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Ein unterbrochenes Turnier der Klosterschüler.

Die streitbarsten Kämpen des dreizehnten Jahrhunderts waren keineswegs die Recken in Helm und Harnisch, sondern die Männer der Gelahrtheit, die Tapferen der Wissenschaft. Wie das Ritterthum glänzte durch Geschicklichkeit in Führung der Waffen bei Turnieren, so bewiesen die Wackeren im Magistergewande ihre Geistesstärke durch öffentliche Disputationen. Namentlich waren die Scholastiker höchst streitbare Degen. Ihre Spitzfindigkeiten und dialektische Gewandtheit sind ganz erstaunlich. Sie tummelten sich auf dem Gebiete der Philosophie, der Geometrie, der Rhetorik, der Logik, der Physik, der Medizin, insbesondere auf jenem der Theologie, entsprechend der vorwiegend religiösen Richtung der Zeit. Die einfachsten Bibelsprüche, an denen gewöhnliche Menschen nichts zu deuten fanden, erweckten ihnen tausend Bedenken und Fragen. So wirft der gelehrte Bischof Albertus Magnus zweihundert drei und dreißig Fragen auf über die vier Bibelworte: » Missus est angelus Gabriel, gesandt wurde der Engel Gabriel«. Zunächst beweist er scharfsinnig durch acht Gründe, es sei die Sendung eines Engels an Maria nicht nothwendig gewesen, indem auch die Unwissenheit mit der Gottheit unmittelbar verkehren konnte. Dann zeigt er durch noch stärkere und zahlreichere Gründe, es sei die Botschaft durch einen Engel doch passender gewesen. Dann stellt und beantwortet er die Fragen, ob der himmlische Bote Gabriel die Gestalt einer Schlange, einer Taube, oder eines Menschen angenommen, und für letztere sich entscheidend, ob Gabriel die Gestalt eines Erwachsenen, eines Jünglings, oder eines Kindes gehabt? Ob er am Morgen, oder am Abend erschienen sei? Ob er Maria bei der Arbeit, oder beim Gebete angetroffen? Ob die allerseligste Jungfrau von großer leiblicher Schönheit gewesen? Wie ihre Gesichtsfarbe, ihre Haare und Augen, ihre Kleidung gewesen? Ob sie später alle Sakramente empfangen? Ob sie dem heiligen Petrus oder Johannes gebeichtet? Ob sie unterrichtet gewesen in Grammatik und Rhetorik? Gar die Sentenzen des Petrus Lombardus gekannt habe?

Alle diese Fragen beweisen, daß die Menschen auch das Unbedeutendste und Geringfügigste jener Gegenstände zu ergründen strebten, die ihnen als die höchsten galten.

Obwohl nun eine solche Behandlungsweise biblischer Stoffe dem herrschenden Leitgeiste entsprang, welcher das lebhafteste Interesse im Religiösen und in den Geheimnissen der Offenbarung fand, so streifte sie doch an spitzfindige Silbenstecherei, zuweilen sogar an das Lächerliche. Daher scharfer Tadel ernster Männer über Vorwitz und gelehrte Streitsucht.

»Folget ihnen,« schreibt Walther von St. Viktor, »zu den geschwätzigen Disputationen, bei denen sie Tage und Nächte verbringen, und ihr werdet sehen, daß sie nichts thun, als die nämliche Sache immer wieder herum drehen, als nur annehmen und verwerfen. Sie treiben mit dem Wahren und Falschen ein dermaßen spitzfindiges Spiel, daß man das Eine nicht mehr herausfinden, das Andere nicht nachweisen kann. Achtet auf ihre Worte, und ihr werdet bald nicht mehr wissen, ob es einen Gott giebt, oder keinen, ob Christus Mensch wurde, oder irgend einen phantastischen Körper annahm, ob es in der Welt irgend etwas Wirkliches giebt, oder ob Alles nur Schein ist. Mögen diejenigen, welche sich, obgleich Doctoren der Kirche, so zum öffentlichen Schauspiele preisgeben, zu den heiligen Wissenschaften zurückkehren und das Studium der freien Künste auf sich beruhen lassen, den Aposteln, nicht den Philosophen, nachahmen. Was sind wir? Was sind die Dinge, welche uns umgeben, ernähren, unterhalten? Ist das Wesen aller Dinge ein leerer, trügerischer Schatten? Ich weiß wahrlich nicht, welche meinen Unwillen herausfordern, diejenigen, welche läugnen, daß wir etwas wissen können, oder diejenigen, welche behaupten, Alles müßten wir ergründen Bei Cantu, B. VI, S. 976.

Auch in Lorsch gab es häufige Disputationen, denen sämmtliche Klosterschüler und Mönche beiwohnten, Scharfsinn und Gelehrsamkeit der Streitenden zu bewundern. Nicht selten steigerte sich das Wortspiel zu heißen Kämpfen, kühnen und verwegenen Angriffen, Niederlagen bis zur Kampfesunfähigkeit, blitzenden Augen, geballten Fausten, derben Keulenschlägen, durchbohrenden Lanzenstichen, – gerade wie bei den Turnieren. Deßhalb nannten die Klosterschüler solche Disputationen »Turniere der Knappen Christi.«

Während Greifenstein die Wegelagerer bekämpfte, versammelten sich die Zöglinge der inneren Schule, die Magister und Mönche, in jenem Klosterhofe, der von den Säulenhallen des Kreuzganges umschlossen wurde. Im Mittelpunkte des Raumes erhoben sich zwei gegenüberstehende Lehrstühle, von zwei Schülern eingenommen, die bereits im angehenden Mannesalter standen und die niederen Weihen empfangen hatten. Wie bei den Turnieren, nannten die Klosterschüler den einen Disputator »Herausforderer«, den anderen »Vertheidiger«.

Um die Kämpfer bildeten die Zuhörer einen fünffachen Ring. Der innere Kreis bestand aus Knaben von sechs bis zehn Jahren. Es waren die Nämlichen, welche bei dem Weihnachtsspiel so hübsch gesungen und die Engel so würdig dargestellt hatten. Beim Tageslichte betrachtet, trat das Engelhafte ihres Wesens noch klarer und anziehender hervor. Goldgelbes Lockenhaar umrahmte Kindergesichter mit vollen, lieblich gerötheten Wangen und glänzenden Augen, aus denen die lauterste Unschuld hervorstrahlte. Die Kinderaugen erwartungsvoll nach den beiden Kämpfern gehoben, standen sie da, schweigend und bescheiden, eingeschlossen im rauhen Gewande des heiligen Norbert.

Im zweiten Ring standen ältere Knaben, deren Haupthaar kurz abgeschnitten, und deren Wesen bereits angehaucht war von dem Ernst des Klosterlebens.

Den dritten Ring bildeten Jünglinge mit tonsurirten Köpfen und mit Gesichtern, deren Farbe und dürftiger Fleischgehalt angestrengtes Studium verrieth. Mit größter Aufmerksamkeit folgten sie dem Wortstreite, und die Thätigkeit ihres Geistes lag offen über der arbeitenden Stirne.

Im vierten Ring erschienen angehende Männer, großentheils Subdiakonen und Diakonen, deren hagere Gesichter von Fasten und Casteiungen berichteten. Manches Angesicht trug das Gepräge sittlicher Strenge, religiösen Eifers und geistiger Schärfe, – erwünschte Eigenschaften künftiger Prälaten; denn Lorsch gab nicht nur vielen Klöstern Aebte, sondern auch Bischöfe den Stühlen zu Worms und Speyer, und Churfürsten den Erzstühlen zu Cöln, Trier und Mainz.

Den äußersten Ring zogen die ehrwürdigen Magister und Mönche, deren ascetische Gestalten, wie eine schützende Mauer, den geistlichen Nachwuchs umschlossen.

Gleich kampfbereiten Rittern, standen sich die beiden Disputatoren einander gegenüber, und wie bei Turnieren der Herold mit seinem Stabe das Zeichen zum Kampfe gab, so erhob auch jetzt der Propst seine Hand. Sofort begann der Defensor fidei mit lauter Stimme einen dogmatischen Satz auszusprechen, den er nach allen Seiten in scholastischer Weise erörterte. Durch zahlreiche Bibelstellen und wörtlich angezogene Citate aus den Kirchenvätern stützte er das gewählte Dogma, zur Lust und Freude der Magister, Mönche und Diakonen, sowie zur staunenden Bewunderung der lauschenden Knaben und Jünglinge. In athemloser Spannung folgten die Zuhörer. Keine Versammlung späterer Zeiten, die nicht Gott und Offenbarung, sondern Geld und Macht als das Höchste betrachten, kann eine Lebensfrage beschäftigen, die mehr Interesse erweckt, als gegenwärtig die Begründung einer göttlichen Eigenschaft. Versuchen wir es, einen Theil der Disputation, ihrer scholastischen Formen entkleidet, wieder zu geben.

Der Defensor fidei hatte Gottes Allwissenheit bis zur Prädestinationslehre entwickelt. Jetzt wurde er von seinem Gegner mit großer Lebhaftigkeit angegriffen.

»Ich läugne das Vorwissen Gottes, weil es die menschliche Freiheit vernichtet,« rief er, wobei ein leises Gruseln ob solcher kühnen Verwegenheit die jugendlichen Zuhörer überkam. »Was Gott voraus weiß, muß geschehen. Vergebens sträubt sich dagegen die menschliche Selbstbestimmung. Nicht die freie Wahl entscheidet das ewige Geschick der Menschen, sondern das Vorauswissen Gottes. Genau das Nämliche lehrt St. Paulus, indem er an die Römer im achten Capitel schreibt: »Welche Gott vorher gewußt, die hat er auch vorher bestimmt; welche er aber vorher bestimmte, die hat er auch berufen, und welche er berufen, die rechtfertigt er auch; welche er gerechtfertigt hat, die verherrlicht er.« – Hieraus folgt schlagend, daß nur jene Menschen gerechtfertigt und selig werden, die Gott voraus wußte. Da ferner, wie der Herr Christus lehrt, das Himmelreich Gewalt leidet und nur Solche es an sich reißen, die Gewalt brauchen, – so ergiebt sich, daß nur jene Menschen tugendhaft wandeln, die Gott als Tugendhafte voraus wußte. Und weil sie, nach dem Vorauswissen Gottes, zu den Auserwählten gerechnet werden, so können sie nicht lasterhaft wandeln, ihr freier Wille besteht nicht, sie müssen leben und handeln nach Gottes Vorauswissen.«

»Das Zukünftige geschieht nicht, weil es Gott voraus weiß, sondern Gott weiß es, weil es geschieht,« behauptete der Vertheidiger.

»Unmöglich!« rief der Angreifer entgegen. »In diesem Falle wäre Gott nicht das absolute Wissen, nicht der Allwissende; denn sein Wissen würde bestimmt und begränzt durch das menschliche Thun oder Nichtthun.«

»Dieser Einwand beruht auf einem grundfalschen Begriffe vom göttlichen Vorauswissen,« erwiederte schlagfertig der Vertheidiger. »Stelle ich mich auf diesen beschränkten Standpunkt über Gottes Unendlichkeit, so behaupte ich: – Gott weiß gar nichts voraus. Weil er aber voraus nichts weiß, das heißt, gar nichts Zukünftiges weiß, so müssen alle jene Bedenken in Nichts zerfallen, die sich in Hinsicht der menschlichen Freiheit an das Vorauswissen Gottes knüpfen.«

Allgemeines Erstaunen und Befremden der Klosterschüler, erwartungsvolle Freudigkeit der Mönche und Magister.

»Keineswegs dogmatisch unhaltbar oder ketzerisch ist mein Satz: – Gott weiß gar nichts voraus, – mein Satz ist vielmehr Gottes Unendlichkeit angemessen,« fuhr nach einiger Sammlung der Vertheidiger fort. »Wie Gott von keinem Raume eingeschlossen werden kann, weil er die Allgegenwart, die Ueberraumlichkeit ist, so kann er auch nicht beschränkt werden, durch das Maß der Bewegung, die wir ›Zeit‹ nennen. Raum und Zeit sind nur Geschöpfe Gottes, das Geschöpf aber kann den Schöpfer nicht beherrschen, ihn nicht unterwerfen. ›Ein Tag ist vor dem Herrn, wie tausend Jahre‹, schreibt St. Petrus, ›und tausend Jahre, wie ein Tag.‹«

Ein betäubendes Hundegebell unterbrach den Redner. Burkhard winkte dem Gastbruder Anselm, der sich eilends entfernte, durch die bekannten Mittel das Schweigen der Hunde zu erkaufen.

»Dem Könige der Ewigkeiten, dem Unwandelbaren, sei Ruhm und Ehre, ruft St. Paulus aus,« fuhr der Defensor nach langer Pause fort. »Gott ist ewig, heißt aber, Gott ist unzeitlich, überzeitlich. Bei ihm giebt es weder Gegenwart, noch Vergangenheit, noch Zukunft, insofern diese drei Worte Zeitmaße bedeuten. Giebt es aber bei Gott keine Zukunft, so kann er auch nichts voraus wissen. Giebt es kein göttliches Vorauswissen, so giebt es auch keine Beschränkung oder Aufhebung der menschlichen Freiheit durch etwas, das gar nicht ist. Kurz gesagt: – unfähig ist der menschliche, zeitliche Geist, das Ueberzeitliche zu erfassen, – unfähig, das Wissen Gottes von Dingen und Handlungen, die vor ihm weder vergangen, noch gegenwärtig, noch künftig sind, zu ergründen.«

Noch standen die Zuhörer überlegend und der Angreifer staunend über den vorgehaltenen, undurchdringbaren Schild, als der Gastbruder in großer Aufregung zurückkam und dem Propste einige Worte sagte. Ganz Außerordentliches mußte sich begeben haben; denn Bestürzung malte sich in den Zügen Burkhards, der augenblicklich die Disputation aufhob. – Die Klosterschüler ordneten sich zu einem Zuge und kehrten nach dem Scholarium zurück.

Sighard von Greifenstein hatte den Goldschmied eingeladen, bei ihm zu rasten und am folgenden Tage, unter seinem Schutze, die Reise fortzusetzen.

»Heute Abend werden die Kämpen von Worms eintreffen,« sprach er, »und morgen geleiten wir Euch ohne Gefährde über die Marken der Stiftslande.«

Veit nahm freudig das Anerbieten an und wiederholte in warmen Worten seinen Dank für die Befreiung aus den Fäusten der Wegelagerer.

Eben nahten sie dem Kloster, als die Hunde des Burggrafen zu bellen anfingen. Bekannt mit der Plage, welche Bertolf durch Eberfänger und Söldner über das Stift verhängt, ergriffen Unmuth und Zorn den edelsinnigen Greifenstein.

»Es ist doch empörend!« stieß er heftig hervor.

»Als ich vorgestern im Kloster war,« berichtete Heidolf, »erzählte mir Bruder Heinrich, der Vogt habe nun zehn Knechte und acht große Hunde in der Herberge. Die Knechte und die Hunde würden immer mehr und seien, wie eine ägyptische Plage.«

Das Bellen wurde heftiger, und jetzt vermischte sich mit dem Lärm der Hunde auch das Geschrei der Reisigen.

»Ein höllisches Getöse!« sagte Veit.

Zornesgluth schoß über Sighards Angesicht. Er wandte das Pferd und ritt hinüber zur Herberge, in deren Hof ein Schauspiel ihn empfing, das seinen Zorn bis zur höchsten Erbitterung steigerte.

Ein Haufe verwilderter Gesellen umgab lärmend und schreiend den Gastbruder, wie eine Schaar scharf bekrallter Raubvögel eine wehrlose Taube. Durch lebhafte Zeichen und laut in das Getöse gerufene Worte machte der Norbertiner seine Angebote, die Waffenknechte zur Einstellung des Unfugs zu bestimmen. Schreiend, fluchend und lachend wiesen die rohen Gesellen die Angebote zurück.

»Das gilt nicht, – zu wenig ist's!« brüllte ein wildblickender Mensch, indem er seinen Wurfspeer um das Haupt des Mönches schwang. »Für jeden Knecht zwei Maaß, – zwei Maaß!«

»Es soll gelten, – zwei Maaß!« schrieen die Uebrigen.

Zwei Andere reizten und hetzten beständig die Eberfänger, deren gewaltige Stimmen einen furchtbaren Lärm machten.

»Hetzt sie, – neckt sie, – hau – hau! Ha – ha!«

Da ritt Herr Sighard in den Hof, grimmig von den gereizten Thieren angefallen. Mit Blitzesschnelligkeit entriß er einem Knechte den Wurfspeer, schwang ihn, und der Stärkste der Meute, ein prachtvolles Thier, von der Farbe eines Löwen und fast auch von dessen Größe, lag durchbohrt am Boden. Mit einem Schlage verstummte der Lärm. Knurrend wichen die Hunde zurück, erschreckt sahen die Söldner zu dem Gewappneten empor. In der That bot Sighard gegenwärtig einen Anblick dar, welcher auch rohe Gemüther mit Schrecken erfüllen mußte. Grimm und Wuth entstellten seine Züge, feurig rollten die Augen, und die blutüberströmte eiserne Gestalt kennzeichnete einen Schlächter, der geneigt schien, sein Morden hier fortzusetzen. Die Knechte drückten sich scheu an die Wand, und alle Lebensfrische floh aus ihren Gesichtern.

»Ha, – ihr Schurken!« donnerte von seinem Rosse der grimme Degen. »Ihr Buben und Werkzeuge eines teuflisch gesinnten Herrn, – beim allmächtigen Gott, euer Bubenspiel hat ein Ende! Hebet euch von hinnen, – meldet dem Burggrafen, seine Knechte lägen im Walde todt, erschlagen von meiner Hand! Saget ihm, des Todes sei jeder Knecht, den er hieher schicke, wehrlose Männer zu quälen. Fort, – packt euch!«

Die Bedrohten wagten keinen Widerspruch. Sie nahmen ihre Sturmhauben von den Fensterbänken, pfiffen den Hunden und verließen eilends den Hof und das Kloster.

Nicht minder eilig lief der Gastbruder nach dem Turnierplatze der Klosterschüler, die merkwürdige Kunde zu melden.

Greifenstein hatte den Abzug der Rotte beobachtet, und je weiter sich dieselbe entfernte, desto mehr wich sein Zorn. Dann stieg er vom Pferd und betrat mit seinen Begleitern die große Gaststube, deren unsauberer Zustand die wüsten Gelage der rohen Gesellen verkündete.

»Sieh' doch, in einen Schweinestall haben die Unholde den sonst reinlichen Saal verwandelt!« rief Sighard. »Und in solcher Weise möchte der wackere Burggraf alle Klosterräume mißhandeln – eine Herberge für seine Raubvögel und Söldner möchte er aus dem ganzen Stifte machen.«

»Gehen wir nach dem Herrensaale!« rieth Heidolf. »Hier kann sich kein anständiger Mensch niederlassen.«

Sie stiegen eine Treppe höher und betraten einen weiten, reich geschmückten Raum, für Gäste hohen Ranges bestimmt. Kaum hatte der Knappe Schild und Helm seines Herrn bei Seite gestellt, als der Propst, der Prior und der Kämmerer unter dem Eingange erschienen. Diesen folgten in kurzen Zwischenpausen alle übrigen Mönche, so daß bald das ganze Capitel den Ritter umgab. Und jetzt trat zugleich der Gegensatz zwischen Aecht und Falsch schlagend hervor. Der Pseudomönch Veit konnte für einen Ordensmann gelten, so lange er nicht gesehen wurde neben wirklichen Mönchen. Nun ergab sich klar, daß nicht im Gewande das Wesen des Mönches lag. Auf den ersten Blick erkannte man die Verkleidung des Laien, der in Haltung und Benehmen sich ganz wesentlich von den ächten Mönchen unterschied, deren ascetische Gestalten und demüthige Art, in Verbindung mit der ergebenen Ruhe und dem Frieden ihrer Züge, – eine Folge Jahre langer Kämpfe und frommer Uebungen, – sich weder anziehen, noch für den scharfen Beobachter heuchlen lassen.

In weitem Kreise umstanden die Norbertiner den jugendlichen Helden, aufmerksam dessen Erzählung folgend. Und es war eine eigenthümliche Erscheinung, die reckenhafte Persönlichkeit des Kämpen, angethan mit dem blutüberronnenen Stahlkleide des vorausgegangenen Kampfes, in Mitte dieser ehrwürdigen Männer des Friedens zu sehen.

Greifenstein hatte die bestandenen Abentheuer des Tages berichtet, die eingegangene Waffenbruderschaft mit Worms berührt und seine veränderte Stellung dem Burggrafen gegenüber hervor gehoben.

»Demzufolge werde ich das himmelschreiende Verfahren Bertolfs gegen das Stift des heiligen Nazarius nicht mehr dulden,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort. »Schutz den Schwachen gegen gewaltthätige Unterdrücker, ist eine strenge Pflicht des Ritterthums. Längst empört es mir die Seele, den schändlichsten Mißhandlungen eines Tyrannen die hilflosen Söhne des heiligen Norbert preisgegeben zu sehen. Nun im Besitze der Macht, will ich die Unthaten des Vogtes abwehren. – Zur Ehre des deutschen Namens sei es gesagt, daß im ganzen Reiche ein so schmachvolles Treiben nicht mehr vorkommt. Nur ein Preuße, weit entfernt vom Adel deutschen Sinnes, kann überhaupt solcher Bedrückungen und solchen Hasses gegen Klöster und Männer fähig sein, die sich dem Dienste Gottes und der Menschen gewidmet haben.«

Sighards klangvolle Stimme verhallte zürnend in dem Raume. Schweigend standen die Mönche, die Blicke gesenkt, in ruhiger Erwägung der Lage. Jetzt erwiederte Propst Burkhard in einem Tone, dessen sanfte Milde sehr gegen die dräuende Heftigkeit des Kriegers abstach.

»Gott schirmte Euch väterlich, Herr Sighard, im Kampfe für das Recht, – danken wir dem Herrn! Auch Euch danken wir, für den wohlwollenden Schutz. Ohne Zweifel spreche ich zugleich den Wunsch meiner ehrwürdigen Brüder aus, wenn ich Euch bitte, den Vogt mit uns gewähren zu lassen, bis es Gottes Güte und Weisheit gefällt, diese Drangsale von uns zu nehmen. Der Beistand Eures Armes würde den Vogt erbittern und zu blutigen Gewaltthaten reizen, es käme zu Wunden und Todtschlag, – Verbrechen, die eine Abwehr des Unrechts zu unseren Gunsten nicht herbeiführen soll.«

»Demnach ist Eure Meinung, ehrwürdiger Vater, man soll den Vogt ungestraft gewähren, seine Teufeleien weiter treiben lassen?« frug im Tone des Unmuthes Herr Sighard.

»Zur Vermeidung größerer Uebel, mein Freund!« antwortete Burkhard.

»Verzeiht, ehrwürdiger Propst, wenn ich Eure Anschauung nicht theilen kann! Der Preuße hat es augenscheinlich auf die Vernichtung des Klosters abgesehen. Planmäßig entzieht er dem Stifte die Einkünfte, – verfährt mit den Eigenleuten von Lorsch nach Willkühr, wider alles Recht, – reißt erledigte Güter und Höfe an sich, – eine Handlungsweise, welche den sicheren Untergang des Stiftes zur Folge haben muß. Persönliche Unbilde und Drangsale können wohl die ehrwürdigen Väter duldend ertragen, und durch Leiden ihre Verdienste vor Gott mehren, – allein die ehrwürdigen Väter können die fortgesetzte Beraubung des Klosters, die Verachtung und Schädigung der Rechte und Freiheiten der Eigenleute des Stiftes nicht stillschweigend geschehen lassen, ohne Belastung des Gewissens.«

Beifällig nickten einige Mönche, sehr lebhaft Poppo, der Kämmerer.

»Ebenso wenig dürfen die ehrwürdigen Väter durch einen Bösewicht die erhabene, für Tausende heilsame stiftungsgemäße Wirksamkeit dieses Klosters zerstören lassen,« sprach Greifenstein weiter. »Als ich den Ritterschlag empfing, gelobte ich feierlich treue Dienste unserer heiligen Mutter, der Kirche, – bin also verbunden zur Abwehr der feindseligen und verderblichen Anschläge Bertolfs. Meinen Eid werde ich halten.«

Die beifallnickenden Häupter mehrten sich, Poppo zeigte sogar Lust, Beifall zu klatschen, wie seine Armbewegungen und das sehr lebendige Mienenspiel bewiesen.

»Nicht minder verpflichtet die Ehre den deutschen Edelmann, zum Widerstande gegen die arge Tücke des Fremden, gegen den heidnischen Haß des Preußen wider die Kirche und deren Anstalten,« eiferte Sighard. »In den Schulen wurde uns gezeigt, daß Gewerbe, Ackerbau, Künste, Gesittung, hoher Sinn, geistige Größe, kurz die ganze gegenwärtige Herrlichkeit der deutschen Nation, entsprangen der mütterlich weisen Zucht und Leitung unserer heiligen Kirche. Ohne diese liebevolle und beharrliche Erziehung, läge heute noch das deutsche Volk begraben in jener Barbarei des germanischen Heidenthums, wie der Römer Tacitus sie geschildert.«

Eine Art Verklärung leuchtete bei diesen Worten des ehemaligen Klosterschülers aus den Zügen des Magisters Tacitus.

»Was thut nun Bertolf in seinem Hasse gegen unsere heilige Mutter?« frug strenge der Gewappnete. »Eine blühende, segensvolle Stätte religiösen Wirkens trachtet der arge Preuße zu vernichten, sowie an die Stelle des göttlichen Waltens der Kirche die Willkühr, die eiserne Herrschaft des Tyrannen zu setzen. Vermöchte es der haßerfüllte Mann, nicht allein Lorsch, sondern alle Klöster, – ja, die ganze katholische Kirche würde er zerstören. Mein Urtheil ist nicht ungerecht, nicht übertrieben, – die Erfahrung beweist und rechtfertigt es. Und wir deutsche Christen sollen den preußischen Heiden ungestört unsere heilige Mutter quälen, mißhandeln und berauben lassen? Könnten wir dies, ohne die Liebe gegen unsere Kirche, ja, – ohne den Glauben verloren zu haben? Wer kann das bubenhafte Treiben, die teuflische Tücke des Preußen sehen, ohne zu entbrennen? Hunde legt er in das Kloster, deren Bellen und Heulen die Lehrstunden in den Schulen, die Andacht bei den Metten, die Gebete und Betrachtungen in den Zellen, das Studium und alle geistige Thätigkeit unmöglich machen. Zu den Hunden gesellt er rohe Knechte, den Auswurf fahrender Landstreicher, – vor Monaten war es einer, heute sind es zehn, bald werden es so viele sein, daß die Mönche neben ihnen keinen Platz mehr finden. Aus der frommen Stiftung des heiligen Nazarius wird er eine Herberge wilder Kriegsgesellen machen, Werkzeuge seiner Habgier und Herrschsucht. Und dieses höllische Treiben soll man geschehen lassen, ohne Abwehr? Ohne Widerstand gegen den Ruchlosen? – Nein!« rief er mit blitzenden Augen und geballter Faust. »Bei dem heiligen Gott, – bei Pflicht und Ehre des Ritterthums, – nie und nimmermehr!«

Die feurigen Worte blieben nicht ohne Wirkung, zumal ihre Wahrheit keinem Hörer zweifelhaft dünkte. Auf mancher hageren Wange erschien ein sanftes Roth, ein Glühen gerechter Empörung leuchtete in manchem Auge, und Poppo, der Kämmerer, beeilte sich, entschieden der Meinung Greifensteins beizutreten.

»Ohne mir einen Widerspruch gegen die Ansicht unseres ehrwürdigen Vaters anmaßen zu wollen, muß ich dennoch der Wahrheit Zeugniß geben und bekennen, daß Herr Sighard die Dinge nach den Thatsachen schilderte. Mein Kämmereramt gewährt klaren Einblick in unsere materiellen Verhältnisse, die überaus kläglich sind. Der Vogt, – mit Recht nennt ihn Bruder Diemo in der Chronik: lupum rapacem, hominem saevitiam Varaonis crudeli impietate sectantem, – der Vogt gräbt uns alle Hilfsquellen ab, unsere Einkünfte versiechen immer mehr, wir stehen am Rande des Unterganges. Bald wird Lorsch öde sein, weil seine Bewohner verhungerten, oder gezwungen auswanderten.«

»Ganz richtig, – darauf hat es der Unhold abgesehen!« bestätigte Greifenstein.

»Noch ein Anderes erscheint bedenklich und folgenschwer,« sagte Prior Gerbod. »Ich meine den Fluch des bösen Beispieles. Nicht umsonst ruft ›Wehe‹ der Herr über Alle, die Aergerniß geben; – Bertolfs Aergerniß dünkt mir groß und weittragend. Gelänge ihm das frevelhafte Streben, durch Kirchenraub seine Habgier zu befriedigen, vielleicht gar die Absicht, die Inful von Lorsch in einen Fürstenhut des Erbgrafen zu verwandeln, – welche vergiftende Wirkung müßte ein Erfolg dieser Art auf gottfremde und hochfahrende Gemüther hervorbringen? In Zeiten hervorbringen, die fast des obersten Schirmherrn der Kirche entwöhnt sind? Ueber ein halbes Jahrhundert bekämpft das heilige Reich die heidnischen Preußen, deren ganzes Streben gerichtet ist auf die Vernichtung der katholischen Kirche, – und der Hohenstaufe Friedrich pflanzte mit diesem Bertolf in das Herz des Reiches den preußischen Kirchenhaß, gleichsam einen preußischen Giftbaum, dessen Wachsthum und Früchte verhängnißvoll werden können für unsere heilige Mutter und gefährlich für die höchsten Güter des deutschen Volkes.«

»Darum ist es Pflicht aller guten Deutschen, welche Aexte schwingen können, den preußischen Giftbaum Bertolf nieder zu hauen, damit kein böser Wind den Giftsamen ausstreue über deutsches Land,« rief Sighard. – »Ehrwürdiger Vater, ich bitte um Euren Segen zu einem gottgefälligen Werke!«

»Edler Herr Ritter und innig geliebter Sohn!« sprach väterlich der Propst. »Eure Entrüstung über das Böse und Frevelhafte ist der Ausdruck eines frommen Herzens. Ich selber muß Bertolfs Thun und Treiben tief beklagen und laut verdammen, – wehe mir, so ich es nicht thäte! Nur glaubte ich, Euer Schirm und Widerstand möchte Lorsch in eine noch weit schlimmere Lage bringen. Indessen wage ich nicht, Euch entgegen zu treten in einem Vorhaben, das Ihr als Pflicht erkannt, dessen Pflichtgemäßheit auch nicht bestritten werden kann, betrachtet vom Standpunkte ritterlicher Gelöbnisse. Darum bin ich gerne bereit, Euer gutes Wollen und Streben zu segnen.«

Alle knieten nieder bis auf den ehrwürdigen Burkhard, der seine Hände faltete und betend himmelwärts blickte.

»Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn!« begann er laut in lateinischer Sprache.

»Der Himmel und Erde geschaffen!« antworteten die Mönche.

»Gepriesen sei der Name des Herrn!«

»Jetzt und immerdar!«

»Es segne Euch der allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist!«

»Amen.«

Die Mönche erhoben sich von den Knieen, verbeugten sich grüßend vor Sighard und verließen den Saal, den Gastbruder Anselm ausgenommen, der sich beeilte, die Gäste zu bewirthen.


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