Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Ein Mann namens Fabian Flox

Was ist denn nun eigentlich ein Zinkenpflanzer? Ich habe es selbst nicht gewußt; nun ich es weiß, will ich es auch andern verraten. Ein Zinkenpflanzer ist ein Stempelfälscher; ein Mann, der Pässe fälscht, Stempel der Behörde nachmacht und neue Pässe aus dem Nichts wachsen läßt. Er arbeitet mit Gummistempel, mit Farbe und Radiermesser. Kilian Baudendistel ist ein solcher Zinkenpflanzer.

Er hat, ich erkenne das jetzt deutlich, die Absicht, einen andern Menschen aus mir zu machen, mich umzutaufen, weil er vermutet, daß der alte Adam, der vor ihm hier im grünen Wiesengrase sitzt, irgend etwas auf dem Kerbholz hat. Ein neuer Mensch soll in mir auferstehen, das meint er mit der Wiedergeburt.

Solch ein gerissener Kerl ist der Mann mit dem Hexenschußmagneten. Er hockt im Gras wie eine monströse Zykade, jeden Augenblick bin ich gewärtig, daß er einen fabelhaften Sprung tut und hinterher wie eine Heuschrecke geigt. Die Knie hat er hochgezogen, das Kinn ist auf die Gelenkkugeln gestützt, die durch die verschlappten Hosen stoßen. Achtung, er schnellt mit dem Sprunggelenkmechanismus über den Wiesenbach.

Nein, er tut es nicht; vielmehr zupft er aus dem verborgensten Futter der Weste Nummer zwei ein Päckchen Papiere hervor, blättert darin und zeigt mir einen alten, schmierigen Wanderpaß.

»Mein Lieber, es war nicht leicht, zu diesem Fetzen zu kommen.«

»Was hast du denn da?«

»Eine prima Fleppe. Wie geschaffen für dich. Du bist noch keine fünfundzwanzig Jahre alt. Der hier war vierundsechzig.«

»Der soll für mich wie geschaffen sein?«

»Linkmichel. Ich habe die Geburtsstunden sinnreich korrigiert. 94 Geboren 1909. Und ein Photo habe ich hineingepappt, das für jeden paßt, der sich manchmal rasiert. Du kannst Gott danken, daß ich zufällig diese prima Fleppe greifbar habe.«

»Was soll ich damit?«

»Du Narr! Hier findest du den denkbar besten Unterschlupf. Du bist ein anderer. Der Alte ist tot; fort; verdunstet. Wenn du in den Spiegel schaust, guckt dich ein neues Mannsbild an. Du bist mit einem Schlag märchenhaft verwandelt, bist in einen andern hineingeschlupft. Begreifst du das nicht?«

»Doch, ich fange an, zu begreifen.«

In mir wird plötzlich eine abenteuerliche Lust wach, solche Vertauschung einmal mitzumachen; es erscheint mir ungemein belustigend, meine Geburt, meine Herkunft, meine Persönlichkeit zu vertauschen. Tobende Spannung liegt für mich in dem Gedanken, daß ich plötzlich versinke, vernichtet werde, nicht mehr gegenwärtig bin und daß aus meiner Asche ein anderer steigt, der nunmehr zu waghalsigen Unternehmungen die jungen Flügel weitet.

Die Zykade dreht das Köpfchen und verschrumpft den Mund. So im Gras sitzend und mit eckigen Gliedergelenken lauernd, wäre es angebracht, wenn ihm lange Fühlhörner wüchsen, unablässig bewegte, schlanke Wedel, die wie seine Peitschenstiele in der Luft umhertasten.

»Ein Hundeglück, daß du mir begegnet bist. In fünf Minuten bist du ein anderer; du hast einen andern Namen und einen andern Beruf. Mein Genie hat dich blitzhaft verwandelt.«

Hoppla, denke ich, jetzt wird er aber einen Sprung tun. Nein, er klopft mit den Knochenfingern auf das Papier.

»Dieser da ist mit Tod abgegangen. Er wird dir nicht mehr in die Quere kommen.«

»Er hat also auch einmal gelebt?«

»Natürlich. Die Fleppe ist echt, nur von mir frisiert.«

»Ach so. Der hat gelebt?!«

»So wahr ich hier sitze. Aber er ist hinüber, du kannst es mir glauben. Ich habe vor seiner eignen Leiche gestanden.«

95 »Grausig.«

»Du Äffchen. Er hat lange gelebt und lebt in dir noch weiter. Du bist nicht mehr du; du bist er.«

»Bitte noch einmal.«

»Du bist der tote er und nicht mehr du; und der tote er ist der lebendige du. Hast du's begriffen.«

»Natürlich, das scheint mir in der Tat genial.«

»Du mußt nun fortan tun, als ob du er wärst und darfst nicht mehr tun als ob du du wärst.«

»Aha! Der lebendige ich tut wie der lebendige er, der aber in Wirklichkeit tot ist.«

»Ganz richtig.«

»Und wie, bitte, heiße ich? Und was bin ich.«

Baudendistel öffnet den schmutzigen Fetzen Papier, hält ihn mir hin und stößt den dürren Zeigefinger drauf.

»Fabian Flox! Du bist ein Mann namens Fabian Flox.«

»Ein Mann namens Fabian Flox.«

»Religion Elementenfärber.«

»Elementenfärber? Was ist das?«

»Bierbrauer.«

»Ach Gott! Bin ich dafür nicht zu mager?«

»Du mußt dir das nicht so schwer vorstellen. Ein bißchen Komödie spielen wirst du ja können.«

»Mau sollte es meinen. Zeige mal her! Ich heiße also jetzt Fabian Flox. Mir ist recht eigentümlich zumute in meiner neuen Haut. Schon kommst du mir wie eine Hopfenstange vor.«

Da halte ich meine neuen Personalien in der Hand. Fettig sind sie und herrlich abgegriffen und mit Stempeln mancherlei Behörden interessant beschmiert. Genau steht hier verzeichnet, wer ich bin. Wenn jemand sich einbilden sollte, ich sei der Komödiant Stephan von der Wieden, so irrt er sich gewaltig. Meine lieben Freunde, das war einmal. Ein Spuk war es, ein qualvoller Schattentanz. Mir wird mit einem Schlage offenbar, wieviel Demütigungen ich erdulden mußte; wieviel Ränkespiel und Neid, 96 wieviel Eifersucht und Rollenjägerei wie eine schmutzige Brandung an mir hochgeschäumt sind; wie zweifelhaft beneidenswert mein Leben gewesen ist. Ach, das steht nun vor mir und wird mir herzzerbrechend lebendig. Von dieser Stunde an, ha ha ha, ist es anders. Wenn ich mich jetzt aus dem Gras erhebe, dann steht ein Mann namens Fabian Flox hier am Wiesenbach; hee, Lohengrin, begreifst du die sinnvolle Verwandlung? Schau dir den Mann an, der hier spinnendürr an unserer Seite kauert und das Kinn mit dem krausen Bärtchen lustig bewegt. Er trägt einen Hufeisenmagneten gegen Hexenschuß und Blitzgefahr; beim Gewicht von 77 Pfund mißt er 1 Meter 86 und hat drei Westen am ausgemergelten Arm. Aber er ist ein Spiegelfechter, ein gottvoller Illusionist; er läßt Menschen verschwinden und neue auferstehen. Er ist die herrlichste Variante einer Zykade und hat im Handumdrehen einen Bierbrauer aus mir gemacht. Man muß ihn bewundern.

»Und was bin ich schuldig, Herr Baudendistel? Darf ich um gütige Liquidation für Ihre Bemühungen bitten?«

Der Zinkenpflanzer überlegt eine Weile; dabei fallen ihm die faltigen Deckel über die Vogelaugen.

»Normaler und reeller Preis für Ia prima Fleppe ist zehn Mark.«

»Autsch!«

»Geduld, Freund. Du bist ein Kuriosum und hast Buchen gefällt. Du zottelst mit einer struppigen Bestie über die gebrannten Mandeln der Dörfer. Ich räume dir einen Rabatt ein. Einen Schleusendeckel und ich rede dich beim Barte der Säulenheiligen fortan mit Fabian Flox an. Vorwärts, zücke die Asche!«

Ich zahle und heiße Fabian. Viel Glück auf der Fahrt.

»So, gemacht. Und jetzt vergiß den alten Adam. Radiere die Vergangenheit aus. Ich gratuliere zur Geburt.«

»Da ist etwas, Herr Baudendistel, das möchte ich nicht ausradieren. Das ist mir so merkwürdig tief ins Herz gegraben.«

»Gewiß ein Liebesgesäusel. Eine honigsüße 97 Glanzpapierangelegenheit. Ich will den Wiesenbach leersaufen, wenn ich nicht recht habe, himmelblauer Jüngling du!«

»Nicht himmelblau, aber strohgelb. Du wirst das nicht verstehen. Du mußt dir eine junge schöne Dame denken, eine vornehme Dame kann ich wohl behaupten; sie hatte ein Auge auf mich. Ein Vorhangauge. Sie hat mich so angeschaut, daß ich sie nicht mehr vergessen kann. Glaube mir, es gibt unsichtbare Fäden, die sich zwischen wildfremden Menschen spannen. Ich bin ihr nachts begegnet, auf einem großen lichtübergossenen Platz; in einem Auto saß sie und sagte zu mir: Sie kommen mir so merkwürdig bekannt vor. Mir ist, als ob ich Sie schon einmal irgendwo gesehen hätte. Und dann hat sie mir eine silberne Mark geschenkt; zum Andenken, weißt du, nur zum Andenken; du mußt nicht glauben, daß sie mir etwa Geld schenken wollte. Seit ich diese junge vornehme Dame gesehen habe, muß ich immer hinter ihr herwandern. Wohin ich wandere, immer wandere ich wie ein Wild hinter ihrer Spur her. Ich hänge geradezu an einem Faden. Schau mich mal an: mache ich eigentlich einen verkommenen Eindruck?«

»Eigentlich nicht. Ich kann mir denken, daß sich eine Gräfin mit elf Zacken in der Krone in dich verliebt.«

»Den Silberling nämlich habe ich wieder weiterverschenkt, ich weiß selbst nicht, warum. An ein Mädel habe ich ihn verschenkt, an einen lustigen Fetzen Leben, an eine tolle Brigitte.«

Mir ist mit einemmal, ich müsse der Zykade mein ganzes Herz ausschütten. Ich nestle den Rucksack auf und ziehe den Bunzlauer Teller hervor.

»Verstehst du etwas von Porzellan? Voraussichtlich nichts. Betrachte dir den Teller genau. Er stammt aus Bunzlau. Ich bin gewiß, es ist ein wertvoller Teller. Umsonst ist das Glück.«

Er hat den Bunzlauer in der Hand. Er betrachtet und wendet ihn. Ganz unverhofft kommt das Meckerstimmchen, das Ziegenstimmchen, das Bauchrednerstimmchen. Und singt knarrend, ganz von fern, wie im Gebüsch verborgen. 98

Ich bin gewandert mit den Winden
Von morgens früh bis abends spat.
Ein wenig Glück nur möcht' ich finden,
Ein wenig Glück auf meinem Pfad.

Das ist ja großartig, wie das Fistelstimmchen singt; ich möchte mir das Lied gleich merken.

»Wie schön du das fertig bringst.«

»Wenn's über mich kommt, dann singe ich dir wie ein Hänfling. Den Teller da schleppst du mit in der Landschaft herum?«

»Ich sage dir doch, es ist ein wertvoller Teller. Man muß nur das nötige Porzellanverständnis haben.«

»Er scheint mir aus Steingut.«

»Was heißt Steingut! Hast du etwas gegen Steingut? Was ich sagen wollte: den Teller hat mir das Mädel geschenkt und ich habe ihr dafür meinen Silberling gegeben. Warum, das ist mir erst später klar geworden.«

»Na und?«

»Diese Brigitte hat eine ganz verborgene Ähnlichkeit gehabt mit jener schönen vornehmen Dame, die ich nicht mehr vergessen kann und der ich irgendwann wieder einmal begegnen werde.«

»Natürlich wirst du ihr begegnen. Die Welt ist so klein, mein lieber Fabian Flox. Und jetzt gebe ich dir den Rat, dich auf die Socken zu machen. Wir müssen uns vorläufig trennen. Von wegen der Wiedergeburt. Du verstehst? Ich könnte in einen falschen Verdacht kommen. Hier wächst, wie du siehst, schöner Huflattich. Stopfe dir etwas davon in den Rucksack. Ein prima Mittel gegen die Bienen. Ich garantiere dir, wenn du dich vorm Pennen damit einreibst, dann nehmen alle Eidgenossen Reißaus.«

»Na, dann will ich also gehen. Lohengrin, auf, laß uns Abschied nehmen.«

Ich strecke Kilian Baudendistel die Hand hin; er bleibt im Gras hocken und schnellt die Winkelkonstruktion seiner Arme nach mir.

»Glück auf der Fahrt.«

99 So gehe ich also mit Lohengrin über die Wiese, der Landstraße zu. Durch die hohen Gräser stapfe ich, ein Mann namens Fabian Flox und seines Berufes Bierbrauer. Um mich blühen die tausend Gräser und aus dem nahen Wald kommen schon die Gesänge des Abends. Es ist ein großer, einsamer Tag, der sich anschickt, in die Vergangenheit zu tauchen wie in ein Schattenmeer. Auch er ist ein Wanderer wie ich, dieser Tag mit seinem Glanz und mit seiner nie verlöschenden Sehnsucht.

Horch auf, die Zykade singt; nicht mit der Bauchstimme singt sie, sondern frei und aus offener Kehle. 77 Pfund und eine so schöne Tenorstimme.

Glück ist wie im Sturm das Laub;
Fliegt herbei und fliegt davon;
Wirbelt Gold und wirbelt Staub;
Greif nur zu, du packst es schon!

Man soll nicht traurig werden, wenn man der Dämmerung entgegenschreitet; nein, man soll singen und Freund sein den wachsenden Schatten.

Ich will mich noch einmal umschauen nach dem Zinkenpflanzer. Dort sitzt das humorvolle Monstrum immer noch im Grase; dort sitzt die Zykade und ich warte darauf, daß sie endlich einen Zickzacksprung über den Wiesenbach tut.

Aber nein, die Zykade singt. Deutlich kann ich die Worte verstehen.

Die Welt ist groß mit ihrer Ferne,
Die Welt ist klein, man glaubt es kaum;
Das Glück ist nah und weit wie Sterne,
Ach, alles Glück ist nur ein Traum.

In mir wird ein schmerzliches Gefühl wach. Es übermannt mich und ich weiß nicht, warum. Ich muß weinen. Immerfort muß ich weinen, während ich mit Lohengrin dem nahen Wald entgegenschreite. 100

 


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