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Zwölftes Kapitel

Per und Blenda.

Per verbrachte den Nachmittag im Garten und im Glashaus. Sara kam und leistete ihm einige Minuten Gesellschaft – aber Per war unerträglich. Nach Sara kam die Dompropstin. Ihro Gnaden hatte gehört: Per säße im Glashaus und sei unerträglich. Nun, unerträglich war er schon während des ganzen Mittagsessens gewesen, wortkarg und langweilig. Nicht eine Silbe hatte er – zum Beispiel – der kleinen Blenda gesagt, die ganz verschüchtert mit Tränen in den Augen dasaß.

Nein, jetzt mußte die Dompropstin wirklich ein ernstes Wort mit ihm sprechen. Und angegessen und schwerfällig, aber allen Mühen und Beschwerden trotzend, wanderte Ihro Gnaden durch den ganzen Park, durch den ganzen Garten bis zum Glashaus.

Die Begegnung im Glashaus war kurz, bewegt und nicht ganz ohne Resultat. Aber dieses Resultat war nicht das von der Dompropstin beabsichtigte. Per entschloß sich vielmehr, Rogershof schon am folgenden Morgen zu verlassen. Er wollte nach Upsala fahren, um sein Examen zu machen. Allerdings hatte er ja noch einige Monate vor sich, bevor das Semester anfing – ja, das verstand die Mutter nicht. Er mußte jetzt gleich hin, aus verschiedenen Gründen, die er ja nicht näher zu spezifizieren brauchte.

»Hast du zehn lange Jahre mit deinem Examen gewartet, so wirst du wohl noch zehn Tage warten können!«

Nein, unmöglich. Absolut unmöglich.

Nun, die Dompropstin wußte aus Erfahrung, wenn Per sein Examen machen wollte, dann war er nicht aufzuhalten. Und man durfte ja nicht einmal den Schein auf sich laden, einem so erfreulichen Bestreben entgegenwirken zu wollen. Denn das ließ sich nicht leugnen: Pers Examen ließ recht lange auf sich warten. Seine Begabung und sein Fleiß waren sicherlich aller Anerkennung wert, aber er war so unbeständig, oder richtiger und schöner gesagt: seine Interessen waren so vielseitig, so allumfassend. Aber jetzt wollte er sich konzentrieren!

Dieses Symptom kannte die Dompropstin: sobald Per aus irgend einem Anlaß aus dem Gleichgewicht gebracht war, fühlte er das Bedürfnis, sich zu konzentrieren. Fest stand also: er war aus dem Gleichgewicht gebracht.

Ihro Gnaden gab den Kampf auf – vorläufig.

»Ja, dann reise also mit Gott, lieber Per!«

Per verabschiedete sich von seinem Onkel, der keinen Versuch machte, ihn zurückzuhalten. Im Gegenteil. Se. Gnaden sah fast unschmeichelhaft erfreut aus.

Nun, ihm blieb das gleich. Die Hauptsache war, daß er von Rogershof fortkam, von dem Schauplatz seiner Heldentaten. Gott erbarme sich, mußte sich ein alter Kerl so lächerlich machen, wüten, tosen, ein kleines Mädchen zu Tode erschrecken, nur um ihr eine ritterliche Aufmerksamkeit zu erweisen!

»Pfui Teufel!« fluchte er, über seinen Mantelsack gebeugt, dessen Inhalt er mit geballten Fäusten hineinstopfte.

Nein, hier herumzugehen, damit das Mädchen und der andere etwas zu lachen hatten!

Es klopfte.

Blenda trat ein. Sie war sehr verlegen, und Per war sehr verlegen. Was willst du? hätte er fast gefragt, aber es gelang ihm noch, die Worte in ein undeutliches fragendes Grunzen zu verwandeln.

»Ich hörte, daß Sie morgen abreisen, Per. Und da wollte ich Ihnen adieu sagen.«

»Ich hatte natürlich beabsichtigt, mich morgen von Ihnen zu verabschieden – aber es ist sehr freundlich von Ihnen, Blenda –«

»Kann ich Ihnen bei etwas behilflich sein, Per?«

»Danke. Mit dem Gepäck bin ich fertig. Groß ist es ja nicht, wie Sie sehen, Blenda.«

»Nein.«

Über diesen Gegenstand ließ sich eigentlich nicht mehr viel sagen.

»Und Jakob ist auf der Jagd? Ach bitte, grüßen Sie ihn von mir. Ich hätte ihm gern Glück gewünscht – also ein andermal.

Ja, ich weiß ja nicht, wie offiziell die Sache eigentlich ist – darf ich Ihnen gratulieren, Blenda?«

»Warum sollten Sie mir gratulieren, Per?«

»Na, dazu ist ja auch ein andermal Zeit,« beeilte er sich zu sagen. »Übrigens, wir werden uns wohl nicht so bald wiedertreffen. Wenigstens nicht in Rogershof. Onkel strahlte geradezu vor Zufriedenheit, als er mich entließ.«

Ja, wenn ich jetzt Bruder Rogers Begabung hätte, dachte Per, dann würde ich so viele Witze über meinen lieben Onkel reißen, daß Blenda sich vor Lachen ausschütten müßte. Die einzige Art, sich selbst nicht lächerlich zu machen, ist: andere ins Lächerliche zu ziehen. –

»Wollen wir vielleicht in die Bibliothek gehen? Mutter wird wohl wünschen, daß ich ihr heute abend Gesellschaft leiste.«

»Ihro Gnaden hat sich schon zurückgezogen.«

»Ach so. Nun, wir können ja –«

»Ja. Aber zuerst möchte ich Ihnen gern danken, Per –«

»Wofür denn?«

»Ja, ich kam noch gar nicht dazu – gestern abend. –«

»Sag mir, Blenda – wer hat dir gesagt, daß ich morgen fortfahre? Mutter? – Ja so. Hat sie dir gesagt, daß du zu mir kommen solltest und mir danken?«

»Nein – ja, sie hat es gesagt. Aber ich hätte es ohnehin getan.«

»Es ist unter allen Umständen absolut überflüssig.«

Und das sagte er – so wütend, als ob er sie beißen wollte.

»Ja dann –« sagte Blenda und retirierte zur Türe. Es hatte ja keinen Sinn, daß sie länger hier stand. Es schien schon ihr Schicksal zu sein, alle Menschen aufzubringen. Alle waren sie unfreundlich gegen sie.

»Hör mal, Blenda – warte ein bißchen! Ich möchte nur sagen, daß ich selbst sehr wohl einsehe, wie lächerlich ich mich benommen habe. Ich schrie und tobte ja wie ein Narr, anstatt – ganz anders zu handeln. Und ich verstehe sehr wohl, daß es peinlich für dich war, Blenda, mitten in so etwas hineinzukommen – ja, das verstehe ich alles sehr wohl, ohne daß Mutter oder Sara mich mit der Nase darauf stoßen müssen. Das kannst du ihnen bestellen, Blenda.«

»Meinen – meinen Sie auch, Per, daß das nur lächerlich war, was sie über Mutter sagten?«

»Davon ist jetzt nicht die Rede. Aber nun haben wir wirklich genug darüber gesprochen. – Wollen wir nicht in die Bibliothek gehen?«

»Nein! Ich gehe und leg mich schlafen.«

»Ach so. Ja dann gute Nacht, Blenda. Und adieu, falls wir uns nicht mehr treffen sollten. – Und viel Glück!«

Und er reichte ihr die Hand.

Aber wie er so dastand, die große Pranke klotzig ausgestreckt, mit blinzelnden Augen, errötend, dumm – ja er erschien ihr so dumm ... da verlor sie vollständig den Respekt. Und obendrein mußte er noch mit diesem »Viel Glück!« kommen, womit das ganze Haus sie schon den ganzen Tag geärgert hatte. Wahrhaftig, man konnte um geringeres die Geduld verlieren. Und dann spürte sie, daß die Tränen ihr nahe waren ...

»Na, Blenda?« Er blinzelte noch dümmer. »So gute Freunde sind wir doch geworden, daß ich Ihnen viel Glück –«

»Ach, scheren Sie sich zum Kuckuck mit Ihrem Glück!«

Da stand er mit seiner ausgestreckten Hand –


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