Otto Julius Bierbaum
Das Schöne Mädchen von Pao
Otto Julius Bierbaum

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II.
Das Vierhundertachtzigmonatkind.

Aber, kaum, daß er glaubte, nun für eine Weile Ruhe zu haben, da meldete sich die Kaiserin bei ihm an, warf sich lang vor ihm nieder und schrie: Schrecklich! Schrecklich! Schrecklich!

– Ja mein Gott, was ist denn schon wieder passiert!

– Gräßlich! Gräßlich!

– Aber wollen Ew. Majestät sich nicht erheben und mir ruhig sagen, was Sie so aus der Fassung gebracht hat?

Die Kaiserin erhob sich, ließ sich auf einen Sessel nieder und starrte vor sich hin.

– Betragen sich die Damen unziemlich? fragte mit liebenswürdigem Tone der Kaiser. Muckt die Eunuchengarde wieder einmal auf? Diese Verschnittenen haben einen widerwärtigen Charakter, ich weiß es, – aber: was will man machen? Man braucht derlei Leute, es geht nicht anders . . .

– Ach nein, ach nein! Wenns das bloß wäre, – es ist was viel, viel Greulicheres . . . Kennt Ew. Majestät die alte Wang?

– Was soll ich die alte Wang kennen!? Was ist das für eine Person?

– Es ist das eine alte Seraildienerin, die noch vom vorigen Kaiser her da ist.

– Die muß aber schon schrecklich alt sein.

– Freilich, ist sie auch! Und die . . . die . . . die . . . oh, mein hoher Gemahl: es ist fürchterlich, unmöglich, schauderhaft . . .

– Also! Also?!

– Die alte Wang hat ein Kind gekriegt . . .

– Wa . . . a . . . . as? Im Serail, wo's keine Männer gibt, außer mir? Sollte ich . . . aber das ist ja völlig undenkbar!

Die Kaiserin machte ein empörtes Gesicht: Ich bitte Ew. Majestät, in so ernsten Dingen nicht zu scherzen. Es handelt sich hier um ein höchst schreckliches Phänomen; die alte Wang hat natürlich ebensowenig einen Mann gesehen, als ich einen Halbgott. Ihr Kind ist von keinem Manne.

– Ja von was denn dann?

– Mag sie es selbst erzählen, wenn Ew. Majestät es gestatten.

– Freilich gestatte ich es! Wer weiß . . . Wer weiß . . . oh! mir schwant Fürchterliches! Wie recht hatte Po-yang-ju! Bringt mir die Person! Was werde ich hören müssen!

Die alte Wang, mehr tot als lebendig, ein altes verhutzeltes Weiblein, erschien vor dem Kaiser, legte sich mit einer Miene auf den Boden, als wollte sie sagen: Bitte, zertritt mich, Majestät! und schluchzte fürchterlich.

– Wer ist der nichtswürdige Vater! herrschte sie der Kaiser an.

– Kein Vater! kein Vater! Oh Gott, oh Gott! Ich unglückselige Kreatur! Huhuhuhu!

– Du wirst sofort aufhören zu heulen und mir augenblicklich Aufschluß darüber geben, woher du das Kind hast. Aber halt! Wo ist es!

– Bei den Dienerinnen im westlichen Palaste!

– Man setze es sogleich aus!

– Ja, ja, ja, nur fort mit der Drachenbrut!

– Was: Drachenbrut?!

– Ja: Drachenbrut!

– Ah, also du weißt doch etwas!? Daß du mir nichts verschweigst! Was weißt du!

Und nun erzählte die alte Wang folgende bedenkliche Geschichte, etwas weit ausholend, wie es alter Weiber Art ist:

– Ich habe sagen hören, daß sich im letzten Jahre der Hsia-Dynastie . . .

– Was geht mich die Hsia-Dynastie an? fiel der Kaiser ein.

– Es . . . es gehört dazu . . . wirklich . . .

– Also meinetwegen; was hast du sagen hören!

– Daß im letzten Jahre des letzten Kaisers der Hsia-Dynastie zwei Gott-Menschen aus der Stadt Pao als Drachen herbeigeflogen sind zur Kaiserburg und sich im Hofe da niedersetzten.

– Greulich!

– Ja! Und Speichel ist aus ihren Mäulern geflossen.

– Äh!

– Aber aus einmal haben sie reden können; und so haben sie geredet, zum Kaiser Tschïe geredet, der gerade da war: »Wir . . sind . . zwei . . Fürsten . . aus Pao!« Darüber ist der Kaiser furchtbar erschrocken.

– Natürlich!

– Er wollte sie auch gleich totschlagen lassen.

–Hm!

– Aber zuvor ließ er den Reichsastrologen kommen und fragte den.

– Das war weiser, als ich es einem aus dem Hause Hsia zugetraut hätte; aber erzähle mir nun nicht etwa erst, was der Hofastrologe gesagt hat, denn das führt zu weit. Was tat der Kaiser?

– Er ließ ein seidenes Tuch vor den Drachen ausbreiten und ihnen ein Opfer bringen.

– Also nichts mehr vom Totschlagen? Seltsam.

– Und einen Teller aus lauter Gold ließ er bringen und fing damit den Drachenspeichel auf.

– Pfui Teufel! Das sieht einem Hsia-Kaiser ähnlich.

– Ja, und dann ließ er den Teller in einer roten Kiste einschließen.

– In einer – roten Kiste? Du sagtest rot?

– Ja, in einer roten Kiste einschließen.

– Rot, – warum gerade rot? . . Weiter! Weiter!

– Und da kam ein großer Wind, und ein großer Regen fiel, und die Drachen flogen fort. Puh – huh – fort!

– Mach kein Theater! Weiter!

– Und da ließ der Kaiser Tschïe die rote Kiste ins Schatzhaus bringen und dort hinsetzen.

– So? Nun? Und?

– Und nun kam die Yin-Dynastie.

– Das weiß ich schon.

– Und dann kam Ew. Majestät erhabene Dynastie.

– Das weiß ich erst recht. Die Kiste! Die rote Kiste!

– Ja, und dann waren schon wieder fast dreihundert Jahre vorbeigegangen, seitdem das erhabene Haus Tschou den Thron bestiegen hatte . . .

– Ein Haus kann keinen Thron besteigen; drücke dich gewählter aus!

– Oder oben saß, und da war nie irgend etwas passiert, nicht das Geringste.

– Weiter, sag ich! Weiter!

– Aber, da kam auf einmal, gerade wie Ew. Majestät hochseliger, allerhöchst seliger Vater sein letztes Jahr abregierte, ich habe ihn noch sehr gut gekannt, er war so ein . . .

Was kam!?

– Da kam ein heller Glanz aus der Kiste.

– Hm!

– Der Schatzaufseher meldete das dem Kaiser, der Kaiser fragte, was in der Kiste wäre, der Aufseher holte die Bücher . . .

– Weiter! Weiter!

– Und die Inhaltsverzeichnisse und die . . .

– Was tat der Kaiser!?

– Er machte die Kiste auf.

– Höchstselber?

– Nein, er befahl es einem Kammerherrn.

– Das wollte ich auch gemeint haben. Und der Kammerherr?

– Nahm den goldenen Teller heraus und überreichte ihn dem Kaiser.

– Ach! Und nun? Nun?

– Der Kaiser wollte ihn in die Hand nehmen.

– Wollte bloß? Nahm nicht?

– Nein: er ließ ihn fallen.

– Oh!

– Ja, und da floß der Drachenspeichel auf den Boden.

– Was? War der denn nicht in den 1000 Jahren eingetrocknet?

– Nein, er war ganz frisch und verwandelte sich in eine kleine Schildkröte.

– T . . . t . . . t . . .!

– Ja, und die lief nun auf dem Burghofe rum, immer so im Kreise, immer rum, immer rum . . . das sonderbare Tierchen . . . ganz rot sahs aus am Schilde oben und hatte rote Augen, und die Beine waren auch rot . . .

– Hast du die Kröte denn gesehen?

– Ja, ich . . . hab . . .. die Kröte . . . gesehn . . . und ich sah, wie der Kammerherr sie fangen wollte und immer psch! psch! kiß! kiß! machte . . . aber da lief sie so schnell, so schnell lief sie mit ihren roten Beinen . . . ins Zimmer des Kaisers.

– Die Kröte . . . ins Zimmer des Kaisers . . . mit den roten Beinen. ? .

– Ja, und ich, mein Gott, zwanzig war ich gerade vorbei, ich . . . ich mußte . . . lachen, wie das Tierchen so lief und der Kammerherr gegen die Türpfosten rannte mit seinem spitzen Kopfe und sich die Stirne rieb. Da rief der Kaiser: Du! was hast du da! Bist auch so eine Kröte! Komm mal her und heb den Teller auf! Und lachte auch.

– Lachte . . . auch? . . . Ich hätte nicht gelacht. Und du?

– Ich ging zum Kaiser und da, . . . da . . . huh, mich grausts . . . da . . . trat . . . ich . . . auf was Nasses . . . und ich sah . . . daß ich . . . in . . . die Spur . . . der . . . äh . . . der Kröte getreten war . . . und es wurde mir so . . . mir wurde übel, und ich . . . fiel nieder.

– Fielst nieder?

– Ja, und mir war . . . mir war . . . als wenn ich in der Hoffnung wär' . . .

– Du warsts am Ende auch, du schlechte Dirne damals!

– Das sagte der Kaiser auch und schalt mich, und ließ mich einsperren. Aber ich war ja unschuldig wie eine Wolke am Himmel, und es war nichts mit mir.

– Gut . . . aber nun?

– Aber nun . . . nun . . . nach vierzig Jahren seitdem, gestern, am Abend, bekam ich die Wehen und . . . brachte ein Mädchen zur Welt.

– Ah! Das sind ja höchst merkwürdige Geschichten, die du mir da erzählst . . . und glauben soll ich sie am Ende auch? Nun: das Krötenkind wird hoffentlich im Wasser sein, wie ich befahl! Geh, pack dich!

– Oh ich weiß: zehntausendmal hab ich den Tod verdient . . . zehntausendmal! . . . ich . . .

–Geh!

Die alte Wang, noch mehr tot, als lebendig, ging. Die Kaiserin tat dasselbe.


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