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Drittes Kapitel

Se. Gnaden diniert und setzt sein Testament auf.

Toni überwachte das Tischdecken im kleinen Speisezimmer. Se. Gnaden pflegte sämtliche Mahlzeiten in seinen Gemächern einzunehmen, aber heute wurde eine Ausnahme gemacht. Man deckte im kleinen Speisesaal und, was auf Rogershof noch seltener war, man deckte für zwei.

Toni war kein besonders energischer Tafeldecker. Er begnügte sich damit, anwesend zu sein und Frau Enberg und Lena hie und da einen Wink zu geben. Erst wenn das Mittagessen und damit das eigentliche Service begann, entwickelte er seine großen Vorzüge: eine katzenhafte geschmeidige Beweglichkeit, eine Gabe überall zu sein und nirgends bemerkt zu werden, eine große Wissenschaft in Bezug auf die verschiedene Temperatur der verschiedenen Weine, eine geschickte Hand, wenn er die Gläser füllte.

Einen Fehler hatte er, er war nicht ausgesprochen, nein, kaum tadellos reinlich. Aber diesem Fehler half Frau Enberg ab, indem sie gewissenhaft seine Garderobe überwachte und ganz besonders gewissenhaft die Weiße der weißen Servierhandschuhe prüfte. Ein einzigesmal war es vorgekommen, daß der Baron seine große Nase in die Luft gesteckt, geschnüffelt und gesagt hatte: »Hol mich der und jener, wenn dieser Rawuzel nicht schlecht riecht!«

Da hatte Frau Enberg sogleich ein aromatisches Bad bereitet. Und Toni, der die Nachgiebigkeit selbst war, hatte sich dieser kleinen Unannehmlichkeit unterzogen.

»Nein, zu denken, daß dieser Björner bei Sr. Gnaden zu Mittag essen soll, das ist doch kurios! Mutter, die lange vor Frau Enbergs Zeit hier im Hause war, pflegte immer zu sagen, daß die Leute sagten, daß seine Mutter in unseren Baron verliebt war. Sie hieß Lilja. Ob es nun wahr war, das wußte Mutter nicht. Aber das eine hat sie mit eigenen Augen gesehen, wie diese Lilja durch die Stachelbeerhecken ging und dem Fräulein von Björkenäs die Schalen nachspuckte. Und schließlich kamen sie doch zusammen.«

»Keine Dummheiten! Das Tuch einschlagen! Sieht sie nicht, daß es zu lang ist?«

»Ja, aber dieser Björner! Lars sagt, daß sie in der Stadt sagen, das ist ein rechter Blutegel. Sowie nur jemand stirbt, schwupps ist er da und schreibt alles auf, was der Leiche bei Lebzeiten gehört hat, jede Kleinigkeit, und wenn's ein zerbrochener Scherben ist. Und dann nimmt er soviel dafür bezahlt, daß für die Erben überhaupt nichts mehr übrig bleibt.«

»Sie ist eine richtige Plaudertasche, Lena. Rasch jetzt, sie muß draußen fragen, ob alles fertig geputzt ist. Sonst soll sie mithelfen.

Nein, Luise, keine Karaffe. Die beiden Silbergestelle, verstehen Sie, Luise? Und dann das kleine Körbchen. Aber den Sherry könnten wir in einer kleinen Karaffe servieren, verstehen Sie, Luise?«

»Ach lieber Gott, ja gewiß. Man ist ja ganz verwirrt. Ich weiß gar nicht, wie mir ist. So als ob etwas ganz Schreckliches passiert wäre. Oder vielleicht passieren wird. Ja, Herrgott, so ist es. So recht ängstlich ist mir zumute.«

»Ist Se. Gnaden nicht gut gelaunt?«

»Ach ja – nein, das ist er übrigens nicht. Er hat gesagt, die saure Sahne sei schlabbrig gewesen. Aber das schadet nichts.

Hören Sie, Herr Toni, haben Sie den Kindern nichts angemerkt?«

Es war Frau Enbergs Absicht, Toni zu überraschen, mit einem hastigen Griff irgend ein Geheimnis zu packen und es aus dem wohlverschlossenen Versteck des Italieners hervorzuziehen. Aber der Versuch mißlang, der Italiener schwieg. Das einzige, was zeigte, daß er wirklich überrascht war, war eine jähe Röte, eine Röte, die immer tiefer wurde. »Mein lieber Herr Toni, Sie dürfen nicht böse werden. Es ist wahrhaftig nicht zu verwundern, wenn ein armer Mensch es zuweilen mit der Angst kriegt.

Sagen Sie mir nur, bevor diese Gans, die Lena zurückkommt – haben Sie nicht gemerkt, Herr Toni, daß die Kinder sich sehr viel allein herumtreiben?«

Herr Toni schwieg. Er sah nicht ein, warum er eine so allgemein bekannte Tatsache wie die, daß die Kinder viel allein herumgingen, noch eigens bestätigen sollte.

»Ja, aber wie soll das enden?«

»Wie soll ich das wissen, Luise?«

»Ach, du mein Herrgott! – Nein, ich kann es nicht wissen, und Sie, Herr Toni, können es nicht wissen. Da ist nur Einer, der alles weiß. Aber ich finde doch, Herr Toni, Sie müßten eine Verantwortung fühlen.«

»Ich habe gar keine Verantwortung.«

»Nein natürlich! Nicht einmal soviel, daß Sie mir sagen, was Sie denken und meinen? Und ich glaubte doch, daß Sie, Herr Toni, meine natürliche Stütze sein würden, wenn es sich um Jakob handelt?«

»Es war mir nie gestattet, bezüglich Jakobs irgend etwas zu denken oder zu meinen.«

»Das ist nicht wahr! Natürlich, Jakob nach Rom schicken, damit er dort katholisch wird, das dürfen Sie nicht, Herr Toni. Aber im übrigen weiß ich doch, daß ich soviel Rücksicht genommen habe, als ich nur konnte.

Ach, lieber Gott, Herr Toni, seien Sie doch vernünftig! Ich weiß ja, daß Sie es mit dem Knaben besser meinen als irgend jemand. Sagen Sie jetzt, glauben Sie, Herr Toni, daß zwischen den Kindern irgendeine Herzenssache ist?«

Toni lächelte mit weißen Zähnen – der Teufel mag wissen, woher er so weiße Zähne haben konnte – und sagte: »Sind zwischen Kindern nicht immer Herzenssachen?«

»Ja weiß Gott.« Frau Enberg arbeitete mit beiden Händen an ihren sich sträubenden graugelben Haarzotteln. »Aber was soll daraus werden? Unser Jakob und Blenda! Ja, natürlich in einem Punkt sind ja die armen Kinder gleich daran. Aber Blenda ist doch so eine Art Ziehkind auf Rogershof.

Und ich möchte wissen, was sie eigentlich treiben?«

Jetzt lachte der Italiener.

»Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht wissen.«

»Wenn er nur nicht so wunderlich und verschlossen wäre, der Junge. Er ist weiß Gott fast ebenso seltsam, wie – gewisse Leute.« zischte sie plötzlich und warf dem Mann, den sie nächst dem Baron hier auf Erden am höchsten achtete, einen Blick voll Haß und Verachtung zu.

»Aber merken Sie auf meine Worte. Wenn in dieser Sache nicht etwas geschieht, und wenn Sie mir nicht helfen, bei den Kindern Ordnung zu schaffen, dann gehe ich zum Herrn Baron. Und es wäre wohl des Teufels, wenn ich es nicht durchsetzen würde, daß der Junge in eine ordentliche Schule kommt.«

Sie machte eine Pause, um zu sehen, wie die Drohung wirken werde. Der Italiener schien unberührt.

»Nun? Lieber Herr Toni –«

»Helfen! Ich!

Ja, ja, schickt den Jungen doch in eine Schule, ist schon gut. Wenn ich ihn sehe, bin ich froh. Kann ich ihn nicht sehen, bin ich traurig. Aber ich habe nichts, nichts, gar nichts zu sagen.«

Er drehte sich hastig herum und ging auf die Türe zu.

»Herr jemine,« schrie Lena, die es am geratensten fand, ihren Posten hinter der Tür zu verlassen. »Mir scheint, er ist schon da.«

»Was sagst du Klatschbase, wer ist da?«

»Nun, der Herr Rechtsanwalt. Dort steht er auf der Treppe.«

 

Vickberg schlich sich vorsichtig in die Bibliothek, wo der Baron saß und schlief. Se. Gnaden schlief in einer sehr unbequemen Stellung, ganz vornübergebeugt, die Ellbogen aufgestützt, und die Hände hingen schlaff über die Knie, während das Kinn sachte über der Magengrube hin- und herwackelte. Zu seinen Füßen lag das Buch »Corinne ou l'Italie«, einstmals ein herrlicher Prachtband mit drei Wappen: Bernhusens gekrönte Rutenbündel, de Sars' Wolfskopf und Bergfeldts Hammer. Corinne hatte jedoch viel von ihrem einstigen Glanz eingebüßt, dank der Gewohnheit des Barons, stets darin zu lesen und sie stets auf den Boden fallen zu lassen. Die selige Baronin Amalia Bergfeldt, Roger Gustaf Abrahams Mutter, hatte am ersten Amalientag auf Rogershof dieses Buch zum Geschenk von ihrer Schwiegermutter erhalten, der verwitweten Baronin de Sars, geborenen Donna Julia di Bartolomeo dei Bartolomei. Die schöne, prachtvoll gebundene Dichtung hatte auf Amalias gefühlvollen und romantischen Sinn einen tiefen Eindruck gemacht, und ihr Sohn sah nicht ein, warum Madame de Staëls Schöpfung nicht auf ihn einen ebenso tiefen Eindruck machen sollte, zumal da er von seinem seligen Vater aus keinerlei literarische Traditionen fortzuführen hatte.

Mit behutsamer Hand hob Vickberg die Überreste der goldenen Corinne auf und legte sie auf den Tisch.

»Ew. Gnaden.«

Ein gewaltiges Schnarchen, das dem Erwachen voranging, erschütterte die freiherrliche Körperhülle, der Kopf erhob sich und sank zurück, die Augen öffneten sich blinzelnd.

»Wa– was? – wo haben wir den Schnupftabak?«

»Es ist ein viertel vor sechs. Ich habe dem gnädigen Herrn Baron die Ankunft des Herrn Rechtsanwalt Björner zu melden. Belieben Ew. Gnaden die Toilette zu adjustieren?«

»Tjitjitiiit – Gott helfe uns Vickberg. Danke, danke. Was, ein viertel vor sechs? Da kommt der verdammte Rawuzel zu früh. Sollen wir denn jetzt schon essen?«

»Ew. Gnaden belieben in dreiviertel Stunden zu dinieren. Inzwischen kann der Herr Rechtsanwalt im Park spazierengehen.«

»Na ja. – Meinen Stock. Na, mein Lieber, er kennt ja die Leute? Soll dieser Abraham Björner ein anständiger Mensch sein?«

»Ohne Zweifel, Ew. Gnaden. Nahe verwandt mit den Liljas und folglich auch ein wenig mit unserem Hause.«

»Hihihi – verflucht schlechte Rekommandation, die er da vorbringt. Aber wir werden schon sehen.«

 

Toni entwickelte seine schönsten Eigenschaften. Er war zu verschlossen und verträumt, allzuwenig solid, um ein wirklich guter Bedienter zu sein. Aber sowie es sich darum handelte, bei einer gedeckten Tafel zu servieren, erwachten seine angeborenen Anlagen. Tonis Vater, sein Großvater und wahrscheinlich auch sein Urgroßvater waren Tafeldecker im Bartolomeischen Hause gewesen. Und sicherlich hätte Toni in diesem Augenblick als Tafeldecker beim alten Don Baldassare fungiert, wenn ihn nicht die Stürme des Jahres achtundvierzig unter die politischen Verbrecher geschleudert hätten. Don Baldassare, der selbst ein vorsichtiger und höchst loyaler Mann war, war es mit großer Mühe gelungen, seinem jungen Diener das Leben zu retten, indem er ihn noch beizeiten zu seinen Verwandten nach Ultima Thule schickte. Hier begegnete er auch Frau Enberg, dem zärtlichen Interesse einer warmherzigen Frau für einen unglücklichen Flüchtling, hier blieb er. Und nun bediente er den Herrn Baron und seinen Gast.

»Mon cher cousin ist wirklich aimable, daß er kommt, um einen alten Einsiedler zu besuchen.«

»O ich bitte, ich bitte! Der leiseste Wink des Herrn Onkels genügte.«

»Nun, mein guter Freund – wie alt sind wir eigentlich? Neunundvierzig? Na, da sind wir auch kein Kücken mehr. Ich bin selber nicht viel älter, wenn auch die Beine so verflucht klapprig geworden sind.

Und wie geht es dem alten Fuchs aus Hviskingeholm? Noch kein Schußgeld für ihn ausgezahlt, he?«

»Sollte – sollte Onkel Abraham gemeint sein?«

»Abraham? Ja, so heißt er. – Na, Vetter, haben wir gehört, daß Schwester Julia im Anzug ist?«

»Wirklich? Wie erfreulich. Es ist wohl schon lange her, seit die Dompropstin die Freude hatte –«

»Na, so ein paar Jährchen. Ja, jetzt ist ja der selige Dompropst hinüber, das ist immerhin eine Erleichterung. – Prost – ja, mja, zu süß, nicht? Nein? – Na ja, ist schon recht. Das war ein Erzhalunke.«

»Er hatte seine Eigenheiten. Aber eine reich begabte Persönlichkeit –«

»Na, und jetzt hat sie Söhne. Drei, glaube ich, oder wie, Vickberg? Ach so, zwei Söhne und eine Tochter. Ja, gewiß, die kleine Malla. Hat schon seine Richtigkeit. Kennen wir die, Vetter?«

»Die Söhne kenne ich. Es sind ganz prächtige junge Leute. Roger namentlich, der Jurist –«

»Wo haben wir den Schnupftabak, Vickberg? – Konveniert es, Vetter? Nicht? Ah, das ist ein verdammt guter Schnupftabak, tjitjiiiit – helf Gott. Danke, danke. – Reitet ihn der Teufel, Vickberg? Nimmt er mir die Suppe weg? Schnupftabak in die Suppe gefallen? Na, so sag er das doch gleich.

Die Juristen, ja. Das sind mir auch nette Rawuzeln, die die Herren da in der Kanzlei haben! Da sitzen sie und schreiben lange Litaneien und zeigen mir an, daß ich dies und das tun soll. Und dann wollen sie noch obendrein, daß ich ihr Geschmier lese. Was?«

»Darf ich Ihnen einen Rat geben, Vetter Roger? Es ist etwas, woran ich schon lange gedacht habe – aber aus Zartgefühl und aus Furcht zu stören habe ich mich ja von Rogershof ferngehalten.

Diese großen Güter, das Fideikommiß und die Siedelschen Herrschaften, erfordern natürlich eine ganze Reihe von Maßregeln rein juridischer Natur. Wäre es nicht das Beste, wenn der Cousin diese Obsorge einem erprobten Juristen überließe?«

Der Rechtsanwalt verstummte plötzlich und suchte seine Verwirrung und seinen Schreck mit einem Glas Madeira hinunterzuspülen. Er begriff, daß er furchtbar unvorsichtig gewesen war –

Se. Gnaden zog die Achseln hoch und schob den Kopf vor, die schwarzen Augen funkelten aus ihren schmalen Spalten, die Wangen schwollen an, sie wurden gedunsen und blauschwarz. Der Rechtsanwalt, der vom Hörensagen und aus Familienlegenden die plötzlichen heftigen Ungewitter auf Rogershof kannte, hatte eine Empfindung, recht ähnlich der Schuljungenangst vor Schlägen. Hier saß er, an den Tisch gebunden, festgekettet durch soziale Rücksichten, saß gerade gegenüber diesem höchst unsozialen Greise, der im Stande war, im nächsten Augenblick den Suppentopf über ihn auszugießen.

Glücklicherweise hatte der Baron noch soviel Gefühl für seine Verpflichtungen als Hausherr, daß er seinen Zorn nicht direkt auf den Gast entlud. Er tappte mit der Hand nach Vickbergs mageren Beinen. Ein kräftiges Kneifen! Der Haushofmeister schnitt ein schmerzliches Gesicht, aber gab keinen Laut von sich. Der Groll des Herrn Baron hatte seinen handgreiflichen Ausdruck gefunden – der Blitz hatte sich entladen, jetzt erübrigte noch der Donner, der Tonis unschuldiges Haupt traf. »Was? Was hast du da? Bringst du mir Braxen auf meinen Tisch?«

»Es ist Lachs, Ew. Gnaden.«

»Das wagst du mir zu sagen. Hinaus, hinaus, hinaus, du unverschämter Rawuzel! Hol mich der und jener; glaubt nicht jede Bauernsau, daß sie mich übers Ohr hauen kann?

Wie heißt der Mistkerl im Fischerdorf? Wie? Er soll sich zum Teufel scheren! Mir gibt er solche widerliche Braxen, und den Lachs verkauft er dann auf dem Markt Juristen und anderem Pack. Ja, der Vetter braucht nicht mehr auf sich zu beziehen, als er will.«

Vickberg war blaugezwickt und in seinem Innersten empört, aber er beherrschte die Situation. Er gab leise Ordres, die Teller wurden gewechselt und der Braten hereingebracht. Unterdessen hatte sich Se. Gnaden etwas abgekühlt. Und der Zorn war verraucht.

»Aha, der Braten. Das ist schön. Braxen, das ist ein widerwärtiger Fisch, nicht wahr, Vetter?«

»Ja, ziemlich viel Gräten hat er allerdings.«

»Nicht wahr? Das hat seine Richtigkeit. Toni, mein lieber Freund, hört er, was der Herr Rechtsanwalt sagt? Braxen haben verdammt viel Gräten.

Prosit! – Charmante Temperatur, mein lieber Freund. Er ist eine Perle. Der Braten ist mürb, was? Ich lasse der Enberg sagen, sie ist eine Perle.

Ja, am zwanzigsten kommt Schwester Julia. Das ist eine charmante Person. Höchst respektabel. Und am zweiundzwanzigsten werden wir fünfundsechzig. Das ist nicht viel, aber immerhin etwas. Prosit, mon très cher cousin, à votre santé. Nein, dieses Stückchen, Cousin, das ist superb. Und dann müssen Sie mir bestimmt versprechen, uns an unserem Geburtstag nicht zu vergessen. Da wird ein höchst delikater Lachs serviert werden, hihihihi! Nicht solche verdammte Braxen, versteht mon cousin? Hihihihi!«

Der Rechtsanwalt strich sich über seine graugesprenkelten Polissons. Er wußte nicht recht, sollte er seine verletzte Würde beibehalten oder den ganzen Auftritt gemütlich nehmen. Aber die frohgelaunte Liebenswürdigkeit des Barons war unwiderstehlich. Und als dieser noch einen kleinen Wink gegeben hatte, daß der Kaffee den Geschäften gewidmet sein sollte, war Herr Björner wieder vollständig versöhnt.

»Meinen Stock, wenn ich bitten darf. – Ach, ich bitte, Cousin, begeben wir uns in die Bibliothek.

Ja mein seliger Schwiegervater. Kannten wir den? Es heißt, daß der Alte so'n bißchen wucherte. Haben wir das auch gehört? Ja, freilich wird geklascht. Aber woher sollte er auch sonst sein Vermögen haben? Na, ich klage nicht hihihi! Ulla war eine gute Partie. Herrgott ja, die selige Ulla. Gut war sie, très aimable et très sage, très, très sage.

Kognak? Kognak für den Cousin und die Mischung für mich. Pfui Teufel. Aber der Magen, der Magen, lieber Vetter.

Na also. Ein Testament, mein Lieber, das ist wohl eine recht rawuzelige –«

»Natürlich muß man bei der Abfassung eines so bedeutungsvollen Dokumentes alle im Gesetze vorgeschriebenen Bestimmungen genau beobachten. Und es wäre wohl kaum ratsam, ohne sachverständigen Beistand –«

»Das ist er, Cousin, hihihi.«

»Natürlich stehe ich gerne zu Diensten. Meine Kenntnis der Familienverhältnisse macht mich ja –«

»Schon recht. Aber sprechen wir nicht von der Familie. Leibeserben mit gesetzlichen Ansprüchen haben wir nicht. Und Schwester Julia ist eine fromme Frau. Die fragt nicht nach weltlichen Dingen, he?«

Der Rechtsanwalt strich sich nervös den Bart. Er wußte nicht, wohin der Baron eigentlich hinaus wollte.

»Also Legate – für treue Diener?«

»Etwas, etwas. Die ehrlichen Seelen haben uns ja nicht bis auf die Haut geplündert. Und so müssen wir natürlich unsere Dankbarkeit zeigen. – Ja, ich muß dem Vetter sagen, unsere Lage ist verflucht kitzlig.«

»Wieso?«

»Ja, sieht er, Vetter, da ist unsere Schwester Julia. Die mögen wir einmal nicht. Der würden wir gar zu gern –«

Se. Gnaden schloß den Satz sehr ausdrucksvoll dadurch ab, daß er seiner schon ohnehin ansehnlichen Nase eine Stocklänge zulegte. Die Geste war allzu deutlich, um mißverstanden zu werden, und sie berührte Abraham Björner überaus unangenehm. Gewiß war er während seiner zwanzigjährigen Tätigkeit als praktischer Jurist mehr als einmal in die Lage gekommen, guten Leuten unnatürlich lange Nasen zu verschaffen, aber eine solche zynische Offenheit war ihm doch peinlich.

»Der Vetter beliebt zu scherzen?«

»Was? Aber ganz und gar nicht. Ich will ihm sagen, daß diese Schwester Julia ein verflucht unausstehlicher Rawuzel ist. Pro primo hat sie mich mit Ulla Siedel verkuppelt. Pro secundo hat sie dieser seligen Ulla tausend Mucken in den Kopf gesetzt. Pro tertio war der Mann ein Halunke.«

»De mortuis –«

»Ach lassen wir das Latein, mein Lieber, und sprechen wir gut schwedisch. Petrus Hyltenius war ein Halunke. Aber mich wollte er zu einem züchtigen Leben anhalten. Hol mich der und jener, wenn ich verstehe, was er eigentlich meinte. Ja, er wollte, daß ich mein Verhältnis mit Mimi legalisiere. Auf diesen Witz fallen wir nicht herein. Das hat der heilige Petrus von Julia, und Julia von Georg Bergfeldt, und Georg von Mimi selbst. Na also, der heilige Petrus kommt zu mir und sagt, aus Respekt für das Andenken unserer seligen Gemahlin sollten wir das Verhältnis legalisieren. Was? Nicht übel! Eine Baronin Bernhusen de Sars geborene Peterson. Das wäre eine schöne Satisfaktion für die selige Ulla gewesen.«

»Zugegeben –«

»Zugegeben, ja. Aber sieht er, hinter diesem ganzen reizenden Arrangement stand eben Schwester Julia, diese eigennützige Person –«

»Aber bester Cousin. Da kann ich doch keine Spur von Eigennutz finden. Ohne Zweifel lag der Dompropstin die Zukunft des Kindes am Herzen. Die Stellung der kleinen Blenda wäre ja –«

»Hol der Teufel meine ollen Beine, wenn diese Juristen nicht ein verdammt geriebenes Gelichter sind! Hier hat der Vetter in fünf Minuten herausgebracht, was ich in zehn Jahren nicht gefunden habe. Ja, ja! Das hochwohlgeborene Fräulein Blenda de Sars auf Björkenäs und Klockeberga, das wäre freilich ein fetter Bissen für einen der jungen Hylteniusse gewesen. Hol mich der und jener, habe ich nicht ein Billetdoux von der Jule im Schreibtisch? Vickberg! Vickberg! – Zu jener Zeit geschrieben. Da reicht sie mir eine versöhnende Hand und sagt, daß die Zukunft mit starken jungen Banden an die Vergangenheit geknüpft werden solle – was will er denn, Vickberg?«

»Ew. Gnaden haben beliebt –«

»Ja gewiß – den Schnupftabak – danke – tjitjiiit, adieu, bester Vickberg – na also, was sagt der Vetter?«

Abraham Björner gehörte zu jenen, die durch Schaden klug – zuweilen auch reich werden. Er hatte schon ein freiherrliches Unwetter erduldet und war nun fest entschlossen, zur größeren Sicherheit die Küste entlang zu segeln. So hielt er vorsichtig mit allen Urteilen zurück und bot nur seine treuen Dienste an. Wenn der Vetter nur seine Dispositionen treffen wollte, so würde er ihnen schon die gesetzliche Form geben.

»Na also. Ja, Rogershof geht schon einmal flöten. Das müssen die Bergfeldte haben. Aber über Björkenäs und Klockeberga und die anderen Kleinigkeiten haben wir die Freiheit zu disponieren. Was glauben wir, daß wir damit tun werden?«

»Vielleicht liegt dem Vetter irgend ein wohltätiger Zweck am Herzen?«

»Hihihi. Was sollte das wohl sein? Ein Altersheim für Kammerherren in Ungnade, he? Das wäre doch eine verflucht noble Institution.«

Björner kannte die Geschichte von Baron Rogers Ungnade und wußte den Witz zu würdigen. Aber eigentlich wäre er nun schon sehr gerne zur Sache gekommen.

»Es handelt sich also um einzelne Personen –?«

»Ja, ja, hat seine Richtigkeit. Aber hol mich der und jener, wenn der Vetter auf der Liste steht! – Ja, ja, das darf er nicht übel nehmen. Der Vetter wird Testamentsexekutor, und das Douceur wird rundlich ausfallen.«

Björner verbeugte sich würdig, aber verbindlich. Douceur war ja allerdings keine passende Benennung für das Honorar eines Rechtsanwalts, aber in diesem Fall hatte Björner mehr Sinn für die Bedeutung des Satzes als für seinen Wortlaut.

»Na ja. Nun, es ist nicht beabsichtigt, die Sache heute zu erledigen. Wir wollen ein kleines Konzept aufsetzen. Das kann der Vetter dann so recht zierlich ins Reine schreiben, he? Und am Geburtstag unterzeichnen wir in Anwesenheit von Schwester Julia und der anderen lieben Verwandten, he?«

»Aber – Verzeihung – glauben Sie nicht, Onkel, – daß es möglicherweise die allgemeine Freude trüben könnte? Eine solche Überraschung –«

»Ja, sieht er, mein bester Rawuzel! – Überraschungen und Geburtstage gehören einmal zusammen. Aber vielleicht hat der Vetter etwas einzuwenden?«

»Natürlich nicht! Natürlich nicht! Ich habe nur die Wünsche meines Auftraggebers auszuführen.«

Der Baron kratzte seine große Nase, er schnaubte und nieste, gekitzelt und verächtlich.

»Da können wir also den Erben nennen –«

»Den Erben? Ein Universalerbe! Nun, dann brauche ich ja nicht nach dem Namen zu fragen, wenigstens nicht nach ihrem Vornamen, haha –«

»Worüber zum Teufel amüsiert er sich? Jakob ist der Vorname, und als Zunamen setzen wir – Enberg.«

»Wa– was? Wie beliebt? Meint der Onkel –? Nicht Blenda?«

»Meine Güter Björkenäs und Klockeberga, all mein bewegliches Eigentum, insoweit es nicht von Fideikommisnatur ist, sämtliche in meinem Portefeuille befindlichen Obligationen, Aktien und Depositen fallen nach meinem Tode an Jakob Enberg, jedoch mit der Verpflichtung, davon an gewisse Personen lebenslängliche noch näher zu spezifizierende Renten auszuzahlen. Doch tritt dies Testament nicht in Kraft und wird dem erwähnten Enberg kein Pfennig ausbezahlt, ehe er mit meiner Tochter Blenda gesetzlich getraut ist –

He? Kommt mir jetzt mit den Hylteniussen nach Björkenäs und Klockeberga. Kapiert mein lieber Vetter das?«

Se. Gnaden zitterte vor froher und triumphierender Gemütsbewegung. Die dummverblüffte Miene des Rechtsanwalts gab ihm einen Vorgeschmack der Geburtstagsfreuden.


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