Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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XV.
Die Kaiserin und der Purpurkelch aller Seligkeiten.

Drei Monate hatte die Kaiserin es murrend ertragen, daß sie wie eine Witwe leben mußte, während ein Getuschel durch den Palast lief: Hochzeit im Juwelensaal, Flitterwochen drei Monde lang! aber nun hielt sies nicht mehr länger aus. Sie bewaffnete das Eunuchenkorps, überrumpelte die Pavillonwache und rauschte plötzlich, ganz Würde und Empörung, in den kleinen reizenden Salon, das Liebesnest Seiner Majestät.

Sie hätte es gar nicht besser treffen können: Der Kaiser saß auf einem breiten gelben Polsterstuhl und hatte das Mädchen aus Pao auf dem Schoße. Dazu lächelte er glückselig und sang, indem er den Mund des Mädchens zu einem süßen Kußschnutchen zusammenkniff:

Weißes Mäuschen, sitze still,
Laß mich machen, mein Prinzeßchen,
Laß mich machen, was ich will.

Das Liedchen hatte noch eine Strophe, aber die Kaiserin gelüstete es nicht im Allerentferntesten, auch diese zu vernehmen. Sie trat einen großen Schritt vor und schrie recht laut: Schämen sollst du dich! Was ist das für ein miserables Ding, für ein elendes Subjekt, für eine widerwärtige Person, die hier eingedrungen ist und den Palast verunreinigt!? Wird sie wohl augenblicks aufstehen und mich begrüßen, wie sichs ziemt? Oder soll ich mich vergessen und ihr beide Augen auskratzen, diese scheußlichen Gallertkugeln?

Sie trat wieder einen großen Schritt vor und machte mit allen zehn Fingern bedrohlich krallende Bewegungen.

Pao-Szö rührte sich nicht und sah die Wütende bloß groß an. Der Kaiser aber, der seine Gemahlin kannte und Tätlichkeiten fürchtete, sagte unbefangenen Tones und leichthin: Warum ereiferst du dich so, meine Liebe? Ein neues Mädchen für den Serail, nichts weiter. Ihr Rang ist noch nicht festgesetzt, sonst hätte ich sie dir schon vorgestellt.

Er lächelte süß.

– Ich sehe wohl, welchen Rang diese abscheuliche Kreatur einnimmt, und ich rate dir bloß eins: Wage nicht, sie mir vorzuführen! Heute noch verläßt diese schmutzige Sklavin den Palast. Oder du sollst sehen, was geschieht!

Sprachs und rauschte ab, nicht, ohne sich an der Tür noch einmal umzuwenden und ein schrilles Pfui! auf den Kaiser und das, was auf ihm saß, abzuschießen.

Pao-Szö sprang vom Schoße des Kaisers herunter, stellte sich gerade vor ihm hin und fragte kurz: Wer war denn das?

– Ach, das, das war bloß die Kaiserin, mein Mäuschen.

– So! die Kaiserin! Von der hast du mir ja noch gar nichts gesagt?

– Mein Gott, warum denn auch? Was geht denn uns die Kaiserin an?

– Schimpft sie immer so?

– Ach Gott, nein; bloß, wenn sie ärgerlich ist. Du mußt nämlich wissen, Schatz, daß ich dich ihr eigentlich hätte vorstellen sollen. Das ist eine Art Hausgesetz, und ich hätte schon wirklich . . . Aber du kannst ihr ja bei Gelegenheit deine Aufwartung machen.

– Ach? Was denn noch? Fällt mir ja nicht im Traume ein. Erst soll sie kommen und mich um Verzeihung bitten wegen der Niederträchtigkeiten, die sie mir an den Hals geworfen hat. Das war ja schlimmer als im Kuhstalle in Pao. Eine nette Kaiserin.

– Ach, das mußt du nicht so nehmen. Die Gemahlinnen ersten Ranges sind immer so, dafür bist aber bloß du mein einziges . . .

– Ach, laß das! Sag mir lieber: was für einen Rang hab denn ich?

Der Kaiser kraute sich im Bart und machte ein paar mal Hm! dann sprach er: Du? ja, das ist eine schwierige Sache. Eigentlich, dem Reglement nach, das sechs Rangklassen unter den Palastdamen vorschreibt, gehörst du in die sechste Klasse.

– Sechste? Du bist wohl . . . Sechste! Das ist wirklich heiter.

Pao-Szö schlug eine unangenehme Lache auf, fuhr sich in die Frisur und warf dem Kaiser eine große goldene Haarnadel, eine Diamantagraffe, einen Schildpattkamm und eine gelbe Rose ins Gesicht. Dann kauerte sie sich in eine Ecke und fing fürchterlich an zu weinen.

– Aber um Himmelswillen, Maus, mein Gott, mein Gott, so hör bloß mit dem Geweine auf! – ich, oh, ich – oh Gott, nicht weinen, nur nicht weinen, ich kann das nicht sehen, nicht hören – sieh, ich liege hier neben dir und bitte dich, – steh doch aus, steh doch auf!

– Sechste Rangklasse! Huhuhuhu! Sechste . . . huhuhuhuhuhu! – Rangklasse . . . sechste . . . huhuhuhuhuhu!

– Nein doch! Nein doch! Ich habe ja bloß gesagt: eigentlich! Aber du bist natürlich eine Ausnahme.

Pao-Szö hörte sofort mit der lauten Tonart auf und ging in ein leises Wimmern über.

– Es versteht sich, daß bei dir irgend eine Ausnahmebestimmung inkraft tritt, irgend ein Paragraph für besondere Fälle; es wird sicher so etwas geben; und wenn nicht, so muß der Hausminister einen Anhang machen. Wir werden schon sehen, Maus, sei nur wieder ruhig.

Pao-Szö vollzog den Übergang vom Wimmern zum Schluchzen und hauchte: Aber bis dahin, bis der Paragraph gefunden ist? Bis dahin soll ich wohl gar nichts sein? Gar keinen Titel haben?

Es hatte allen Anschein, als wenn ein Rückfall kommen wollte.

– Nein, nein, nein! Hab nur keine Angst: Bis dahin mach ich dich zur . . .

Der Kaiser überlegte. Pao-Szö stand auf, legte ihm beide Arme auf die Schultern und sah ihn halb weinend, halb lächelnd an: –?

– Also in Gottesnamen: zur Prinzessin schlechtweg. Das kann ich immer. Das geht das Reglement nichts an.

Pao-Szö lächelte und hielt Seiner Majestät den Mund hin.

– Der Kaiser küßte sie und sprach: Dem Himmel sei Dank, daß meine süße Prinzeß wieder lächelt. Ach, Schatz, wenn ich dich nicht lächeln sehe, bin ich krank. Wenn du lächelst, so sind deine Lippen das Holdeste der Erde, und deine Augen sind dann der Himmel selber. Aber, wenn du böse blickst, erschreckt mich dein Auge, und ich möchte mich am liebsten gleich umbringen. Aber nicht wahr, nun weinst du nicht mehr?

– Mein liebs, liebs Kaiserle! Jetzt lach und lächle ich tausend Jahr und weine nicht ein einzigmal mehr. Aber gell, du setzt mir gleich das Edikt auf?

– Auf der Stelle, meine liebe kaiserliche Hoheit! Kannst du schreiben, so schreib, was ich jetzt sagen werde.

– Ich hab noch nie geschrieben, aber sag nur und gib mir Pinsel, Tusche und Papier. So versuch ichs halt.

Der Kaiser lachte: Chinesisch schreiben ist so leicht nicht, Schatz, aber, wenn du auch bloß Kleckse machst, es wird doch schöner sein, als alle Tafeln der Klassiker.

Seine Majestät gab Ihrer kaiserlichen Hoheit der Prinzessin Pao den Arm und führte sie an den Schreibtisch.

– Hier Pinsel, Tusche und Papier! Nun schreib!

Prinzessin Pao ergriff den Pinsel, tauchte ihn in die Tuscheschale, setzte ihn spitz aufs Papier, wandte sich lachend um und sprach: Und . . . ?

Der Kaiser sah ihr über die Achseln und sprach: Zuerst das Zeichen, das kaiserliches Edikt bedeutet!

Prinzessin Pao setzte den Pinsel an und – schrieb es.

– Wie? Das ist ja ganz richtig! Aber woher hast du denn das?

– Weiß nicht. Sag nur weiter!

– Wir, Kaiser der vier Meere, sitzend unter dem Himmel und regierend die Welt . . . . . . Aber du kannst ja unvergleichlich schön schreiben! Wart, du sollst mir jetzt immer beim Regieren helfen!

– Wenn ich mag, schon!

– Also: wie weit bist du!

– Regierend die – Welt . . .

– Schön! Schreib weiter: Geheißen Yu und thronend im Juwelensaale Unseres kaiserlichen Palastes . . . . Red ich zu schnell?

– Gar nicht.

– Unglaublich! Bei meinem Geheimschreiber gehts nicht halb so fix!

– Weiter! Hop! Allez!

– Wart nur, wart nur! So schnell kann ich nicht denken, wie du schreibst. Also: . . . Kaiserlichen Palastes . . .

– Nochmal?

– Du! Du! Jetzt kommts: Befehlen hiermit und bestimmen wie folgt . . . .

Seine Majestät schritt sinnend auf und ab.

– Was folgt? lachte Prinzeß Pao.

– Gleich werd ichs haben . . .

– Hoffentlich!

– Ernsthaft, Prinzeß! Hier gilt es Worte zu wägen, wie ein Wechsler Gold wägt, denn jedes Wort kommt in die Annalen des Reiches.

– Muß das sein?

– Selbstverständlich! Also schreib: In Ansehung der unvergleichlichen Talente, mit denen sie ausgeschmückt ist, wie eine durchbrochene Blumensäule im Tempel der kaiserlichen Ahnen . . .

– Du brauchst nicht immer zu pausieren, Kaiserle.

– Und in Anbetracht der über alle Begriffe köstlichen Eigenschaften ihres gesamten inneren und äußeren Wesens, die sie auszeichnen vor allen Töchtern unseres Landes . . .

– Die Kaiserin eingeschlossen?

– Natürlich, aber das darfst du nicht schreiben, denn das wäre gegen die Etikette, nach der die Kaiserin den Titel: Erhabene Mutter des Reiches führt. Und du sollst mich auch nicht immer herausbringen, denn nun hab ich schon wieder alles vergessen. Laß mich mal lesen . . . Hm . . . . Also: Und in Anerkennung der ganz einzigartigen Verdienste, die sie sich um mein leibliches und seelisches Wohlbefinden und damit um den gedeihlichen Gang der Staatsgeschäfte und die Blüte des Reiches erworben hat . . .

– Bin das alles ich?

– Wer denn sonst?

– Famos! Aber der Vordersatz ist furchtbar lang.

– Das ist immer so bei Edikten. Den Stil mußt du mir schon lassen.

– Laß ich auch.

– Also dann schreib weiter: Ernennen und erheben wir hiermit aus besonderer Gnade und . . . warte mal, jetzt muß ich etwas noch nie dagewesenes sagen . . .

– Na?

– Und . . . ja: intimster Zuneigung allerhuldvollst Fräulein Pao-Szö zur Prinzessin des Reiches mit dem Beinamen: Purpurkelch aller Seligkeiten.

– Ah! Das ist schön! Dafür muß ich dich . . .

Der Purpurkelch aller Seligkeiten sprang auf, hing sich dem Kaiser an den Hals und küßte ihn sehr lange.

– Kommt noch was?

– Bloß noch das Datum: Gegeben an der Stätte Unseres größten Wohlbefindens, im Juwelenpavillon Unsers kaiserlichen Palastes, anno I Unsrer vom Himmel sichtlich begnadeten Regierung, am Tage Prinzeß Pao.

– Was für ein Tag?

– Der Tag soll in alle Ewigkeit nach dir heißen. Schreib aber das gewöhnliche Datum in Klammern darunter! Hast du's?

– Ja! Fertig! Punktum!

– Jetzt den Zinnoberpinsel her! So! Und nun wollen wir eine Weile nicht mehr regieren, mein Schatz. Sieh, hier liegt meine Stirn auf der Spitze deines Pantoffels, und so huldigt dir dein untertäniger Kaiser Yu, meine süße Prinzeß Pao, du Purpurkelch meiner Seligkeiten! Oh, lache, lache, lache durchs Gemach!

Und der Purpurkelch aller Seligkeiten tat sich auf und lachte dreimal durch den Juwelensaal.


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