Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Eine ganz unerwartete Wendung

Einige Tage später bin ich wieder auf dem Gutshof. Meine falsche Fleppe ist vom rechtmäßigen Besitzer gestohlen, jetzt kann ich den Stephan von der Wieden aus der Geheimtasche des Rucksackes wieder hervorsuchen. Ich bin, man sieht das ohne weiteres ein, in einer mißlichen Lage, aber ich werde fest bleiben und weiter hier als Fabian Flox herumwirtschaften.

Der Herr Baron ist mit dem Auto fort, er will erst in einigen Tagen zurückkommen.

Es ist merkwürdig still auf dem Hofe, und einmal abends gehe ich mit Bettina über die abgeernteten Felder. Es ist ein beglücktes und bedrücktes Wandern und auf uns beiden lastet mit einer verborgenen Düsternis das verrauschte schwere Ereignis. Wir kommen auch auf den kleinen Friedhof und gehen zum Grabe der Porzellanbrigitte.

Bettina legt einen großen Strauß dunkelroter Rosen auf die frische Erde. Wir bleiben eine Weile stehen, stumm und in eine wehmütige Stimmung getaucht. Schon segeln die weißen Sommerfäden.

Vor der Friedhofspforte sagt Bettina zu mir: »Was soll nun werden aus uns, Fabian?«

»Wir müssen warten, Bettina. Wir müssen noch lange warten, vielleicht ein Jahr und noch länger.«

»Ich will gerne warten, du darfst mich nur nicht vergessen, wenn du fort von uns gehst.«

»Oh, Bettina, wie sollte ich dich vergessen können. Laß mich tausend Jahre leben, ich will dich nie vergessen.«

»Aber du bist doch ein anderer; irgend etwas stimmt nicht mit dir, das fühle ich deutlich. Du bist doch kein Knecht und kein Handwerksbursche, das glaubt dir kein Mensch auf der ganzen Welt.«

271 »Warum denn nicht, Bettina? Ich bin einer, der hinter dir hergewandert ist. Ein Bruder Niemand. Ein Bündel glückseliges Leben. Ein Mensch, der in die Welt kam und in dieses bunte Leben, um dich zu finden. Ist dir das nicht genug?«

Wir gehen langsam dem Gutshof zu, es wird schon dämmerig und unten, wo der kleine Bach fließt, steigt der Nebel wie feiner Rauch aus der feuchten Niederung.

»Bettina, ich glaube, es will Herbst werden. Wir werden bald wandern müssen?«

»Wandern?«

»Im Herbst muß man wandern, Bettina.«

»Mir wird so schwer, wenn du das sagst.«

»Es ist der tiefere Sinn alles Vorhandenen, daß es wandern muß, vom kleinsten Samenkorn bis zu den Sternen über uns.«

»Dann wirst auch du bald fortgehen von hier.«

»Ja, Bettina; aber nur, um wiederzukommen!« – –

Auf dem Gutshof hat sich unterdessen etwas Großartiges ereignet. Man wird mit aller Phantasie nicht erraten können, was sich auf dem Gutshof ereignet hat, nein, es klingt wie ein Märchen, man darf es mir getrost glauben.

Ich bin im Begriff in meine Kammer hinaufzugehen, da stolziert mir Hugo Hurrle entgegen. Sein Gang ist verändert, er stelzt wie ein Reiher, er macht Schritte, als hätte er Kulissen um sich und Versenkungen unter sich. Die Arme hat er halb erhoben und kolossale Falten im Gesicht.

»Ich bin genötigt,« sagt er ernst und hat einen Tonfall wie im dritten Akt, »dir eine Mitteilung zu unterbreiten. Sei stark!«

»Was denn, bist du Kaiser geworden?«

»Nicht ganz. Aber ich bin mit Heutigem als Naturschauspieler engagiert!«

»Als Naturschauspieler? Was ist denn das?«

»Ein Naturschauspieler ist kein eigentlicher Mime, also kein Mann vom Bau, sondern ein solcher ohne Vorbildung und Ausbildung, unmittelbar infolge seiner natürlichen schauspielerischen 272 Begabung aus dem Volke herausgegriffen; ein Stegreifritter, ein Laie mit Sonderbegabung.«

»Ich verstehe noch nicht ganz. Du mußt mir das näher erklären.«

»Kurz gesagt: man will einen großen Landschaftsfilm drehen mit einer Handlung, die auf dem Lande, also zwischen Äckern und Wiesen, Wäldern und Scheunen spielt. Ein Film soll es sein, der aus der Scholle herausgewachsen ist. Der große Regisseur dieses Filmes hat sich in den Kopf gesetzt, in diesem Film dürfe kein Berufsschauspieler mitwirken, hingegen sollen über die Leinwand nur Menschen zappeln aus dem Volk, aus der Landwirtschaft heraus, du verstehst, Menschen mit Erdgeruch und Stallduft; mit natürlicher Begabung und naivem Darstellungsvermögen. Merkst du was?«

»Und da ist man zuerst auf dich gefallen, weil du den stärksten Erdgeruch ausströmst und vom Berufspossenreißer am weitesten entfernt bist?«

»So ist es. Man hat in mir eine neue und ursprüngliche Begabung entdeckt und ist stolz darauf. Ich werde lanciert. Der Herr Baron, bekannt mit den Leuten vom Bau, hat maßgebende Stellen auf mich aufmerksam gemacht. Du siehst, das Leichenhuhn zieht weitere Kreise, sein Gackern dringt bis zu einflußreichen Stellen. Verlasse dich darauf, es wird dicke Eier legen. Wir sollen nach dem Film als Mimen für ein Theater verpflichtet werden und garantiert pünktlich Gage erhalten.«

»Wir? Wer denn noch?«

»Na du und ich?«

»Ich?!«

»Kein anderer. Auch du bist die geborene, unverfälschte Naturkraft. Hast du nicht Buchen gefällt, Garben gebunden und Möbel gerückt?«

»Bist du denn verrückt?«

»Ein glänzender Gedanke. Fluch allen Professionellen! Die ganz natürliche Begabung soll wieder zu ihrem Recht kommen. Es lebe der Mime vom Mutterleibe her!«

273 Soll man sich nicht biegen vor Lachen? Da steht dieser gerissene, mit allen Theaterhunden gehetzte, in sämtlichen Bühnengassen gerechte und in hundert Rollen gewaschene Kulissenreißer, da steht dieses abgefeimte Rampenschwein, dieser doppelt abgebrühte und ausgekochte Beherrscher aller Nudelbretter und Schminketöpfe, da steht er vor mir und grinst mich mit einer geradezu wollüstigen Verschlagenheit an.

»Ich habe dich schon in Vorschlag gebracht,« fährt er toternst fort, »du wirst in einer halben Stunde Probe sprechen. Mach mir keine Schande!«

»Ich?! Wo denn? Vor wem denn?«

»Vorm Hilfsregisseur. Er ist drinnen im altdeutschen Weinstübchen und hat schon einen in der Krone. Der Gewaltige, der Alte, der Talentpächter kommt heute Abend noch mit dem Baron hinterher. Er ist Regisseur für den Film und gleichzeitig Direktor für das neu zu eröffnende Theater. Räuspere dich, du mußt einen klassischen Monolog sprechen.«

»Ei, du Halunke! Hast du denn nicht gesagt, daß du ein uralter, in Leid ergrauter Rollenknochen bist?«

»Werde mich hüten; dann werde ich nicht engagiert.«

»Hast du nicht alle Theater in die Hölle und ewige Vernichtung gewünscht, hast du nicht bei deinen sämtlichen Nachkommen geschworen, nie mehr vor's Publikum zu treten, hast du nicht –!«

»Oh, schweige, Freund! Du schneidest mir ins Herz. Du siehst, wie wandelbar des Menschen fluchwürdige Leidenschaften sind. Glaube mir, ich folge einer inneren Stimme, Gott sei meiner armen Seele gnädig!«

Was soll man viel erzählen: in einer halben Stunde bin auch ich als Naturschauspieler engagiert. Ein Herr, ein Dramaturg, sehr farbig und modern gekleidet, ein finster und dämonisch blickender allgewaltiger Talentpächter mit herabgezogenen Mundwinkeln sitzt wie ein Schulmeister vor mir, saugt wie eine Pumpe am Weinglas und prüft mein Talent. Ich bestehe in Ehren und werde als jugendlicher Liebhaber verpflichtet. Ach, ganz im Geheimen, 274 unter dem Siegel der Verschwiegenheit, will ich verraten: auch ich bin glücklich, weil es eine solche Wendung genommen hat; auch mir schlägt das Herz höher, wenn ich daran denke, daß ich wieder für einige Zeit zum Theater soll, so lange wenigstens, bis ich wieder zurückkommen darf, um mir Bettina heimzuholen; ein guter Stern möge über unserer Komödiantenlaufbahn glänzen. Welches Glück ist mir widerfahren und welche frohen Erwartungen hege ich für die Zukunft. In einem Jahr vielleicht werde ich auf den Gutshof zurückkehren können, wenn erst alle Widerstände beseitigt sind. Der Herr Baron ist ja nicht damit einverstanden, er wünscht sich einen Adligen für seine Tochter, und ich bin doch nur – – –!

Tod und Teufel, meine Fleppe ist fort, meine Wiedergeburt ist ja gestohlen! Wenn mich jemand auffordert, meinen Namen zu nennen, was muß ich denn antworten; welchen Namen muß ich nennen? Ist hier nicht ein wandernder Bursche versunken, ist nicht ein wundersamer Zauber verflogen?

Fabian Flox, wo bist du?

O weh, das Auto des Herrn Baron kommt auf den Hof; ich sehe das Licht der Scheinwerfer; des Barons Stimme höre ich.

Wir stürmen beide hinaus. Auch Bettina kommt, das Haus wird magisch lebendig.

Wer tritt uns denn entgegen im wallenden Übergangsmantel und mit breitgerändertem Hut?

Wer wandelt daher im Glanz der Scheinwerfer? Der Kaiser von China? Haltet mich fest, unser alter Theaterdirektor! Joachim Prottengeier steht vor uns, der Alte von damals, der die Ritterstiefel angezogen hatte und mit unserer Gage durch die Lappen ist.

Da steht er, hoch aufgerichtet, königlich, ein Theatergott, eine überirdische Erscheinung.

Wenn jemand glaubt, er käme in Verlegenheit, irrt er sich gewaltig. Keinesfalls, seine Geste ist großartig und die Situation durchaus beherrschend; sein Mienenspiel tilgt mit einem Schlage die graue Vergangenheit und die schuldig gebliebene Gage. Er ist 275 ein Freund des Herrn Baron, wer will ihm etwas anhaben? Sofort erkennt er uns, kommt mit ausgestreckten Händen, wie ein segnender Christus, auf uns zu und verschanzt sich hinter einem stummen und klassischen Lachen; tut beinahe herzlich verzeihend und so, als ob wir ihm etwas schuldig wären.

»Sehe ich denn recht,« ruft er mit einem windelweichgekochten Pathos, »täusche ich mich nicht: mein Hugo Hurrle, Gott zum Gruß; mein Stephan von der Wieden, Gott zum Gruß!«

So, nun ist es restlos zu Ende mit meiner Wiedergeburt; jetzt kann ich einpacken mit allem Zauber und mit der ganzen Bierbrauerei.

Die Maske fällt von meinem Gesicht, nackt stehe ich da.

Bettina, die Schlaue, die Hellhörige, hat des Direktors Worte sofort aufgegriffen.

»Wie heißt er, der da steht? Der da!«

Mit dem Finger stippt sie nach mir.

»Wie könnte er anders heißen als Stephan von der Wieden,« schleudert Joachim Prottengeier die Worte hinaus. »Mein Jugendlicher, mein Baron; der Liebling aller Frauen. Ich schwöre ihm die dicksten Bombenrollen zu.«

Der Baron wird jetzt auch stutzig und kommt in meine Nähe.

»Wie heißt er? Ich habe schlecht verstanden.«

Ich will mich wehren; sinnlos, daß ich noch versuche, die alte, abgeschminkte Rolle zu spielen. Noch einen letzten Anlauf mache ich, ohne Aussicht auf Erfolg; ich Narr will mich noch nicht verloren geben.

»Fabian Flox, Elementenfärber. Ein Irrtum, lassen Sie mich Ihnen nur erklären! Bei der Seligkeit des Flaschenbierhandels –«

»Ruhe! Da scheint mir einer in der Klemme. Ein Weißfisch hängt am Haken!«

Bettina faßt sich an den Kopf; ich sehe, ihr fällt etwas ein; es kommt ihr eine Erleuchtung.

»Stephan von der Wieden?!« murmelt sie sinnend und grübelt immerfort, »wo habe ich doch diesen Namen gehört?«

276 Sie stürmt ins Haus die Treppe hinauf.

Ich stehe da und pfeife auf dem letzten Loch.

Der Baron schaut mich durchdringend an und kneift dann ein Auge zu.

»Bierbrauer, nun mal heraus mit der Sprache!«

Ich will etwas erwidern, was ohne Sinn ist, zu einer schwachen Verteidigung setze ich an, da trifft mich aber das Unheil mit seiner ganzen Wucht. Alle Geister sind gegen mich verschworen. Ich stehe groß und einsam auf verlorenem Posten.

Auf den Hof herein torkelt nämlich eine verdächtige Gestalt, die im Dunkeln noch nicht zu erkennen ist, mir aber schwant nichts Gutes, denn diese randalierende Stimme ist mir nicht unbekannt.

»Mit Verlaub,« quarrt die Gestalt und wankt näher, »darf man die Nacht hier im Heu pennen?«

Es ist kein anderer, als der echte Fabian Flox mit seiner dicken Kohlrübe und den roten Pausbacken; mein zweites Ich ist es, mein Gegenüber aus der Spechtwinde, der Mann, der sich seine eigene Fleppe wieder gestohlen hat. Humorvoll betrunken wankt er näher, ohne Hut, die Käsekisten in den jämmerlich verbeulten Trittlingen.

Nun ist es endgültig aus mit mir; ich beschließe im Stillen, alle Waffen kampflos zu strecken. Mein Heldentod ist besiegelt.

Der echte Fabian, mein fragwürdiges Spiegelbild, torkelt ins Licht, schaut mich an und erkennt mich. Mit breitem Grinsen stößt er auf mich zu, hält den Finger vor die Nase und legt los: »Hab' ich dich erwischt, elender Fickelscherer? Treffe ich dich hier, um einen – – hick! – nassen Fleck aus dir zu machen? Hast du Galgenposamentierer meine Fleppe abgehängt oder nicht? Zeit, daß dir die Manschetten angelegt werden. Du mußt mir an der nächsten Feldglocke hängen. Beeile dich, dein Testament zu machen!«

»Was ist denn das schon wieder?« ruft der Baron und geht auf mein zweites Ich zu. »Was willst du denn hier?«

»Wa – – was ich will? Diesen Pachulke hier aus der Staude hauen. Hat mir meine Fleppe geklaut.«

277 »Was hat er? Wer bist du denn?«

»Fa – Fabian Flox, Ele – le – lementenfärber!«

Den Baron wirft es geradezu einen Schritt zurück; dann lacht er dröhnend hinaus.

»Kerl, du bist ja total betrunken. Fabian Flox?«

»Bin ich, jawohl. Ehrenwort, mein Herr. Hier bitte, sehen Sie meine Fleppe, meine Originalfleppe.«

Er wühlt in den Taschen und zieht die Papiere vor, die er mir in der Jagdhütte nachts gestohlen hat.

»Hier – hick! – schwarz auf weiß, Fabian Flox, Bi – Bierbrauer.«

Der Baron wendet sich wieder mir zu.

»Was sagst denn du dazu?«

»Herr Baron, bitte um Verzeihung, ich will Ihnen alles erklären. Ich bin entlarvt, kein Leugnen hilft. Ein ganzes Bierfaß fällt von meinem Herzen, den ich brauche ferner nicht mehr zu fürchten, daß der Herr Baron Weizenbier brauen wollen. Sollten Sie aber die gehegte Absicht auch fürderhin noch haben, dann wollen Sie sich bitte hier an meine zweite Hälfte, an meine augenblicklich besoffene Wiedergeburt wenden.«

Zu allem Überfluß kommt auch noch Bettina zurück und bringt das große Album mit den Photographien.

»Endlich!« ruft sie beglückt und strahlt über das ganze Gesicht, »endlich habe ich's herausgefunden. Jetzt weiß ich, wo ich dich schon einmal gesehen habe. Hier steckst du, bitte, schau dich an!« Sie hält mir den Bromsilber-Mortimer unter die Nase. »Hier bitte, Stephan von der Wieden als Mortimer.«

»Stephan von der Wieden?!« murmelt der Baron und findet kein Ende des Staunens.

»So heißt er! Und die Beiden haben die ganze Zeit nur einen Hokuspokus getrieben. Hab ich recht, Stephan?«

»Ich will alles erklären und Generalbeichte ablegen.«

»Stephan von der Wieden?!« sagt der Baron noch einmal und betrachtet mich vom Kopf bis zu den Füßen.

278 »Nicht anders!« ruft Bettina froh beglückt hinaus, »da hast du jetzt deinen Baron!«

Und sie fliegt mir um den Hals, im Beisein des Vaters, Hurrles, der Theaterfachleute und des schnapsduftenden Fabian Flox.

So ein Mädel ist sie, so ein wildes, ungebändigtes Mädel. –

– – So hat sich alles zum Guten gewendet und es gibt bald ein frohes Abschiednehmen. Abschied ist immer schön, wenn man ans Wiedersehen denkt.

Wie groß ist unser Glück, kein Mensch vermag es zu schildern. Der Baron hat noch eine lange Unterredung mit mir gehabt und ich darf ganz im Vertrauen verraten: ich kann zufrieden sein mit dieser Unterredung.

Es ist Herbst geworden, draußen stehen die Stoppeln und man muß daran denken, die Zuckerrüben zu ernten. Schaut nur hinüber in die Wälder, schon färbt sich das Laub und die Schwalben sammeln sich auf den Telegraphendrähten. Der Wind streicht über Haferstoppeln.

Wandern, Freunde, wandern!

»Komm doch mal einen Augenblick mit hinauf!« sagt Bettina.

»Was soll ich denn? Ich muß meine Wolke zusammenpacken.«

»Du sollst mir nur rasch helfen beim Möbelrücken.«

O Gott, ich soll zum Möbelrücken.

Da stehe ich wieder in Bettinas Zimmer, in diesem feinen Zimmer, das so wundersam nach ihr duftet. Kölnisch Wasser.

»Was willst du denn rücken?«

»Ich hab' mir's anders überlegt, Bierbrauer. Der Bücherschrank steht doch besser da drüben; wir wollen ihn wieder in die alte Ecke stellen.«

Ich will nichts mehr verraten von Schiller und Klopstock und Hölderlin; es sind viele schöne Bücher und jeder gebildete Mensch sollte sie lesen. Eine Schande, wer sie nicht besitzt.

Na ja, darüber können wir jetzt nicht reden, denn Bettina schlägt das Lederalbum auf, sucht meine Photographie und drückt mir einen Füllfederhalter in die Hand.

279 »Hier ist dein Bild,« sagt sie, »zum Abschied sollst du mir etwas draufschreiben.«

Ich habe nicht nötig, lange zu überlegen.

»Glück ist wie im Sturm das Laub,
Fliegt herbei und fliegt davon;
Wirbelt Gold und wirbelt Staub,
Greif nur zu, du packst es schon!«

Sie liest den Vers, legt das Album hin und schaut mich an.

»Greif nur zu, du packst es schon! So steht doch da?«

»Ja, so heißt es, Bettina. Frage Kilian Baudendistel!«

Da spreizt sie die Hände, beugt den Kopf nach rückwärts und sagt mit geschlossenen Augen: »Dann greif doch zu!!«

Da stehen wieder Schillers Werke. Duftendes, strohgelbes Haar. Schöne Lederbände. Ach, und diese warmen, weichen Lippen! Zum Kampf der Wagen und Gesänge – dein Mund, die Glut, das Feuer. Ibykus. Ich ersticke, Bettina! 280

 


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