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Dreizehntes Kapitel

Se. Gnaden spielt und hält ein Hausverhör ab – Fünftes Scharmützel.

Lena, die zufällig unter Herrn Pers offenem Fenster stand – nämlich es war so, daß sie mit Frau Enbergs frischgewaschenen Hosen in den Inspektorflügel gehen sollte, aber da glaubte sie – ja Lena hörte ganz deutlich wie Blenda dort oben quiekte –

Man denke sich! Und sie sollte doch mit Jakob gewissermaßen verlobt sein. Aber der Bräutigam war ja in der Tanningehütte – na ja.

Bei einer solchen Mutter – schließlich –

Aber Jesus, wie die ins Zeug ging! Daß sie gar keine Scham im Leibe hatte! Mitten am helllichten Tage!

Nanu, das klang beinahe wie Weinen –

Ja wahrhaftig, sie weinte, jämmerlich. Und Herr Per brummte ganz ängstlich, es hörte sich wirklich furchtbar an.

Lena, die ein gefühlvolles Herz hatte, schneuzte sich in die Hosen.

Jetzt war es oben wieder still.

Lena stopfte die Hosen unter die Schürze und ging in die Küche, um die Sache mit Beda zu besprechen.

 

Das ist ja Mutters Schrift! Hat Mutter geschrieben –?«

Ja, das wußte Axel nicht. Aber gegeben hatte ihm Frau Enberg den Brief.

»Warum biß du zu Mutter gegangen, du Rindvieh? Habe ich dir nicht gesagt –«

Nein, Axel war nicht zu Frau Enberg gegangen. Er war dem närrischen Johnsson begegnet –

»Scher dich zum Teufel!«

Jakob ging in die Hütte und setzte sich auf die Pritsche. Na, das wird wieder eine nette Geschichte, dachte er, drehte den Brief herum, blies darauf und schnitt der erwarteten Strafpredigt eine Fratze.

Dann riß er den Umschlag auf.

»Mein lieber Junge. Blenda hat mich gebeten, Dir zu antworten –«

Jakob las den Brief und las ihn noch einmal. Sehr genau. Dann riß er ihn in kleine, kleine, viereckige Stücke, trat vor die Türe und warf sie hinaus in den Wind.

Das war eine Art Rache an Mutter.

Dann schloß er die Türe hinter sich zu, ging zu seiner geliebten Pritsche, warf sich darauf und vergrub den Kopf in die Arme.

Ach Gott, wie dumm – Wie dumm diese Blenda sein konnte! Und Mutter erst!

»–Ich weiß nicht, lieber Jakob, ob du in Bezug auf Blendas Gefühle so sicher sein kannst –«

So etwas! – Sicher! Wessen sollte er sicher sein? Blendas Gefühle. Gott erbarme sich, wie dumm! Solch ein kleines Mädel hat doch keine Gefühle. Er trommelte mit den Knöcheln auf dem Holz.

Aber abscheulich konnte sie wahrhaftig sein. Schändlich. Jetzt nicht zu kommen – jetzt, wo sie sich so viel gezankt hatten, mehrere Tage hintereinander. Er könnte doch glauben, daß sie ernstlich böse sei. Übrigens war Mutter auch abscheulich. Zu sagen, daß Blenda sich wohl mit den fremden Gästen in Rogershof besser unterhielte –

Na ja – vielleicht. Per – pfui Teufel, dieser Fettklumpen!

Plötzlich setzte er sich auf. Seine Muskeln waren gespannt, übervoll von jugendlicher Kraft, sie sehnten sich nach Betätigung. Aber er wollte sie bezwingen, er wollte keinen Finger rühren. Es war ihm eine Genugtuung, seine Freude zu beherrschen. Still, ganz still wollte er sein. Die Freude gärte so in ihm, daß sein ganzer Körper zitterte.

Björkenäs und Klockeberga, ganz Tanninge, die Wälder bis hinauf nach Rydboholm – nein, diese gewaltigen Wälder, und all die Äcker!

Und Blenda, die so dumm war! Und so süß!

Eine feine kleine zierliche Mücke tanzte ihren graziösen und aufreizenden Kriegstanz um seinen Kopf, srrrr –

Er vergaß alles, um dieser Mücke aufzulauern. Klatsch! Da schlug er sich auf die Wange, daß ihm die Ohren sausten.

»Hab ich dich, du kleines Ekel!«

Langsam und mit großem Wohlbehagen dehnte er die Arme, dehnte seinen ganzen Körper und gähnte kolossal.

Wie es dem kleinen Prinzeßchen beliebt! So gehen wir eben nach Rogershof und holen uns unsere –

Er schloß die Augen und lächelte.

 

Der Baron hatte einen kaum halbstündigen Vormittagsschlaf hinter sich, und anstatt des sauren Rahms hatte er, nach Frau Enbergs etwas verwirrtem und barbarischem Menü, Omelette und kalte Ente zu sich genommen. Und doch – trotz allem – war Se. Gnaden in vortrefflicher Laune.

Er hatte ja auch seine guten Gründe, zufrieden zu sein, zufrieden mit sich selbst.

Fürs erste – diese geradezu märchenhafte Selbstbeherrschung, die er bei dem Gespräch mit der Jule an den Tag gelegt hatte! Und nicht genug damit, daß dies Gespräch in so würdigen Formen verlaufen war, das darauffolgende Dejeuner war entzückend, heiter, geistsprühend gewesen. Se. Gnaden hatte artige und witzige Dinge gesagt, mit jugendlicher Elastizität hatte er seiner lieben Schwester die Honneurs gemacht und es wirklich zustande gebracht, ihr saures Gesicht in ein sonnig lächelndes zu verwandeln.

Ja, ja, er war wohl noch nicht so alt und unmöglich, wie – wie man zu insinuieren beliebte.

Fürs zweite hatte Per seine baldige Abreise angekündigt. An und für sich war dies ja bedauerlich. Hm, der gute Per – aber daß zuerst Roger und dann Per so rasch und gutwillig und offenbar mit Zustimmung von Ihro Gnaden von Rogershof abzog, das bewies doch sonnenklar, daß die Dompropstin jeden Gedanken aufgegeben hatte, sich den freiherrlichen Plänen zu widersetzen.

Und das war doch eigentlich verflucht raisonnabel und anständig von der Jule. Se. Gnaden seufzte einmal ums andere erleichtert und vergnügt auf und rieb sich den kahlen Schädel mit der flachen Hand.

Und dann hatte der Baron so gegen vier Uhr nachmittag einen neuen Anlaß zur Freude gehabt. Sara Siedel spielte Écarté. Sie spielte nicht wie Arvid, der nie gewann, auch nicht wie der Pfarrer, der immer gewann. Nein, sie spielte so mitten dazwischen, gerade recht, daß es ein bißchen spannend wurde.

»Hihihi, meine Beste, ich glaube, du mogelst, aber da sind einmal zwei alte Schwindler zusammengekommen – Pardon! Aber Gott verdamm mich, du bist ja kein Küken mehr!«

Sara schluckte das Kompliment herunter – wenn auch mit einiger Schwierigkeit. Und sanft lächelnd sagte sie:

»Ich bin so froh, wenn ich Ihnen eine kleine Zerstreuung bereiten kann, Onkel –«

»Ja, es ist wirklich nett, wirklich nett. Denn siehst du, sonst habe ich ja niemanden, mit dem ich spielen kann.«

»Ich finde doch wirklich, Blenda könnte –«

»Blenda? Was? Nein, siehst du, in diesem Alter taugt man zu mancherlei, aber zum Kartenspielen nicht. Hihi, da hat man andere Vergnügungen, meine Beste. Coupez, s'il vous plaît.«

Sara coupierte mit einem kleinen Knall. Und errötete lieblich.

»Nein, weißt du, Onkel! Ich für mein Teil finde wirklich, daß man etwas von seinen Vergnügungen für seinen Vater – seinen Wohltäter – opfern kann.«

»Hihihi, findest du das, ma chère? Gott verdamm mich, das finde ich auch! Aber die Jugend, weißt du, die hat wieder andere Ansichten. He?«

Se. Gnaden nickte freundlich und vergnügt. Leider hatte er nicht die leiseste Ahnung, daß Sara Siedel jung war.

»Ich glaube wirklich, daß es für Blenda besser wäre, wenn sie nicht allen ihren Launen so folgen dürfte.«

»Wa–was?« murmelte der Baron. Er gab jetzt und war vollauf damit beschäftigt, zu sehen, wieviel Karten er gab.

»Ja, ich sage, es macht mir den Eindruck, als ob die kleine Blenda etwas unbeständig, etwas launenhaft wäre.«

»So so – so so,« murmelte Se. Gnaden. Er war ganz davon in Anspruch genommen, seine Karten zu prüfen, und ahnte nichts Böses.

Aber Sara Siedel war wütend. Sie fühlte sich verunrechtet, betrogen –

Nach dem Mittagsessen hatte sie diesen langweiligen Écarté-Partien ein Ende machen wollen, und zu diesem Behuf hatte sie sich an die Dompropstin mit der Frage gewendet, ob sie nicht dem armen Per einpacken helfen solle.

»Nein, um Gottes willen, liebe Sara! Ich habe Blenda eben dazu gebracht, zu ihm hineinzugehen –«

»Nun, das braucht mich doch nicht zu hindern.«

»Du darfst sie unter keiner Bedingung stören! Ich glaube, sie haben sich etwas zu sagen – geh du nur in die Bibliothek und spiele mit dem lieben Roger, so kann ich mich inzwischen ein bißchen ausruhen.«

Sich etwas zu sagen! Oh, Sara verstand sehr wohl; schon vormittags auf der Heimfahrt von der Kirche hatte sie verstanden. Sie kannte ihre liebe Tante. Sie ahnte nicht nur, nein sie wußte, was all diese liebevoll besorgten Fragen bezüglich Blendas zu bedeuten hatten.

O diese – diese falsche alte Katze! Hatte sie nicht immer gesagt, daß Per und Sara –?

Na ja, ihretwegen! Sie wußte bei sich selbst, sie konnte vor Gott und den Menschen beschwören, daß sie nie, nie die allergeringste Neigung für diesen – diesen Bären empfunden hatte. Aber was sie empörte, das war diese Hinterlist! Wie sie sie irritierte, ihre Weiblichkeit verletzte, ja gerade ihre Weiblichkeit – dieses einfältige, unerzogene, kokette, widerliche Ding!

»Nun, ma chère, wie ist es mit uns?«

Se. Gnaden glühte vor Eifer, das Spiel zu beginnen. Er hatte herrliche Karten. Aber Sara verschlang die Hände über den Karten, legte den Kopf vor und betrachtete den Onkel mit einem zärtlich verschleierten Blick.

»Lieber Onkel, ich weiß ja nicht, ob ich es sagen soll. Ich werde dich vielleicht betrüben. Und das wäre mir leid –«

»Was zum Teufel – wie beliebt? Was hast du? Warum spielst du nicht?«

»Es tut mir so leid, daß so über sie geklatscht wird.«

»Über wen?«

»Über Blenda. Ich versichere Sie, Onkel, daß ich wirklich erst nach reiflichster Überlegung – wenn ich es nicht von so vielen Seiten gehört hätte, von wirklich zuverlässigen Personen – vom Pfarrer, von Abraham Björner – und die Dienstleute sprechen ja von nichts anderem – aber ich tue vielleicht doch unrecht, wenn ich es sage –«

»Jetzt sei so gut, heraus mit der Sprache, meine Beste! Was sagt man?«

Se. Gnaden legte die Karten weg. Sara blinzelte wie vor der Sonne und eröffnete das Gefecht mit einem etwas nervösen Eifer.

»Vor allem soll die Art, wie die Enberg die beiden jungen Menschen miteinander verkehren läßt, gelinde gesagt, frei, ja anstößig –«

»Was meint Sie eigentlich mit anstößig? Das sind vermutlich wieder solche verfluchte blödsinnige altjüngferliche Ideen, die Sie da hat.«

Sara richtete sich empor.

»Für sein Alter, lieber Onkel, kann niemand. Aber wie alt ich auch werde, ich werde es immer für höchst anstößig ansehen, wenn zwei junge Menschen ohne Garde sich im selben Haus aufhalten dürfen – ja schlafen –«

»Was zum Teufel sagst du? Haben sie zusammen geschlafen – hihihi –«

Sara erhob sich. Aber der Baron reckte sich über den Tisch und faßte mit zitternder Hand nach ihrem Kleid.

»Nein, ma chère, jetzt echappiert man nicht. Wenn wir solche Impertinenzen vorbringen, so werden wir auch dafür einstehen. Asseyez-vous, s'il vous plaît.«

»Ich habe nie – nie gesagt –«

»Das tugendsame Fräulein muß schon entschuldigen, wenn mir ihre Ausdrucksweise etwas zweideutig vorgekommen ist. Aber jetzt möchte ich gerne wissen, was uns so aufgebracht hat. Die jungen Leute, für die wir uns zu interessieren belieben, sind bekanntlich hier auf dem Gute aufgewachsen. Und da konnte man ihnen nicht überallhin die Kinderfrau nachschicken. Also wenn sie ein bißchen viel allein herumgegangen sind, so wird es wohl meine Schuld sein. He?«

»Davon ist nicht die Rede. Aber daß sie zum Beispiel – zusammen baden –«

»Baden? Haben sie zusammen gebadet? Hihihi! Wer hat das gesagt?«

»Das – das hat Johnsson gesagt.«

»So so, der alte Rawuzel! Gott verdamm mich, wenn der sie nicht belauscht hat! Hihihi. Ja, das ist wirklich gelungen, ma chère

Wieder erhob sich Sara, aber diesmal mit gelassener Würde.

»Ich merke, lieber Onkel, daß wir eine ganz verschiedene Auffassung haben. Und ich kann es nur aufs tiefste bedauern, daß ich je – ich hoffe, Sie verzeihen mir, Onkel.«

» Mais rien du tout, Mademoiselle!« Der Baron machte mit beiden Händen eine abwehrende Bewegung. »Das ist doch, hol mich der und jener, wirklich nicht übel. So so! Die beiden Rawuzeln baden zusammen –« Er rieb sich mit beiden Händen den Kopf, und mit schlauem Ernst fuhr er fort: »Ja, ja, Sie dürfen nicht glauben, liebe Nichte, daß wir ein so verstockter Sünder sind. Hätten wir das früher gewußt, so würden wir natürlich unsere Maßnahmen getroffen haben. Mais que faire? Vor diesem fait accompli können wir ja nichts Besseres tun als unsere Intentionen auszuführen, das heißt eine Heirat aufs bestimmteste zu ordinieren. He?«

Ja, du bist wahrhaftig ein verstockter Sünder, du altes Greuel, dachte Sara. Aber ich will dir jetzt etwas anderes zu denken geben als Unanständigkeiten. Sie ging auf ihren teuren Onkel zu und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.

»Ja, Onkel – wenn es nur wirklich dazu kommt.«

»Wa–was?« Er streichelte ihre Hand ganz freundlich und suchte sie gleichzeitig von seiner Schulter herunterzuschieben. »Sollen wir nicht fortsetzen, ma chère? Das Spiel, meine ich?«

Sie seufzte milde und nahm ihren Platz wieder ein. Sie spielten. Sara strich Stich für Stich ein. Der Baron schnüffelte und betupfte seine Nase.

Plötzlich legte er die Karten weg.

»Hör mal – hör mal – was hast du eigentlich gemeint? Wenn es wirklich dazu kommt. Wa – was?«

»Ach, spielen wir doch lieber weiter!«

Das war Trumpf. Der Baron griff wieder zu den Karten und wählte, was er zuwerfen sollte – leider konnte er nichts anderes tun als zuwerfen. Aber die Wahl fiel ihm schwer.

»Nein, jetzt will ich wissen, was du gemeint hast, meine Beste – sei so freundlich!«

Er schleuderte seine Karten auf den Tisch, so daß sie sich mit Saras Stichen vermischten. Und Sara fügte sich dem Zwange, hörte auf zu spielen, beugte sich zum Onkel vor und teilte ihm im Flüsterton ihre Befürchtungen mit, während ihre langen schmalen Hände nervös übereinander, zwischeneinander durchglitten.

Die Augen des Barons zogen sich zu schwarzen Spalten zusammen. Er war verblüfft, sprachlos, er konnte nicht einmal böse werden. Natürlich hatte die Dompropstin Sara ausgesandt, aber was meinte sie, was plante sie? Sie hatte doch ihre verdammten Jungen fortgeschickt –

»Meinst du – handelt es sich um Per?«

»Weiß Gott, Onkel, daß ich nichts meine. Sie haben mich gefragt, Onkel, ob ich glaube, daß Blenda mit dem Testament zufrieden ist. Herrgott, ich kenne ja Blenda so wenig. Aber es kommt mir wirklich vor, als ob ihr Interesse auf eine ganz andere Seite gerichtet wäre.«

Gedankenvoll und stumm betupfte Se. Gnaden noch eine Weile seine Nase. Dann stand er auf, nahm den Stock und humpelte in sein Arbeitszimmer. Sara hörte ihn klingeln.

Vickberg kam lautlos und rasch durch die Bibliothek, und Sara hörte die Stimme des Onkels:

»Er holt mir sofort Blenda, Vickberg, sofort! Hört er!«

Und Vickberg schlurfte durch die Bibliothek und verschwand. Sara war es recht unbehaglich zumute. Sie wartete einige Minuten, aber als der Baron nicht zurückkehrte, erhob sie sich und ging vorsichtig zur halbgeöffneten Türe. Sie klopfte leicht.

»Onkel – lieber Onkel –«

»Wie beliebt?«

»Was gedenken Sie zu tun, Onkel?«

Er kam zu ihr hinaus. Sein ganzer Kopf war dunkelrot, und das Kinn zitterte. Aber die Stimme klang ganz ruhig und beherrscht.

»Ja, sieht Sie, meine Beste – ich habe einen Entschluß gefaßt. Ich will versuchen, diese Dinge ein wenig aufzuklären. Versuchen, versteht Sie mich, das kann man immer, das schadet nicht. Und geht es nicht, so soll der Teufel fortsetzen, was Roger de Sars begonnen hat.«

»Ja, lieber Gott, Onkel wenn es nur zu keiner Szene kommt! Herrgott, ich habe solche Angst! Sie dürfen nicht sagen, Onkel, daß ich etwas gesagt habe. Und das von Jakob und Blenda, das hat doch nur Johnsson –«

Er stieß mit dem Stock in den weichen Teppich. Man hörte es kaum. Aber an der Vertiefung im Teppich konnte man sehen, daß der Stoß kräftig gewesen war:

»Ein jeder muß für seine Worte einstehen, ob das nun ein Mannsbild oder ein Frauenzimmer ist, ein Johnsson oder eine Sara. N'en parlez plus, s'il vous plaît.«

Er faßte sie unsanft am Arm und führte sie zum Spieltisch.

»Bitte sehr, nimm nur Platz! Mademoiselle Blenda scheint auf sich warten zu lassen.«

Sara plumpste auf den Stuhl. Sie rang die Hände, und ihre Angst war keineswegs gespielt.

»Aber denken Sie doch an Tante.«

»Ja, hol mich der und jener, wenn ich nicht an sie denke!« brüllte er. Wieder gelang es ihm, seinen Grimm zu bemeistern, und er fuhr in leisem erklärenden Ton fort:

»Siehst du, ich hatte meine Pläne, und die waren, wie sie eben waren. Da kommt die Jule und du und verschiedentliche andere und haben wieder andere Pläne – ja, das habt ihr,« schrie er. »Na, so ist es. Und jetzt heißt es eben versuchen, das Ganze ein bißchen aufzuklären –«

Vickberg stand in der Türe.

»Ihro Gnaden lassen sagen –«

»Was zum Teufel – was zum – verdammter Rawuzel!«

Er machte eine heftige Gebärde, und Vickberg wich erschrocken aus.

Aber im selben Augenblick stand Ihro Gnaden selbst auf der Schwelle.

»Roger, du hast mich rufen lassen?«

»Nein – nein, in drei Teufels Namen.«

»In diesem Falle liegt ein Mißverständnis vor, aber nicht der geringste Grund, sich zu ereifern.«

Sie trat auf ihn zu, klopfte ihm freundlich auf die Schulter und sagte zärtlich fragend:

»Wünschest du vielleicht Blenda zu sprechen?«

Verblüfft und besiegt erwiderte der Baron:

»Ja – mit deiner werten Erlaubnis –«

»Nun, dann ist Vickberg so freundlich und bittet die beiden jungen Herrschaften, zu kommen.«

Vickberg enteilte.

Ihro Gnaden fügte hinzu:

»Ja, ich nehme an, daß du nichts dagegen hast, wenn Per auch kommt?«

Hierauf gab Se. Gnaden keine Antwort. Mit beinahe übertrieben beflissener Artigkeit rückte Sara einen Stuhl vor. Die Dompropstin nickte wohlwollend:

»Du bist immer so diensteifrig, beste Sara.«

Und dann setzte sie sich.

Schweigen.

 

Blenda war verschwollen und rot. Per war auch rot, und seine Lippen bewegten sich unaufhörlich, so als murmelte er etwas in sich hinein. Er hatte auch allerlei mit seinem Sacktuch, seinen Augengläsern und seinen Taschen zu tun. Vickberg, der offensichtlich von der Bedeutung des Augenblicks durchdrungen war, stellte Stühle hin, auf denen Per und Blenda Platz nahmen.

Der Baron sagte:

»Mir scheint, Blenda hat geweint?«

»Leider war ich der unfreiwillige Anlaß,« sagte Per.

Der Baron sagte:

»Per hat die Gewogenheit bis auf weiteres zu schweigen.«

Und die Dompropstin:

»Wollen Sie so freundlich sein, Vickberg, das Zimmer zu verlassen und die Türen zu schließen?«

»Vickberg bleibt,« schrie der Baron. »Bleibt!«

»In diesem Falle gehe ich,« erklärte die Dompropstin. Aber da der Baron ihr nicht widersprach, blieb sie ruhig sitzen.

»Ich wünsche mit dir über eine recht wichtige Sache zu sprechen, Blenda,« begann der Baron nun zum zweitenmal, und seine Stimme klang ein wenig aufgeräumter. »Du weißt ja, meine Kleine – nicht wahr – daß wir ein Testament direkt zugunsten Jakobs und indirekt zu deinen Gunsten gemacht haben, he? Das wissen wir? Und dann kennen wir auch die kleine Bestimmung bezüglich Jakobs und Blendas, he? Das wissen wir doch?«

Als Blenda nicht antwortete, fiel die Dompropstin irritiert ein:

»Herrgott, Roger, das wissen doch alle Menschen. Wohin willst du eigentlich hinaus?«

Aber der Baron sah und hörte seine Schwester nicht. Er sagte mit einem gewissen Anflug von Feierlichkeit:

»Nun will ich die kleine Blenda fragen, ob sie für ihr Teil mit dem Testament und seinen Bestimmungen zufrieden ist?«

Blenda schwieg. Alle mit Ausnahme von Per hatten die Blicke auf sie geheftet. Wie konnte sie da antworten? Und was konnte sie antworten?

»Du willst mir nicht antworten? – Na ja, dann wollen wir dir vielleicht eine andere Frage stellen: Hast du diesen Rawuzel, diesen Jakob lieb?«

Blenda schwieg. Die Dompropstin brach los.

»Nein, weißt du, Roger, in Anwesenheit der Dienerschaft –«

Vickberg drückte sich an die Tür. Der Baron öffnete den Mund, aber verschloß ihn wieder mit der Stockkrücke. Plötzlich sagte Blenda ganz klar und deutlich:

»Ja–a, ich habe ihn lieb.«

»Aha, aha,« jubelte Se. Gnaden. »Sieht man's jetzt? hihihi. Wir sind noch kein alter blinder Maulwurf. Wir haben unsere Symptome, he, Vickberg? He, mein guter Rawuzel?«

Und Vickberg gestattete sich, seinem Herrn und Gebieter zuzulächeln.

Aber die Dompropstin sagte:

»Ich verstehe dich nicht, Roger. Niemand bezweifelt doch, daß Blenda eine schwesterliche Zuneigung für den jungen Mann empfindet? Er ist doch so gut wie ihr Pflegebruder.«

»Du bist verflucht schwach von Begriffen, meine Beste,« knurrte der Baron. »Na, meine liebe Blenda, so sag es Tante jetzt klar und deutlich: Willst du deinen ›Pflegebruder‹ heiraten oder nicht? – Also, antworte jetzt! Man darf, hol mich der und jener, doch nicht so zimperlich sein.«

»Roger, das ist empörend! Willst du wirklich, daß sie in Gegenwart der Dienerschaft –?«

Aber jetzt war es endlich mit der verwunderlichen Langmut des Barons zu Ende. Er schoß auf seinen langen Beinen in die Höhe und schlug mit dem Stock auf den Tisch, die Einlegearbeiten der Mahagoniplatte vollständig ruinierend.

»Diener – Diener – Dienerschaft sagst du! Augenblicklich, hört er – die Enberg – den Toni – den Johnsson – gleich, hörst du, gleich, gleich –«

»Dann gehe ich.«

»Geh – geh« – schrie er – »Wa – Wa – Wa-«

»Roger, Roger, dich trifft der Schlag! Nimm dich in acht! Denke an Per, denke, wie es dem armen Per ging! Vickberg, helfen Sie.«

Aber Vickberg war nicht mehr vorhanden. Per mußte seinen Onkel umfassen und zum Sofa führen.

»Wa – Wa – Wa –« lallte der Baron. Schließlich gelang es ihm doch, das Wort zu vollenden: »Wasser.«

»Das ist ein Schlaganfall, das ist ein Schlaganfall,« jammerten die Dompropstin und Sara. Aber nachdem Se. Gnaden ein Glas Wasser getrunken hatte, sagte er ganz ruhig und nicht ohne eine gewisse Freundlichkeit:

»Nein, hol mich der und jener, wenn mich der Schlag getroffen hat.« Und er kniff sich in den Schenkel.

Die Zärtlichkeitsbezeugungen der Dompropstin wurden dadurch abgeschnitten, daß Frau Enberg, Toni, Johnsson und Vickberg in obenerwähnter Ordnung ihren Einzug hielten. Sie blieben an der Tür stehen, die Vickberg hinter ihnen schloß. Dann trat Vickberg an die Spitze der Truppe und sagte: »Ew. Gnaden« – und die drei machten ihre Reverenz. Der Baron winkte mit der Hand. Schön, schön. Eine Weile herrschte Schweigen. Se. Gnaden setzte sich auf dem Sofa zurecht.

»Johnsson hm – na also, kommen Sie her, Johnsson.«

Johnsson trat näher und machte eine seiner bewunderungswürdigsten Verbeugungen.

»Johnsson, er soll herumgehen und schwatzen – über die Kinder schwatzen? –«

»Sssacker –« begann Johnsson, aber beeilte sich, sein Lieblingswort im Taschentuch zu ersticken. Die Dompropstin flüsterte ziemlich hörbar:

»Ich muß schon sagen – das wird ja ein vollständiges Zeugenverhör –«

»Ja, ja, ma chère – ganz richtig,« kam es heftig von ihrem Bruder.

»Nun, Johnsson, er soll ja herumgegangen sein und den Kindern nachspioniert haben?«

»Wie Ew. Gnaden befehlen – aber bitte, das habe ich nicht getan, wenn ich sie auch hier und dort gesehen habe – falls Ew. Gnaden das befehlen.«

»Das soll er getan haben, ja. Na, na. Was hat er also für einen Eindruck Johnsson? Hat es so ausgesehen, als hätten sie einander lieb, die Kinder?«

»Ja ja, akkurat – akkurat, wie Ew. Gnaden befehlen. Wie Brautleute haben sie ausgesehen, mit Respekt zu sagen, ja, in allen Ehren natürlich. Denn so'n Abknutschen wie unter gewöhnlichen Leuten hat es ja nicht gegeben. Alles freundlich und sittsam, bitte. Akkurat, wie Ew. Gnaden befehlen.«

»Schön, Johnsson, sehr schön. – Na, Luise, und sie hat denselben Eindruck wie Johnsson, he?«

Zagend und zitternd trat Luise Enberg einige Schritte näher an ihren Herrn heran. Und flüsternd, beinahe unhörbar sagte sie:

»Da der gnädige Herr Baron es befehlen, so will ich sagen, ich habe immer geglaubt, daß Fräulein Blenda unserem Jungen gut ist. Und daß der Junge sie lieb hat, das weiß ich.«

Der Baron legte die Hand ans Ohr.

»Was sagt die Person?«

»Akkurat dasselbe wie ich,« beteuerte Johnsson mit einer großen Geste. Er begann sich schon sicherer zu fühlen.

»Aber, Roger, wenn ich nur verstehen könnte –«

»N–n–nein, beste Jule, du verstehst nicht, aber ich werde es dir schon erklären. Du gehst hier herum und sagst, daß ich nichts begreife und nichts sehe und nichts kapiere. Daß ich ein blinder, tauber, lahmer Greis bin, der nur alle möglichen wahnwitzigen Ideen hat –«

»Nein, aber, Roger –«

»Ja, sage ich! Und daß es solch eine verflucht idiotische Kaprize von mir ist, die zwei verheiraten zu wollen. Aber jetzt siehst du, jetzt siehst du. Jetzt siehst du wohl zum Teuxel, daß es die allgemeine Meinung ist –«

»Ja, ich sehe, ich sehe,« ahmte ihm die Dompropstin nach. »Aber hier handelt es sich nicht um die allgemeine Meinung, sondern um das, was Blenda will. Und Blenda will nicht.«

Der Baron blinzelte, sein Gesicht wurde ganz schlaff. Er sah krank und müde aus. Das Kinn hing herab.

Aber plötzlich kniff er die Lippen zusammen und ballte die Hand.

»Nein,« zischte er. »Sie will wohl nicht. Ich fange an, es zu verstehen. – Aber wer – wer hat die Schuld?«

»Du willst wohl nicht insinuieren –«

Der Baron erhob sich. Wie ein großer wütender Elchstier stand er da mit geducktem Kopf und glimmenden Augen.

»Ich insinuiere nicht, ich sage offen, und ihr könnt es alle hören – Dienerschaft oder was zum Teufel ihr seid –

Dieses Weib –«

Er streckte seinen langen Arm gegen die Dompropstin aus. Aber der Zeigefinger krümmte sich krampfhaft.

»Dieses Weib –« wiederholte er, und seine Stimme wurde schrill, beinahe piepsend. »Dieses Weib!« schrie er zum drittenmal.

Die Dompropstin war vollständig weiß im Gesicht. Ihre Augen standen weit offen – nicht ein Blinzeln.

Es war ganz still. Man hielt den Atem an. Einen Augenblick.

Und dann Blendas Stimme:

»Ich will – ich will ihn – heiraten –«

Dann warf sie sich über die Stuhllehne und weinte und weinte.

Se. Gnaden seufzte tief auf. Der Arm sank ihm herab. Er ging auf Blenda zu und erfaßte mit beiden Händen ihre Arme.

»Komm mit mir, mein Herzchen,« sagte er ruhig.

Blenda stand auf.

Und auf das hilflos, fassungslos weinende Mädchen gestützt, stelzte Baron Roger de Sars in sein Arbeitszimmer.


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