Hilda Bergmann
Vom Glöckchen Bim und andere Geschichten
Hilda Bergmann

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Sommers Abschied.

»Ich spüre, daß mir der Winterpelz wächst,« sagte eines Tages das rote Eichhorn zu seinem Freunde, dem Hasen. »Das bedeutet einen frühen und kalten Winter.«

Nepomuk, der eben an einem Blatte knabberte, machte ein Männchen, spitzte die Ohren und sah in die Höhe: »Ja, die Schwalben sind fortgeflogen; die Störche und Kraniche werden auch bald vorbeiwandern und die Krähen singen schon ihr Herbstlied.«

»So sang- und klanglos sollen wir den schönen Sommer ziehen lassen?« fragte die Häsin, die sehr gefühlvoll war. »Das will mir gar nicht in den Kopf!«

Nepomuk erwiderte nichts, aber er sah so aus, als ob er ein Geheimnis mit sich herumtrüge. Endlich faßte er sich ein Herz und sprach:

»Schon lange ärgert es mich, daß wir uns beim Geburtstagsfeste der Waldelfe so wenig ausgezeichnet haben. Dichten? Das kann jeder, der sich nur ein wenig Mühe nimmt! Das habe ich an mir selbst erfahren.«

»Du?« riefen Häsin und Eichhorn wie aus einem Mund.

Nepomuk nahm die Miene bescheidenen Stolzes an: »Ich habe heimlich ein Spiel verfaßt. Es führt den Titel: Sommers Abschied, und es soll bei einem Sommerscheidefest, das wir der Elfe geben wollen, aufgeführt werden.«

»Ah,« sagte die Häsin erstaunt, »da habe ich einen Dichter zum Manne und wußte gar nichts davon!«

»Es war auch ein ordentliches Stück Arbeit,« versicherte Hase Nepomuk. »Aber ich hoffe, es ist mir gelungen. Wir wollen gleich 124 die Rollen verteilen und die Proben beginnen, ehe die Elfe ihr Winterquartier bezieht.«

»Wieviele Personen hat das Stück?« fragte die Elster und trippelte aufgeregt hin und her. »Ich spiele für mein Leben gern Theater und deklamieren kann ich wunderschön.«

»Da haben wir erstens den Sommer,« entgegnete Nepomuk. »Er muß grün sein und Abschied nehmen. Nummer zwei: die Sonne. Dann kommt noch der Nebel vor, der Wind und die letzte Blume.«

»Das wird entzückend sein!« rief die Elster. »Darf ich auch in dem Spiele mitwirken?«

»Meinethalben sprich den Nebel,« gestattete der Hase großmütig. »Die Sonne gebe ich selbst mit einer gelben Sonnenblume als Abzeichen. Du, Eichhorn, kannst die Rolle des Windes übernehmen, ein Windbeutel und Bruder Leichtfuß bist du ohnedies. Und unser jüngstes Hasenkind spielt die letzte Blume, das wird sehr rührend und lieblich sein. Aber wer gibt den Sommer? Ich habe schon den Grünspecht fragen lassen, aber der ist verhindert!« Der Hase wiegte sorgenvoll den Kopf: »Grün muß der Betreffende sein und eine schöne Stimme muß er haben, denn er singt zum Schlusse sein Abschiedslied.«

»Ich will den Sommer spielen,« sagte die tiefe Stimme des Igels aus dem Gras hervor.

»Du?« schrie Nepomuk. »Hast du vielleicht ein grünes Kleid an? Hast du etwa eine süße Stimme? Mit deinen erdfarbigen Stacheln willst du den Sommer spielen, der hold und anmutig ist und die allerschönsten Blumen in seinem Mantel trägt? Laß dich nicht auslachen, Gevatter Igel!«

Aber der Igel ließ sich durchaus nicht einschüchtern. »Das grüne Kleid ist zu beschaffen,« entgegnete er. »Ihr schüttelt grüne Blätter von den Sträuchern, ich wälze mich darin, bis meine 125 Stacheln damit gespickt sind; dann bin ich grün angezogen und spiele den Sommer.«

»Und deine Stimme?« eiferte der Hase. »Sie ist rauh und heiser. Wie willst du das Abschiedslied des Sommers singen?«

»Oh, ich schlucke alle Tage einen Löffel voll Honig,« war des Igels Antwort. »Du wirst sehen, wie schön ich dann singe.« Da konnte der Hase keine Einwendungen mehr machen und mußte dem Igel seinen Willen lassen.

In der nächsten Zeit konnte man mit den Leuten, die in Nepomuks Festspiel auftreten sollten, kein vernünftiges Wort reden. Die Elster schwatzte gereimtes und ungereimtes Zeug durcheinander, das Eichhorn wiederholte seine Rolle, der Igel konnte nicht genug Honig bekommen, Nepomuk selbst ging mit ernster Würde einher: man war nicht umsonst Dichter und noch dazu einer, der aufgeführt werden sollte. Von Tag zu Tag bekam er mehr Achtung vor sich selber.

Dann kam der blaue Herbstmorgen, an dem das Spiel beginnen sollte. Die Elfe war noch einmal auf ihre liebe Wiese gekommen, 126 in einem Kleid von Herbstzeitlosenfarbe, mit Tauperlen verziert. Die letzten Libellen und Schmetterlinge umflatterten sie. Der kurze Grasboden gab eine vortreffliche Bühne ab und alle Wiesen- und Waldbewohner warteten voll Neugier auf das Spiel.

»Die Aufführung beginnt,« rief Hase Nepomuk und schob eine grüne Blätterkugel heran, in der niemand den guten, stacheligen Igel erkannt hätte. Jetzt begann die Blätterkugel mit ganz tiefer Stimme zu deklamieren:

»Ich bin der Sommer im grünen Kleid,
doch bald vorüber ist meine Zeit.
Der Nebel zieht, der Nebel graut.
Wo ist die Sonne, meine Braut?
Ihr Auge seh ich gar nicht mehr,
sie wirft mir keine Strahlen her;
O Nebel, lieber Nebel mein,
wo steckt der warme Sonnenschein?«

»Das ganze Honigschlucken war umsonst,« murrte Nepomuk leise. »Die Stimme ist nicht schöner geworden, wie wird sie erst beim Singen klingen!«

Jetzt erschien das jüngste Feldhäschen, geschmückt mit einem Kränzlein von Wiesenblumen. Es hatte große Angst vor den Zuhörern und zitterte am ganzen Leib. »Es kommt von Nord der kalte Wind,« begann es und klapperte mit den Zähnen. »O weh mir armem Blumenkind. Mein dünnes Kleid, wie ist mir kalt! Bald, – bald, – bald« –

»Bald wintert es in Feld und Wald,« flüsterte die Häsin ihrem Sprößling zu. Der aber blieb rettungslos in seinem Verslein stecken, ob auch 127 Vater Nepomuk die Ohren streng aufrichtete und ein böses Gesicht machte. Darob fürchtete sich das Häslein gewaltig, machte einen Satz und verschwand im Walddunkel.

»Der Wind erscheint,« rief Nepomuk mit lauter Stimme.

Mit zierlichen Sprüngen, den schönen, buschigen Rotschweif aufgestellt, betrat das Eichhorn die Bühne:

»Ich komme von Norden mit eiligem Flügel;
ich treibe die Wolken um Berge und Hügel.
Versteckt euch, verkriecht euch in Busch und Gehänge!
Bald streu' ich der Flocken schneeweißes Gedränge!«

»Sehr schön gesprochen,« lobte die Elfe und klatschte in die Hände. »Ach ja, bald kommen Winter und Schneegestöber und meine Blumen und Tiere gehen schlafen.« Sie war ganz traurig geworden und wischte eine Träne aus den leuchtenden Augen.

Jetzt war die Reihe an Nepomuk und als er kam, mußte alles lachen. Er hatte keine Sonnenblume auftreiben können und half sich, indem er mit einer Verbeugung sagte. »Ich bin nämlich die Sonne.« Es war wirklich zu komisch, den Hasen Nepomuk für die Sonne halten zu sollen. Der war aber viel zu sehr in sein Spiel vertieft, als daß er die Heiterkeit der Zuschauer bemerkt hätte, und begann:

»Die Tage kurz, die Nächte kalt,
bald wintert es in Feld und Wald.
Der arge Nebel stiehlt mein Licht,
verschluckt mein goldenes Gesicht.
Wir müssen auseinandergehn,
lebt wohl, lebt wohl, auf Wiedersehn!« 128

Bei diesen Worten deutete Nepomuk mit böser Miene zur Elster hinüber, die ja den Nebel vorstellen sollte und jetzt ihr Verslein herzusagen gehabt hätte.

Die gute Elster aber, die einen kurzen Verstand hatte, wußte längst nicht mehr, daß dies alles Scherz und Spiel war, auch Nepomuks unfreundliches Gesicht. »Was?« schrie sie und schlug zornig mit den Flügeln. »Was, gestohlen hätte ich? Dir dein Licht gestohlen, alter Nepomuk? Und dein goldenes Gesicht auch? Am Ende wirfst du mir noch vor, daß ich dir silberne Löffel entwendet hätte?« Und sie kam mit Schnabel und Flügeln dem Hasen so bedenklich nahe, als ob sie ihm die Augen aushacken wollte. Sie war immer sehr aufgebracht, wenn man vom Stehlen sprach. Vielleicht hatte sie doch kein ganz reines Gewissen.

Nepomuk war wie vom Donner gerührt. Sein schönes Festspiel! »Was fällt der Elster, der alten Klatschbase, ein?« dachte er bei sich. »Ist sie toll geworden? Hat sie ihre Rolle vergessen? Was für ein Gesicht macht die Elfe dazu?« Er setzte sich auf die Hinterbeine, machte ein Männchen und sah die Elster mit seinen großen, runden Augen fassungslos an.

»Sag's noch einmal, daß ich gestohlen habe!« zeterte diese. Die Zuschauer wußten nicht recht, ob dies Ernst oder Spiel wäre. Alles reckte die Köpfe und sah nach der Elster hin, die sich ganz wild und kriegerisch gebärdete.

In diesem Augenblick fiel ein Schuß am andern Ende der Wiese, ein feines Rauchwölkchen flatterte auf, ein kurzer, scharfer Knall folgte. Husch, war alles geflüchtet, was sich auf der Bühne 129 und im Zuschauerraum befunden hatte: Die Falter in die Luft, Hase und Eichhorn in den Wald, die Elfe in den Kelch einer großen Herbstzeitlose, darin sie ganz verschwand. Nur die grüne Blätterkugel, die den Sommer vorstellte, blieb seelenruhig auf dem verlassenen Rasenplatze liegen.

»Was für ein verdächtiges Ding ist das?« sagte der große, braune Jagdhund Feldmann, der jetzt herangesprungen kam. Er stieß die Kugel mit seiner Schnauze an und die verborgenen Stacheln stachen ihn heftig in die Nase. Der Hund fuhr zurück und versuchte mit der Pfote anzukommen. Da hatte er sie auch schon zerstochen. Er legte sich nieder und bellte wütend und empört. Das Ding rührte sich nicht. Er stürzte nochmals darauf los, um heulend von ihm abzulassen und mit eingezogenem Schweife davonzulaufen. Gegen einen klugen Igel kommt der beste Jagdhund nicht auf.

»Ist die Luft rein?« fragte es jetzt aus der Herbstzeitlose. »Ganz rein,« entgegnete der Igel. Die Elfe Traumseele kletterte aus der Blume, um ihren Libellenwagen zu besteigen.

»Da ist Blut am Boden,« sagte sie plötzlich. Auf dem Rasenfleck, der die Bühne vorgestellt hatte, zog sich eine Blutspur über Gräser und Farnkräuter nach dem Walde. Hätte Feldmann für 130 etwas anderes Augen gehabt als für den verkleideten Igel, hätte er die Spur merken müssen.

»Wer ist verwundet?« fragte die Elfe und sah in die Runde.

»Ich scheinbar nicht,« erwiderte das Eichhorn, das wieder herbeigekommen war und nur an sich dachte.

»Der Igel auch nicht, denn der ist eben vergnügt nach seinem Hause gelaufen. Bleibt noch die dumme Elster, die uns das Spiel verdorben hat. Aber die flog davon. Es kann also nur der Hase Nepomuk sein.«

»Da müssen wir nachsehen,« entgegnete die Elfe. Sie folgten der roten Spur, die wirklich nach der Wohnung des Hasen führte.

Nepomuk lag im Bett, hatte einen Verband um die Vorderpfote, die von einem Schrotkorn gestreift worden war, und einen Umschlag um den Kopf. Vor ihm stand eine Tasse Fliedertee, 131 den ihm die Häsin gekocht hatte. »Mein schönes Festspiel,« jammerte er, als er der Elfe ansichtig wurde. »So viele Mühe, so viele Arbeit und dann war alles umsonst. Hätte ich nur die Elster nicht mitspielen lassen!«

»Kränke dich nicht, Nepomuk,« tröstete die Elfe. »Zu allererst mußt du jetzt gesund werden und zu diesem Zwecke von dem Kräutlein Heilebald essen, das ich dir mitbringe. Es schmeckt zwar bitter, aber deine Wunde wird sich dann rascher schließen. Und dein Spiel war trotz des Mißverständnisses der Elster sehr hübsch und gelungen. Ich werde den ganzen Winter daran denken. Kommt dann der Frühling mit seinem blauen Himmel und seinem Blumenüberfluß wieder, dann treffen wir alle auf unserer Wiese zusammen und feiern das Frühlingsfest.« Damit verabschiedete sie sich.

»Leb wohl, leb wohl, auf Wiedersehn,« rief ihr Nepomuk nach.

»Ich muß mein Nest mit Moos polstern, damit ich im Winter nicht friere,« rief das Eichhorn, das immer an sich dachte, und verschwand.

Nun kam der wirkliche Wind gefahren und peitschte Zweige und Äste. Er war kalt und rauh und brachte Schneeflocken mit, die sich den Bäumen auf die Wipfel setzten und die Wiese mit einer weißen Decke verhüllten. Nepomuk aber, den der Gedanke an Ruhm und Ehren nicht mehr ruhen ließ, sagte: »Ich werde für das Fest des Frühlings ein neues und noch viel schöneres Festspiel schreiben!«

 


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