Hans Bethge
Der gelbe Kater
Hans Bethge

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Der Duft

» . . . ist das nicht merkwürdig?«

»Mir ist noch viel Merkwürdigeres passirt, liebster Freund. Höre zu:

Ich hatte eines Sommers vorübergehend in einem kleinen mitteldeutschen Dorfe zu tun. Die Angelegenheit war nach einigen Stunden wider Erwarten gut erledigt. Ich sass des Abends allein auf meinem Zimmer im Gasthaus und las eine Zeitung. Es war unerträglich schwül in dem Zimmer, denn es lag unmittelbar unter dem Dach, und wir lebten in den Hundstagen. Ich hielt es endlich nicht mehr aus und beschloss, einen Spazirgang ins Freie zu machen. Die Nacht war dunkel, kein Mond, kein Stern. Ich tastete mich die Dorfstrasse entlang und gelangte auf eine Chaussee, die durch die Äcker führte. Die Pappeln an beiden Seiten konnte ich noch deutlich unterscheiden, aber auch nicht mehr, alles Andere war schwarz wie Kohle. Es war kühler hier draussen, jedoch ganz windstill. Auch sonst regte sich nichts. Nur einen Hund hörte ich ein paarmal hinter mir im Dorf anschlagen und mit den Ketten rasseln.

Plötzlich musste ich stehen bleiben. Was war das? Ein Duft drang auf mich ein, – oder war es etwas Anderes? Nein, es war ein Duft, es war nicht anders möglich, – aber welch ein Duft! So etwas hatte ich noch nicht verspürt. Ich 43 bin bei Nacht durch Gärten voll Jasmin und Rosen gewandert und habe mich an der Blütenfülle Andalusiens berauscht. Aber was bedeutete das Alles gegen dies?

Ich kann es nicht schildern. Ich glaubte steigenden Orgelklang zu hören und sah blendende Verzückungen vom Himmel niedertaumeln. Ich schmeckte alle Süssigkeiten aller höchsten Wonnen und empfand ein Unendliches, das ich nicht fassen konnte, und sank in die Kniee.

Ich weiss nicht, wie lange ich so in Betäubung lag. Endlich erhob ich mich und schlich, innen voll Jubel und Licht, äusserlich ermattet, in mein Zimmer zurück. Ich schlief die Nacht so tief wie ich selten im Leben geschlafen habe. Der Hausknecht hatte am folgenden Morgen grosse Mühe mich zu ermuntern. Als ich mich dann erhoben hatte, schritt ich schnurstracks zum Bahnhof und fuhr ab. Ich vermied es, auch nur einen Blick in jene Gegend zu werfen, wo ich das Wunder erfahren hatte. Ich wollte nicht wissen, was es war. Ja, ich hatte beinahe Furcht davor.«

»Das war sehr töricht. Ich hätte ihm unbedingt nachgespürt.«

»Nein, es ist besser so. Denn ich weiss genau, dass es ein Nichts gewesen wäre. Oder etwas sehr Hässliches. Ein Misthaufen vielleicht.«

»Aber ich bitte Dich. Es ist doch nicht ausgeschlossen, ja es ist sogar wahrscheinlich, dass es etwas ungemein Kostbares war. Ein seltener Baum vielleicht oder eine seltene Blume.«

»Nein, nein, nein, guter Freund. So etwas giebt's dort nicht. Dort giebt's nur Misthaufen, ich versichere Dich.«

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