Hans Bethge
Der gelbe Kater
Hans Bethge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der gelbe Kater

Es war im Sommer, auf einer Fahrt von Marseille nach Veracruz. An Bord befand sich unter den zumeist französischen Passagiren auch ein baumlanger Engländer, der durch sein merkwürdiges Benehmen schnell die Aufmerksamkeit der Mitreisenden erregte. Er sprach mit niemand, ass schweigend bei Tisch, rauchte schweigend seine Shagpfeife, grüsste niemand, kurz tat, als ob ausser ihm überhaupt kein Mensch auf dem Schiff existire. Wenn er einmal einem Kellner oder dem Stewart einen Auftrag erteilte, bediente er sich der englischen Sprache. Er schien wie die meisten seiner Landsleute keine andere zu verstehen.

Nun aber weiter. Dieser Engländer hatte ein Tier mit an Bord gebracht, das von seiner knochigen Person unzertrennlich schien. Es war ein Kater: mittelgross, elegant gebaut und mit einem schönen glänzenden Fell von gelber Farbe, beinahe wie Safran. Nur die äusserste Schwanzspitze zeigte einen schwarzen Tupfen, als sei sie einmal in Tinte getaucht gewesen. Der Kater war lautlos und flegmatisch wie sein Herr. Wo der Lange auftauchte, tauchte auch der Kater auf. Die beiden schienen miteinander verwachsen zu sein. Das Benehmen des Langen zu dem Tier war wechselnd. Meist zwar zeigte er sich gleichgültig ihm gegenüber wie allem Lebenden ausser ihm. Er tat als merke er es garnicht, dass 7 das gelbe Fell zu seinen Füssen herumstrich und sich an ihn schmiegte. Er würdigte es kaum eines Blickes, lockte es nicht an sich und kümmerte sich überhaupt nicht darum. Dies war das Gewöhnliche. Aber er konnte zu Zeiten auch anders sein. Er konnte dem Tier Blicke des Hasses zuwerfen, deren Grund ganz unersichtlich war, denn die Katze war immer nur Demut und Ergebenheit. Zuweilen wies er das gelbe Wesen und seine Liebkosungen durch ein barsches Wort von sich. Er murrte sogar brutale Schimpfworte vor sich hin und konnte das Tier geradezu misshandeln. Ich habe gesehen, wie er die Katze eines Abends mit dem Fuss in die Weiche trat, so dass sie taumelnd zur Seite flog. Sie stiess einen Jammerlaut aus, kam aber gleich darauf schnurrend, mit demütigen Augen, zu ihrem Herrn zurück. Und dann das Gegensätzliche: Es gab Stunden, wo der sonderbare Mensch das Tier liebkoste wie ein verwöhntes Kind, wo er es hätschelte, zu sich auf den Schoss oder in den Arm nahm, es anlachte, streichelte, kitzelte, ihm die verliebtesten Kosenamen gab, kurz, sich zu ihm betrug, wie man es sonst höchstens einem geliebten Menschen gegenüber tut.

Ich muss gestehen, der Engländer und sein Kater waren mir unheimlich. Was bedeutete das mit den beiden? Ich dachte nach, besprach mich mit mehreren Reisegefährten, deren Bekanntschaft ich gemacht hatte, aber wir konnten auf nichts kommen, was uns das seltsame Verhältnis zwischen dem fast stummen Menschen und seinem gelben Begleiter erklärlich gemacht hätte. Im Grunde war es ja sehr amüsant, etwas so Ungewöhnliches an Bord zu haben, man hatte etwas zu beobachten, etwas, wovon man plaudern 8 konnte, etwas, was die Zeit vertrieb – und das ist schliesslich, wenn man während einer längeren Seereise auf den engen Bereich eines Schiffes angewiesen ist, die Hauptsache. Ich machte mir nun in der Tat einen Zeitvertreib daraus, die zwei zu beobachten. Ich hätte zu gern Näheres gewusst. Ein Versuch, mit dem Engländer in eine Unterhaltung zu kommen, scheiterte. Ich sprach ihn eines Tages auf englisch an, er tat ganz verblüfft, musterte mich von oben bis unten, als ob ich ihm eine Beleidigung gesagt hätte, entgegnete nichts, fasste lässig grüssend an seine karrirte Reisemütze, ohne sie zu lüften, und verabschiedete sich. Der Kater schlich hinterher.

Ich blickte dem Paar kopfschüttelnd nach. Auf diese Weise war also nichts herauszubekommen. Ich musste mich auf die Beobachtung allein beschränken, und die, so sagte ich mir im voraus, würde wohl schwerlich irgend etwas enthüllen.

Der Engländer stand sehr früh auf und legte sich in der Regel ziemlich spät zu Bett. Der Kater schlief mit in seiner Kajüte. Nach dem Mittagessen pflegte das sonderbare Paar einen gemeinsamen kurzen Schlummer auf Deck zu halten. Der Engländer streckte sich dann auf einen der langen, mit Segeltuch bespannten Stühle aus, der Kater hockte sich auf seinen Schoss, schloss zugleich mit seinem Herrn die Augen, und der Schlaf senkte sich auf die zwei Unzertrennlichen. So schien es wenigstens. Ich kam aber bald dahinter, dass es mit dem Schlaf des Katers nicht weit her sei. Ich ging allemal, wenn ich meinte, die zwei befänden sich in den Gefilden ihrer tiefsten Träume, langsam promenirend 9 an ihnen vorbei, und allemal sah ich, dass, wenn ich dem Paar am nächsten war, der Kater seine leuchtenden Augen ein wenig öffnete und mich mit den Pupillen, soweit es anging, verfolgte, während sonst sein Körper ohne Bewegung blieb. Der Engländer hingegen schlief wirklich, schnarchte sogar ein wenig, und in der Regel lief ihm aus den Mundwinkeln etwas Speichel herab. Ich musste denken, dass dieses Bild wie die Karikatur von einem verwunschenen Ritter sei, der von einem tückischen Ungetüm bewacht würde.

Der Engländer mied, wie ich schon sagte, durchaus die Gesellschaft der anderen Passagire und suchte sich während seines Aufenthalts auf Deck immer die Stellen aus, wo andere Leute fast nicht hinkamen, meist ganz vorn am Bug oder auf Heck. Da stützte er sich mit den Ellenbogen auf die Rampe des Schiffes, paffte aus seiner kurzen Pfeife und starrte hinab auf das schäumende Wasser oder geradeaus in die Ferne. Der Kater sass still neben ihm auf der Kante des Geländers und starrte dahin, wohin sein Herr starrte. Näherte sich irgend ein Mensch dem Ort, wo die beiden hockten, so fing das Tier leise zu miauen an, und der Engländer wandte den Kopf. Ich hatte auf diese Weise schon öfter dem Kater Veranlassung gegeben, seine Denunziantenstimme zu erheben und dem Langen seinen Kopf zu wenden. Er sah mich dann immer mit gelangweilten Augen ein Moment an, drehte sich wieder um, streichelte den Kater und schmauchte weiter seinen Shag.

Als ich einmal an der Kajüte des Engländers vorbeiging, hörte ich von drinnen einen ganz jämmerlichen Lärm. Der Lange erging sich mit erregter Stimme in den grässlichsten 10 Flüchen, irgend etwas musste ihn in Wut versetzt haben, und nun maltraitirte er die Katze auf eine offenbar infame Weise, denn das Tier heulte und flennte in allen Tonarten, fast menschlich, wie ein gefoltertes Kind, dass es zum Erbarmen war. Die Scene wollte kein Ende nehmen, es erfolgten immer neue Fluchworte, Püffe auf das Fell, die deutlich zu unterscheiden waren, und Jammerlaute aus der Kehle des Katers. Endlich konnte ich es nicht mehr mit anhören und pochte mit kurzem Entschluss laut an die Kajütentür, obgleich mich das Ganze ja eigentlich gar nichts anging. Sofort nach meinem Pochen hörte der Lärm auf, und eine Totenstille trat ein. Ich erwartete, dass sich die Tür nun öffnen und das wutgerötete Gesicht des Engländers erscheinen würde, um mich anzubrüllen und sich ein derartiges unverschämtes Eingreifen in fremde Angelegenheiten zu verbitten. Ich überlegte schon, was ich dem Burschen dann entgegnen wollte. Aber es erfolgte leider nichts, die Tür blieb geschlossen, und die vollkommene Stille dahinter dauerte fort. Geärgert wandte ich mich nach dem Deck hinauf.

Dies war an einem Vormittag. Am Mittag desselben Tages erschien der Engländer wie sonst bei Tisch, in seinem Wesen unverändert, tranig und flegmatisch, ohne dass die geringste Spur von einer Erregung an ihm zu erkennen gewesen wäre. Nach dem Essen schlief er wieder mit seiner Katze auf dem Segeltuchstuhl und schien mir im Verlauf des Nachmittags besonders zärtlich zu dem Tier zu sein. Er grinste es öfter an, paffte ihm einmal neckend den Rauch seiner Pfeife ins Gesicht, kraute ihm das Fell, und das Vieh knurrte.

11 Der Abend, der diesem Tage folgte, war ein wundervoller Sommerabend. Der Mond schien, es war eine laue, windstille Luft, und das Meer dehnte sich regungslos, wie ein weites, beglänztes Haideland. Ich begab mich nach dem Abendessen wieder auf Deck und verblieb dort noch, als sich die anderen Passagire schon längst in ihre Kajüten zurückgezogen hatten. Der Abend war zu schön, ich konnte mich von dem besternten Himmel und dem schimmernden Meere nicht trennen. Ich rauchte eine Virginia, lehnte an dem weissgestrichenen Bord-Geländer und sah hinaus. Das Stuckern der Maschine und das leise, seidene Rauschen des Wassers unten an der Flanke des Schiffes waren die einzigen Geräusche, die vernehmbar waren. Mitunter allerdings auch ein dumpfes Wort des Steuermanns im Sprachrohr oder ein eigentümliches Knarren, das vermutlich von einem Mast herkam. Aus dem klobigen Schornstein zerflatterte einiger Rauch. Die französische Trikolore am Heck des Schiffes, in deren Nähe ich stand, hing müde herab. Das Schiff bewegte sich schnell und ohne das mindeste Schwanken.

Auf einmal hörte ich links neben mir ein leises Miauen. Ich erschrak erst, sah hin und bemerkte, dass der gelbe Kater auf dem Geländer mir langsam entgegenschlich. Sein grosser Körper bildete eine deutliche Silhouette an dem nächtlichen Himmel, und seine Augen funkelten gespensterhaft, in einem grünlichen Feuer. Ich rührte mich nicht von der Stelle und nahm es mit klopfendem Herzen wahr, dass das Vieh mir näher und näher rückte. Endlich sass es dicht neben meinem linken Ellenbogen, glotzte mich mit seinen schillernden Augen an, machte einen Buckel und fauchte. 12 Ich blieb, wo ich stand. Nur aus Trotz. Warum hätte ich auch vor einer Katze Reissaus nehmen sollen? Da erhob das Tier die Tatze und krallte mich, ohne dass ich es hindern konnte, mit einem schnellen Griff ins Gesicht. Das war denn doch zuviel. Die Galle ging mir über und es wurde mir geradezu eine Lust, diesem gelben Vieh meinen Hass und meine Verachtung zu zeigen. Ich stiess mit der Faust nach ihm, aber es war, als ob ich gegen einen Stein stiess, denn der Kater rührte sich nicht. Das ärgerte mich noch mehr, und ich stiess nun heftiger zu. Der Kater miaute, liess nicht ab, mich anzufunkeln, und schien von den Schlägen nicht im mindesten berührt zu sein. Ich wurde wütend und schleuderte dem Beast meine brennende Cigarre ins Gesicht. Es schüttelte sie ab und blieb hocken. Nun nahm ich einen der kleinen Klappstühle, wie sie auf Deck herumzustehen pflegen, und schlug damit auf das Tier los, aber mit aller Wucht. Es blieb sitzen, miaute und ertrug die Schläge in Gleichmut. Endlich hieb ich so rasend auf die Katze ein, dass jedes andere Tier dadurch zu Mussbrei geworden wäre: an diesem Kater prallte Alles ab, er blieb unbewegt an der gleichen Stelle auf dem Geländer sitzen, und es war, als ob ich auf Stein oder Eisen schlüge. Mir stand schon der Schweiss im Gesicht vor Aufregung, und ich prügelte immer wieder von neuem, mit Aufbietung aller Kräfte, auf die Kreatur ein. Ich fühlte, dass ich schon das eine Stuhlbein an dem Kater zerschlagen hatte, da packte ein eiserner Griff vom Rücken her meinen Arm, so dass ich vom Prügeln ablassen musste, und da ich mich erstaunt umwandte, stand der Engländer vor mir. Er war völlig ruhig und sagte, ohne jeden besonderen Ausdruck im Gesicht: 13

»Herr, ich verstehe nicht, warum Sie dieses Tier so schlagen.«

Er sprach es in einem so gleichgültigen Ton, als ob er gesagt hätte:

»Guten Abend, wie geht es Ihnen? Sie sehen recht blass aus.«

Ich war durch sein Erscheinen und sein Flegma so perplex, dass ich kein Wort über die Lippen brachte. Ich stand da wie ein begossener Pudel oder wie ein Kind, das man bei einem Bubenstreich ertappt hat, und sah zu, wie der Engländer den Kater auf den Arm nahm und ohne zu grüssen davonging.

Ich wischte mir den Schweiss vom Gesicht, wusste nicht, was ich denken sollte und taumelte in meine Kajüte hinab, wo ich die Nacht ohne Schlaf zubrachte. Am folgenden Morgen erhob ich mich müde, mit zerschlagenen Gliedern, und in der festen Absicht, heute den Engländer zur Rede zu stellen. Ich fühlte mich unglücklich und hatte kaum Mut für den beginnenden Tag. Als ich die Kajütentür öffnete, um meine Stiefel hereinzunehmen, huschte ein gelbes Fell durch die Türspalte zu mir herein. Ich schloss die Tür schnell und sah mich um. Der Kater hatte sich auf den Rand des Bettes geschwungen, sass dort genau in der Weise wie am Abend vorher auf dem Schiffsgeländer, mit einem Buckel und erhobenem Schwanze, und fauchte mich an. »Warte, Kanaille,« dachte ich, »jetzt habe ich dich«. Ohne den Blick von ihm abzulassen, öffnete ich den Kasten des Waschtisches, nahm einen geladenen Revolver daraus hervor und zielte. Der Kater sah Alles mit an, ohne dass es ihn im geringsten irritirte. Ich 14 drückte ab, ein Knall, das Tier überschlug sich und fiel, in den Kopf getroffen, unter einigen Zuckungen auf die Dielen nieder. Dann streckte es sich und war tot. Die Kajüte war mit Qualm angefüllt, es war eine Luft zum ersticken. Ich öffnete deshalb das kleine runde Fenster, damit der Qualm einen Abzug fände. Ich blickte hinaus, das grüne Wasser glitt wogend an dem Fenster vorüber. Da – fast wäre ich umgefallen, ich musste mich an der Wand festklammern, mein Auge hatte etwas Entsetzliches gesehen. Allmächtiger Gott, was sollte das heissen. Vor mir in dem Wasser hatte ich das Gesicht des Engländers vorbeitreiben sehen, blass, mit stieren, aufgerissenen Augen, die mich anglotzten als wollten sie mich töten. Es war keine Täuschung, ich hatte es wirklich gesehen. Als ich mich einigermassen gefasst hatte, stürzte ich zitternd hinauf auf Deck. Ich fand dort Alles in Aufregung.

»Der Engländer hat sich über Bord gestürzt!« hiess es. Es schwammen schon Rettungsgürtel auf dem Wasser, das Schiff stoppte, und man liess ein Boot hinab. Der Körper tauchte zuweilen in dem Kielwasser empor, einmal war das weisse Gesicht zu sehen, einmal ragte ein Bein auf, starr wie ein Windmühlenflügel, so dass es beinahe komisch aussah. Die Rettungsversuche erwiesen sich als vergebens. Die Leiche tauchte endgültig unter und kam nicht wieder zum Vorschein. Nachdem die Rettungsgürtel wieder aufgelesen waren und das Boot in die Höhe gezogen worden war, setzten wir die Fahrt fort.

Am Abend dieses Tages, in der Dunkelheit, warf ich den Leichnam des Katers in das Meer, seinem Herrn nach. 15 Eine Weile sah ich ihn noch schwimmen auf dem funkelnden Wasser. Dann war er fort. Ohne Kater und ohne Engländer stampften wir weiter, in der Richtung nach Veracruz.

Das verzerrte Gesicht des Engländers sehe ich mitunter des Nachts im Traum. Man sagt mir dann am nächsten Morgen, dass ich im Schlaf laut geschrieen hätte.


 << zurück weiter >>