dem Ritterschlage allein, oder in Gemeinschaft mit seinen Pathen, betend in der Kirche zubringt.«

»Wie ernst und bedeutungsvoll dies Alles!« flüsterte Editha leise.

Dennoch vernahm er die Worte und noch wärmer wurde der Ton seiner Unterweisung.

»Kommt die feierliche Stunde der Aufnahme, so begiebt sich der Knappe, in Begleitung von Rittern und Pathen, vor den Altar und überreicht dem Priester das Schwert zur Weihe. Darauf kniet der Knappe vor jenem Ritter nieder, welcher ihm den Ritterschlag ertheilen soll. Den Ritterschlag kann aber Niemand ertheilen, kein Graf, kein Fürst, kein Herzog, nicht einmal der Kaiser, er sei denn selbst ein Ritter. – Kniet der Knappe vor dem Ritter, so fragt ihn dieser: »In welcher Absicht willst Du Ritter werden? Etwa, um Dich zu bereichern? Um zu ruhen? Um Ehren zu gewinnen, ohne der Ritterschaft Ehre zu machen? Gehe, Du bist dessen nicht würdig!« Darauf antwortet der Knappe: »Ich bitte um Aufnahme in keiner anderen Absicht, als um Gott, die Religion und die Ritterschaft zu ehren. Dies gelobe ich!« – – Jetzt werden ihm die Sporne angeschnallt, das Panzerhemd, die Kappe werden ihm angelegt, das Schwert umgürtet. So ausgerüstet, kniet er wieder vor dem Ritter. Dieser zieht das Schwert blank und giebt dem Knappen drei Schläge auf die Schulter, indem er spricht: »Im Namen Gottes, im Namen St. Michaels und St. Georgs schlage ich Dich zum Ritter! Sei tapfer, unverzagt und treu!« – Nun erhebt sich der neue Ritter und empfängt von allen gegenwärtigen Rittern den Bruderkuß. Helm, Schild und Lanze werden ihm überreicht. In voller Rüstung besteigt er das Roß und tummelt es.«

»Ueberaus feierliche und sinnvolle Ceremonien!« sagte Editha. »Ich freue mich auf Deinen Ehrentag, mein Bruder!«

Heidolf aber saß gesenkten Hauptes. Er gedachte der Einkleidung der Mönche, wie er sie in der alten Stiftskirche gesehen, und fand Weihe, Beruf und Würde des Ordensmannes weit erhabener.

»Berühren wir kurz die Pflichten und Aufgaben, denen sich jeder Ritter unterziehen muß,« fuhr Greifenstein fort, ohne die laue Stimmung seines Schülers zu bemerken. »Des Ritters erste und heiligste Pflicht besteht darin, die Religion und ihre Diener, die Kirche und ihr Eigen zu vertheidigen. Dann folgt die Pflicht der Treue gegen den Kaiser und den Lehensherrn. Ehre und Gelübde verpflichten ihn ferner, die Rechte der Schwachen zu schirmen, Niemand aus Tücke zu beleidigen, kein fremdes Gut sich anzumaßen und nicht zu gestatten, daß Raub und Gewaltthat von Starken gegen Schwache geübt werde.«

Hier unterbrach des Knappen lebhafter Aufblick den Lehrenden.

»Du willst eine Frage stellen?«

»Wenn Ihr es gestattet,« antwortete Heidolf. »Ihr saget, jeder Ritter sei verpflichtet, Raub und Gewaltthat gegen Schwache zu verhindern; – warum lasset Ihr geschehen, daß Burggraf Bertolf wormser Kaufleute niederwirft, beraubt und in Haft legt?«

»Dies wäre geschehen?« frug Sighard überrascht.

»Ja, – vorgestern! Thorwart Arnold erzählte mir heute, der Burggraf sei vorgestern mit fünf und zwanzig Helmen ausgeritten, habe zehn Wormser gefangen und deren Güter genommen.«

»Schmachvoll!« stieß Greifenstein entrüstet hervor.

»Bertolf ist ein Schandfleck des Adels, sein wüstes Treiben beschimpft den ganzen Gau,« zürnte Editha. »Was mich noch besonders drückt und beschämt, ist meines Vaters Eingenommenheit und Freundschaft für einen solchen Menschen.«

»Euer Vater durchschaut den argen Mann nicht, vermeint an ihm einen treuen Rechtshelfer gefunden zu haben,« entschuldigte Sighard. »Genau betrachtet, wäre diese heillose Fehde gar nicht entstanden, ohne Bertolfs tückisches Hetzen und Schüren.«

Sie nickte beistimmend mit dem Haupte.

»Wie hättet Ihr nun den Raub verhindern können?« frug Heidolf. »Hättet Ihr gegen den Grafen und seine fünf und zwanzig Helme ausziehen müssen?«

»Das Ritterthum verpflichtet keineswegs zu Unmöglichkeiten,« entgegnete Greifenstein. »Indessen – hätte ich von der beabsichtigten Gewaltthat gewußt, oder wäre zufällig den Straßenräubern begegnet, nichts hätte mich abgehalten, nach besten Kräften dem Frevel zu wehren; denn kein guter Ritter zählt die Feinde.«

»Einer gegen sechs und zwanzig?« rief Heidolf, seine großen Augen weit öffnend.

»Allerdings, mein guter Junge! Wer in gerechter Sache das Schwert zieht, steht nie allein, – St. Georg und St. Michael streiten mit ihm,« belehrte der gläubige Ritter. »Diene Gott, und er wird Dein Helfer sein, – lautet ein Denkspruch. Merke Dir weiter folgende Denksprüche des Ritterthums und präge sie tief Deinem Gedächtnisse ein!«

»Sei dienstwillig gegen Jedermann und scheue den Hochmuth!«

»Schmeichle nicht!«

»Verrathe kein Geheimniß!«

»Zeige Dich offen und ehrlich im Reden und Handeln!«

»Halte Dein Wort heilig!«

»Unterstütze Arme und Waisen!«

»Wer Gutes und Böses nicht zu ertragen weiß, dem gebühret nicht große Ehre.«

»Ein guter Ritter muß laut schlagen und leise reden, ist der Erste beim Kampfe und der Letzte im Rathe.«

Des Ritters höchste Zierde ist Bescheidenheit, seine größte Schmach Feigheit und Treubruch.«

»Wer Treue bricht, wird als Ehrloser aus der Ritterschaft gestoßen.«

»Den Kampf anlangend,« fuhr Greifenstein fort, »so merke Dir, daß ritterliche Großmuth verbietet, gegen eine Minderzahl oder schlechter Bewaffnete zu streiten. Ein Roß zu verwunden beim Kampfe, gilt als Feigheit und Schmach. – Ueberwunden im Streite, oder unfähig gemacht, den Kampf mit Erfolg weiter zu führen, übergiebt sich der Ritter zur Haft. Wird er auf Ehrenwort entlassen und stellt sich nicht zur festgesetzten Zeit, oder zahlt nicht das verabredete Lösegeld, – so wird er der Ehre und Ritterwürde baar. – Für heute genug! Allzu lange stellten wir der Langmuth Deiner Fräulein Schwester eine harte Probe,« wandte er sich lächelnd an Editha.

»Gewiß nicht, Herr Sighard!« entgegnete sie. »Der Gegenstand fesselte mich angenehm. Ich darf wohl sagen, daß ich Euren Lehrworten gerne lausche. – Was kommt morgen an die Reihe?«

»Die ritterliche Pflicht des Frauendienstes,« antwortete er, seinen männlich klaren Blick in ihr strahlendes Auge versenkend.

»Ueberaus anziehend!« sprach sie. »Ich werde morgen pünktlich hier sein, die Unterweisung zu hören.«

Sie erhoben sich und schritten nach der Burg.

»Woher stammen die Satzungen für die Ritterschaft?« frug Editha. »Wer hat sie festgestellt und hiezu verpflichtet? Ich finde eine große Zartheit in diesen Regeln, namentlich in der Aufnahme des Knappen eine fast priesterliche Weihe. Alle Pflichten athmen einen dermaßen erhabenen Geist, daß sie von einem heiligen Manne in der Klosterzelle erdacht zu sein scheinen.«

»Eure Auffassung ist ganz richtig und erweckt meine Bewunderung für die Schärfe Eures Urtheils,« erwiederte Greifenstein. »Das christliche Ritterthum ist ein Kind unserer heiligen Mutter, der Kirche. Sie hat sich der Kriegslust und des Thatendranges des Adels bemächtigt und rohe Kräfte in geregelte Bahnen geleitet. Sie hat das Waffenwerk gereinigt und vergeistigt, indem sie es sittigenden und erhabenen Gesetzen unterwarf. Sie heiligt die Aufnahme in den Ritterstand durch ihre Segnungen und Gebete, und weist der Manneskraft durch religiöse Vorschriften eine feste Bahn. Ohne diesen leitenden und adelnden Geist der Kirche, müßte sich die ungestüme Schlaglust verirren auf abschüssige Wege der Gewaltthat und barbarischer Grausamkeit. Indem unsere Mutter alle geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Edelmannes dem Willen Gottes dienstbar machte, gab sie dem Ritterstande eine religiöse Grundlage, einen gewissen geistlichen Charakter, der allerdings, wie Ihr richtig bemerkt habt, an das Priesterthum streift. Darum kann auch nur ein guter Christ ein ächter Ritter sein.«

»Wie belehrend Ihr auch über diesen Gegenstand zu sprechen wißt!« sprach sie, mit aufrichtiger Bewunderung zu ihm emporblickend.

»Erinnerungen aus der Klosterschule,« erwiederte er lächelnd.

Sie betraten den Burghof. Mutter Hildegard empfing Editha mit großer Herzlichkeit. Bis zur Abenddämmerung verweilte sie zu Greifenstein und wurde dann eine weite Strecke von Hildegard und ihrem Sohne gegen Auerberg geleitet. Und was Hildegard längst bemerkte, fand sie heute abermals bestätigt: – eine wachsende und tiefe Neigung Sighards zu Editha, die in gleichem Maße erwiedert zu werden schien.

Am nächsten Tage saßen Lehrer und Schüler, wie gewöhnlich unter der Buche. Die Luft war schwül heute. Um das Haupt des Melibokus zogen Wetterwolken zusammen. Ueber den bewaldeten und tiefen Thälern des Odenwaldes lagen düstere Schatten. Zuweilen dröhnten aus der Ferne dumpfe Donnerschläge, wie Vorboten nahenden Unheiles.

Editha beugte ihr schönes Haupt tief herab zur Arbeit, ihre Wangen erglühten ungewöhnlich und ihr Mund lächelte; denn sie vernahm zartsinnige Lehren und Pflichten ritterlichen Frauendienstes.

»Wie Magister Gerbod aus Tacitus und anderen Geschichtschreibern nachwies, schmachteten im Alterthum die Frauen unter des Mannes roher Gewalt,« belehrte Sighard. »Heidnische Frauen waren nicht viel besser, als Sklavinnen. Aus dieser Erniedrigung erhob das Christenthum die Frauen zu jener Höhe von Achtung und Würde, die ihnen gebührt. Heute lautet der Wahlspruch des Ritterthums: ›Ehre den Frauen!‹ Jedem guten Ritter sind Reinheit und Schönheit der Frauen der Inbegriff alles Hohen und Adeligen. Einen lichten Glanz verbreitet minniglicher Frauendienst über Höfe, Turniere, Minnesang und das ganze Ritterwesen. Edle Frauenminne begeistert den Recken zu kühnen Thaten, stählt seine Kraft und Ausdauer bei den schwierigsten Unternehmungen. Allgemein wird lautere Minne betrachtet und geschätzt als eine Wohlthat des Himmels, als die belebende Seele jeder geselligen Tugend, als süßer Sporn zu ruhmvollen Thaten, als Vollendung des Ritterlebens. Frauen zu schirmen, für deren Recht und Ehre mit dem letzten Blutstropfen einzustehen, ist strenge Pflicht jedes Ritters. Bei Turnieren und Kämpfen trägt er die Farben seiner Dame am Helme, und alle Ehren, die er gewinnt, sind ihr geweiht. Der Sieger bei den Waffenspielen wählt zur Königin des Festes die Erkorene seines Herzens, damit sie Huldigung empfange und Siegespreise vertheile. In ihrem Dienste zieht er auf Abentheuer, bekämpft Räuber, schirmt Bedrohte und hilft Unterdrückten zum Rechte. Keine Mühsal dünkt ihm zu groß, kein Unternehmen zu gefährlich; denn Alles verklärt das Glück der Minne.«

»Wenn aber eine Dame von ihrem Ritter Böses fordert, wie mag er gehorchen und doch ein guter Christ bleiben?« wandte Heidolf ein.

»Das ist unmöglich!« antwortete Sighard. »Kann die Sonne dunkel glänzen, die Lilie widerlichen Duft verbreiten? Ebenso unmöglich kann edle Weiblichkeit Schlimmes begehren; denn nur der Reinen, Hochsinnigen, an Leib und Seele Untadelhaften, darf ein Ritter seine Dienste weihen.«

»Ihr stellt die Frauen hoch, Herr Sighard!« sprach Editha. »An Leib und Seele untadelhaft, – wie die Sonne rein, – Lilienduft an Hochsinnigkeit und Tugend; – wo findet sich unter Frauen solche Vollkommenheit?«

»Bei jenen nicht, die sich dafür halten,« antwortete er. »Genannte Vorzüge glänzen nur auf dem Goldgrunde der Demuth. Schönheit selber würde häßlich, kleidete sich dieselbe in aufgeblasenen Dünkel. Daraus folgt, daß Geringschätzung des eigenen Selbst die Vorbedingung aller Frauenwürde ist. Indem Ihr genannte Vorzüge allen Frauen abgesprochen, so beweist dies, – verzeiht meinen kühnen Schluß, – daß Euch Demuth ziert.«

Hornstöße von der Burg herüber verkündeten das Nahen fremder Gäste.

»Gehe, Heidolf, forsche, wer kommt und melde es mir sogleich, wenn meine Gegenwart nöthig ist.«

Der Knappe eilte nach der Veste.

»Meine Aufrichtigkeit hat doch nicht verdrossen, Editha?«

»Nein; denn Euer Schluß war falsch. Wer sich gering schätzt, im Bewußtsein gar vieler Mängel und Fehler, dünkt mir nicht demüthig, sondern wahrhaft.«

»Eure Worte bestätigen nur mein Urtheil,« sprach er, mit leuchtenden Augen Editha betrachtend, die in strahlender Schönheit vor ihm saß. »Eure Mängel, – nun! Erlaubt auch mir, ohne Schmeichelei wahrhaft zu sein, – Eure Mängel sind von solcher Art und Beschaffenheit, daß sie die Feigheit selber zu hohen Thaten begeistern. Gerade in der Anregung für das Gute und Große liegt ja die erhabene Bedeutung der Frauenwürde, und diese Anregungen sind nicht selten. Bei der Heerfahrt nach Böhmen lernte ich manchen Recken kennen, und auch Ansichten und Meinungen, die sich widersprachen und bestritten. Doch sämmtliche Ritter waren einig in dem Glauben, daß Frauenminne und Frauentugend an den grimmigsten Degen Wunder wirke, daß sie Wölfe in Lämmer und Adler in sanfte Tauben wandle. Zur Frömmigkeit und rechten Lebensart gelange der wildeste Degen durch Anmuth und Schönheit der Frauen. Mit manchen Beispielen belegten meine Heergesellen diese Thatsache, – höret hievon nur eines! – Ein fehdesüchtiger Graf, stets im Bügel und nach blutigem Streite lüstern, warb um ein Fräulein. Sie stellte ihm die Aufgabe, allen Raufhändeln für immer zu entsagen, nach Ritterpflicht Wanderer zu schützen, Hilflose und Schwache gegen Gewaltthat zu schirmen, die argen Feinde in sich selber zu bezwingen, dann nach einem Jahre wieder zu kehren mit der Meldung seiner Thaten. Er übernahm die schwierige Aufgabe, entsagte seinem gewaltthätigen Sinn, und gestählt und begeistert durch den Gedanken an die Huld der Bewunderten, vollbrachte er manches löbliche Werk im Dienste der Nächstenliebe. Nach Verlauf des Jahres kehrte er zurück. Sie überzeugte sich von des Grafen Sinnesänderung und beglückte ihn durch ihre Hand. – Solche Beispiele erzählten meine Heergesellen nicht wenige und alle überzeugten mich von dem erhabenen Berufe edler Weiblichkeit. – – Dieser Dinge gedenke ich, Editha, bei Betrachtung Eurer vorgeblichen Mängel, die leicht bereden, um den Lohn Eurer Huld das gefährlichste Abentheuer zu bestehen.«

»Und ich fände es nicht nach meinem Sinn, gefährliche Abentheuer aufzugeben, – noch weniger, gegen bestandene Abentheuer meine Gunst zu vergeben,« erwiederte sie. »Mir dünkt es thöricht, Jene Gefahren auszusetzen, die man hochschätzt.«

»Würde Eure Hochschätzung einen Mann beglücken, der in thatloser Ruhe daheim sitzt?«

»So wenig, wie einen stets fahrenden, rastlos irrenden Degen,« antwortete sie. »Schätzenswerth ist, wer in seinem Berufe in Treue beharrt, eifrig bestrebt, die Pflichten seines Standes zu erfüllen.«

»Dann beklage ich mein hartes Geschick, Editha!«

»Weßhalb?«

»Euch mißfallen zu müssen.«

Sie blickte ihn betroffen an.

»Ich hätte Euch mein Mißfallen ausgesprochen, Herr Sighard?«

»Genau betrachtet, – ja! Ihr könnt nur jenen Mann achten, der in seinem Wirkungskreise thätig beharrt; – wo ist mein Wirkungskreis? Ich habe keinen. Ein Faulenzer bin ich, ein Müßiggänger, mit Recht Eurer Achtung unwerth.«

Wie leises Herzeleid klang es aus dem Tone seiner letzten Worte.

Editha ließ die Arbeit ruhen, richtete sich befremdet hoch auf und sah aus lichten Augen auf die gedrückte Hünengestalt des Recken, der neben ihr saß, wie ein zaghafter Knabe.

»Jenen Sighard von Greifenstein, den Ihr eben mit haarsträubendem Unrecht geschildert, kennt die Welt nicht,« sprach sie. »Einen Faulenzer schmäht Ihr ihn? Die frommen Väter von Lorsch behaupten, Sighard sei Ihr fleißigster, strebsamster Schüler gewesen. Einen Müßiggänger? Das Minnelied besingt den Helden Sighard, dessen starker Arm den Kaiser im Schlachtgewühl schirmte, – jenen Sighard, der ein Schrecken der Böhmen gewesen, – der in Treue allen Pflichten des Ritterstandes genügt, wie dies auch Herr Hartmann von Worms bezeugt. Wenn nun besagter Degen gegenwärtig im Vaterhause weilt, zur Freude und Wonne der Mutter, und während dieser Ruhepause, neben anderer Thätigkeit, einen unwissenden Jungen belehrt und bildet, – so habt Ihr deßhalb noch lange kein Recht und keinen Grund, ihn einen Faulenzer zu schelten.«

Wie Sonnenschein glitt es über Greifensteins Gesicht.

»Ich glaube gar, Ihr habt den Muth, einen Trägen zu vertheidigen, der seit sieben Monaten nichts anderes thut, als essen, trinken, jagen, mit den Waffen spielen und nothdürftig beten!«

»Nur vertheidigen? – Ich bewundere ihn.«

»Bewundern? Eia, – adeligste Herrin, Bewunderung ist dreimal verstärkte Achtung, die er auf tausend Meilen weit nicht verdient.«

»Giebt es ein Wort, das zehnfach verstärkte Bewunderung ausdrückt, ich darf es in Wahrheit für Den gebrauchen, den Ihr mit Unrecht herabsetzt.«

»Ein Wort, – mächtiger, höher, kostbarer, als zehnfache Bewunderung? – Ich wüßte ein solches Wort, Editha!«

»Nun?«

»Liebe!«

Sie senkte den Blick und ein liebliches Erglühen überströmte ihr Angesicht. Er schaute sie an, las in der Schrift ihrer Züge das Bekenntniß ihres Herzens, und ein Taumel der Wonne erfaßte den jungen Mann.

Da lief der Knappe athemlos heran.

»Herr Sighard, – das sind Herren aus Worms, – wollen Euch sprechen. Zwei prächtig gekleidete, gar vornehme Herren, – mit dicken goldenen Ketten um die Schultern, Schwerter mit goldenen Griffen an der Seite, – goldene Sporne an den Füßen, goldene Ringe an den Fingern, goldene Säume an den Gewändern.«

»Alles golden, – fürwahr, so ist es!« rief Sighard. »Goldener Tag, goldener Wald, goldene Luft, goldener Himmel, goldene Sonne, Alles golden! Und ich stehe mitten in goldenen Träumen, – nein, in goldener Wirklichkeit! – Was hast Du gesagt? Was meinst Du eigentlich, mein goldener Junge?«

Heidolf betrachtete verwundert seinen Meister, dessen ganz eigenthümlich flammende Augen und freudestrahlende Züge ihn in nicht geringes Erstaunen setzten. Auch die Fassung seiner Schwester erschien ihm außerordentlich, ihr Antlitz strahlte in fast erschreckender Schönheit und einen Glanz gewahrte er in ihren Augen, wie er ihn niemals gesehen.

»Es sind zwei Herren da aus Worms, die Euch zu sprechen wünschen,« wiederholte der Knappe.

Sighard erhob sich, gab Editha den Arm und schweigend gingen sie nach der Burg.


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