Hilda Bergmann
Vom Glöckchen Bim und andere Geschichten
Hilda Bergmann

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Wie die Krötenprinzessin
einen Mann bekam.

Der alte Springbrunnen warf seine Strahlen hoch in die Luft, Tag und Nacht. Dabei plauderte er und sang mit leiser Stimme uralte Lieder, während seine Tropfen wie gesponnenes Silber aus der Höhe in den kleinen Teich fielen. Nachdenklich hörten die alten Tannen zu, nachdenklich sahen sie in das dunkle Wasser, aus dessen Mitte der helle Strahl stieg. So ging es einen Tag wie den andern. Aber eines Morgens rauschte der Brunnen so übermütig, daß jeder merken mußte, es hätte sich etwas Besonderes zugetragen.

»Was gibt es denn, alter Springbrunnen?« fragten die Tannen neugierig und neigten ihr Gezweig tiefer über den dunklen Teich. »Warum bist du heute so guter Laune?«

Der Springbrunnen hörte einen Augenblick auf zu singen und erwiderte: »Weil morgen ein ganz besonderer Tag ist, jawohl, ein ganz besonderer Tag.«.

»Feierst du deinen Geburtstag, Alter? Der wievielte ist es denn?« forschten die Tannen weiter.

Der Springbrunnen breitete seine herabfallenden Wassertropfen wie einen Spitzenschleier aus. »Nein, meine lieben Nachbarinnen,« 60 entgegnete er. »Aber morgen kommt die Prinzessin Kröte aus der Brunnentiefe ans Tageslicht. Einmal in hundert Jahren zeigt sie sich in der Sonne. Findet sie dann den Freier, der ihrer wert ist, dann nimmt sie ihn mit in ihr unterirdisches Reich und macht ihn zum König und Herrn über unermeßliche Schätze.«

»Warum sahen wir sie denn noch nie, deine Prinzessin?« fragten die Tannen voll Erstaunen. »Warum hörten wir noch nie von ihr?«

»Weil ihr mit euren fünfzig, sechzig Jahren die reinen Kinder seid,« entgegnete der Springbrunnen geringschätzig. 61

»Erzähle uns von der Prinzessin!« baten die Tannen weiter. »Ist sie hübsch? Ist sie anmutig? Wir sehen für unser Leben gerne anmutige Prinzessinnen.«

Der Springbrunnen warf den Fragerinnen seine Strahlen empört ins Gesicht. »Hübsch!« rief er zornig. »Meine Prinzessin hat eine schöne Seele. Meine Prinzessin hat eine süße Stimme. Ihr werdet weinen vor Entzücken, wenn ihr sie einmal singen hört. Dann fragt ihr gewiß nicht mehr so töricht! Prinzessinnen ihrer Art brauchen gar nicht hübsch zu sein!«

Damit wandte er sich ab und ließ seine Fahne beleidigt nach der anderen Richtung wehen. Wie konnten die Tannen auch so dummes Zeug fragen! Inzwischen war die Rede des Springbrunnens auch draußen auf der Wiese bekannt geworden. Ein Raunen ging durch die Gräser, ein Summen durch das Käfervolk, ein Kopfschütteln durch die blauen, roten, gelben, weißen Blüten.

»Wenn sie eine Prinzessin ist, muß sie ein goldenes Krönlein auf dem Haupte tragen, so gehört es sich,« rief die Heckenrose, die viel auf Würde und Anstand hielt.

»Ach, wenn sie doch lieber zu uns auf die Wiese käme und mit uns spielte,« meinten ein paar naseweise Gänseblumen.

»Natürlich, mit euch wird die Prinzessin spielen!« entgegnete entrüstet der Rittersporn. »Wenn sie schon jemanden ansprechen wird, dann höchstens mich, der ich ein Ritter bin und einen Sporn trage!«

»Wie war das eigentlich mit den Freiern der Krötenprinzessin?« fragte eine Stimme aus dem Grase. Sie gehörte dem vornehmen Herrn Maulwurf, der soeben einen Erdhügel aufgeworfen hatte und nunmehr ans Tageslicht gestiegen kam. »Ich hörte da eine merkwürdige Neuigkeit; heiraten will die Prinzessin Kröte? Nun, vielleicht überlege ich mir die Sache. Ich bewohne ein unterirdisches 62 Reich, sie bewohnt ein unterirdisches Reich; wir würden also ganz gut zueinander passen, vorausgesetzt, daß die Mitgift groß genug ist.«

»Ich habe aber von einer Bedingung gehört!« entgegnete der Feldmäuserich seinem Vetter Maulwurf. »Die Krötenprinzessin nimmt nur den Freier, der ihrer wert ist. So sagte der alte Springbrunnen!«

»Was kann das heißen?« fragte der kupferrote Laufkäfer und krabbelte heran. Und sein Verwandter, der veilchenblaue Laufkäfer, setzte hinzu: »Die Prinzessin hütet in ihrem Reich unermeßliche Schätze. Karfunkelsteine wie die Haselnüsse groß, Perlen und edles Geschmeide. Es muß sehr angenehm sein, König im Krötenreiche zu werden.«

Die Gänseblümchen aber meinten: »Ob sie wohl auf die Wiese kommen wird, mit uns zu spielen?«

In dieser Nacht schlief man sehr unruhig in der Umgebung des alten Springbrunnens. Die Tannen murmelten ein übers andere Mal etwas aus dem Schlaf, die Birken fuhren alle Augenblicke auf und schauten, ob der Tag noch nicht herandämmere, die Heckenrose flüsterte von goldenen Kronen und Königskindern und die Gänseblümchen träumten, die Prinzessin sitze bei ihnen im Grase, in einem weißen Strahlenkleidchen und über die Maßen liebreizend und freundlich.

Endlich kam mit rosenroten Frühwölklein der erwartete Tag heran.

Niemals noch hatte man den alten Springbrunnen so selig zum Himmel steigen und so zierlich in den Teich zurückfallen sehen wie heute. »Ist sie nicht allerliebst?« sangen seine steigenden Fluten. »Wer hat so herrliche Augen wie sie? Wer hat eine so liebliche Stimme? Sei mir gegrüßt, Prinzessin Kröte!«

Da kamen die Vögel aus dem Walde und die Schmetterlinge von der Wiese geflogen, um das Wunder zu betrachten. Es 63 kamen Arm in Arm die Vettern Mäuserich und Maulwurf, es kamen die Käfer, ja es hub ein solches Wandern an, daß endlich eine Prozession der verschiedensten Tiere beim Springbrunnen anlangte, um die gepriesene Prinzessin kennen zu lernen.

In der Mitte des Teiches wuchs eine Teichrose und ließ ihre Blätter auf dem dunklen Wasser schwimmen. Auf einem dieser Blätter saß die Kröte. Mit schönen, goldglänzenden Augen sah sie nach dem Ufer hinüber wo die neugierigen Besucher standen und sie anstarrten. Sie hatte ein unscheinbares braunes Kleid an, ohne Krönlein, ohne Abzeichen.

Lange blieb es stille am jenseitigen Teichrand.

»Sie ist ja gar nicht hübsch, die Prinzessin!« rief endlich die Stimme des Eichelhähers von einem Baumast herab. »Sie ist ja 64 gar nicht hübsch,« ging nun auch ein enttäuschtes Flüstern und Murmeln durch die Reihen der Tiere. »Man könnte sogar sagen, sie sei häßlich!« krächzte die Dohle. »Seht nur den breiten Mund! Seht das unansehnliche, braune Kleid! Und, du lieber Himmel, die Prinzessin Kröte hat ja Warzen im Gesicht!«

»Was für abscheuliche Füße!« sagte jetzt auch der Mäuserich, der sich vorgedrängt hatte, ganz laut. »Plump sind sie, breit sind sie und einwärts gerichtet obendrein. Nein, jetzt wundere ich mich gar nicht mehr, warum diese Prinzessin keinen Mann bekommen hat.«

Der Springbrunnen rauschte und plätscherte aus Leibeskräften, um diese häßlichen Worte zu übertönen. Aber die Kröte vernahm sie doch und ihre goldenen Augen sahen traurig nach den Sprechenden. »Hört mich an, ihr alle!« rief jetzt der Springbrunnen. »Die Prinzessin hat goldene Augen, das seht ihr selber. Sie besitzt ein goldenes Herz, das kann ich euch versichern. Und endlich ist sie Herrin über unermeßliche Schätze. Wer um sie freien will, melde sich. Ist er ihrer wert, so macht sie ihn zum König über ihr ganzes Reich.«

»Nein,« sagte der Mäuserich, »für so eine häßliche Frau danke ich. Da bleibe ich lieber ledig.« Und er ging auf die Wiese und an sein Geschäft zurück. »Nein, daß eine Prinzessin so häßlich sein kann, hätten wir nie gedacht,« summten auch die Käfer und flogen davon. Ihnen folgten die Schmetterlinge und die Vögel und auch das andere Volk verlief sich, jedes an sein Tagewerk. Am Brunnen blieb nur der Maulwurf zurück und fragte: »Was muß ich tun, um die Prinzessin zu gewinnen?«

»Du mußt zu ihr schwimmen,« plätscherte der Springbrunnen. »Wer ihrer wert ist, erreicht sie und gewinnt das Königreich.«

»Eine unangenehme Bedingung, da wird ja mein schöner Pelz ganz naß,« erwiderte der Maulwurf. »Hoffentlich ist das Wasser nicht allzutief. Ich will es wagen.« Er sprang vom Ufer kopfüber in den Teich und versuchte zu schwimmen. Aber sein Pelz 65 saugte sich mit Wasser voll, wurde schwerer und schwerer und der Maulwurf ertrank. Mit Tränen in den Augen saß die Kröte auf ihrem Blatte.

»Er war deiner nicht wert, kleine Prinzessin,« tröstete sie der Springbrunnen. »Er dachte nicht an dich, er dachte nur an deine Reichtümer. Singe, kleine Prinzessin, damit man deine liebliche Stimme hört.« Und die Prinzessin schluckte ihre Tränen hinunter und begann zu singen:

»Mein Vater war ein König
im großen Krötenreich.
Man sagte mir, ein wenig
säh' ich dem Vater gleich.

Mein Vater hatte Paläste
von Gold und Marmelstein.
Bei meinem Hochzeitsfeste
kein Freier fand sich ein.

Wohl hat man mich umworben,
doch bracht' es mir nur Leid.
Ach, wär' ich längst gestorben,
ich arme Krötenmaid.« 66

Während die Prinzessin mit trauriger Stimme dieses Liedchen sang, kam ein junger Landstreicher von Laubfrosch drüben des Weges und hörte zu.

»Sieh einmal, eine kleine Base Kröte sitzt drüben auf dem Teichrosenblatt,« sagte der grüne Frosch zu sich selber. »Sie ist ganz allein und macht ein sehr betrübtes Gesicht, wahrscheinlich langweilt sie sich. Wie niedlich sie doch aussieht! Genau so breit der Mund wie meiner. Genau solche Schwimmfüße wie die meinen. Und was für schöne, liebe, goldene Augen sie hat. Was gilt's, ich schwimme hinüber und wünsche ihr guten Tag!«

Mit einem Kopfsprung hüpfte der Laubfrosch in das dunkle Wasser und schwamm auf die Kröte zu. Der Springbrunnen tat, als ob er ihn abschrecken wollte, und machte große Wellen im Teich. Darüber lachte der Laubfrosch nur. Das Wasser kitzelte ihn am Rücken, das war ihm eben recht. Mit langen Stößen schnellte er sich durch die Flut und kletterte vergnügt auf die grüne, schwimmende Insel, auf der die Kröte schaukelte. 67

»Mit Verlaub, Jungfer Base,« grüßte er höflich und machte eine Verbeugung. »Ist es einem landfahrenden Laubfrosch gestattet, ein wenig neben Euch Platz zu nehmen? Euer Liedchen hat mir süß in die Ohren geklungen. Wollt Ihr mir nicht erzählen, wer Ihr seid und wie Ihr auf diese Insel kommt, mitten im Springbrunnenteich?« Da erzählte ihm die Kröte die ganze Geschichte, daß sie eine Prinzessin sei und alle hundert Jahre einmal an die Oberfläche kommen müsse, um auf einen Freier zu warten. Daß dies heute nun wieder der Fall gewesen sei; aber alle Leute hätten sie wegen ihrer Häßlichkeit verspottet und verhöhnt und der einzige Freier, der sich gemeldet hätte, wäre vor ihren Augen elendiglich ertrunken.

Mit großen, runden, erstaunten Augen hatte der Laubfrosch zugehört. »Das verstehe ich nicht,« sagte er dann. »In meinen Augen bist du das lieblichste Wesen der Erde. Du hast die schönsten Augen! Du hast die entzückendste Stimme, die ich kenne!«

»Das ist der Richtige,« plätscherte jetzt der Springbrunnen und ließ in seiner Freude einen ganzen Sprühregen von funkelnden Tropfen auf Frosch und Kröte fallen. »Er hat nicht an deine Reichtümer gedacht, denn er wußte nichts von ihnen. Er ist deiner wert. Nimm ihn in dein Königreich, Prinzessin Kröte, und werdet glücklich miteinander!« So wurden die beiden Braut und Bräutigam und es gab ein herrliches Hochzeitsfest im unterirdischen Reiche.

»Was macht denn deine Prinzessin, alter Springbrunnen?« fragte am nächsten Tage der neugierige Mäuserich, der vorüberkam. »Sie ist wohl unverrichteter Dinge nach ihrem Königreiche zurückgekehrt und muß hundert Jahre warten, ehe sie einen Mann bekommt? Die Zeit wird ihr hoffentlich nicht zu lang werden!«

»Dank der Nachfrage,« rauschte der Springbrunnen und es klang, als lachte er mit allen seinen Tröpfchen. »Es geht ihr gut! Es geht ihr sogar sehr gut! Sie läßt alle Besucher grüßen und 68 ihnen sagen, sie habe den Freier gefunden, der ihrer wert sei. Sie sind beide sehr glücklich, die Krötenprinzessin und der junge Laubfrosch.«

»Merkwürdig,« entgegnete der Mäuserich. »Mit dem breiten Mund! Mit den häßlichen Füßen! Und mit Warzen im Gesicht! Ich hätte das nie für möglich gehalten.« »Ja, weißt du,« sagte der Brunnen, »der Laubfrosch sah nur die schönen Augen, merkte die liebliche Stimme und erkannte die schöne Seele meiner Prinzessin. Darum ist er nun König im unterirdischen Reiche und Herr über alle seine Schätze. Schönheit ist eben nicht die Hauptsache, ich habe es euch immer gesagt. Aber ihr wolltet es mir ja nicht glauben!« 69

 


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