Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Wer wirft denn hier mit Erdschollen?

Jetzt sind wir draußen zwischen den Ähren, zwischen den gelben, sinkenden Halmen.

Die Arbeit rauscht; man kann es nicht anders sagen. Es liegt ein Rauschen im blauen Morgen, und in dieses Rauschen hinein klingt metallisch das hämmernde Geräusch der Mähmaschine.

Die Sonne kommt höher und schon liegt eine trockene Hitze über den Feldern. Überall stehen die Fruchtgarben zum Trocknen.

Hurrle und ich werden zum Garbenbinden kommandiert.

Da sind sie jetzt alle, die ich kenne vom Abend in der Gesindestube. Da hockt er auf der Mähmaschine, der Lange, der aus dem Dachkandel saufen kann und ein Fratzenakrobat ist; da hockt er oben und schwingt die Peitsche und die Oldenburger stampfen über die Stoppeln und haben weiße Schaumflocken an den Mäulern. Ein herrlicher Anblick.

Der Trarabumm ist auch da; beim Erntewagen steht er und lädt die Garben vom Vortag auf. Und oben im gelben Halmenparadies thront die blonde Fränz und zeigt das Raubtiergebiß. Sie ist farbig gekleidet und trägt ein weißes Kopftuch. Oh, der Satan muß auch hier mit den Augen rollen, mitten im Aufladen, im Strohgeräusch und im Schwitzen.

Da rauscht und klappert die Maschine an mir vorüber; Pferdegeruch umwölkt mich, weiße Flocken wirbeln mir auf den Schilfleinenen; der gelbe Tod fährt sausend in die Halme. Schon ist der Lange vorüberkutschiert. Der Trarabumm, hager und dürr, einen zerfetzten Strohhut auf dem Zwiebelkopf, hängt eine Flasche mit Gesindewein an den Hals. Die beiden andern Mägde, die Eifersüchtigen, sind auch beim Binden, wir kommen ja kaum nach, so eilig hat es der Dachkandel.

So sinken die Felder um, und ich fühle, wie es mir naß über 168 den Rücken rinnt. Der satte, kräftige Ruch des Getreides schwängert die Luft; nie war ich so umbrandet von Arbeit, und nie stand ich so froh und kreuzlahm in des Herrgotts blauem Tag.

Einmal hält Hurrle inne und schaut mich verquollen an; gedunsene Säcke hängen unter seinen Augen.

»Du wirst dich vielleicht noch entsinnen,« sagt er und knotet die farbigen Erntestricke auseinander, »daß ich dir einmal das Zauberkunststück vom tanzenden Taler vormachte?«

»Natürlich, Hurrle. Sowas vergißt man nicht. Du hast einen Taler ins Bierglas geworfen und ihn im Glas tanzen lassen.«

»Stimmt! Richtig!« Er rafft die Kornähren und schichtet sie.

»Du wirst beistimmen, wenn ich sage, es ist ein ausgezeichneter Trick.«

»Ganz großartig, Hurrle. Ich habe gestaunt.«

Er schlingt einen roten Strick um die Frucht und schilcht mich von unten herauf an. Was will er denn?

»Dann bist du gewiß auch so ehrlich und gestehst, daß, an diesem Trick gemessen, dein Kreidepünktchen nur eine Bagatelle ist? Ich meine, dein Kreidepünktchen kann gegen meinen tanzenden Taler nicht aufkommen?«

»Nein, das kann es eigentlich nicht.«

»Du hast auch keine Ahnung, wie die Sache gemacht wird?«

»Nein, ich habe keine Ahnung. Ein wahres Wunder!«

»Siehst du!« Befriedigt stellt er die Garbe hoch und ich fahre unbekümmert fort, mit der Gabel zu schichten. Hurrle macht eine kleine Pause, legt mir eine Hand auf die Achsel und meint: »Wenn ich mich also herabließe, meinen tanzenden Taler gegen dein Kreidepünktchen auszutauschen, so hättest ohne Zweifel du das bessere Geschäft gemacht.«

Ich weiß es, das Kreidepünktchen bringt ihn um alle Lebensfreude, er träumt nachts davon.

»Hurrle, Ehrenwort ist Ehrenwort!«

»Du willst damit sagen, daß du den Tausch nicht eingehst? 169 Bitte, sage es ruhig heraus. Ich wollte dir nur einen Gefallen tun, aus alter Kollegialität, verstehst du?«

»Du bist ein prächtiger Mensch! Ich glaube, dort kommt der Herr Baron.«

»Ich würde noch meine amerikanische Tabakpfeife zulegen. Sie hat einen Wassersack und du – –«

»Der Herr Baron, Hurrle!«

Richtig, dort kommt er hoch zu Roß. Wie schneidig sieht er aus und jugendlich im ländlichen Anzug mit grünem Hut und langen Schaftstiefeln. Er reitet den Wallach Max, und nun er im englischen Trab über das Stoppelfeld daherkommt, ist er ganz Herr und Gutsbesitzer. Streng ist sein Gesicht, mit einem Blick überprüft er wie ein Feldherr das Gelände.

Ho, jetzt kommt noch mehr Dampf auf die Mähmaschine; die Pferde legen sich steifer ins Geschirr, der Dachkandel knallt mit der Peitsche, und der goldene Roggen sinkt in verschleierten Kaskaden nieder. Alle Hände rühren sich rascher, und oben auf dem getürmten Wagen steht die Fränz und stemmt beide Fäuste in die Hüften.

Der Herr Baron hält vorm Wagen; er greift nach den Ähren; er nimmt eine Ähre und zerreibt sie zwischen den flachen Händen. Die Fruchtkörner zählt er und prüft ihre Stärke; in die flache Hand bläst er, daß Spreu davonstiebt.

Er schaut auch hinauf zur Fränz. aber sein Blick bleibt ernst und streng; ihre blanken Zahnreihen kümmern ihn nicht, auch nicht die nackten Beine, die vom scharfen Stroh blutig geschrammt sind.

Er reitet das Feld ab, jeder Zoll ein Gutsherr; er kommt auch zu uns und bleibt eine Weile stehen.

Hurrle hat recht: auch sein Pferd kaut malmend auf dem Gebiß. Es spielt auch unaufhörlich mit den Ohren und schaut nach Lohengrin hin, der faul in der Sonne liegt. Es tänzelt auf allen Vieren und hat die Unruhe im Leib; schiebt den Kopf nach vorn, um aus dem schwachen Kandarendruck zu kommen; ein herrliches Tier ist Max.

170 »Na, kommt ihr zurecht?«

»Jawohl, Herr Baron.« Hurrle wischt den Handrücken über das beschweißte Gesicht und zieht eine furchtbare Fratze.

Der Baron lacht kurz und ich sehe, daß er einen Satz formt.

»Da ist mir eingefallen,« sagt er zu mir und kratzt sich das Kinn, »ist mir eingefallen, dich zu fragen: kannst du auch Weizenbier brauen? Ich hätte unter Umständen Lust, für mein Personal Weizenbier brauen zu lassen.«

Du lieber Gott, jetzt fängt er schon wieder mit dem Bier an.

»Sicher hast du schon Weizenbier gebraut?«

»Natürlich, Herr Baron. Nur, das Weizenbier soll ja, wie man sagt, nicht so bekömmlich sein.«

»Im Gegenteil, mein Lieber. Wir wollen das bald mal näher besprechen. Du kannst als Fachmann mir einen kleinen Kostenanschlag machen.«

Dann trabt er davon.

Hurrle stößt ein widerliches Lachen aus und gluckert anschließend behaglich in sich hinein wie ein Huhn beim Eierlegen.

»Ich trinke das Weizenbier auch gern. Es wird gut sein, Fabian, wenn du bald mit dem Brauen beginnst.«

Das beste, man gibt ihm keine Antwort und arbeitet weiter. Da trifft mich aber etwas an den Kopf. Es muß eine kleine Erdscholle gewesen sein.

»Ich verbitte mir, daß du mir Dreck um die Ohren wirfst!«

»Ich?! Wer wirft?«

»Na, du hast mich doch eben geworfen.«

»Fällt mir nicht ein!«

Wer hat mich denn geworfen, zum Teufel? Hat jemand gelacht? Wo denn? Im Kornfeld?

»Hat eben jemand gelacht, Hurrle?«

Er hat nichts gehört, ich aber glaube bestimmt, ein Lachen gehört zu haben.

Ein Wagen mit goldener Last schwankt davon; er schaukelt und schlingert wie ein phantastisches Schiff über den krummen 171 Ackerboden. Trarabumm, die Zügel gestrafft, stolpert an der Seite her, fuchtelt mit der Peitsche und stößt anfeuernde Rufe aus. Er kommt an uns vorbei. Pferdegeruch, Schweißdunst. Der Knecht spuckt durch die Zahnlücken, seine schiefen Augen sind gerötet, er schiebt den Zwiebelkopf aus den Schultern, daß die Muskelstricke über den Hals laufen! Wüa!! Wüa!! Ihr Sakramenter!

Die Arbeit rauscht. Die Mähmaschine, das fürchterliche Sensenungeheuer, klappert, und es ist, als ob einem gewaltigen Kopf die Haare geschnitten würden.

Die Fränz geht zum Binden. Mit den nackten, verschrammten Beinen streift sie an mir vorbei, ein gefangener Wildling; ein blonder Satan. Ein Brodem von Hitze strömt von ihr aus; die blonden Haare kommen unterm Kopftuch hervor; zügellos farbig und federnd geht sie durch den blauen Erntetag. Ich wundere mich nicht, wenn einer den Verstand verliert.

Da trifft mich doch schon wieder eine Erdscholle, ganz plötzlich und unerwartet.

»Fränz, wirfst du mit Erdschollen?«

»Wen? Dich?«

»Mir ist Dreck ins Gesicht geflogen.«

»Verrückter Kerl!«

Jetzt muß ich aber aufpassen. Fallen denn Erdschollen vom Himmel!? Die Fränz lacht, streunt über die Stoppeln und dampft ihre junge Witterung aus. Die Eifersüchtigen stecken die Köpfe zusammen.

Wir bleiben über Mittag draußen; das Essen wird uns gebracht. Schweinefleisch, Sauerkraut und Erbsenbrei. Und Gesindewein.

Fünf Minuten von den Feldern entfernt, fließt ein kleiner Bach; dort stehen einige Erlen und Weiden.

Wir lagern im dünnen Schatten und schaufeln das Essen in uns hinein; es ist ein lustiges Schmatzen und Schlingen, Lohengrin hat einen guten Tag. Man soll nicht glauben, daß wir hier sehr fein und gesittet essen; nein, wir hacken wacker drauflos und halten 172 die Schweinsknochen in Händen. Wir graben die Zähne ins Schwarzbrot und das Fett hängt uns um den eifrigen Mund. Aus der Flasche trinken wir, ich habe das in den Wäldern gelernt, man muß Luft zulassen, sonst kommt man zu kurz.

Nach dem Essen erhebe ich mich und schlendere nach den Feldern zu. Die Fränz, frech wie ein Rohrspatz, ruft mir noch nach: »Suchst gewiß jemand, der mit Erdschollen wirft. Ha ha ha, dir fallen noch die Sterne vom Himmel.«

Laßt sie nur reden, ich gehe, und Lohengrin geht mit mir.

Noch eine halbe Stunde habe ich Zeit, da will ich mich an ein Kornfeld legen und die Wolken über mich hinwegziehen lassen. Nebenbei: ich könnte es gut und gerne beschwören, daß jemand mit Erdschollen nach mir geworfen hat. 173

 


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