Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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XX.
Ein Brief aus dem östlichen Palaste.

Der Anlaß fand sich bald.

Die Kaiserin Schên-hau, der es ausdrücklich verboten worden war, mit dem verbannten I-tschiu zu korrespondieren, konnte es im Getümmel dieser Geburtsfeierlichkeiten nicht mehr ertragen, ohne alle Verbindung mit ihrem Sohne zu sein. Auch fühlte sie, daß jetzt etwas geschehen müsse. So beschloß sie, sich krank zu stellen und der weisen Frau, die sie scheinbar untersuchen sollte, einen Brief an den Kronprinzen zuzustecken. Die alte Wên, berühmt als erste Heilkünstlerin des Landes, war, gegen das Versprechen, als Lohn zwei Stücke feinster Seide zu erhalten, leicht dafür gewonnen. So stellte sich die Kaiserin also krank und übergab, nebst den beiden Seidenstücken, der gefügigen Ärztin folgenden Brief:

»Mein lieber Sohn! Dein Vater, der Kaiser, sinkt immer tiefer in Prinzipienlosigkeit und Wollust. Uns hat er von einander getrennt, um so ungenierter mit jener niedrigen Sklavin ein unwürdiges Lotterleben führen zu können. Nun hat ihm diese abscheuliche, gemeine Person gar einen Sohn geboren, und jetzt ist er auf dem Gipfel der Schamlosigkeit angelangt. Als du geboren wurdest, genügten ihm 500 Hartschiere, das verkündigen zu lassen, und die waren nicht einmal in gelber Gala, auch ließ er nur Reisbier verteilen; jetzt, zur Geburt jenes scheußlichen Bastards, mußten es 2000 Hartschiere und in Gelb sein, auch hat er noch Mandelkuchen durch die ganze Stadt verteilt. Dazu alles übrige, was seit Bestehen des Reiches nur bei der Geburt eines rechtmäßigen Thronerben geschehen ist.

Du siehst also, mein lieber Sohn, daß die Lage sehr gefährlich ist. Es ist durchaus nötig, daß du wieder an den Hof zurückkehrst. Damit dies geschehen kann, ist es nötig, daß du dich mit einem Bittgesuch an den Sohn des Himmels wendest. Natürlich mußt du darin deine wahren Gefühle verbergen und so tun, als sähest du deine Schuld (die aber ein großes Verdienst ist) ein und wärest von Reue ganz zerknirscht. Das wird schon wirken, denn die Verstandeskräfte Seiner Majestät haben, wie es bei dieser schmählichen Lebensweise ja auch nicht anders sein kann, erheblich abgenommen. Tue also ja, wie ich dir rate. Bist du erst wieder bei mir, dann wollen wir vereint beraten, was geschehen muß. Im schlimmsten Falle lassen wir unsere Garden in Aktion treten.

Deine dich liebende
unglückliche Mutter
Schên-hau.

PS. Grüße den Großvater und lege ihm nahe, heimlich mobil zu machen. Es könnte sein, daß wir seine Truppen brauchen könnten. Ich hoffe, daß du gesund bist. Ich bin es soweit.«

Die alte Wên wickelte den Brief in ihre zwei Seidenstücke ein, setzte ein Medizinalratgesicht auf und ging, scheinbar in sehr ernsten Gedanken, in Wahrheit aber seelenvergnügt, aus dem östlichen Palaste hinaus, mit dem Vorsatze schleunigst Extrapost nach Schên zu nehmen. Aber die wachhabenden Serail-Eunuchen, von der Prinzessin Pao, die über alles von ihren Spionen unterrichtet war, instruiert, hielten sie an und sagten: Madame, sind das Pillen, die Sie da in den Seidentüchern tragen? Oder Medizinfläschchen? Oder eine Klistierspritze? Hä?

Die alte Wên erbleichte, faßte sich aber und sprach: Meine Herren, es ziemt sich nicht, daß ich Geräte, deren ich zur Untersuchung Ihrer Majestät bedurfte, profanen Augen zur Schau stelle. Lassen Sie mich weiter! Ich muß in die Apotheke.

– Wir bedauern sehr, Madame, erwiderten die Eunuchen mit einem unangenehmen Grinsen, daß wir Ihnen die Ungelegenheit einer Untersuchung verursachen müssen. Galant, wie wir sonst sind, möchten wir Ihnen die kleine Unannehmlichkeit ja gern ersparen, aber Amt geht vor Galanterie. Wir haben gemessenen Befehl aus dem Juwelensaal.

Die alte Dame erbleichte nochmals und fand diesmal keine Worte. Am ganzen Körper zitternd ließ sie sich zur Prinzessin Pao führen.

– Ah, die Frau Doktorin von drüben! höhnte die. Zeigen Sie doch mal her, was Sie da haben. Das sind ja entzückende Stoffe. Lassen Sie mich doch das Muster sehen!

– Gnade! Majestät! Gnade! wimmerte die Alte und reichte das Paket hin.

– Oh, sehr hübsch das! sagte die Prinzessin. Ja, der östliche Palast hat Geschmack. Ach, und ein Brief? Der ist sicher an mich von meiner lieben Freundin Schên-hau. Da bin ich aber mal gespannt.

Ihre Augen funkelten, als sie den Brief ergriff.

Madame Wên sank in die Knie.

Die Prinzessin las, und ihre Augen wurden immer größer, der Falten auf ihrer Stirn immer mehr.

– Ah! . . Ah!! . . Ah!!! . . Das ist denn doch . . . das . . . Oh diese Kanaille!

Ein Weinkrampf befiel sie, und sie zerriß wie bewußtlos vor übermäßigem Zorn die Seidenstücke von Frau Wên in tausend Fetzen und schrie unter fürchterlichem Schluchzen: Nichts als Schimpfworte! Nichts als Verachtung! Selbst mein Kind schmäht diese Bestie!

In diesem Augenblick erschien der Kaiser in der Tür zum Kinderzimmer:

– Aber du weckst ja den Kleinen auf, meine liebe Pao! Was hast du denn? Warum reißt du diese Seide in Fetzen? Was liegt dieses Weib da auf den Knien? Hat sie dich mit der Seide betrogen? Deshalb macht man doch kein solches Aufsehen!

– Da, kennst du diese Handschrift? Lies nur, lies! Dieses Weib da hat den Brief aus dem östlichen Palast geschmuggelt. Ohne meine Wachsamkeit hätten wir nächstens die Garden von drüben auf dem Halse. Oh, diese Dame versteht sich auf Niederträchtigkeiten, deine verehrte Gattin und Erhabene Mutter des Reiches.

Der Kaiser las, und seine Schläfenadern schwollen an.

– Wo ist mein Schwert Pang-lung!

– Wo es immer ist: dort an der Wand.

– Bring es und zieh es aus der Scheide!

– Was willst du damit?

– Das wirst du gleich sehn.

Die Prinzessin brachte das Schwert, der Kaiser nahm es und hieb die unglückselige Heilkünstlerin in zwei Stücke.

– Ach so, – die? sagte Prinzeß Pao enttäuscht; ich dachte, du würdest dich an die richtige Adresse wenden.

– Alles der Reihe nach, mein Kind. Und jedem nach seinem Rang. Dieses alte Weib da konnte ich entzwei hauen; mit der Person da drüben muß ich einige Umstände machen. Es kommt aber auf Eins hinaus. Auch bitte ich dich, zu bedenken, daß wir politisch handeln müssen. Im Grunde kommt uns dieser Brief ja nur erwünscht. Jetzt haben wir ja den Anlaß, den wir brauchen. Das Komplott ist offenkundig. Die Dame aus Schên und ihr unverschämter Sprößling haben ihren Rang verwirkt. Majestätsbeleidigung und Verschwörung genügt einigermaßen. Ich werde sofort den Kronrat berufen. Morgen bist du Kaiserin und unser Kleinod Thronerbe.

Das bißchen Alt-Weiber-Blut hatte Seine Majestät ganz energisch gemacht.


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