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Sturm.

Während Zunftvorstände und Rathsverordnete um den Bürgermeister versammelt waren, gelangte die Kunde nach Worms, Herr Hartmann sei von dem Grafen Bertolf niedergeworfen und gefangen worden. Mit Blitzesschnelligkeit verbreitete sich die Mär durch ganz Worms und rief allenthalben die größte Aufregung, Bestürzung und Erbitterung hervor. Unglaubwürdig klang die Kunde nicht; denn Bertolf hatte ja Fehde angesagt, und der raubsüchtige, gewaltthätige Sinn des Burggrafen war bekannt. Was von berechtigtem Selbstgefühl und stolzem Machtbewußtsein in der Brust des Bürgers einer freien deutschen Reichsstadt lag, bäumte sich auf gegen das freche Erkühnen des Klostervogtes von Lorsch. Hiezu kamen noch Abscheu und Verachtung gegen das Slavenvolk der Preußen, deren heidnische Verwilderung und barbarische Sitten reichsbekannt waren. Jeder Bürger von Worms wußte zu erzählen, von Raubgier, Roheit und scheußlichen Gewohnheiten der Preußen, die ihren Göttern Menschen schlachteten, die nicht aufhörten, angrenzende Deutsche zu bestehlen, christliche Priester zu vertreiben oder zu ermorden, Kirchen zu berauben und zu verbrennen, weßhalb das Reich gezwungen war, seit vielen Jahren die preußischen Heiden zu bekriegen. Der mindeste Pfahlbürger dünkte sich weit erhaben über die niedere Bildungsstufe jener Slaven, und jetzt wagte es solch ein Preuße, durch eines Kaisers Laune wie ein Unkraut an den deutschen Rhein verpflanzt, den Bürgermeister von Worms auf offener Landstraße niederzuwerfen.

Ein Aufschrei der Entrüstung gellte durch die ganze Stadt. Die Bürger liefen zusammen, sehr viele in Hemdärmeln, wie sie gerade von der Arbeit kamen, und stürmten in hellen Haufen nach dem Rathhause. Man glaubte, die Unthat sei erst heute oder gestern geschehen. Manche wußten sogar von Mißhandlungen zu erzählen, unter denen Herr Hartmann in das Verließ zu Starkenburg hinabgestoßen worden. Alle forderten unverweiltes Aufgebot des wormser Heerschildes, Erstürmung des Raubnestes, Befreiung des Bürgermeisters und Vertilgung des verhaßten Preußen. Daher ein wild anwachsendes Getöse vor dem Rathhause, während sich Bürgermeister Heinz Sterren, von den Rathsmannen begleitet, der Fensternische nahte, wohin sich Oppenheim zurückgezogen.

»Uns freut es gar sehr, Euch allhie zu sehen!« hob Heinz Sterren nach flüchtigem Gruße an. »Die ganze Stadt ist in Aufruhr wegen Bertolfs, des Grafen von Starkenburg, der uns Fehde angesagt, und der Euch im Frieden der Landstraße überfallen und niedergeworfen. Darob ist die gesammte Bürgerschaft mit Recht empört und heischt Aufklärung des Sachverhaltes.«

Oppenheims Verlegenheit war nicht gering. Ein Vorgang, den er, um des Friedens willen, unbesprochen und vergessen wünschte, wurde plötzlich in die Oeffentlichkeit gezogen und zwar unter Verhältnissen, die geeignet waren, der Sache sehr ernste Folgen zu geben. Vor dem versammelten Rathe, vor den Vertretern aller Zünfte, ja vor der ganzen erregten Bürgerschaft sollte er eine Gewaltthat bestätigen, die als schwere Beleidigung empfunden wurde und Sühne forderte. Er kannte den reizbaren Stolz der Wormser, deren eifersüchtig bewahrtes Freiheitsgefühl und sah voraus, was geschehen mußte, sobald er den Frevel Bertolfs wider die Ehre der Stadt bekannte. Demzufolge versuchte er, die Sache zu umgehen und ein Geständniß zu vermeiden.

»Daß ich von dem Burggrafen Bertolf nicht vergewaltigt und gefangen wurde, beweist meine Gegenwart,« antwortete er mit erzwungenem Lächeln. »Wäre die traurige Mär richtig, welche den ehrsamen Rath und die vielwerthe Bürgerschaft in Harnisch getrieben, dann läge ich im Thurme zu Starkenburg in Haft. Demnach bitte ich, die Bürgerschaft zu beruhigen, die Unwahrheit der Kunde zu vermelden und Alle zu ersuchen, getrosten Muthes zur Tagesarbeit zurück zu kehren.«

Die Erklärung genügte keineswegs. Oppenheims augenscheinliche Betroffenheit widersprach seinen Worten und bestätigte wenigstens theilweise die Richtigkeit der eingetroffenen Nachricht. Diesen Eindruck empfingen alle Umstehenden. Der Patrizier Herbert von Windeck, ein feuriger, junger Mann und Mitglied des Rathes, gab der allgemeinen Stimmung Ausdruck und zwar in einer Weise, die Oppenheim zum Geständnisse zwang.

»Herr Bürgermeister,« begann er, »man kennt Eure väterliche Liebe für die Stadt und Eure höchst löbliche Aufopferung für das gemeine Wohl. Eben diese Gesinnung möchte Euch verleiten, einen Handel zu vertuschen, der blutige Fehde und Waffenstreit bringen dürfte. Vorliegenden Falles aber wäre das Vertuschen und Verschweigen der Wahrheit ein Vergehen wider unsere Ehre. Bedenket, Herr Hartmann, Ihr seid erster Vertreter und Haupt unserer Stadt! Eine Schmach, Euch angethan, trifft uns Alle und heischt Ahndung. Darum beschwöre ich Euch bei Gott, bei Eurem Gewissen, bei der makellosen Ehre der ganzen Bürgerschaft, uns freimüthig über die Sache reinen Wein einzuschenken und nichts, aus Aengstlichkeit vor unliebsamen Folgen, zu verschweigen.«

Diese feierliche Aufforderung, der sich Alle durch laute Zustimmung anschlossen, konnte ein Mann von Oppenheims Geradheit und ehrenhafter Gesinnung, nicht umgehen. Nachdem er die Gründe angeführt, welche ihn zum Ritte nach Lorsch bestimmten, berichtete er ausführlich die bekannten Vorgänge, wobei er nicht unterließ, die ritterliche Handlungsweise des jugendlichen Helden von Greifenstein rühmend hervorzuheben.

Während des Berichtes herrschte im Saale tiefste Stille, so daß auch den Fernstehenden jedes Wort verständlich wurde.

Als Hartmann zum Schlusse gekommen, dauerte die Stille noch einige Sekunden fort, dann aber entstand eine treibende Gährung, die bald in wildes Getöse ausbrach. Viele Bürger waren aus dem Saale geeilt und hatten der harrenden Menge auf dem Marktplatze Kunde gebracht, wobei sie nicht unterließen, die Brutalität des Landfriedensbrechers Bertolf und den Heldensinn Greifensteins durch eigene Erfindungen auszuschmücken. Bevor zwanzig Minuten vergingen, glich die gedrängte Masse vor dem Rathhause einem stürmisch bewegten See, der sein Opfer forderte.

Nicht minder ernst gestaltete sich die Lage im Saale. Oppenheim, welcher die erhitzten Gemüther zu beruhigen trachtete, fand sich im Widerspruche mit Allen; nur der zweite Bürgermeister und die ältesten Glieder des Rathes unterstützten sein Bemühen, jedoch ohne Erfolg.

»Die Absage des Burggrafen verleiht ihm kein Recht, den Landfrieden zu brechen, wider göttliche und menschliche Ordnung zu freveln,« behauptete Herbert von Windeck. »Glaubte sich Ritter Billungen von Auerberg durch die Roßgeschichte gekränkt, dann hätte er den Landvogt anrufen, von des Kaisers Statthalter Recht nehmen sollen. Geschah dies nicht, warf sich der Burggraf zum Sachwalter Billungens auf und sagte uns ab, so ist dies weiter nichts, als ein tückischer Kniff des Preußen, seine Raublust zu befriedigen an fahrenden Leuten unserer Stadt. Die Handelsstraße nach Schwaben und Franken zieht an Starkenburg vorbei, – jeder Frachtwagen, jedes Saumroß aus Worms wird künftig den Raubanfällen Bertolfs ausgesetzt sein. Können wir uns diese Gewaltthätigkeiten gefallen lassen? Nimmermehr! Das Wohl der Stadt, Sicherheit und Gedeihen unseres Handels, fordern schwere Züchtigung des Raubritters. Starkenburg muß gebrochen und der Frevler unschädlich gemacht werden.«

Beifällig nickten alle Zunftmeister und viele Rathsmannen.

»Warum tragen wir Gewerkgenossen Waffen und Wehr?« rief Paul Schick. »Muß nicht Jeder schwören, so er in die Zunft aufgenommen wird, Frieden, Recht und Ehre der Stadt gegen alle Feinde zu vertheidigen? Gut und Blut einzusetzen für die Wohlfahrt des gemeinen Wesens? Kein Meister, kein Geselle wird zurückstehen wollen, so es gilt, dem Raubgrafen von Starkenburg zu zeigen, daß sich Worms nicht beschimpfen lasse. Darum beschließe der Rath einen Zug wider den Preußen.«

»Der Rath vermag dies nicht ohne Meineid an den Beschlüssen des Städtebundes,« versetzte Oppenheim. »Im dritten Artikel der Eidgenossen heißt es: »Alle Waffenunternehmungen sollen nur mit Beirath aller Städte nach der Stimmenmehrheit ausgeführt und immer zuerst dahin gerichtet werden, wo es nothwendig ist Primo statuimus, quod nullas expeditiones faciemus, nisi sint de consilio sano civitatum et communitatum, et maxime ad illa loca ubi magis necessarias habuerimus. Conventus civitatum Wormatiensis VI. Oct. 1254. .« – Sohin läuft es den Satzungen unserer Eidgenossenschaft zuwider, auf eigene Faust den Burggrafen zu befehden.«

»Mit nichten!« widersprach lebhaft Herbert von Windeck. »Dieser Artikel der Eidgenossenschaft vom Jahre 1254 hat nur Bezug auf bedeutende und gefährliche Waffenunternehmungen, keineswegs aber auf die Züchtigung eines einzelnen Raubdegens, den Worms in seiner starken Faust zerdrücken mag.«

»Ihr täuschet Euch!« versetzte Bürgermeister Heinz Sterren. »Die Starkenburg ist ein gar festes Haus, auf der Zinne eines steilen Berges gelegen. Wie man hört, sind Thürme und Mauern von tapferen Waffenknechten wohl besetzt, jeden Sturmlauf abzuwehren, wenn überhaupt ein Sturm auf die Burg möglich ist. So könnten wir Jahr und Tag vor der Veste liegen, müßten schließlich abziehen und hätten zum Schaden noch den Spott.«

»Demnach sollen wir den Räuber gewähren lassen?« rief Windeck erbittert. »Wir sollen ruhig zusehen, wie er unsere Bürger niederwirft, beraubt, in seine Zwinger sperrt und hohes Lösegeld erpreßt? Wir sollen die Schmach ungestraft einstecken, unseren Bürgermeister auf offener Landstraße angefallen und vergewaltigt zu sehen? Läge nicht gegenwärtig Herr Hartmann im Verließe gefangen, ohne die Dazwischenkunft des Helden Sighard von Greifenstein? Sollen wir uns ohnmächtig und schwach bekennen, – wir, im Besitze großer Reichthümer und einer Streitmacht von mindestens zwanzig tausend Helmen? Fehlen uns trotzdem Muth und Entschlossenheit, Recht und Ehre zu wahren und zu schirmen gegen Jedermann, dann sind wir eben des Rechtes und der Ehre baar. Worms steige herab von der Höhe des Ansehens und der Macht einer freien deutschen Reichsstadt! Worms erkläre seinen Bürgern, daß es sie nicht schützen und vertheidigen könne! Worms bekenne, daß in seinen Mauern rechtslose Knechte wohnen, die sich alle Bedrückungen müssen gefallen lassen.«

Die Worte gossen Oel in die Flammen. Lautes Murren zog durch den Saal.

»Wir sind keine Knechte, – freie Bürger sind wir!« rief eine Stimme aus der Menge. »Der Rath erhebe das Banner wider den Straßenräuber! Freiheit, Ehre und Recht!«

Rauschender Beifall.

»Freiheit, Ehre und Recht! An den Galgen mit dem Preußen!« rief es hundertstimmig.

»Gemach, – nur gemach!« sprach Herr Hartmann in die entstandene Stille. »Der Rath läßt sich in einen so folgenschweren Handel nicht hineindrängen. Man muß überlegen, erwägen.«

»Hier giebt es nichts weiter zu überlegen!« rief Windeck feurig. »Wohlfahrt und Ehre stehen auf dem Spiele. Jede Minute Verzug gleicht feiger Schwäche. Der Rath ist beisammen, – er beschließe, was Ehre heischt. Die ganze Bürgerschaft ist erbittert, empört und fordert schleunigen Austrag. Hört doch, – hört!«

Ein wilder Lärm stürmte vor dem Rathhause, vermischt mit Waffengeklirr und höchst leidenschaftlichem Geschrei.

»Es lebe die Freiheit, es lebe das Recht!« rief unablässig die Volksmasse. »Zu den Waffen! Auf, – gegen Starkenburg! An den Galgen mit dem Straßenräuber! Tod dem Preußen!«

Herr Hartmann vernahm das Getöse, las in den erregten Zügen der Umstehenden und ergab sich in das Unvermeidliche.

»Sind Rath und Bürgerschaft gleichen Sinnes,« sprach er, »so mögen sie walten nach Gutdünken. Meinerseits lehne ich jede Verantwortung ab in einer Sache, die nicht zum gemeinen Nutz und Frommen verlaufen mag.«

»Lieber den Tod, als die Schande!« rief eine Stimme.

»Keine Schmach, – keine Knechtschaft!« rief ein Anderer.

»Und Beides wären wir, – Entehrte und Knechte, so wir uns wehrlos dem Preußen überlieferten,« versetzte Windeck mit dröhnender Stimme.

Da verstummte plötzlich das Getöse vor dem Rathhause. Der tiefsten Stille wich mit einem Schlage stürmisches Geschrei. Ein feierlich ernster Wechselgesang vieler Männerstimmen klang näher und näher. Wie ein Zauber berührte der Choral die Menge. Das Ungestüm verschwand, Zorn und Erbitterung wechselten mit Ruhe und andächtigem Schweigen. Diesen Eindrücken waren auch die Versammelten im Rathhause unterworfen. Selbst der feurige Herbert von Windeck verstummte, entblößte sein Haupt und senkte den Blick.

»Die Getreuen Unserer Liebenfrau!« flüsterte er.

Viele drängten nach den Fenstern, traten auf Altan und Söller, die Meisten verließen den Saal, ein ergreifendes Schauspiel zu betrachten.

Ein langer Zug von Karren bewegte sich in einer Doppelreihe über den Marktplatz. Auf den Karren lagen zierlich gemeiselte Quadersteine, die von den Steinmetzenhütten auf der Westseite der Stadt nach der Stelle gebracht wurden, wo in der Nahe des Rheines, außerhalb der Ringmauern, das neue Münster Unserer Liebenfrau emporwuchs. Die Karren wurden gezogen von Männern, die alle zur Bruderschaft der Münsterbauer gehörten, ein Verein, der sich ohne Entgeld, geleitet von dem religiösen Geiste der Zeit, zum Dienste beim Münsterbau verpflichtet hatte. Ein großer Theil dieser Männer, welche sich an die Karren gespannt hatten und die Bausteine zogen, gehörte den höheren Ständen an. Nicht wenige Ritter und Barone des Wormsgaues, reichbegüterte und angesehene Herren, folgten dem Drange verdienstlicher Selbstentäußerung und zogen die Lasten. In demüthiger Haltung schritten sie einher, im freigewählten Dienste ihrer Königin, der hochgebenedeiten Mutter des Herrn, – eine Denk- und Handlungsweise, welche nur der starke Glaube jener Zeit hervor zu bringen vermochte Digby, Deutsche Ausg. v. Kobler, Stud. über d. Kl. des Mittelalters, S. 124 f..

Während die Procession langsam dahin zog, sangen deren Glieder:

In Gottes Namen fahren wir,
Seiner Gnad' begehren wir;
Verleih' uns die aus Gütigkeit,
O heiligste Dreifaltigkeit!
      Kyrie eleison.

In Gottes Namen fahren wir,
Zu Dir, Gott Vater, rufen wir:
Behüt' uns, Herr, vor'm ew'gen Tod,
Und bring' uns Hilf in jeder Noth!
      Kyrie eleison.

In Gottes Namen fahren wir,
Zu unserm Heiland flehen wir,
Daß Er uns durch die Marter sein
Machen woll' von Sünden rein!
      Kyrie eleison.

In Gottes Namen fahren wir,
An Dich allein, Herr, glauben wir;
Behüt' uns vor des Teufels List,
Der nachstellt uns zu jeder Frist!
      Kyrie eleison.

In Gottes Namen fahren wir,
Kein Helfer ohn' ihn wissen wir;
Vor Pestilenz und Hungersnoth
Behüt' uns, lieber Herre, Gott!
      Kyrie eleison.

In Gottes Namen fahren wir,
Ihn allein anbeten wir;
Vor allem Uebel uns bewahr',
Herr, hilf uns zu der Engel Schaar!
      Kyrie eleison.

Die Volksmenge auf dem Marktplatze hatte sich getheilt, der Procession freie Bahn zu lassen. In ehrerbietigem Schweigen standen die Massen, mächtig ergriffen von dem Anblicke, hochgeborene adelige Herren um Gotteswillen Knechtsdienste leisten zu sehen. Alle Häupter entblößten sich, Viele falteten die Hände und sprachen andächtig die weihevollen Worte des Gesanges nach. Und als die Procession vorbei gewallt, schlossen sich Hunderte derselben an und folgten nach dem Bauplatze, daselbst für einige Stunden in den Dienst Unserer Liebenfrau zu treten. – Jener Geist empörten Bürgerstolzes und racheglühenden Dranges, der wie ein Wirbelsturm die Tausende zusammengetrieben, schien vollständig verweht. Ernüchtert und besänftigt, geistig gehoben und versöhnt, empfanden es Alle, wie eine Entweihung, jetzt den Gefühlen der Rache und blutigen Fehde sich zu überlassen. Die Menge löste sich auf. Stille wich dem wilden Getöse und aus der Ferne klang das flehende »Kyrie eleison« der Getreuen Unserer Liebenfrau.

Eine solche Macht besaß der religiöse Glaube über die Gemüther, daß er auch die Ausbrüche schlummernder Naturkraft zu bannen, die entfesselten Geister zu beherrschen und in Schranken der Besonnenheit zu leiten vermochte.

Im Saale des Rathhauses hatte sich die gleiche Wandlung vollzogen. Die Rufe nach Krieg und Fehde waren verstummt. Die Leidenschaft und Zornesgluth der Züge war erloschen, und ernster Bedacht lag auf allen Gesichtern. Die meisten Bürger hatten den Saal verlassen, indeß Zunftmeister und Rathsmannen um den Oberbürgermeister einen weiten Kreis bildeten.

»Meine viel lieben Mitbürger!« hob Herr Hartmann an. »Als ich die edlen Herren, wie gemeine Knechte, an die Karren gespannt sah, Unserer Liebenfrau zur Ehre und Gott zu Diensten, da kam mir ein Gedanke, den ich Euch vorlegen will. – – Zur Bruderschaft der Münsterbauer gehört auch Graf Wolfram von Simmern, der vormals ein gar streitbarer und waffenkundiger Degen gewesen, bevor er sich zur Buße auf Lebenszeit entschloß und sich einem gar beschwerlichen Dienste weihte. Diesem edlen Herrn, der jetzt wohl ein Heiliger sein mag, wollen wir unseren Streithandel mit Bertolf von Starkenburg melden, und ihn fragen um seinen klugen Rath. Sicher wird uns dieser fromme Mann nichts rathen wider Ehre und Recht unserer Stadt. Des Kriegführens kundig und weidlich erfahren in jeglichem Waffenwerk, wird er uns auch den Pfad zeigen und die Mittel, wie der Burggraf möchte bezwungen werden. Und Wolframs Rath soll gelten. – Ist Euch dies recht?«

»Es gefällt uns!« lautete die einstimmige Antwort.

»Dem Rathe eines Heiligen können wir unbedingt folgen,« versetzte Herbert von Windeck.

»Demnach bitte ich Euch, Herr Bürgermeister Sterren, und Euch, Herr von Windeck, morgen nach dem Bauplatze mich zu begleiten, Wolframs gute Meinung zu hören,« schloß Oppenheim.


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