Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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X.
Die große Wo.

Es war erstaunlich, wie schnell und geschickt Pao-Szö auf alles einging, was der zukünftige kaiserliche Hausminister von ihr verlangte. Es schien, als habe sie nur darauf gewartet, nach den Sechs Serails abgeholt zu werden.

Natürlich brachte sie der glückliche Entdecker nicht sofort dorthin. Sie roch immerhin etwas nach Stall und war weder hinreichend equipiert noch vorgebildet, um alsogleich Seiner Majestät vorgestellt zu werden. Aber der erfahrene Liebesdichter wußte Bescheid.

Da war ein kleines Teehaus in der östlichen Vorstadt, dem eine ehedem sehr berühmte Kurtisane vorstand, von der es bekannt war, daß sie sich auf galante Manieren, Tanz, Musik und Dichtkunst, kurz auf alles, was man von einer chinesischen Grande amoureuse nur verlangen konnte, noch immer vortrefflich verstand. Sie galt allgemein als Dame von ungewöhnlichem Takt, Geschmack und Lehrvermögen, und ihr Haus war berühmt als die hohe Schule der Galanterie von China.

Zu ihr, die sich Wo-fu-ling nannte, von ihren Verehrern aber nur Ta-Wo genannt wurde, die große Wo (groß in dem Sinne, wie man Friedrich der Große sagt), begab sich Herr We-tê-king und sprach: Meine liebe Ta-Wo, ich habe eine außerordentliche Bitte an Sie, eine Bitte, die Sie mir durchaus nicht abschlagen dürfen, und es sollen auch ein paar sehr große Ballen Seide für Sie abfallen, wenn nicht gar der Titel einer kaiserlichen Seraillieferantin.

– Ihr Vertrauen ehrt mich, wertester Herr We, antwortete mit vielem Anstand die große Wo, aber ich habe augenblicklich nichts, was ich einem verwöhnten Kenner wie Ihnen anbieten könnte. Ein paar Elevinnen lassen zwar für die Zukunft Schönes hoffen, aber für den Augenblick sind sie noch grünes Obst und gerollte Knospen.

– Ihre Elevinnen, große Wo, so gewiß ich mir bin, daß sie unter Ihrer bewährten Hand die denkbar beste Entwicklung nehmen werden, interessieren mich zur Stunde nicht, wenngleich ich mich hiermit vorgemerkt haben will. Es handelt sich um eine viel wichtigere Sache. Da ich Ihrer Verschwiegenheit sicher sein kann, umsomehr, als jedes Wort Ihnen die Konzession kosten würde, will ich es Ihnen verraten.

– An meiner Schweigsamkeit gemessen sind die Karpfen im heiligen Tempelteiche geschwätzig wie die Agenten des Bundes zur Hebung der Sittlichkeit; das dürften Ew. Hochgeboren wohl wissen, entgegnete etwas pikiert die alte Dame.

– Ich weiß, große Wo, und so schenke ich Ihnen mein Vertrauen in einer Angelegenheit, die, wie ich wohl sagen darf, augenblicklich die wichtigste im ganzen Reiche ist.

– Politisches? Um Gott! Nein! Mein erstes Geschäftsprinzip ist: keine Politik! Ich bin schon einmal beinahe geköpft worden, damals, wie die rote Tai-ta dem dürren Staatsanwalt Ho-fing-gê das Lied vorsang:

Käm zu mir der Himmelssohn
In dem goldnen Wagen,
Wollte mich in sein Serail
Auf den Händen tragen,
Eine Nase dreht ich ihm,
Und ich würde sagen:
Lieber laß ich mich von Lung,
Meinem Liebsten, schlagen,
Eh ich mich einsperren ließ
In den goldenen Schragen.

– Genug! Genug, Madame, ich kenne die Geschichte; die rote Tai-ta bildete sich zuviel auf ihr bißchen Lyrik ein. Um derlei handelt es sich gar nicht. Ihr wißt wohl selber, daß Seine Majestät sich um Politik weniger kümmert als ein Hahn ums Eierlegen; schöne Mädchen will er, basta, und ich habe eine für ihn. Sie aber sollen sie mir vorher etwas polieren. Das ist alles.

– Ah, das ist etwas anderes! Aber: hat sie auch Talent?

– Ach was, sie ist schön, und wenn sie den Mund auftut, klingen alle Flöten des Himmels. Sie braucht gar nicht zu tanzen, und man sieht doch mehr als ein ganzes Ballett. Sie braucht nur die Augen aufzuschlagen, und alle Dichter der Welt ekeln sich ihrer eigenen Reime. Nur ein paar äußerliche Manieren, ein paar Redensarten, wie sie der Hof verlangt: nichts mehr. Um Gottes willen: nichts mehr! Putzt mir an dem Kleinod um Himmelswillen nicht zu sehr herum! Laßt ihr den Heublumenduft und den frischen Pfirsichhauch!

– Sie unterschätzen mich, Herr We, ich trete als Künstlerin an die lebendigen Blumen heran, die man mir anvertraut. Eher wollte ich in ein Kloster gehen, als daß ich Reize verwischte. Reize zu heben ist mein Geschäft: ich fasse Schönheiten, wie der Juwelier Perlen faßt, aber ich zerstöre sie nicht. Das überlaß ich jenen Dilettantinnen meines Berufes, die nichts wissen, als ein paar Schminkregeln und die Kapitel der chinesischen Poetik.

Madame Wo war offenbar beleidigt.

Aber Herr We-tê-king besänftigte sie schnell, indem er sprach: wüßte ich das nicht so sicher, verehrteste Ta-Wo, so würde ich mich nicht an Sie gewandt haben, die ich als Meisterin in der Pädagogik der Galanterie aufs Höchste schätze, und von der ich das Wort geprägt habe, das, wie ich mich getrauen darf, zu sagen, zu Ihrem Weltruf ein weniges auch mit beigetragen hat:

Wir armen Dichter! Unsre Kunst ist roh,
Die Schönheit müssen wir aus Worten kneten;
Viel edler schafft die herrliche Ta-Wo,
Die unbestrittene Fürstin der Poeten,
Die Reime rankt aus Mädchenarmen und
Die schönste Strophe bildet: Mund auf Mund.

Der Dichter machte eine tiefe Verbeugung und küßte dann Madame Wo-fu-ling auf die linke Schulter.

Die große Wo lächelte charmant und sprach: Unter den zehntausend schönsten Gedichten Eurer Herrlichkeit ist dies das schönste, wenngleich es meinen schwachen Fähigkeiten viel zu sehr schmeichelt. Indessen: ich bin Ew. Hochgeboren ergebenste Dienerin und werde es an nichts fehlen lassen, um Ihren Wünschen nach besten Kräften und mit allem Fleiße nachzukommen. Ich erwarte die zarte Blume, die mir Ihre unverdiente Güte anzuvertrauen gedenkt.

Sie sprach wie gedruckt, obwohl damals auch in China die Buchdruckerkunst noch gar nicht erfunden war.


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