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Weihnachtsspiel.

Der Familienverkehr zwischen Auerberg und Greifenstein war ein lebhafter geworden. Baldemar von Billungen hatte sich mit dem erstrittenen Lebensberufe seines Sohnes versöhnt; denn Heidolf machte unter Greifensteins Leitung preiswürdige Fortschritte. Er führte mit Kraft und Geschick Lanze, Schwert und Schild, tummelte gewandt sein Roß, zeigte Verständniß und Begeisterung für das Ritterwesen und versprach, ein ausgezeichneter Kämpe zu werden.

»Heidolf wird seine Brüder am Hofe des Landgrafen überflügeln,« sagte Herr Baldemar; »überflügeln, nicht blos im Waffenwerk, sondern auch in feiner Lebensart und frommer Sitte. Es ist wunderbar, was Sighard aus dem unbeholfenen Dickkopf schon gemacht hat.«

»Heidolf müßte ja ein Klotz sein, würde er unter einem solchen Lehrmeister nicht gedeihen,« erwiederte Editha.

»Du hast Recht, mein Kind!« bestätigte Billungen. »Sighard ist ein vollendeter Degen, dermaßen ohne Fehl und begabt mit allen Tugenden des Ritterthums, daß er sich ebenbürtig sogar an der Tafelrunde des Königs Artus niederlassen könnte. Einen stattlicheren Degen sah ich niemals und auch keinen jungen Edelmann, den Bescheidenheit in solchem Maße zierte, – trotz aller glänzenden Eigenschaften.«

Das überschwängliche Lob machte Edithas Wangen lebhaft erglühen und ihr strahlendes Auge fiel, wie Sonnenschein, auf die Stickarbeit, mit der sie beschäftigt war.

»Vergiß nicht Sighards geistreiche Unterhaltungsweise,« sprach Frau Kunigunde. »Seine Schilderungen von Land und Leuten, von Sitten und Gebräuchen der Fremde, sind meisterhaft. Tausende haben die Heerfahrt nach Böhmen gemacht, doch vielleicht Keiner mit Sighards feiner Beobachtungsgabe. Sein Verkehr ist für uns Alle reicher Gewinn. Wäre nicht die unselige Wormser Fehde und der dunkle Graf Bertolf, wie ein böser Geist zuweilen hier auftauchend, – unser Familienglück wäre vollkommen.«

Billungens Angesicht verdüsterte sich bei den Worten. Längst bereute er den Streit mit Worms, weit mehr noch quälte ihn das voreilige Versprechen, an das ihn Bertolf bei jedem Besuche erinnerte. Baldemar wagte bisher nicht, auch nur entfernt seine Verpflichtung anzudeuten; denn er sah voraus, daß hiedurch seine geliebte und einzige Tochter namenlos unglücklich würde. Ebenso wenig wagte er, den Bruch seines Wortes für möglich zu halten. Und so wurde Herr Baldemar schwer gezüchtigt für eine übereilte, im Drange der Leidenschaft eingegangene Verpflichtung.

»Der Graf kommt ja selten, – und ich besuchte ihn seit Wochen nicht mehr,« sagte Billungen, nach einigen Gängen durch das Zimmer. »Wie ich höre, baut er gegenwärtig einen zweiten Thorthurm, Starkenburg noch unbezwinglicher zu machen.«

»Ein böses Gewissen,« erwiederte Frau Kunigunde, »wird niemals fertig mit Errichtung von Schutzwehren, und doch ist Alles vergeblich; denn innen sitzt der Feind, nicht außen.«

»Hm, – böses Gewissen!« brummte Billungen. »Der Graf rüstet gegen Worms.«

»Und wer muß die Lasten der Rüstungen tragen? Das Stift Lorsch und dessen Bauern,« sprach unmuthig Editha. »Er zwingt die Klosterleute zu Frohnarbeiten, erpreßt Geld und Gut, den wüsten Schwarm seiner Reisigen zu unterhalten, nimmt mit Gewalt den Familien die kräftigsten Söhne hinweg und verübt himmelschreiende Ungerechtigkeiten. Jammer, Noth und Thränen heften sich an des Preußen Ferse, und wahrlich, uns gereicht es nicht zur Ehre, solch einen Menschen zu empfangen, wie einen Freund!«

»Stille, stille!« gebot Herr Baldemar. »Urtheile nicht zu hart und überlasse Gott das Gericht über Dinge und Menschen, für welche Du keine Rechenschaft zu geben hast. Uebe Dich vielmehr im Geiste jener Hochgebenedeiten, welche Du in acht Tagen vorzustellen hast. Maria, die milde Mutter des Herrn, verdammt Niemand, ist dagegen Zuflucht und Fürbitterin aller Sünder und Bedrängten.«

Diese geschickte Ableitung des Gegenstandes wandte das Gespräch auf das nahe bevorstehende Weihnachtsspiel.

Eine hervorragende und einflußreiche Stellung im Mittelalter behaupteten die kirchlichen Feste und geistlichen Schauspiele. Während im classischen Heidenthum die Schauspiele staatliche Zwecke verfolgten, zur Begeisterung für das Vaterland spornten und kriegerischen Muth entflammten, standen sie im christlichen Mittelalter unter dem Alles beherrschenden religiösen Einflusse; sie sollten dienen zur Erhöhung der Andacht und die Frömmigkeit fördern. Darum wurden sie auch gewöhnlich in den Kirchen gehalten und von Clerikern aufgeführt. Und die Naivetät der Zeitrichtung fand in der Vermischung des Ernsten mit dem Possenhaften, des Salbungsvollen mit dem Komischen und Derben, keine Entweihung der heiligen Stätte. Selbst die Darstellung des Lächerlichen hatte eine tiefsinnige Bedeutung, und wurde vom Volke begriffen. So erregte es keinen Anstoß, wenn in Deutschland der junge Priester, nach der Feier seiner Primizmesse, vom Altare niederstieg, um mit seiner Mutter zu tanzen; denn die Mutter symbolisirte die Mutter aller Gläubigen, die Kirche, in deren ausschließlichem Dienste der junge Priester alle Lebensfreuden finden sollte.

Komisch war es, wenn am Ostertage die Domherren in einer Reihe einhergingen, Einer hinter dem Anderen, und Jeder an einer Schnur den Fastenhäring nach sich zog, wobei Jeder bedacht sein mußte, ebenso wenig auf den Häring seines Vorgängers zu treten, als den Seinigen unter die Füße des Nachfolgenden gelangen zu lassen. Das Volk betrachtete das Schauspiel ohne Lachen und Heiterkeit, es fand im Häring das Symbol der Abtödtung, die mit der abgelaufenen Fastenzeit keineswegs aufhörte, sondern für alle Zeit mit dem Leben des Priesters und Christen verknüpft war.

An das Possenhafte streifte das Eselsfest, eingesetzt zur Erinnerung an die Flucht aus Aegypten. Eine schöne Jungfrau, mit einem Kinde in den Armen, wurde auf einem reichgeschmückten Esel in die Kirche geführt, wobei die gesammte Geistlichkeit das Geleite gab. War der Zug vor dem Altare angekommen, so begann die Messe. Alle Chorgesänge endigten hiebei mit einem Eselsgeschrei und auch die Messe; denn an die Stelle des Ite missa est trat ein dreimaliges Eselsgeschrei des Priesters, und das Volk respondirte in den gleichen Lauten.

Dieses naive Verbinden des Komischen und Possenhaften mit dem Ernsten und Heiligen beschränkte sich keineswegs auf die Schauspiele, es erstreckte sich auch auf die herrlichsten Denkmale mittelalterlicher Baukunst. An reich geschnitzten Chorstühlen, sowie an den Außenseiten der Kirchen, wechselten Heiligenfiguren mit ungeheuerlichen, fratzenhaften Bildwerken, – an deren Bedeutung schon mancher Gelehrte seinen Scharfsinn übte, und darüber die Feder stumpf geschrieben.

Am Vorabende des Weihnachtsfestes strömten die Gläubigen umliegender Orte nach Lorsch, im Bußgerichte durch reumüthige Selbstanklage die Seele zu reinigen von aller Mackel. Sämmtliche Beichtstühle der Mönche waren von Hilfsbedürftigen umlagert, unter denen auch Sighard von Greifenstein und seine Mutter, und Baldemar mit Frau Kunigunde und dem größten Theile des Burggesindes. Editha weilte bei den Klosterfrauen, von denen sie in der Darstellung ihrer auszeichnenden und überaus ehrenvollen Rolle unterwiesen wurde.

Nachdem ein finsterer Abend dem kurzen Nachmittage gefolgt war, füllten Tausende erwartungsvoller Zuschauer die drei Schiffe der großen Kirche. Immer noch saßen einige Mönche in den Beichtstühlen, an denen Armleuchter mit brennenden Wachskerzen befestigt worden. Tiefe Stille herrschte in dem Heiligthume, zuweilen unterbrochen von dem Geräusche Kommender und dem Oeffnen der Thüren. Die Gläubigen knieten in Bänken, oder auf dem Boden, in Gebet und Betrachtungen über die Geheimnisse der anbrechenden heiligen Nacht versenkt.

Im Vordergrunde des Mittelschiffes hatten die Angehörigen der Familien Greifenstein und Billungen gemeinschaftlich einen Stuhl eingenommen. Herr Baldemar sah fortwährend nach dem dunklen Chor, der bald in hellem Lichtglanze strahlen und seine Tochter in ergreifender Handlung der staunenden Menge zeigen sollte. Frau Kunigunde kniete betend neben ihm, aber es darf wohl bezweifelt werden, ob nicht geschmeichelte Muttergefühle die Andacht der Christin störend beeinflußten. Was Sighards Empfindungen betrifft, so mochten selbst jene des Vaters und der Mutter Edithas überflügelt werden, durch hochgespannte Erwartung und schwärmerische Begeisterung. Nach seiner ganz unbestreitbaren Ueberzeugung war keine Jungfrau würdiger, die Hochgebenedeite darzustellen, als Editha; denn ihr minniglicher Leib war ebenso bezaubernd durch unvergleichliche Schönheit, wie die Reinheit und der Adel ihrer Seele fleckenlos. Ihre Erscheinung mußte, nach Sighards Urtheil, überwältigende Eindrücke hervorbringen, und fast berührte ihn ein Stachel der Eifersucht, wenn er die Verehrte den bewundernden Blicken von Tausenden ausgesetzt dachte.

In dem Stuhle gegenüber stand Bertolf, der Klostervogt, mit seinen fünf Söhnen. Nicht die Befriedigung religiöser Bedürfnisse hatte den Ungläubigen hieher geführt, sondern der Reiz des Schauspiels, Jene gefeiert und handelnd zu sehen, die ihm nach väterlichem Versprechen gehörte. Wohl ahnte der Graf die zärtlichen Wechselbeziehungen zwischen Editha und Sighard, ohne etwas Anderes hiebei zu empfinden, als hämische Schadenfreude. Billungens Tochter gehörte ihm nach Recht, und ein Mann von Bertolfs Geistesroheit und gewaltthätigem Sinn besaß zugleich die Entschlossenheit, ein zuerkanntes Recht, wenn nöthig, rücksichtslos zu erstreiten.

Vom Mittelschiffe führten dreimal sieben Stufen, die ganze Breite des Schiffes einnehmend, zum Chor hinauf. Dort erhob sich der Hochaltar, von einem Himmel, auf vier Säulen ruhend, überwölbt. Auf dem freien Raum vor dem Altare sollte das Schauspiel sich entwickeln, und ein Geräusch verrieth, daß hiezu die unmittelbarsten Vorbereitungen getroffen wurden. Mit dem Gesichtssinn konnte hievon nichts wahrgenommen werden; denn es herrschte im Chor vollständige Finsterniß. Auch die Lichter an den Beichtstühlen waren, bis auf zwei in jedem Seitenschiffe, ausgelöscht worden, und diese warfen einen nur schwachen Schein in das Mittelschiff, wo die Menge in weihevoller Spannung des Beginnens harrte. Genau in der feierlichen Stimmung des Augenblicks, begann jetzt die Orgel ein Vorspiel, das allmählich in die Allen bekannte Melodie eines Adventsliedes überging. Der Gesang hob an, – gleichsam die Ouverture zu dem Schauspiele. Sofort begleitete die versammelte Volksmenge den Gesang, und zwar mit einer Kraft und Begeisterung, die Zeugniß gaben, von der Lebhaftigkeit und Tiefe religiöser Gefühle. Die Melodie des Adventsliedes drückte eine fast stürmische Sehnsucht nach dem verheißenen Weltheilande aus, und wechselte dann wieder mit überaus zarten, sehnsuchtsvollen Weisen. Den gleichen Geist athmete der Text des Liedes: – gläubige Kraft, frommer Ungestüm, heißes Drängen, in rührender Einfalt die Ankunft des Heilandes erflehend. Das Volk aber sang:

O Heiland, reiß die Himmel auf!
Herab, herab vom Himmel lauf!
Reiß ab vom Himmel Thür und Thor,
Reiß ab, wo Schloß und Riegel vor.

Gott, reinen Thau vom Himmel gieß!
Im Thau herab, o Heiland, fließ!
Ihr Wolken, brecht und regnet aus
Den König über Jakobs Haus.

O Erd', schlag' aus! schlag' aus, o Erd',
Daß Berg und Thal, grün Alles werd'!
O Erd', hervor dies Blümlein bring!
O Heiland, aus der Erde spring!

Wo bleibst Du, Trost der ganzen Welt,
Worauf die Welt all' Hoffnung stellt?
Ach komm, ach komm vom höchsten Saal!
Komm, tröst' uns hier im Jammerthal!

O klare Sonn, o schöner Stern!
Dich wollen wir anschauen gern!
O Sonn', geh' auf, ohn' deinen Schein
In Finsterniß wir alle sein.

Hier leiden wir die größte Noth;
Vor Augen steht der ew'ge Tod!
Ach komm, führ' uns mit starker Hand
Vom Elend zu dem Vaterland.

Da werden Alle danken Dir,
Dir, unserm Heiland, für und für;
Da werden Alle loben Dich
Mit allen Heil'gen ewiglich.

Gott, Vater, Sohn und heil'ger Geist,
Sei immerdar von uns gepreist
Mit Glory, Lob und Herrlichkeit
Von nun an bis in Ewigkeit.

Bei der letzten Strophe glitt ein Lichtstreifen durch die Finsterniß des Chores. Einen Augenblick irrte der Lichtschein hin und wieder in dem schwarzen Raum, bis er fest stand und eine beschränkte Fläche schwach beleuchtete. Diese Stelle befand sich etwa zwölf Fuß über dem Boden des Chores und bildete eine halbkreisförmige Wölbung. Man sah den blauen Himmel, mit goldenen Sternen besät, wie er sich über dem Altare ausbreitete, – sonst aber sah man nichts. Augenscheinlich waren die Capitelle der Altarsäulen durch Stangen mit einander verbunden und an diesen Stangen undurchsichtige, dunkelfarbige Vorhänge befestigt worden, die bis zum Boden hinabfielen. Jetzt tauchten mehrere Engelsköpfe in dem Lichtraum auf. Sie hatten gar liebliche, unschuldige Gesichter, mit vollen, rosenfarbigen Wänglein und glänzenden Augen. Sämmtliche Engel waren deutschen Stammes; denn goldgelbes Lockenhaar schmückte in reicher Fülle ihre Köpfe. Sehr viele Zuschauer wollten auch die Spitzen der Engelsflügel sehen, die nach gothischer Vorstellungsweise emporstanden. Aber den gestrengen Magister, der etwas tiefer und zurück stand, und mit dem Taktstock den Gesang der wohlgeübten Klosterschüler leitete, sah Niemand. Kaum erschienen, hoben die Engel ein gar wundersames Lied an. Rein und klar, jedes Wort verständlich, die Sinne umstrickend, Gefühle der Andacht erweckend, klang das Lied. Die Engel aber sangen mit ihren himmlischen Stimmen:

Uns kommt ein Schiff gefahren,
Es bringet schöne Last,
Darauf viel Engelsschaaren,
Hat einen großen Mast.

Das Schiff kommt uns geflossen,
Das Schiff geht ans Land,
Hat Himmel aufgeschlossen,
Den Sohn heraus gesandt.

Maria hat geboren,
Aus ihrem Fleisch und Blut,
Das Kindlein auserkoren,
Das wahrer Mensch und Gott.

Es kommt ein Schiff geladen,
Recht bis zu höchst an Bord,
Bringt uns den Sohn des Vaters,
Bringt uns das ew'ge Wort.

Auf einer stillen Woge
Schwimmt uns das Schifflein her,
Es bringt uns reiche Gabe:
Die Königin so hehr.

Maria, edle Rose,
Du aller Huld ein Ast,
Du schöne Zeitelose,
Nimm uns der Sünden Last!

Das Schifflein, das geht stille
Und bringt uns reiche Last,
Sein Segel ist die Minne,
Der heil'ge Geist sein Mast.

Wie verzückt lauschte das Volk, kaum wagte es, zu athmen, und in vielen Augen glänzten Thränen; denn für Zuschauer, von gläubiger Begeisterung für den Gegenstand ergriffen, bedurfte es nur geringer Mittel, das höchste Maß von Entzücken zu erregen. Da unterbrach ein verhaltener jäher Aufschrei der Menge die Grabesruhe; dem Aufschrei folgte sogleich wieder lautlose Stille. Es hatte sich mit einem Schlage die Scene erweitert, ein Schauspiel darbietend, das Alle in tiefster Seele ergriff.

Bisher verhüllte Lichter, mit starken, blendenden Reflektoren, – gossen plötzlich einen Lichtstrom über den dunklen Raum vor dem Altare. Der Stall von Bethlehem lag vor den Augen der Zuschauer. Eine getheilte Gruppe umgab die Wiege des Erlösers. In Mitte der Gruppe kniete Maria vor dem Jesuskinde, das in einer niederen Krippe auf Stroh gebettet lag. Auf der anderen Seite der Krippe kniete der ehrwürdige Joseph, einen Pilgerhut auf dem Kopfe, über die Tunika einen weiten Mantel in malerischen Falten geworfen. Den Stall zu versinnlichen, standen links und rechts von der Krippe zwei Esel und fraßen gemüthlich ihren Hafer. Drei Schafe, von blendend weißem Vließ, belugten die Geburtsstätte des Weltheilandes. Eine kleine Schaar Jünglinge und Männer, in altdeutscher Hirtentracht, knieten oder standen zu beiden Seiten, durch Haltung und Bewegung Andacht und Staunen ausdrückend. Von der Höhe schauten die Engel nach dem Jesuskinde nieder, und jetzt begannen sie mit den Hirten einen ebenso feierlichen, wie freudigen Wechselgesang.

Die Engel sangen:

O Kind, o wahrer Gottessohn,
O Krippe, Salomonis Thron,
O Stall, o schönes Paradeis,
O Stroh, wie Rosen roth und weiß.

Der Chor der Hirten antwortete:

      Kindlein im Stall
      Mach' selig uns All!
      Kindlein im Stroh,
      Mach' uns froh!

O Kind, Du bist von Wunderart,
Dein Antlitz blüht wie Rosen zart,
Schön weiß und roth, wie Milch und Blut,
Die Farb erfrischt uns Herz und Muth.

      Kindlein im Stall
      u. s. w.

Dein Haupt ist golden und kraus Dein Haar,
Die Lippen roth, die Augen klar,
Vom Haupte schön bis auf die Füß
Und über alle Honig süß.

      Kindlein im Stall
      u s. w.

Dein Leib, schneeweiß, wie Elfenbein,
Saphiren eingefaßt darein,
Saphiren – Deine Gottheit groß,
Das Elfenbein – die Menschheit bloß.

      Kindlein im Stall
      u. s w.

Deine Hände Hyacinthen voll,
Sie duften über Alles wohl;
O Kind, wie schön! Du glänzest mehr,
Als, wenn im Stall die Sonne wär'.

      Kindlein im Stall
      Mach' uns selig all!
      Kindlein im Stroh
      Mach' uns froh!

Während des Gesanges erhob sich Maria, nahm den Säugling aus der Krippe in ihre Arme und ließ sich auf einem Thronstuhle nieder, der auf einer Erhöhung von mehreren Stufen stand. Ein goldenes Diadem auf dem Haupte, das lange Haar über Schultern, Rücken und Brust frei herabwallend, gekleidet in eine weiße lange Tunika, darüber einen faltenreichen blauen Sammtmantel, thronend in wundervoller Schönheit und Anmuth, bot Maria einen ergreifenden Anblick dar. Das Volk lag auf den Knieen, in das Betrachten des heiligen Schauspieles verloren, betend, schluchzend und weinend vor Freude und Rührung. Die Menschen jener Zeit besaßen eine überaus lebhafte und vorwiegende Einbildungskraft, weßhalb sich die Darstellung des Spieles leicht in jene der Wirklichkeit verwandelte. Die bloße Nachahmung des welterneuernden Ereignisses zu Bethlehem war beinahe vergessen, die Menge glaubte, die tatsächliche Geburtsstätte Jesu zu schauen. Dieser Auffassung gemäß war auch die Stärke überwältigender Eindrücke. Kein Auge blieb trocken, und Tausende gefalteter Hände erhoben sich betend nach dem Jesuskinde und dessen Mutter.

Auch Herr Baldemar vergaß seine Tochter, er sah nur Maria und das göttliche Kind in ihren Armen, während Frau Kunigunde neben ihm zerfloß in Thränen der Wonne.

Wie gebannt, das ganze geistige Vermögen in Fesseln geschlagen, betrachtete Sighard die Scene. Ohnehin dem Zuge seiner Zeit unterworfen, welche die reine Weiblichkeit idealisirte, fand er Edithas wunderbare Schönheit und fleckenlose Jungfräulichkeit, verbunden mit königlicher Würde und Anmuth, fast reich genug, die Gebenedeite des Herrn darzustellen.

Nur Bertolf, der Ungläubige, empfand nichts von der Weihe allgemeiner Stimmung. Während seine Söhne an den Augen wischten, fesselte ihn lediglich Edithas Erscheinung. Leidenschaftlich glühten seine Augen, und neben den Berechnungen seiner Habsucht, die ihm Edithas Besitz begehrenswerth erscheinen ließen, erhob sich zugleich eine heftige Neigung.

Der Wechselgesang zwischen Engeln und Hirten war verklungen. Jetzt begannen die Letzteren den Schlußchor, welcher nebenbei offenbarte, daß die Hirten der lateinischen Sprache nicht unkundig waren. Das Lied ist merkwürdig, nicht blos wegen seiner originellen halblateinischen Form, sondern auch wegen seines ächt poetischen Inhaltes, voller Einfalt und Glaubensfreudigkeit. Die Hirten sangen:

In dulci jubilo
Nun singet und seid froh,
Aller unser Wonne
Liegt in praesepio,
Sie leuchtet vor die Sonne
Matris in gremio;
Qui est a et o
Qui est a et o.

O Jesu parvule,
Nach Dir ist mir so weh,
Tröste mein Gemüthe
O puer optime,
Durch aller Jungfrauen Güte,
O princeps gloriae,
Trahe me post te,
Trahe me post te!/H6>

Mater et filia
O Jungfrau Maria,
Hättest Du uns nicht erworben
Coelorum gaudia,
So wären wir all' verdorben
Per nostra crimina!
Quanta gratia,
Quanta gratia!

Ubi sunt gaudia?
Nirgends denn allda,
Da die Engel singen
Nova cantica,
Mit ihren süßen Stimmen
In regis curia
Eia war'n wir da!
Eia war'n wir da!

Bei Beginn der Schlußstrophe erhob sich Maria und stieg vom Throne. Die Hirten bildeten zwei Reihen, die sich in feierlichem Zuge singend fortbewegten. Mit dem letzten Worte erloschen im Chore die Lichter, so daß Alles in Nacht und Stille versank und das Ganze, wie eine übernatürliche Erscheinung verschwand. Dagegen blieben in den Gemüthern tiefe und reichhaltige Eindrücke. Was man beständig schaute mit dem geistigen Auge des Glaubens, hatte man angestaunt mit leiblichen Sinnen und hievon die segensreiche Wirkung einer lebhaften religiösen Betrachtung empfangen.

Eine große Anzahl Wachskerzen erhellten die drei Schiffe der Kirche, wo die meisten Zuschauer zurückblieben, in Gebeten und Betrachtungen die feierliche Mette um Mitternacht zu erwarten. Andere kehrten nach dem Schlusse des Schauspieles nach Hause zurück, unter diesen die Familien Greifenstein und Billungen. Am folgenden Tage erschienen sie wieder zum Hochamte, traten bei der Communion zum Tische des Herrn und empfingen gemeinsam mit vielen hundert Männern und Frauen den Frohnleichnam. Diesem religiösen Bedürfnisse hätten die beiden Adelsfamilien auch in den Pfarrkirchen zu Bensheim und Auerbach genügen können, – aber Lorsch besaß den Leib des heiligen Märtyrers Nazarius, es war ein altberühmter Wallfahrtsort, dessen Besuch, in frommer Absicht, auf diesen Tag besondere Gnaden gewährte.

Dann bot sich, während der Weihnachtsfeiertage, den Gläubigen ein ernster Anblick dar. Im Paradiese der Stiftskirche, neben dem weit geöffneten Portale, kniete Hatto, der Pferdedieb, in Bußkleidern. Sein Haupt war mit Asche bestreut, um den Hals trug er einen Strick, ein rauhes Gewand umhüllte seinen Leib und in der Hand hielt er eine Ruthe, zum Zeichen, daß er Streiche verdiene und bereit sei, dieselben von Jedermann zu ertragen. Diese öffentliche Buße war nicht nur eine Sühne für das Vergehen, sondern auch für das gegebene Aergerniß. Der beleidigten öffentlichen Meinung wurde Genugthuung und die Ueberzeugung, daß Gottes Gebote, selbst für den Reuigen und von der Schuld Gelösten, nicht ohne Strafe übertreten werden.

Hatto schien sich auch der Größe seines Frevels und dessen nachteiligen Einwirkungen auf die gesellschaftliche Ordnung lebhaft bewußt. Tief gebeugt war seine Gestalt und aufrichtige Zerknirschung lag in seinen Zügen. Niemand konnte den demüthigen Büßer ohne Theilnahme und Mitleid betrachten. Diese Eindrücke empfingen auch die Bewohner von Auerbach, bisher eines Mannes sich schämend und ihm zürnend, der Schande über die Gemeinde gebracht. Nun versöhnte die öffentliche Buße die grollenden Herzen. Hatte die Kirche den Missethäter gezüchtigt und Gott ihm vergeben, so waren Schuld und Schande von ihm genommen, kein guter Christ durfte ihm ferner gram sein und die Gemeinde ihn nicht weiter mit Verachtung strafen. Als die Wallfahrer nach Auerbach zurückkehrten und von dem Büßer Hatto berichteten, wandelte sich rasch die Stimmung. Und als die Buße den ganzen Winter hindurch fortgesetzt wurde und Hatto an jedem Sonn- und Festtage büßend vor der Kirchenthüre kniete, wurden sogar die Unversöhnlichsten in Auerbach befriedigt und weich gestimmt. Bald genoß Hatto die Freude, seine Mitbürger empfangen zu können, die ihn auf dem Seehofe besuchten.


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