Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Die Porzellanbrigitte

Hurrle geht mit dem Hund zum Wiesenbach, schöpft eine Handvoll Wasser, spritzt sie über ihn und deklamiert mit verkitschtem Pathos: »Wir wissen nicht, von wannen du kommst und wissen nicht, wie du heißest. Du bist ein fahrender Ritter ohne Nam' und Art und zu uns gekommen in der Nacht; ein haariger Wanderer aus dem Nichts. Ich taufe dich Lohengrin!«

Schüttet eine zweite Handvoll Wasser über ihn und gibt ihm einen verschrumpften Leberdärmling, den er bei einem Bauernmetzger zusammengebettelt hat. Der Hund macht eine einzige schnappende Bewegung und die Wurst ist gewesen. Er schüttelt das Wasser aus dem Fell und wedelt vergnügt mit dem struppigen Stummel; ich nehme an, er freut sich über seinen romantischen Namen.

Dann liegen wir zusammen auf der Wiese und faulenzen in den blauen Himmel hinein. Es ist ein Tag nach dem Herzen der ganzen Welt. Gott ist besonders freundlich gestimmt heute; man spürt, wie er mit unsichtbarer Hand durch die Millionen Gräser fährt.

Ein zufriedenes Glück summt in den Wiesen.

Lohengrin hat keine rechte Ruhe. Er geht jetzt ein wenig in den Wiesenbach und schlappt Wasser. Dann kommt er, setzt sich an meine Seite und schaut in die Luft, als ob er über etwas nachphilosophieren wollte. Er ist mit einem Male ganz melancholisch geworden.

»In Alaska,« sagt Hurrle, »habe ich mal ein zahmes Stinktier gehabt.«

»Stinktier?«

»Jawohl, Stinktier. Das war so zahm und so zutraulich; ich sage, das war so rücksichtsvoll und wohlerzogen, daß es nie in meiner Gegenwart gestunken hat.«

21 »Hurrle, das lügst du.«

»Ich lüge nicht, aber ich habe viel erlebt, und du bist und bleibst ein Linkmichel.«

»Und überhaupt, gibt's denn in Alaska Stinktiere?«

Hurrle gibt keine Antwort mehr; er wälzt sich auf die andere Seite. Er ist imstande und pennt hier in den goldenen Mittag hinein. Ich will ihn versöhnen und versuche es noch einmal.

»Du, Hurrle, wenn ich deine Pfeife rieche, muß ich an Alaska denken.«

»Wieso Alaska?«

»Na, weil dort die Stinktiere leben.«

Jetzt hat er genug. Er steht auf und streckt sich. Wühlt beide Hände in die Hosentaschen.

»Siehst du dort über dem Kornfeld den Kirchturm? Dorthin lenke ich jetzt meine Schritte und fechte uns was zum Abendbrot zusammen. Du kommst in zwei Stunden nach und schaust zu, daß du einen Schlummerkies zusammenkriegst. Ich glaube, wir haben Glück; ich habe vorhin von einem Schleusendeckel geträumt.«

»Schleusendeckel?«

»Schleusendeckel ist ein Fünfmarkstück. Du lernst es nie. Zwei Tage allein gelassen, bist du schon auf dem Drallewatsch. Du Muttersöhnchen.«

Er stapft durch die Wiese davon. Ich sehe ihn mitten in den rieselnden Gräsern. Einmal bleibt er stehen und wirkt wie eine spaßhafte Vogelscheuche. Ein warmer Wind ist aufgekommen und kämmt das Gras und die Kornfelder.

Dort geht Hurrle durch den blühenden Nachmittag. Über ihm segeln die weißen Wolken.

»Schau dir nur die Wolken an,« sage ich zu Lohengrin, »sie sind Wanderer wie wir.« Er hebt den Kopf und winselt einen leisen Ton. Ich weiß, er hat mich nicht recht verstanden und möchte, daß ich ihm alles genau erkläre. Er hebt eine Pfote hoch und schlägt nach mir, und wird dann plötzlich toll ausgelassen; als ob der Teufel in ihn gefahren wäre.

22 In jagenden Kurven, meteorähnlich, jagt er über die Wiese, beschreibt rasende Spiralen, duckt sich und schnellt mit allen Vieren in die Luft. Duckt sich wieder, aber so, daß jetzt das Hinterteil in die Luft steht, bellt in einer wilden, unbändigen Freude und wirft sich dann auf den Rücken, wo er sich brummend und behaglich jaulend wälzt.

Manchmal, wenn man über das Leben nachdenkt, findet man weder Weg noch Steg.

Ich will mit Lohengrin durch die webenden Wiesen nach dem Dorf gehen. In mir ist ein frohes Gefühl; so, als ob ich heute noch etwas Besonderes erleben müßte.

Im Dorf hat Hurrle wieder ein Ding gedreht. Auf dem Marktplatz finde ich ihn und das halbe Dorf ist um ihn versammelt.

Mitten auf dem Platz steht der Wagen mit dem dürren Gaul; das melancholische Gefährt, das in jener Morgendämmerung im Walde an uns vorübergezogen ist. Ein Geschirrwagen, ein fliegender Händler in Tassen und Tellern, Schüsseln, Töpfen und Blumenvasen. In der Tat, ein wandernder Porzellan- und Steingutladen. Was macht denn Hurrle bei dem Wagen? Ich sehe doch Hurrle dort stehen und in die gaffende Menge hineinreden. Um ihn zu überrumpeln, nähere ich mich von hinten ganz vorsichtig und stelle fest, daß Lohengrin plötzlich all seine Munterkeit eingebüßt hat und mit eingezogenem Schwanzstummel wie ein Bösewicht an meiner Seite schleicht. Was hat denn Lohengrin?

»Hallo, Harras!« höre ich eine Stimme.

Der Hund duckt sich und ich sehe ihn mit schwachem Wedeln, ein lebendiges böses Gewissen, auf ein schwarzhaariges Mädel zuschleichen.

»Harras, du Satan!«

»Der Hund heißt Lohengrin, mein Fräulein.«

Da lacht sie wild hinaus, wirft die Zottelhaare zurück und blitzt mich aus ihren kaffeebraunen Augen an. Ich kann in diesem Augenblick nichts erwidern, denn ich muß das Mädel anstarren, als ob es eine Erscheinung wäre. Meine Gedanken jagen 23 durcheinander und finden den Ausgang nicht. Wo und wann habe ich dieses Mädel gesehen? Unheimlich bekannt ist mir der freche Straßenwisch.

»Halt mal die Luft an, du: woher kenne ich dich denn?«

»Ich kenne dich nicht!«

»Ganz genau kenne ich dich. Du bist mir geradezu unheimlich bekannt.«

Immer noch grüble ich darüber nach. Ist es am Ende nur eine Ähnlichkeit, eine ganz unheimliche Ähnlichkeit?

»Harras, du kommst mit mir,« sagt sie und packt den Hund am Halsband.

»Ich behaupte, er heißt Lohengrin.«

»Bei dir piept's. Das ist unser Harras; der Lumpenkerl läuft uns immer davon.«

»Schnickschnack! Wer bist du denn?«

»Die Porzellanbrigitte.«

»Wer?!«

»Die Porzellanbrigitte. Dort steht unser Wagen.«

»Ach sooo!«

»Ja, ach sooo; du Mondkalb.«

Es ist nicht recht, daß sie ein solches Wort zu mir sagt; frech ist sie und lausbübisch, ich hätte Lust, sie an den Haaren zu ziehen, die appetitliche Schlampe. Sie lacht und kriegt Falten in die Nase.

»Du mußt wissen,« sagt sie jetzt und ist viel sittsamer geworden, »wir haben Harras selbst erst acht Tage. Ein Förster hat uns das Vieh geschenkt. Aber er läuft immer davon. Komm, Harras. Komm!«

»Du solltest mir den Hund lassen,« wage ich zu bitten.

»Von mir aus schon. Aber der Alte räsonniert.«

»Wer räsonniert?«

»Der Alte. Mein Vater.«

Solche Ausdrücke hat sie am Leib. Und außerdem hat sie ein gelbes Sommerkleid an. Der Fetzen ist verwaschen und 24 verschossen, aber man kann einer solchen Hexe anziehen, was man will, sie behält immer den Teufel im Leib. Schaut sie euch nur an, wie sie jetzt davontänzelt im gelben Flitsch und mit einem wehenden bunten Seidentuch um den Henkershals. Schaut sie euch nur genau an und stimmt mir zu, wenn ich sage, daß sie vom lieben Gott geschaffen wurde, um uns den Kopf zu verdrehen.

Übrigens fällt es Lohengrin gar nicht ein, mit ihr zu gehen. Er bleibt bei mir stehen und schaut mich mit einem unsagbar tiefen Hundeblick an. Und dieser rätselhafte Hundeblick ist voll dumpfer Ratlosigkeit.

»Lohengrin, du bleibst bei mir. Laß die schwarze Kanaille laufen.« Das hat er verstanden; er wird freudig bewegt; nicht nur der Schwanz, nein, der ganze Körper wedelt und krümmt sich. Er leckt meine Hand und dann stößt er einen kurzen, scharfen, sieghaften Bellton aus.

Da stehen wir auf dem belebten Platz, zwei Einsame, vom Wunder überfallen.

Die Porzellanbrigitte. Hol' sie der Teufel, sie kommt mir nicht mehr aus dem Sinn.

Einmal leuchtet es auf in mir; ich bin auf einer verwischten und verwaschenen Spur. Die Spur verliert sich.

So muß es mir ergehen. Ein freches Gewächs mit einem gelben Kleiderfähnlein, eine Porzellanbrigitte muß mir in den Weg laufen und meine Gedanken verwirren.

Wo ist sie denn eigentlich? Vor fünf Minuten noch hat sie hier vor mir gestanden und jetzt ist sie fort.

Bitte, wo ist sie? Es muß sich herausstellen, woher ich sie kenne. Ich vernehme das geschraubte Organ des alten Schauspielers, des Charakterkomikers, des Weltenbummlers Hurrle.

Hurrle hatte ich ganz vergessen. Hugo Hurrle.

Ach so, Hurrle! 25

 


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