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Achtzehntes Kapitel

Siebentes Scharmützel, welches das letzte ist.

Der Tag ging langsam, stumm und düster über Rogershof hin. Hof und Park lagen verödet da. Im Schloß hörte man nur das Geflüster der Dienstleute und hie und da einen schrillen Schrei oder einige heftige Worte der erregten Dompropstin.

Se. Gnaden schwebte vorderhand in Unwissenheit über das, was sich begeben hatte. Er schlief unter dreifachem Verschluß – Bibliothek, Arbeitszimmer und Schlafzimmer. Und Vickberg wachte über seinen Schlummer.

Aber die Dompropstin ging in beständigem unruhigen Kreislauf zwischen ihrem Zimmer, Pers Zimmer und der unerbittlich verschlossenen Bibliothekstüre hin und her.

Um elf Uhr kam Inspektor Halling aus der Stadt und brachte den Doktor mit. Lena, die sich den ganzen Tag auf dem Kriegspfad befand, tröstete die erschreckten Küchenmädchen damit, daß Herr Per nur eine Schramme abbekommen hätte, die in ein paar Tagen wieder heil sein würde. Mit dem Baron stand es jedoch nach Lenas Aussage bedeutend schlimmer. Er hatte »Blut im Hirn«, und das klang ja unheimlich genug.

Über das »Malheur« wurde so wenig als möglich gesprochen. Das weiß man doch, daß solch ein Unglücksding losgehen kann, wenn man es nur anschaut. Und dumm, wer sich in den Weg stellt.

Nein, die große Frage, die in der Küchenregion am eifrigsten diskutiert wurde, war diese: Wird sie fahren oder wird sie nicht fahren? Und mit »sie«, in einem zugleich verachtungsvollen und ängstlichen Ton ausgesprochen, war niemand geringerer gemeint als Ihro Gnaden, die verwitwete Dompropstin Hyltenius.

»Es war doch wirklich Pech, daß er diesen Ritzer abkriegen mußte, ihr Sohn. Denn jetzt redet sie sich natürlich wieder darauf aus und bleibt da. Und dann hat das Elend überhaupt kein Ende,« klagte Lena. Und hierauf legte sie das folgende feierliche Gelöbnis ab:

»Aber das verspreche ich, wenn es so kommt, daß Er in seiner Gnade sie heute abfahren läßt, dann geht Lena Andersson drei Samstagabende hintereinander nicht auf den Tanzboden.«

Und nachdem sie so in Anwesenheit von Zeugen dem Höchsten ein so großes Opfer dargebracht hatte, als er nur billigerweise verlangen konnte, begab sie sich wieder auf den Kriegspfad.

Aber es war so mäuschenstill in Rogershof an diesem unglückseligen Tag. In dem einen Flügel saßen Frau Enberg und Blenda, im andern Toni und Jakob. Und wenn man auch das ganze Ohr in das Schlüsselloch steckte, man hörte doch keinen Muckser.

Nur aus Johnssons Kammer vernahm man ein ununterbrochenes Murmeln. Lena mußte einen Türspalt öffnen. Da saß Johnsson im Bett und rasierte sich mit zitternden Händen und fluchte und schimpfte. Zu seiner Rechten hatte er einen Bierkrug, und zu seiner Linken hatte er einen Porterkrug.

»Komm herein, mein Kind, und nimm einen Kuß von Johnssons schönen Lippen,« lockte er. Aber Lena hatte wirklich keine Lust zu solchem Getue. Wußte Johnsson denn nicht, daß Herr Per angeschossen war?

»Einer mehr oder weniger!« gluckste Johnsson und machte eine großartig freigebige Geste. Und trank ihr zu.

Nun, dann wußte er wohl auch nicht, daß Se. Gnaden im Sterben lag? – Aber nicht einmal diese Botschaft machte auf Johnssons über alle Sorgen der Erde erhabenen Sinn einen tieferen Eindruck.

»Wer zum Teufel liegt nicht im Sterben?« brüllte er. »Sieht Sie nicht, daß man eben den Leichnam rasiert? Die Johnssone und die de Sarse, die leben und sterben für einander. Sage Sr. Gnaden, mein Täubchen, daß der schöne Johnsson rasiert und für die Fahrt bereit ist.«

»Den holt noch einmal der Teufel,« dachte Lena. Sie schmetterte die Türe zu und begab sich in die Stallungen, um ihre wichtigen Neuigkeiten unter dem gemeinen Volk zu verbreiten.

Diesmal hatte Lena ziemlich richtig gehört – wenigstens was Herrn Per betraf. Ihre Befürchtungen hinsichtlich des Zustandes Sr. Gnaden waren hingegen bedeutend übertrieben. Allerdings hatte der Doktor gesagt, daß hier möglicherweise eine kleine Gehirnblutung vorliege. Aber der allgemeine Zustand des Kranken war den Umständen nach ganz befriedigend. Weder Herz noch Atmung gaben Anlaß zu ernsten Besorgnissen.

Aber Ruhe mußte er natürlich haben. Der Doktor wollte im Lauf des Tages wiederkommen.

 

Um die Mittagsstunde geriet die Dompropstin in einen heftigen Zwist mit ihrem Sohn. Man hörte ihre Stimme über den ganzen Hof, bis in die Küche. Die Neugierde war kolossal, aber nähere Aufklärung über das, was vorging, war nicht zu erlangen, da die sachverständige Lena sich ja noch immer unten in den Stallungen aufhielt. Um wenigstens der Wahlstatt etwas näher zu sein, machte Rika sich oben bei Fräulein Siedel etwas zu schaffen. Im Korridor begegnete sie der Dompropstin. Es war ein furchtbarer, aber interessanter Augenblick. Die Dompropstin war nach Rikas Angaben rot und verschwollen »wie nur was«. Und weiß Gott, hinkte sie nicht vor lauter Wut? Denn das kann man doch nicht denken, daß der Sohn ihr einen Tritt gegeben hat? Dazu wird er doch noch zu schwach und elend sein. –

Als die Dompropstin die Tür zum Zimmer des Sohnes schloß, hatte sie gesagt: »Ich kenne meine Pflicht.«

Herrjemine!

Ungefähr eine Stunde später bestellte die Dompropstin die Equipage. Großer Aufruhr. Niels fuhr mit dem Galawagen, den Galapferden und der Galalivree vor. In der Küchenabteilung wurde die Trinkgelderfrage aufs lebhafteste erörtert. Und Lars hielt sich bereit, das Gepäck hinunterzutragen.

Aber daraus wurde nichts.

Ihro Gnaden – Ihro Gnaden schlecht und recht und ohne Gepäck – kam mit raschen Schritten die Treppe herunter und bestieg den Wagen. Die aufmerksame Lena eilte mit Decken herbei. Und zur Belohnung durfte sie hören, wie Niels sich in aller Demut zu fragen erlaubte, ob man gleichzeitig den Arzt aus der Stadt holen könne.

Nein. Ihro Gnaden flüsterte dem Kutscher eine Adresse zu. Für einen Augenblick verlor Niels seine würdige Haltung – er stand geradezu mit offenem Maul da und glotzte Ihro Gnaden an. Dann aber richtete er sich stramm auf, bestieg seinen Thron, salutierte – und fort waren sie. Da stand Lena, die unglückliche Lena, die nicht eine Silbe von der Adresse verstanden hatte.

 

Se. Gnaden lag da und schlief.

Vickberg streichelte liebkosend die Kante der Seidendecke.

»Ja schlafe du nur, mein Alterchen,« murmelte er zu sich selbst. »Du brauchst nur Schlaf, dann bist du wieder munter. Ich kenne dich schon, du Zornnickel, es ist nicht das erstemal, daß dir die Wut nach dem Leben trachtet. Aber du hast deinen Schlaf. Und dann ist dir geholfen.«

Es war das Eigentümliche an Vickberg, daß, wenn er am Bette seines schlafenden Herrn saß, er seine ganze Feierlichkeit, seine ganze strenge Korrektheit, ja fast seinen ganzen Respekt verlor. Da liebte er es, einen Herrn vertraulich anzureden. Er nannte ihn mein Alterchen, und er konnte sich erlauben, in den stillen Stunden der Nacht den Herrn Baron und Kammerherrn in recht nachdrücklicher Weise abzukanzeln. »Du bist gerade kein Kirchenlicht,« pflegte er zu sagen, »ich möchte wirklich gern wissen, was du anfangen würdest, wenn Vickberg auf die Idee käme, den Staub von den Füßen zu schütteln. Du mußt schon ein bißchen nett gegen Vickberg sein, mein alter Junge, sonst kann es dir übel ergehen. Man hält auch nicht länger aus, als man eben aushält. Daß du's nur weißt, du alter Büffel.«

Aber auszuhalten, das war Vickberg tatsächlich fest entschlossen. Ein Vergnügen war es nicht. Aber man hat seine Pflichten. Und der letzte Roger Bernhusen de Sars sollte nicht allein bleiben, soweit Vickberg es hindern konnte.

Es klopfte an der Bibliothekstür.

Vickberg zuckte die Achseln. Die Dompropstin! »Sie ist doch toll, die Person,« murmelte er. »Der Doktor hat doch ausdrücklich gesagt, er darf nicht gestört werden.«

Das Klopfen wiederholte sich immer rascher und heftiger. Vickberg streckte sich behaglich, nachlässig und gähnte – na, er mußte doch zu ihr hingehen und sie beruhigen. Er erhob sich, und eine so bekümmerte und abweisende Miene annehmend, wie sie ihm für die Gelegenheit angemessen schien, schlich er sich auf den Zehen zur Bibliothekstüre.

Als er die Hand auf die Klinke legte, hörte er Tonis flüsternde Stimme: »Vickberg, Vickberg!«

Das war doch unerhört. Hastig riegelte er auf und öffnete: »Was in –«

»Du mußt Se. Gnaden wecken.«

»Bist du verrückt, Mensch? Warum?«

»Die Dompropstin hat die Polizei geholt. Sie will Jakob verhaften lassen.«

Die Polizei in Rogershof, um –?

Vickberg richtete sich empor.

»Du wartest hier,« sagte er.

»Ja, aber versprich mir, daß du ihn weckst!«

Eine tiefe bedeutungsvolle Falte erschien auf Vickbergs Stirn. »In diesem Falle muß jede andere Rücksicht schweigen.«

Se. Gnaden erwachte langsam. Die Augenlider schlugen ein paarmal auf und nieder. Endlich setzte er sich auf und sah sich nach seinem sauren Rahm um.

»Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ew. Gnaden zu wecken, weil etwas höchst Unangenehmes vorgefallen ist. Wie Ew. Gnaden sich zu erinnern belieben, wurde heute morgen im Park ein Schuß abgefeuert –«

Daran konnte sich der Baron nicht erinnern.

»Dies war jedoch der Fall,« fuhr Vickberg eilig fort. »Es war Jakob, der schoß, und unglücklicherweise traf der Schuß Herrn Per.«

»Teufel auch! Hat er es mit Absicht getan?«

»Darüber wage ich mich nicht auszusprechen. Genug, Herr Per wurde verwundet – zu allem Glück höchst unbedeutend –«

»Ja, warum zum Teufel weckst du mich dann? Ich bin doch kein gottverfluchter Feldscheer.«

»Ew. Gnaden, nicht deshalb – die Frau Dompropstin Hyltenius hat es für notwendig erachtet, die Polizei zu rufen. Und in Anbetracht dessen –« Vickbergs Stimme zitterte – »Ew. Gnaden – eine Arretierung in Rogershof –«

Der Baron hob mit bemerkenswerter Leichtigkeit die rechte Hand.

»So, mein guter Rawuzel – jetzt erzählt er mir die ganze Geschichte noch einmal.«

Und Vickberg erzählte noch einmal. Er gab zu, daß er glaubte, daß zwischen den beiden jungen Männern eine gewisse Eifersucht bestehe. Unter allen Umständen sei es ja äußerst taktlos von Jakob –

»Taktlos,« wiederholte der Baron, »ja, das kann man immerhin sagen. Na, weiter.«

Und Vickberg erzählte noch einmal von der Heldentat der Dompropstin. Und in seiner Erregung fügte er hinzu:

»Ich muß gestehen, daß ich dieses Vorgehen von Ihro Gnaden nicht verstehe –«

Der Baron blinzelte ihm zu:

»Das hat auch niemand von ihm verlangt, mein lieber Freund.«

Vickberg richtete sich stramm auf.

»Was befehlen Ew. Gnaden?«

»Hach ja,« seufzte der Baron, »da müssen wir wohl aufstehen. Sag dem Kerl – dem Kommissär, daß er nichts vornimmt, bis wir mit ihm gesprochen haben.«

Der Haushofmeister übermittelte diesen Befehl Toni. Als er zurückkehrte, hatte sich der Baron eigenhändig die Strümpfe angezogen.

»Aber Ew. Gnaden, Ew. Gnaden –«

»Weißt du, ich fühle mich kolossal munter. Sieh dir mal den Arm an! Sieh nur!« Und er machte einige recht ungezwungene Bewegungen.

»Ew. Gnaden sprechen auch viel besser.«

»Sprechen,« schnaubte der Baron. »Was zum Teufel redet er daher? Glaubt er, daß ich noch nicht sprechen gelernt habe?

Nein, nicht den Schlafrock! Nicht den Schlafrock. Sieht er, der Doktor kommt doch. Und so einer glaubt gleich, daß man krank ist, wenn man einen Schlafrock anhat. Und außerdem,« fügte er mit einer gewissen eigentümlichen Betonung hinzu, »ist es der letzte Abend, den meine Schwester in Rogershof verbringt. Il faut faire les honneurs – versteht er?

A propos, habe ich die Dompropstin heute schon gesehen?«

»Ew. Gnaden hatten ein längeres Gespräch mit der Dompropstin.«

»So so! Was habe ich denn gesagt?

Ach genier dich nicht, mein Bester! Ich weiß ja, daß du nicht horchst. Aber Ohren um zu hören hast du doch.«

Das hatte Vickberg allerdings, und er hatte auch eine dunkle Ahnung, daß Se. Gnaden gesagt habe, er wolle ein neues Testament errichten. Sein Vermögen in drei gleiche Teile teilen, einen für die Dompropstin –

» Que le diable m'emporte! Sieht er, das war der Traum. Na ja.

Hihihi –« brach er in Lachen aus. Er lachte lange, und sein großer Bauch hüpfte vor Lachen oder vielleicht auch aus Nervosität.

»Den Stock! Jetzt sind wir fertig. Eine Prise, s'il vous plaît. Ja übrigens – gib mir die ganze Dose. Kriegst sie zurück! – So so. Der Polizeikommissär ist in Rogershof. – Den Stock – na gut. Wir empfangen ihn in der Bibliothek. Sei so gut und sag der Dompropstin und dem Kommissär – wie war der Name? Was – Valquist? Gut. Ich werde mir die Ehre geben, Herrn Kommissär Valquist zu empfangen.

Allons mon cher.«

 

Die Dompropstin befand sich schon in der Bibliothek. Mit ausgebreiteten Armen eilte sie ihrem Bruder entgegen. Aber auf halbem Weg blieb sie stehen. Und die Arme sanken herab.

»Roger,« sagte sie in tiefem Alt, »du bist mir böse?«

» Pas du tout, – pas du tout, ma chérie!« Er kicherte. »Jetzt wie schon so oft täuschest du dich vollständig über meine Gefühle ...«

Nun meldete Vickberg:

»Herr Kommissär Valquist.«

Ein kleiner untersetzter, vierschrötiger Mann mit buschigem gelbbraunem Schnurrbart, ein Mann mit Riesenschultern, Riesenhänden, Riesenfüßen –

»Guten Tag, mein lieber Kommissär. Bitte Platz zu nehmen. Ich stehe, ich stehe. Ich liege ohnehin den ganzen Tag. Ja, es wäre mir ja angenehm Ihn zu sehen, mein Lieber, wenn der Anlaß nicht so verflucht lächerlich wäre. Nein, bitte Platz zu nehmen, sage ich –«

Der Kommissär setzte sich ganz nahe der Türe.

»Nun, mein Bester, man hat Ihm da eine richtige Räubergeschichte erzählt, von einem Schuß, der hier abgegeben wurde.«

»Roger –« unterbrach die Dompropstin.

» Ma chère, darf ich deine Aufmerksamkeit darauf lenken, daß dies bis auf weiteres eine Unterredung zwischen dem Herrn Kommissär und mir ist. Leider eine ziemlich lächerliche. Aber auf jeden Fall muß ich dich bitten –

Nun Herr Kommissär, was haben wir also gehört?«

»J–j–aa –« begann dieser und nahm eine so hoheitsvolle Beamtenmiene an, als die Heiligkeit der Stätte und die Anwesenheit des Herrn Barons zuließ. »J-j-aa, die Frau Dompropstin Hyltenius hat mir einen gewissen Jakob Enberg, hier auf Rogershof wohnhaft, angezeigt. Es scheint nicht mehr und nicht weniger als ein Mordversuch zu sein, dessen er sich schuldig gemacht hat.«

» Bien! Und was ist nun Seine Meinung?«

»Meinung? Ich habe mir natürlich noch keine Ansicht bilden können –«

» Mon dieu!« Se. Gnaden fing an, nervös zu werden. »Was denkt Er also vorzunehmen, mein guter Mann?«

»J–j–aa, das kann ich sagen.« Und nun sträubte der Kommissär seine Borsten. »Ich gedenke meiner Pflicht gemäß den genannten Enberg zu arretieren.«

»Schön. Wenn ich recht verstehe, will Er auf die Anzeige der Dompropstin hin einschreiten.«

»Jawohl.«

»Gut. Nun bitte ich die Dompropstin, in meiner Gegenwart ihre Anzeige zu wiederholen.«

»Das fällt mir nicht ein.«

»Deine Gründe, wenn ich bitten darf?«

»Gründe? Aber Roger, was meinst du? Habe ich angezeigt? Glaubst du, daß ich ein Mensch bin, der herumgeht und die Leute anzeigt?«

»Für den Augenblick sieht es beinahe so aus. Aber niemand würde sich ja mehr freuen als ich, wenn das Ganze sich als ein Mißverständnis entpuppte. – Also, Herr Kommissär, Sie hören, daß die Dompropstin keine Anzeige gemacht hat?«

Der Beamte wetzte unruhig auf seinem Stuhl und kratzte sich am Rücken.

»Ich begreife nicht, wie die Frau Dompropstin das sagen kann.«

»Können Sie behaupten, Herr Kommissär, daß ich diesen Enberg eines Mordversuchs bezichtigt habe?«

Der Kommissär verlor die Geduld.

»Nein, aber hören Sie jetzt, meine gute Frau –«

»Welche Sprache! Roger –«

Se. Gnaden sah recht vergnügt aus.

»Möchten Sie gütigst meine Schwester erzählen lassen, was sie gesagt hat. Die Damen geben sich ja in der Regel nicht so genau Rechenschaft über das, was sie sagen. Aber hier könnte möglicherweise eine Ausnahme vorliegen.«

»Hahaha,« lachte der Beamte, geschmeichelt, daß Se. Gnaden zu scherzen geruhte.

Aber die Dompropstin blähte sich auf wie ein Truthahn und sprach im tiefsten Alt:

»Ich habe diesem Herrn gesagt, daß mein Sohn Per an der Hüfte verwundet wurde. Aber ob dieser Schuß in böswilliger Absicht abgefeuert wurde, oder ob ein Zufall vorliegt, das zu ergründen ist Sache dieses Herrn und nicht meine.«

Se. Gnaden schneuzte sich geräuschvoll und versank in seinen großen Lehnstuhl.

»So steht es also. Nachdem die Anzeige nun auf ihren richtigen Wert reduziert ist, möchte ich raten, schon heute abend in Erfahrung zu bringen, was der Verwundete selbst über die Sache denkt. Die Dienerschaft steht auch zur Disposition des Herrn Kommissärs. Nur möchte ich mir –« er kaute – »möchte ich mir ausbitten, daß Sie bis auf weiteres das Verhör mit Enberg aufschieben. Ich glaube, der Junge ist zu aufgeregt, um klaren Bescheid zu geben.«

Der Kommissär machte eine ungeschlachte Verbeugung und marschierte hinaus. Se. Gnaden nahm eine neue Prise, nahm sie gründlich und bedächtig.

»Vickberg!« Er winkte ihn zu sich. »Kennt er diesen guten Mann?«

»Sehr gut, Ew. Gnaden.«

»Na – und es fällt ihm nicht schwer, mit ihm zu sprechen?«

»Nein – nein – gar nicht.«

»Das ist recht, denn siehst du, mir schon. – Nimm jetzt diese Schlüssel und hole meine Brieftasche – du weißt?«

Julia und ihr geliebter Bruder waren nun allein in der Bibliothek.

»Roger –«

»Du befiehlst?«

»Du bist mir doch nicht böse?«

» Au contraire! Du hast dich vortrefflich gehalten. Ich versichere dir, du hast diesen Rawuzel geradezu verblüfft. Hihi – es war wirklich amüsant.«

Die Dompropstin lächelte schelmisch und warf ihm einen schmachtenden Blick zu.

»Du bist also wieder mein guter, lieber Bruder? Ach, Roger – heute morgen – welcher Augenblick!«

»Jaja, ja. Du sollst bei mir drinnen gewesen sein?«

»Soll – gewesen sein –«

»Ja, siehst du – ich kann mich meiner Seel nicht daran erinnern. Aber Vickberg behauptet, du warst drinnen und bist auf dem Bettrand gesessen. Ich hoffe, du verzeihst alle Dummheiten, die ich möglicherweise gesagt haben kann?«

Die Dompropstin war sprachlos – sprachlos.

Se. Gnaden fuhr gedankenvoll fort:

»Siehst du, es ist so merkwürdig. Wenn ich ein Alpdrücken gehabt habe, dann bringe ich es nicht los, auch nicht, wenn ich aufwache. Es ist eine vollständige Betäubung. Ich weiß, Gott verdamm mich, nicht, was ich sage.«

»So, nicht? Du willst also behaupten, daß du nicht weißt, was du mir heute morgen gesagt hast? Willst behaupten, daß du dich nicht erinnerst – du erinnerst dich vielleicht auch nicht mehr, daß du mich batest, dir einen Kuß zu geben.«

»Siehst du's! Siehst du's!« schrie Se. Gnaden. »Ich scheine ja ganz von Sinnen gewesen zu sein.«

»Das – das ist unwürdig –«

»Ja, aber warum zum Teufel hast du's getan? Du mußtest doch merken, daß ich irre redete.«

Er nahm eine dritte Prise.

Vickberg kam mit der Brieftasche. Se. Gnaden schloß sie auf und zog einige Banknoten hervor.

»Ja ja – tjiiit – jetzt geht Vickberg zu diesem guten Valquist. Er wartet, bis der Mann seine Obliegenheiten erledigt hat. Dann nimmt er ihn beiseite und bringt ihm einen schönen Gruß von der Frau Dompropstin Hyltenius, die aufrichtig bedauert, ihm unnötigerweise so viel Mühe verursacht zu haben. Und dann drückst du ihm die Hand und tust im übrigen, was der Teufel dir eingibt. Wird er unschlüssig, so sagst du, das ist die Entschädigung für eine überflüssige Dienstreise. Verstehst du? He?«

Vickberg verstand vollkommen.

Und wieder waren die Dompropstin und ihr Bruder allein in der Bibliothek.

»Dahin hat dich also deine unbegreifliche Vorliebe für diesen Schlingel gebracht. Du willst einen Diener des Staates bestechen –«

» Mais que faire, chérie? Hier gehst du immer herum und redest und redest von meinen Pflichten. Ich fange an, daran zu glauben. Vielleicht habe ich Pflichten, vielleicht ist es meine Pflicht, hier in diesem alten Nest Ordnung zu halten, solange meine klapprigen Beine mich noch tragen wollen. Es ist vielleicht meine Pflicht, diesen Kindern zu helfen, die hier um mich aufgewachsen sind, Gott sei's geklagt, aufs Geratewohl aufgewachsen – eben nur so. Wa–was? Was meinst du?«

»Ich meine – ich meine, daß du dich schändlich gegen mich benommen hast! Du hast mich gezwungen, mich vor diesem Individuum lächerlich zu machen. Du hast mich gezwungen, meine eigenen Worte zu verleugnen –«

»Ich habe dich gezwungen?«

»Ja,« antwortete sie kurz. Es zuckte und arbeitete in ihren Gesichtsmuskeln. Und plötzlich brach sie los: »Und dann hast du mich zum besten gehalten! Zum besten gehalten!«

Se. Gnaden betrachtete sie aufmerksam.

»Also um gewisse Vorteile von mir zu erlangen, hast du die Anzeige zurückgezogen?«

»Ja.«

»Du dachtest also gar nicht an die Schande? Nicht einmal bei ruhiger Besinnung bist du davor zurückgeschreckt?«

Sie sah ihm gerade in die Augen.

»Du fängst an, deine Fragen etwas häufig zu wiederholen, lieber Roger. Wie oft willst du eigentlich, daß ich sie beantworten soll?«

Der Baron sank zusammen, er sah sehr, sehr alt aus. Aber er lächelte.

»Du hast recht, ma chère, ich fange an etwas dämlich zu werden. Und wir verstehen uns nicht. Übrigens – hast du dich entschlossen, zu reisen?«

»Ich reise morgen mit dem ersten Zug.«

»Mit dem ersten Zug? Da mußt du entschuldigen, wenn ich schon heute abend von dir Abschied nehme. Meine Kräfte sind nicht so groß. – Na ja, was wollte ich doch sagen? Ja – ich habe ja wirklich keine Ahnung, was ich dir heute morgen sagte. Aber ich kann mir denken, daß ich dir allzu große Hoffnungen bezüglich des Testamentes gemacht habe, das ich nun zu errichten gedenke.« Er schnitt ein sauer-süßes Gesicht. »Ich will hoffen, daß es mein letztes bleibt.

Mein letztes. – Ja, du kannst dir vielleicht denken, daß Blenda meine Universalerbin ist. Ich will dich jedoch versichern, daß ich trachten werde, das Legat, das dir und deiner Tochter zufällt, so groß zu machen, als es mir möglich ist.«

Die Dompropstin hatte sich erhoben. Er streckte die Hand aus.

»Es ist mir peinlich, in diesem Augenblick von Geschäften sprechen zu müssen. Mais que veux-tu – was willst du?« wiederholte er leise.

»Lebe wohl, Roger.« Sie ging an ihm vorbei, das Zimmer verlassend.

Seine Hand sank herab. Er saß vornübergebeugt, auf seinen Stock gestützt. Er nickte ein paarmal, nickte seinen Gedanken bejahend zu. Und er lächelte in sich hinein, lächelte wie ein alter müder Mensch lächelt, freudlos und gelassen, ohne Hoffnung und ohne Unruhe.

 

Toni lief zu Frau Enberg hinauf, er kam ganz außer Atem an. »Es ist aus, es ist vorüber, alles ist gut, alles ist gut!« schrie er. »Er ist fortgefahren, er kommt nicht wieder! Herr Per hat ihn fortgeschickt. Ach, Gott sei Dank.«

»Sprechen Sie leiser, Toni! Sie ist eingeschlafen.«

»Santa Maria, ist sie eingeschlafen? Ja, die Kinder, Luise, die sind glücklich. Denken Sie, jetzt schlafen sie beide! Ach ja, es waren schwere Tage für sie. Armer Junge. Aber jetzt ist alles gut. Sind Sie nicht froh, Luise?«

»Doch, ich bin froh.«

Toni tappte in der Dunkelheit, und seine Hand traf ihr dickes verschwollenes Gesicht.

»Du bist traurig, weil der Junge fortfährt?« Er merkte, daß sie weinte. Aber ihr Schluchzen klang wie schwere, mühsame, krampfhafte Atemzüge. Er konnte ihren Kummer kaum verstehen, er selbst war so sinnlos glücklich.

»Er wird Ihnen schreiben, Luise, jeden Tag wird er schreiben. Und Sie werden ihm schreiben, Luise. Und ich werde schreiben und alles über ihn erzählen. Ich werde so schön über ihn schreiben. Und auf diese Art werden Sie nicht einsam sein, Luise.«

»Nein, nein –«

»Sie werden nicht einsam sein, Luise, Sie werden nicht einsam sein!« wiederholte er ungeduldig.

»Nein, ich werde nicht einsam sein,« wiederholte sie.

Ein langes tiefes Schweigen trat ein. Sie konnten die ruhigen gleichmäßigen Atemzüge des schlafenden Mädchens hören.

»Es ist am besten, wenn Sie jetzt gehen, Toni. Jakob könnte aufwachen.«

»Ja, ich gehe schon.« Und zögernd: »Luise – willst du mir eines versprechen? Wenn du dem Jungen Lebewohl sagst – mach es ihm nicht zu schwer –«

Er wartete auf ihre Antwort. Er hatte Angst, ihr weh getan zu haben, und streckte die Hand aus, um sie zu finden.

Aus der Dunkelheit – von ganz weit weg schien es ihm – hörte er ihre Stimme:

»Nein – ich werde es ihm nicht schwer machen.«

 

Vickberg stand vor seinem Herrn. Er war nicht ganz sicher, ob der Baron wachte oder schlief. Aber er sagte:

»Der Komissär hat mich gebeten, Ew. Gnaden seinen ehrerbietigsten Dank zu überbringen. Er fand die Entschädigung allzu reichlich bemessen. Außerdem bat er mich zu sagen, daß die Sache nach Herrn Pers Aussage ein ganz anderes Gesicht hat. Und daß er gar keinen Anlaß mehr sieht, sich damit zu befassen.«

»Mja – ein ganz vernünftiger Rawuzel.« Der Baron lehnte sich im Fauteuil zurück. »Was hat er weiters vorzubringen, mein Bester?«

Vickberg wollte Sr. Gnaden in aller Demut raten, gleich zu Bett zu gehen. Der Doktor hatte sagen lassen, daß er erst am nächsten Morgen nach Rogershof kommen würde. Aber er hatte aufs strengste vollständige Ruhe anbefohlen.

»Ja, sieht er – anbefehlen, das kann ich auch. Ruhe und gute Laune, ja – aber hol mich der und jener, wenn sie diese Dinge in der Apotheke verkaufen. Sei so gut und hilf mir, ich will ein wenig promenieren.«

Und Se. Gnaden wanderte in der Bibliothek herum, betrachtete seine Bücher, strich ihnen über den Rücken, zog die prachtvolle Corinne heraus, blätterte darin, stellte sie wieder hinein.

»Hör mal, sei so gut, zünde die Lampe auf meinem Schreibtisch an.«

»Ja, aber Ew. Gnaden wollen doch nicht –«

»Na, na, na na, willst du tun, was ich dir sage! Hör mal, Vickberg, was sollen wir also mit dem Jungen anfangen?«

Er sprach durch die geöffnete Türe. Vickberg kam. In der Hand hielt er noch das verkohlte Zündhölzchen, das er mit ernster Aufmerksamkeit betrachtete.

»Ew. Gnaden – ich habe gehört, daß der Vater – das heißt Toni – wünscht, ihn nach Italien mitzunehmen.«

»Das wäre doch des Teufels! Was sagt die Enberg dazu?«

Vickberg zuckte bedauernd die Achseln.

»Was soll sie sagen? Ich glaube nicht, daß sie etwas einzuwenden hat.«

Baron Roger humpelte auf den Stock gestützt hin und her.

»So so, diese Rawuzeln – die treffen ihre Arrangements, ohne mich überhaupt zu fragen?«

»Ach, Ew. Gnaden, es ist ja nur ein Wunsch –«

»Ein Wunsch, ja. Was zum Teufel – ich hatte auch einen Wunsch. Hatte ich etwa keinen, he? Aber hat sich jemand um meinen Wunsch gekümmert?« Er stieß den Stock in den Teppich, er peitschte die Fauteuilsitze.

»Bah!« stieß er heraus. »Mir ist das tout à fait égal.« Und mit einer grimmigen Grimasse fügte er hinzu: »Die Hauptsache ist, daß Menschen und Vieh hier in Rogershof nicht erschossen werden. Was? Was zum Teufel habe ich mit diesem Rawuzel zu schaffen? Von mir aus soll er zur Hölle fahren, wenn es ihm Spaß macht.«

»Ich darf ihnen also mitteilen, daß Ew. Gnaden ihr Anliegen bewilligen?»

»Teile ihnen mit, was du willst. Aber wollen sie fort, dann sollen sie sich sofort packen. Ich will, hol mich der und jener, hier im Haus keine Landstreicher haben. Versteht er? He?«

Ja, Vickberg verstand.

»Und dann kann er ihnen mitteilen – falls das nötig sein sollte – daß das Testament zerrissen ist. Versteht er?

In kleine, kleine Stücke –«

Auch das verstand Vickberg. Und er glaubte auch nicht, daß Jakob etwas anderes erwartet habe.

»So – nicht? – Und im übrigen will ich Frieden hier im Haus haben. Alle Schmarotzer sollen fort. Wie ist es denn eigentlich mit diesem Per, he? Kann der übersiedeln? In diesem Fall soll er sich gleich nach Björkenäs packen, oder wohin zum Teufel er will. Und Blenda soll auch nach Björkenäs.«

»Blenda?«

»Ja!« krähte Se. Gnaden wütend. »Bist du vielleicht taub geworden, du dummer Rawuzel? Ich werde, Gott verdamme mich, diesem dummen Siedel alles auf den Hals schicken, was ich nur kann. Hierher darf sie nicht zurückkommen – hierher darf sie nicht kommen – vor Oktober. Ich kann doch auch einmal Frieden haben, he?

Aber die andere – die dumme – wie heißt sie doch? Sara? Die soll bleiben. Die ist dumm wie die Nacht und spielt wie eine richtige Demimonde – hihihi – weiß er nicht, daß solche Damen immer Écarté spielen?«

Nein, das wußte Vickberg nicht. Aber er glaubte es dem Baron aufs Wort. Und in diesem Zusammenhang wagte er ehrerbietigst zu fragen, ob es jetzt nicht Zeit wäre, zu Bett zu gehen.

»Nein, nein, das will ich nicht. Siehst du,« fuhr er ein wenig beschämt fort. »Siehst du, ich fürchte mich beinahe. Es war so verflucht unbehaglich mit dem Sarg und mit Hygaeus, der mir auf den Schädel klopfte.«

»So etwas wiederholt sich nie zwei Nächte hintereinander. Und die Fischermarlin behauptet übrigens, daß solche Träume langes Leben bedeuten.«

»Sagt sie das? – Ja ja – er sah meiner Seel sehr munter aus, der Alte – Hygaeus meine ich. Aber man soll nie zu sicher sein, siehst du – hör mal, gib mir ein Glas Sherry.«

Als Vickberg mit dem Wein kam, hatte der Baron sich an den Schreibtisch gesetzt. Er hatte Papier vor sich und die Feder in der Hand.

»Nein, aber Ew. Gnaden, das geht nicht, das geht wirklich nicht.«

Der Baron wandte sich ihm langsam zu.

»Hörst du, Vickberg, noch eines – wegen Jakob – ja, du kannst es Toni sagen, du kannst ihm sagen, für die Zukunft des Jungen wird natürlich von hier aus gesorgt. Ja, ich meine – du verstehst? Den Betrag werden wir noch näher stipulieren.«

Vickberg verbeugte sich.

»Mja, das wäre.« Der Baron seufzte schwer und kratzte seinen kahlen Scheitel mit dem Federstiel. »Das ist doch des Teufels. Kannst du begreifen, wie es jucken kann, wo doch kein Haar mehr da ist?«

Vickberg schüttelte den Kopf zum Zeichen, daß er noch immer keine plausible Erklärung dieses Phänomens zu geben vermochte.

Der Baron begann zu schreiben.

»Aber was gedenken Ew. Gnaden zu tun?«

»Ei, ei, solch ein neugieriger Rawuzel,« brummte der Baron, während er schrieb. »Hol' mich der und jener – muß er nicht – alles wissen was ich tue. – Gib mir den Wein – Aah, das war schön.

Ich schreibe an Abraham Björner. Jetzt weiß er es. Sieht er, man soll nie zu sicher sein.«

Und der Baron schrieb. Und Vickberg stand hinter seinem Stuhl und schüttelte den Kopf und trampelte und hustete und gab seinem Mißvergnügen den deutlichsten Ausdruck.

Endlich war der Brief fertig. Mit ungleichen, unmöglichen, beinahe unleserlichen Buchstaben geschrieben. Se. Gnaden las ihn durch und schien mit seinem Werk zufrieden.

»Den Schnupftabak, Vickberg!« Er nahm eine tüchtige Prise, wandte den Kopf ab, damit das Papier nicht befleckt würde und nieste, nieste – und dann machte er eine große Schwenkung mit dem rechten Arm. Denn jetzt kam das Wichtigste, das unvergleichlich Wichtigste: die Namensunterschrift.

Vickberg stellte sich auf die Zehen und las über die Schulter seines Herrn.

»Roger Bernhusen de Sars.«

Se. Gnaden legte die Feder weg und löschte den Bogen. Er schielte zu seinem Diener hinauf.

»Wa–was?«

Vickberg wurde verlegen. Er stammelte:

»Ja, Ew. Gnaden – dieser Name – der – der hat auf vielen wichtigen Papieren gestanden. Das ist ein bedeutungsvoller Name.«

Aber der Baron hörte ihn nicht. Er stützte den Kopf in die Hände und sah mit blinzelnden Augen die vielen Schnörkel, die wunderlich verschlungenen Linien an.

»Richtige Rawuzeln –«

Vickberg legte ihm die Hand behutsam auf die Schulter.

»Ew. Gnaden,« flüsterte er, »jetzt müssen wir uns aber niederlegen.«

»Ja ja« – der Baron richtete sich auf und atmete tief. Aber er konnte den Blick nicht von dem Papier abwenden.

»Siehst du, Vickberg – das da – das bin ich.«

Der runzlige bläuliche Finger wanderte zitternd von Buchstabe zu Buchstabe.

»Roger Bernhusen de Sars.

Und denke nur – bald ist alles zu Ende.«

 

 

Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig

 


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