Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Hoppla, ein Meerschweinchen!

Wir fahren gegen fünf Uhr mit einer mächtigen Kornfuhre dem Gutshof zu. Wer sitzt denn oben drauf und treibt Allotria, wer lümmelt auf den Garben und hat krause Späne im Kopf? Wer anders als die Fränz und Hurrle und ich. Dieser Duft von Stroh und Schweiß und Pferd! Manchmal auf der schwankenden, schaukelnden Fahrt streifen wir die Äste der Obstbäume, die an der Landstraße stehen; Halme bleiben an den Zweigen hängen, und wir haben selbst aufzupassen, daß wir nicht wie bekannte Bibelgestalten an den Bäumen baumeln.

Lohengrin unten bellt freudig in den Abend hinein. Der Trarabumm. Wüa! Wüa! Wankend, schwankend wie ein alter Kutter bei Südwest, rumpelt die Teufelsfuhre weiter.

Eine Hupe bellt hinter uns her; eine Autohupe ist es, die wie besessen loslegt. Rechts fahren, ganz rechts, die Straße ist eng und wir haben breite Überfracht.

Tooo! rototoo! Zui zui zui! Eine Kompressionspfeife.

Donnerwetter, noch mehr rechts!

Was kommt denn da hinter uns her? Das sind zwei Wagen; zwei blaugestrichene große Wagen, ein Omnibus und ein Lastwagen, schreiend in den Farben.

Der Trarabumm flucht. Die Peitsche schebbert.

»Vorfahren lassen!«

»Geht nicht; zu eng!«

»Vorfahren!«

»Donnerwetter, Blitz Kanonenschlag!!«

Der Knecht treibt noch mehr rechts, der Kornwagen streift die Stämme. Der blaue Omnibus quetscht sich in die freie Gasse, die Kornhalme rauschen und knistern an der Seitenwand.

Jemand ruft, schimpft, flucht. Eine Bremse kreischt.

183 Hoppla, da liegt die Benzinkutsche im Acker.

Da liegt sie und streckt alle Viere von sich. Zum Kranklachen.

Im Wirbel dieses Ereignisses höre ich eine brüllende Stimme. Das pathetische Organ Hurrle's vernehme ich.

»Ein Meerschweinchen!« so trompetet er los. »Das ist bei allen Musensöhnen, ein Meerschweinchen!!«

Schon ist er vom Wagen herunter und rennt in den Acker, wo die gestürzte Herrlichkeit liegt. Ich komme sofort hinterher. Der zweite blaue Wagen hält mit jammernden Bremsen.

»Ein Meerschweinchen! Gott helfe mir, die Hexenküche ist ausgebrochen. Die Schminketöpfe rücken an.«

Jetzt quält es sich aus den Türen und Fenstern des umgekippten Omnibuswagens. Wie Eidechsen und Gewürm kommt es ans Tageslicht gekrochen. Männlein und Weiblein, sommerlich bohemehaft gekleidet. Schreien und Heulen, Jammern und Schimpfen.

Hurrle, im Schilfleinenen, den mächtigen Strohhut auf dem Komödiantenschädel, ist in ganz großer Fahrt.

»Mensch,« ruft er, »schau sie dir an, wie sie da herumkrauchen. Lauter Affen von der Schmiere; lauter Schminkeritter und Perückenhühner.«

Es ist nichts passiert. Mir scheint, alle sind heil geblieben. Nein, dort lehnt einer gegen die Wagenwand und ist blaß wie verschlafenes Bäckerbrot. Er blutet an der Stirn, man muß ihm helfen.

Also eine kleine Katastrophe. Man wird davon in den Zeitungen lesen.

O Sonne, da kommt der Herr Intendant. Nein, er kommt nicht, er tritt auf; er wächst mit großer Szene in die Walstatt hinein; schade, daß er keinen Radmantel trägt. Auch sollte er nach Lavendel duften. Wo anders könnte er Halt machen und zum Dialog ansetzen, als vor Hugo Hurrle. Er ist ein wenig ramponiert vom Sturz; die letzten Haare hängen wirr über die faltige Stirn. Die Krawatte ist halb unter die Weste gerutscht.

Weit fährt der Arm mit der flachen Hand durch die Luft. Ich 184 höre, er spricht die klassisch gehobene Sprache mit dem fürchterlich gerollten R; er ist der waschechte Schmierendirektor. Ein Wallenstein.

»Freund aus dem Korn,« hebt er an und zieht Luft ein, »unbestreitbar liegen wir hier in eines Ackers Furche. Ein Unglück ist vom Himmel abgewendet, nur mein Charakterheld, er blutet aus den Schläfen. Gut, ihm die Binde umzulegen.«

Hugo Hurrle, gerührt schluckend und weich gestimmt ob soviel Theaterluft, wird ebenfalls geschwollen, zieht den Strohhut und streckt dem wandernden Intendanten die Rechte hin.

»Herr Intendant, mich rührt der gestürzte Anblick bis ins Innerste. Ich bestaune diese turbulente Regie. Wenn Sie so weitermachen, wird es Vorhänge regnen. Mein Name Hugo Hurrle.«

Und er schwenkt den Hut. Der Talentpächter stippt sich mit dem Finger auf die tragische Stirn und grübelt meisterhaft.

»Hugo Hurrle? Hurrle Hugo?! Nicht fremd ist mir der Name. Ich muß ihn irgendwo gelesen haben. Das Unglück hier verschleiert mein Gedächtnis.«

Schiebt eine Zigarette in den Mundwinkel und setzt sie schwungvoll in Brand.

Hurrle redet unsagbaren Mist.

»Der Sturz im Acker wird den Ruhm vermehren. Oft ist das Pech die Pforte zum Erfolg. Noch selten sah ich, daß die Kunst der Masken in diesem Maße alle Viere streckte. Wohin des Wegs mit Musenstall und Mimen? Verzeihet, doch der Schlips ist Euch gerutscht.«

»Das Schicksal will es, daß ich zögern muß. Das ist von Schiller, nicht von mir.«

Und fingert am gerutschten Schlips herum.

Hurrle, nach Schweiß duftend, sucht nach einem Zitat, findet keins und bricht selbst eins vom Zaun.

»Das Auto stürzt, es ändert sich die Zeit; was drinnen lebt, es kriecht aus der Ruine. Nur teilweise von Schiller.«

185 Man sieht, die beiden verzapfen einen heillosen Blödsinn. Viel besser wäre es, man würde versuchen, die Karre wieder hochzukriegen. Ich stelle fest, daß sie sanft sich auf die weiche Ackererde gelegt und nur ein paar Dickrüben zerquetscht hat. Das Mimenvölkchen selbst läuft plappernd wirr durcheinander. Der Chauffeur des Wagens hat einen Verbandkasten gebracht und wickelt soeben dem verwundeten Komiker eine Mullbinde um den Kopf.

Es ist ein herzhafter Aufruhr. Das technische Personal trifft Anstalten, mit Winden und Hebeln dem Unglückswagen zu Leibe zu rücken. Das Theatervölkchen beginnt schon wieder zu lachen und Dummheiten zu machen. Sie qualmen Zigaretten und balgen sich im Acker herum. Einer geht mit der Fränz hinter den Kornwagen.

Hurrle ist mitten im schönsten Fahrwasser. Er riecht die Schminke und den Kulissenstaub; er ist verwandelt von Grund auf, seine Bewegungen werden gespreizt, ganz neue Muskeln scheinen in Tätigkeit zu treten, beim Gehen wippt er auf den Sohlen. Schaut mir nur den Kornarbeiter an!

»Herr Intendant, vergönnt mir die Frage: wo soll der Jammerfetzen steigen?«

»In der nächsten kleinen Stadt, der Herr im Himmel mag mir ihren Namen nennen.«

»Am Ende gar in Wiesental?«

»Nicht anders heißt der Ort, wo die Komödie steigen soll.«

»Komödie, oh, mir bricht das Herz. Komm, Freund, und ordne die Perücke.«

Der Intendant streicht sich die dünnen Haare aus der Stirn; er zieht die Weste glatt und lüftet den schwarzen Rock.

»Komödie? Hab' ich's recht verstanden? Von Moliere, Raimund oder Kleist?«

»Mit nichten, Freund. Vom großen Briten.«

»Von Shakespeare?!«

»Getroffen!«

186 Hurrle prallt zurück und wankt auf seinen Beinen; er wendet sich um nach mir und starrt mich an. Kleine Perlen stehen glitzernd auf seiner Stirn. Er spuckt wie ein Kanalarbeiter.

»Hast du's vernommen, Fabian? Vom großen Briten. Wenn er jetzt noch ›Was ihr wollt‹ sagt, bin ich verloren!«

Da steht er auch schon nahe bei uns, der Alte und inhaliert den Zigarettenrauch. Bläst mir den Dunst ins Gesicht und ich wittere penetrante Kulissenluft.

»›Was ihr wollt‹, so das Narrenspiel ihr kennt.«

Hurrle zittert; sein Gesicht verzerrt sich zur Grimasse, er lacht kurz meckernd hinaus. Die Arme heben sich; gespreizte Finger zittern.

»Ob wir's kennen?! Nein, wir kennen's nicht. Verzeiht, man kann nicht alles kennen. He he he he, bin ich allwissend, Fabian, wie? Wie sollte ich diese Komödie kennen! Was, Fabian, hee, du Malz- und Hopfenhüpfer, hee, so rede doch!«

»Ein lustig Stück,« sage ich und stelle mich dumm, »gewiß ein Stück zum Kranklachen. Kommt auch der Teufel vor?«

Der Intendant wächst, seine Brust bläht sich, er drückt das Kinn auf den Hals und quetscht den Mund breit.

»Nicht anders zu erwarten, wenn man solchen Junker Tobias hat wie ich. Er legt ihn hin, daß euch die Augen tränen.«

Hurrle atmet rasch, man hört Luft zischend durch die Nase strömen.

»Den Junker?« stottert er. »Ich kann mir's denken, ho ho hoo. Ein Junker, das muß lustig sein. Das ist gewiß eine saftige Rolle?«

»Mit einer Kanone habe ich ihn besetzt.«

»Und wo, wenn ich fragen darf, ist die Kanone?«

Der Intendant wendet sich und streckt den Arm aus.

»Der Mann im Blut dort, mit der weißen Binde.«

Hurrle wendet sich, sieht den verwundeten Mimen an einen Holzapfelbaum gelehnt und wankt auf ihn zu.

»Ihr seid verwundet, mein Junker Tobias? Laßt Euch 187 bestaunen, Freund, von einem Mann, der aus den Halmen kommt.«

Was redet er da? Von einem Mann, der aus den Halmen kommt?! Ist er denn besessen? Gut, hinüberzugehen und aufzupassen, daß er uns nicht verrät und verkauft.

Von einem Mann, der aus den Halmen kommt! Greuliches Gewäsche!

»Zum Kotzen!« deklamiert der Komiker mit der blutigen Stirnbinde. Übrigens scheint ihm wirklich übel zu sein; er ist gelb im Gesicht und muß immerfort spucken.

Es quietscht hinter der Kornfuhre; dort hat der jugendliche Held die verteufelte Fränz umhalst; wie eine junge Fliege geht er auf den Leim. Ein Klümpchen Mimenvolk hockt lustig geballt im Straßengraben und ist vergnügt wie hundert Sonnentage. Die Heldenmutter schlägt die Karten und lockt die Zukunft aus den Sternen.

»Gebt was zu trinken!« ruft der Verwundete, läßt Kopf und Arme baumeln und wird immer gelber im Gesicht.

Hurrle wendet sich und ruft: »Gebt her den Krug mit edlem Muskateller!«

Dann gerät der Unselige in die Komödie, torkelt über die Straße und randaliert versoffen rülpsend: »Ein falscher Schluß, mir so zuwider wie 'ne leere Kanne. Heda, Marie! Ein Stübchen Wein!«

Der Trarabumm, beim gestürzten Auto beschäftigt, hat noch ein wenig sauren Most im Krug. Hurrle schüttelt das Gefäß und setzt es dem Kollegen an den Hals.

»Kind Gottes und Ausgeburt der Hölle, das ist Salpetersäure! Pfui Teufel, gib noch mehr!«

Er läßt sich am Baum herunterrutschen und sitzt nun auf der Erde. Das Kinn hängt ihm über die Krawatte. Vom Rübenacker kommt Gesang. Dort sitzt ein gefährliches Paar unter der scheidenden Sonne. Der Jugendliche will die Fränz betören, hat die Mandoline umgehängt, zieht Narrenfratzen und intoniert den Epilog: 188

»Als ich ein winzig Bübchen war
Hop heisa, bei Regen und Wind;
Da machten zwei nur eben ein Paar.«

Die neue große Szene aber macht diesem leichtsinnigen Idyll rasch ein Ende. Da kommt nämlich etwas über die Felder gebraust; da naht, daß die Ackerschollen spritzen, ein Ritter Sausewind. Das ist niemand anders als der Herr Baron Maximilian von Bernau auf seinem Roß Max. Und Maxens Mähne weht im Sturmwind des Linksgalopps; er wiehert laut und die weißen Flocken flattern schaumig aus dem edlen Maul.

Königlich zu Roß, hält der Baron mitten unter dem geschäftigen Aufruhr, ein Herr über Felder und Wälder, ein Befehlsgewaltiger im sommerlichen Erntetag.

Übrigens kennt er den Talentpächter. Er schwingt sich vom Roß und kommt freudestrahlend auf den ausgekochten Komödianten zu.

»Ho ho hei ha ha! Sie haben Pech gehabt?«

Der Intendant entschleiert sein Gesicht. Ölige Freude tropft aus den Augen.

»Mein Freund und Gönner, laßt die Hand Euch drücken. Seht auf den Schauplatz dieser Scherben hier.«

»Ist denn etwas passiert?« Der Baron schaut sich um.

»Mein Junker Tobias dort hat seine Schramme weg.«

Wie immer, wenn der Herr Baron erscheint, kommt mehr Leben in Mensch und Tier. Das wimmelt geschäftig durcheinander, die Pferde vorm Kornwagen stampfen, die Hebewinden kreischen lauter, die Kartenlegerin sprudelt ihre Weissagungen aus und das Paar aus dem Rübenacker ist zerflattert wie ein gestörtes Spatzenduett.

Der Herr Baron, nicht anders zu erwarten, trifft kurze und knappe Anordnungen.

Der Knecht, die Fränz und ich, der Bierbrauer, wir müssen mit dem Kornwagen sofort nach Hause fahren. Hurrle und zwei 189 Mäher bleiben zur Hilfeleistung. Der Baron selbst will einen Endsport nach Hause reiten und ein Auto kommandieren.

»Spuckt in die Hände, los! Dampf und Katzendreck!«

Er stöbert das müßige Gesindel auf. Lohengrin bellt, die Pferde schnauben.

»Wüa!« ruft der Baron und die Peitsche knallt. Da bin ich auch schon oben auf dem Korn. Und die Fränz?

»Fränz!« rufe ich, »du solltest dich sputen, wir sind am Starten.« Was macht denn der Herr Baron Maximilian von Bernau? Auf die Fränz geht er mit wildem Augenrollen zu, als wollte er sie wie ein Karnickel fangen.

»Bist du noch nicht oben?«

Packt sie mit derben Fäusten, hebt sie hoch und wippt mit wuchtigem Schwung das kreischende und zappelnde Bündel auf den hochbeladenen Wagen hinauf. In mächtigem Bogen, röckeflatternd und beinestrampelnd fliegt sie durch die Luft und landet auf den knisternden Garben.

»Ho ho hei ha ha!«

Auf das Roß Max hinauf und wie Blücher über die Äcker davon. Seht ihr, wie die Hufe silbern blinken! Trarabumm, fahre zu! Ho ho hei ha ha!

Der Held mit der Mandoline stolziert noch hinter dem schwankenden Wagen her und wimmert zur Fränz hinauf, die an einem sauren Mostapfel kaut:

»Und als ich, ach, ein Weib tät frei'n,
Hop heisa, bei Regen und Wind. –« 190

 


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