Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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I.
Das unheimliche Lied.

Der Sohn des Himmels von Hunden und Schweinen besiegt, der Rücken Seiner Majestät beschmutzt von grinsenden Blicken siegreicher Barbaren, – oh alle Gongs und Lärmtrompeten: Dröhnt, dröhnt und heult! Denn auch die Seele Hsüan-Wangs, das kaiserliche Gong von China, dröhnt, und auch der erhabene Mund des Reiches, Hsüan-Wangs Mund, heult, heult, heult – vor Schmerz und großem Grimme.

Aber nicht lange sollen sie ihren Triumph feiern mit Tänzen und Reisbier die hündischen Jung, die schweinischen Ti!

Seine Majestät wird eine Volkszählung veranstalten lassen, wird erkunden, wieviel Kriegssteuern zuwege gebracht werden können vom blumigen Reiche der Mitte, und dann: wehe den Hunden und Schweinen! Er wird sie zerstampfen und zu Dung machen!

Vergebens legen die Minister ihre Köpfe auf die Stufen des Thrones und wimmern: Oh Sohn des Himmels, lasse ab von solchen Plänen, denn unziemlich ist es mit Perlen auf Vögel zu schießen!

– Was soll das heißen! ruft der Kaiser. Redet Chinesisch, oh meine Minister!

– Wir reden Chinesisch, Majestät, und eben deshalb in Bildern. Kaiserliche Waffen sind Perlen, aber Barbaren, die sich erfrechen, ungezogen zu sein, dünken uns nicht mehr, als wertlose Spatzen.

– Und wenn ich sie mit Perlen erschießen soll, – tot müssen sie werden, tot, tot, tot!

Seine Majestät war durchaus nicht umzustimmen. Er hatte sich die Rache nun mal in den Kopf gesetzt. und da war es eigentlich dumm von den Ministern, erst noch in Bildern zu reden. Volkszählung! Und damit Basta!

Gut denn: Volkszählung! Das wird zwar nette Scherereien geben, aber Der, der unterm Himmel sitzt, wills haben, also: zählen wir in Gottesnamen das Volk!

– – Aber, der Himmel meints manchmal doch gut mit seinen Mandarinen; ehe man sichs versieht, passiert etwas Neues, und der Kaiser vergißt darüber seinen Grimm und seine Befehle.

Und es passierte etwas.

Eine Revolution? Gottbewahre! Hungersnot? Überschwemmung? Wirren im Frauenpalaste? Nichts derlei von Belang.

Sondern: Der Kaiser hörte, gerade wie er in seine Hauptstadt einziehen will, auf der Straße eine Schar kleiner Knaben – ein Lied singen.

Unerhört: ein Lied, das sich mit seiner Dynastie beschäftigt! Und zwar in Ausdrücken von einer höchst widerwärtigen Unbegreiflichkeit. Orakelhaft. Mystisch.

Und so sangen die kleinen Knaben:

Es steigt der Mond!
Die Sonne sinkt!
Durch den Bogen von Yen
Und den Köcher von Tschi
Droht Untergang,
Droht Untergang,
Oh, oh, oh,
Dem Hause Tschou!

Mond? Sonne? Yen? Tschi? Untergang? Dem Hause Tschou? – Was für eine niederträchtige Singerei! – Arretiert die Bengel! Her das Gesindel!

Die Bübchen waren bald eingefangen und standen nun heulend vor Seiner Majestät.

– Ruhe! schnaubte der Sohn des Himmels sie an, der selber genug Kinder zu Hause hatte, Ruhe! und die Wahrheit gesagt! Wer von euch Lümmels hat das Lied aufgebracht!

– Ich nich! Ich nich! Ich nich! beteuerten sie alle und heulten noch gräßlicher.

– Ich laß euch allen fünfundzwanzig aufzählen, wenn ihr nicht gleich erzählt, wer euch das infame Lied beigebracht hat.

– Der Rote ist es gewesen! Der Rote!

– Was für ein Roter?!

– Ein Junge in roten Röcken. Wir kennen ihn nicht. Keiner kennt ihn. Vor drei Tagen kam er und sang das Lied. Und seitdem singens alle Kinder in der Stadt, überall, auf allen Gassen, in den Stuben am Tage und abends im Bette. Alle! Alle!

– Wo ist der infame Bengel?!

– Fort. Weg. Nirgends zu sehn.

Dem Kaiser wurde unbehaglich. Das sah nach Wunder aus. Der rote Knabe . . . wer weiß . . . Der Himmel liebte es, zuweilen Boten auf die Erde zu senden, Warner. Jedenfalls schnell ein Edikt!

Das hatte der Polizeipräsident bald:

»Auf Allerhöchsten Befehl!

Seit drei Tagen wird von den Kindern der Haupt und Residenzstadt ein höchst unziemliches Lied gesungen, das die Dreistigkeit hat, dem Allerhöchsten Herrscherhause unter albernen und sinnlosen Wendungen den Untergang anzukündigen. Das ist kein Lied für Kinder treuer Untertanen, und somit wird es hierdurch auf das Nachdrücklichste verboten. Sollte sich fürderhin irgendein Kind unterstehen, dieses Lied zu singen, so wird nicht allein das Kind, sondern es werden auch seine Eltern und älteren Brüder sehr fühlbar bestraft werden. Der Polizeipräsident.«

Dieses Edikt hatte zur Folge, daß die sorglichen Eltern ihren Kindern dicke Seidentücher vor den Schnabel banden, und somit war das Lied allerdings unmöglich gemacht.

Aber seiner Sorge war der Kaiser darum nicht ledig.

Ich muß durchaus wissen, was die Singerei bedeutet, dachte er sich und berief seine Minister und den Hofastrologen zu einem Kronrate.

– Zuerst bitte ich S. Exzellenz den Kultusminister um seine Meinung.

Der Kultusminister, Herr Schau-hu, machte ko-tao und sprach: Es gilt zuvörderst, die Bedeutung der Worte Yen und Tschi zu eruieren. Ich habe mich sofort darum bemüht und schätze mich glücklich, folgendes an Ew. Majestät Throne niederlegen zu können: Yen ist der Name einer Maulbeerbaumart, aus deren Holze man Bogen schnitzt, und Tschi heißt ein Kraut, aus dem man Pfeilbeutel macht. Wenn ich mir erlauben darf, den logischen Schluß aus diesen Tatsachen zu ziehen, so kann der nicht anders lauten, als: Es droht Unheil durch Pfeil und Bogen.

– Das scheint mir auch so, meinte der Kaiser. Aber nun S. Exzellenz der Minister des Innern. wenn ich bitten darf!

Der Minister des Innern hatte bloß darauf gewartet, denn das mit Pfeil und Bogen war Wasser auf seine Mühle, da er vor allen andern gegen Wiederaufnahme des Barbarenkrieges gewesen war. So machte er also schnell ko-tao und sprach: Kein Zweifel, oh Majestät, das Lied bedeutet, daß man nicht nochmals mit Pfeil und Bogen gegen jene Hunde und Schweine zu Felde ziehen soll.

– Hm, meinte der Kaiser, das klingt ja ganz plausibel . . . indessen . . . . : Was bedeutet der Knabe in Rot? Vielleicht wissen mir Ew. Liebden etwas darüber zu sagen. Herr Hof und Reichsastrologe?

Der Hof- und Reichsastrologe Herr Po-yang-ju war froh, endlich zu Worte zu kommen, machte ko-tao und sprach, feierlich, wie es sein Amt mit sich brachte: Majestät! Wenn in Straßen und Gassen ein Wort umgeht, niemand weiß, woher es kam, wer es fand und prägte, so ist dies kein gewöhnliches Wort und nicht von irdischer Herkunft, sondern es ist Prophezeiung, gelegt auf die Zunge des Volkes. Fragt sich nur: von welchem Sterne ist dieses Wort? Nun wohl! Rot war der Knabe gewandet: rot muß also der Stern sein, von dem er kam! Welcher Stern aber ist rot? Rot ist der Mars, der Yung-huo, der Feuerstern! Vom Mars also der Knabe, vom Mars das Lied!

Herr Po-yang-ju wollte eigentlich noch weiter reden, aber der Kaiser hatte gerade einen Gedanken und ließ den auch sogleich hören: Hm! Ja! Wohl! Die Sache ist sicher eine Warnung von oben, und darnach muß man sich natürlich einrichten. Demnach wären erstmal sämtliche Pfeile und Bogen aus diesem abscheulichen Maulbeerbaum Yen und dem ebenso greulichen Kraute Tschi zu konfiszieren und gleichzeitig aufs Strengste zu verbieten, fürderhin diese gefährlichen Materialien bei der Pfeil- und Bogenfabrikation zu verwenden.

Sämtliche Mitglieder des Kronrates huldigten der Weisheit Seiner Majestät durch die denkbar tiefsten Verbeugungen.

Aber der Hof- und Reichsastrologe bat nochmals um das Wort, machte nochmals ko-tao und sprach: Ohne Zweifel hat die Weisheit Ew. Majestät das Richtige befunden. Indessen: was bedeutet der Anfang des Liedes? Was bedeutet:

Es steigt der Mond!
Die Sonne sinkt! . . . ?

Unmöglich kann dies nur eine kalendarische Bedeutung haben! Tiefer sitzt der Kern des dunklen Sinnes! Und dies ist der Sinn: Es steigt das Weib! Es sinkt der Mann! Denn der Mond ist das Abbild des Weiblichen, wie die Sonne das Abbild des Männlichen ist.

– Ja aber um Gotteswillen: daraus werde ich nun erst recht nicht klug! rief der Kaiser; das Weib, der Mann, – das sind ja wieder bloß Rätsel!

Darauf Herr Po-yang-ju: Um Verzeihung, Majestät, – es bedeutet: von einer Kaiserin droht dem Reiche Unheil!

– Was nicht gar! Von einer Kaiserin! Ew. Liebden sollten wohl wissen, daß ich nicht mehr in dem Alter bin, mich auf galante Abenteuer einzulassen, und überdies: In den Angelegenheiten der sechs Serails So wird der Harem des Kaisers von China auch heute noch offiziell genannt. durfte und darf ich mich durchaus auf die Tugend, die Klugheit und den Takt meiner hohen Gemahlin Tschiang verlassen. Sie ist bei der Auswahl der Palastdamen d. h. die Nebenfrauen des Kaisers. noch immer mit sorgsamster Kritik zu Werke gegangen und wird, dessen bin ich mir sicher, auch künftighin es an nichts darin fehlen lassen. Unsinn! An Weibergeschichten ist absolut nicht zu denken.

Aber der Hof- und Reichsastrologe war nicht der Mann, sich so schnell aus dem Sattel heben zu lassen, und so machte er nochmals ko-tao und sprach nochmals: Es lag mir ferne, oh Sohn des Himmels, an die Möglichkeit zu denken, daß die Gefahr von einer Dame drohen könnte, die in den sechs Serails Ew. Majestät zu leben die hohe Ehre und das unaussprechliche Glück hat. Aber muß die Gefahr denn augenblicklich drohen? Muß denn das Unheil in den jetzigen sechs Serails schlummern? Daß etwas vorgeht, schon jetzt vorgeht, ist freilich leider nur zu wahrscheinlich, – doch glaube ich nicht, daß es in nächster Zeit bereits in Erscheinung treten werde. Dafür sind mir Bürge die hohen moralischen Prinzipien, denen mein allerhöchster Herr huldigt.

Der Kaiser lächelte und sagte: Ja ja, ich bin über die Jahre hinaus; das steht fest; leider; und somit wäre in diesem Punkte: Mond – Sonne, Weib – Mann, alles in bester Ordnung. Aber unheimlich bleibt die Geschichte doch. Die ganze Sache gefällt mir gar nicht. Gar noch zukünftige Weibergeschichten! Das ist doch furchtbar lästig.

Etwas unwirsch entließ er den Kronrat.


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