Th. Bentzon
Die Heimkehr
Th. Bentzon

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XXV.

Als Renée von den Aufregungen aller Art, die sie bald erhoben, bald niedergeschmettert hatten, in der Ruhe des Häuschens, das sie ehemals ihr Gefängnis, das Gefängnis ihrer Thatkraft und Träume genannt hatte, erwachte, wähnte sie aus einem Traume zu erwachen. Hatte sie wirklich die Freuden und Enttäuschungen einer Künstlerlaufbahn erlebt oder hatte ihr nur die Vorsehung in einer blitzschnell vorüberziehenden Vision alles, nach dem sie vor kurzem noch verlangt hatte, erscheinen lassen, um sie mit gebeugtem, blutendem Herzen zu dem Einfachen und Wahren zurückzuführen? Einen Augenblick lang konnte sie wohl im Unklaren darüber sein, als sie am Tage nach ihrer Rückkehr sich in dem kleinen, mit weißem Barchent überzogenen Bett inmitten der ihr so vertrauten Gegenstände, mit denen ihre Mutter sich umgeben hatte, wiederfand.

In ihrer ersten Freude lief sie an das Fenster; durch den dichter als jemals wuchernden Jasmin sah sie die mit Buchsbaum eingefaßten Beete mit perennierenden Pflanzen wieder, die sie noch mit eigner Hand aufgezogen und gepflegt, und die Laube, unter der sie, wenn die häuslichen Arbeiten gethan waren, es sich zum Lesen bequem gemacht hatte.

Wie durch ein Wunder erhielt alles, was ihr am wenigsten von Interesse gewesen war, jetzt einen unschätzbaren Wert. Wie alte Freunde küßte sie die Möbel, die etwas von der Berührung einer geliebten Hand behalten haben mußten; sie fühlte sich versucht zu fragen, ob sie nicht auch froh waren, sie wieder zu sehen, ob sie nicht in ihr jene junge, sich ungeduldig nach Freiheit sehnende Thörin, die man Renée nannte, wiedererkannten. Am liebevollsten aber berührte ihre Hand das Piano, das, so lange Zeit stumm, ein sympathisches Echo erklingen ließ, dem so manche Thräne Antwort gab. Es war ihr intimster Vertrauter gewesen, hatte alle ihre Geheimnisse zu hören bekommen, alle ihre ehrgeizigen Hoffnungen entstehen und wachsen sehen. »Damit ist es nun aus,« sagte sie zu ihm, »mein Schicksal hat sich erfüllt; ich werde nicht mehr von einer Zukunft reden ....«

»Wer weiß?« ließ sich ein Vöglein im Garten hören, »die Zukunft hat vielleicht noch mehr als ein Geschenk in Vorrat; nichts findet ein Ende, im Gegenteil alles entsteht von neuem; laß dich nicht selbst im Stich.«

Wie um die Lehren des kleinen Vogels zu bethätigen, trat Cäcilie lächelnd und heiter ein und fing an, in sorglosem Geplauder tausend Pläne zu entrollen. Cäcilie war immer die gleiche, ergeben in ihr Schicksal oder vielmehr zu sehr ihrer selbst vergessend, um daran zu denken, daß es etwas zu wünschen übrig lasse. Ihre Häßlichkeit behielt immer den gleichen, unbeschreiblichen Reiz, einen moralischen, für die Augen der Seele sichtbaren Reiz, wie Schönheit es für die Augen des Körpers ist. Ohne daß sie sprach, glaubte Renée sie sagen zu hören: »Worüber beklagst du dich, da du deine Stunde des Triumphes und Glanzes, vollen und unvergleichlichen Genusses gehabt hast und trotz allem noch mehr geliebt wirst, als irgend ein Weib auf der Welt? Mir ist von alledem nichts zu teil geworden, die alltäglichsten Freuden waren mir versagt, und doch finde ich Mittel und Wege, glücklich zu sein und habe niemals gesagt, Gott sei nicht gerecht. Ich kann dir sogar noch Trost zusprechen.«

Aber Cäcilie kam es nicht in den Sinn, sich als Vorbild auszuwerfen; sie öffnete nur ohne einen Vorwurf, ohne eine zudringliche Frage ihre Arme, wie wenn sie sich tags vorher getrennt hätten. Zusammen gingen sie in das Dorf; alle Bewohner grüßten Fräulein Christen und wünschten ihr zur Rückkehr Glück; man wußte nichts von ihren Erlebnissen, außer daß sie auf Reisen gewesen und »ihr Glück gemacht« hatte, man fand sie schöner geworden und fragte sie, ob sie lange, vielleicht für immer dabliebe.

Für immer ... Herr Loysel, der Vater zweifelte an seinem Teil nicht daran. Etienne mußte wohl schließlich Sieger geblieben sein. In der Familie würde es eine Hochzeit geben; die künftigen Erben seiner Güter tauchten ihm schon als Engelsköpfchen im Rauche seiner Pfeife auf; an sie dachte er, während er sein Mündel willkommen hieß, die ihm so viel Kummer verursacht und von der er eines Tages gesagt hatte:

»Das ist nicht die Schwiegertochter, die uns zusagt.«

Aber wie aufkommen gegen die Halsstarrigkeit und die Geduld Etiennes? Dieser Trotzkopf von einem Jungen hatte das letzte Wort behalten! Einerlei, wenn er sich nur verheiratete.

Man that nichts, weder um Herrn Loysel in seinem Vertrauen zu ermutigen, noch um es zu zerstören. Renée lebte in ihrem kleinen Hause, wie sie darin neben ihrer Mutter gelebt hatte, nur in Gemeinschaft mit ganz andern Gedanken und Erwägungen. Sie sah ein neues Leben für sich beginnen, wurde, erstaunt darüber, neue Sinne zu haben, um das Gute an tausenderlei früher verkannten Dingen zu begreifen und zu würdigen, neu geboren.

Gegen Etienne zeigte sie sich stets freundlich, wenn auch zurückhaltend. Er seinerseits bemühte sich, nicht aufdringlich zu erscheinen und befolgte peinlich die Abmachung brüderlicher Freundschaft, die er selbst getroffen; er hielt sich bereit, dem leisesten Winke Folge zu leisten und war glücklich, wenn Renée auf ihren Spaziergängen mit Cäcilie auf Souvray, dem Schlosse der Hagestolzen, wie Friedrich es benannt hatte, einkehrte.

Dieser sagte zuweilen lachend:

»Wir sollten uns hier alle zusammenfinden und ein Kloster gründen.«

»Wollen erst noch älter werden,« antwortete Renée in derselben Tonart. »Ich befinde mich, so wie ich bin, ausgezeichnet. Die Ruhe des Landlebens und die stille Freundschaft um mich herum ... jetzt habe ich endlich gefunden, was mir fehlte.«

»Stille Freundschaft!« meinte Cäcilie zu Friedrich, »sie kann das nicht ernsthaft meinen. Bemerkt sie denn den Zwang nicht, den sich mein Bruder auferlegt?« »Sie bemerkt ihn und freut sich darüber, meiner Seel',« antwortete der Maler. »Ihre Kunst läßt ihr jetzt Muße, die sie angenehm darauf verwendet, mit der Zartheit und Entsagungskraft einer beispiellosen Liebe Bekanntschaft zu machen, während sie sich selbst offen hält, nichts von ihrem Eigenen herzugeben. Ich habe es Etienne gesagt, habe aber kein Glück gehabt, diesen hervorragenden Schafskopf gegen seine Fesseln aufzubringen. Nächstens glaube ich an Zauberei, man hat ihn verhext.«

»Mein Vater beunruhigt sich und wird ungeduldig,« fuhr Cäcilie sorgenvoll fort, »aber Etienne will, daß Renée nichts davon erfahren soll; man soll ihr bis zuletzt Ruhe und Freiheit lassen, damit sie nicht aufhört, sich bei uns wohl zu fühlen und uns so spät als möglich verläßt.«

Friedrich berührte mit einer Gebärde, die bedeuten konnte, »er ist verrückt!« die Stirn.

Vergeblich beobachtete er Renée, um ihre wirklichen Absichten zu ergründen; sie schien sich darin zu gefallen, ihn am Narrenseil zu führen und von der richtigen Fährte abzubringen. In der ersten Zeit traurig, floh sie Etienne mehr, als sie ihn aufsuchte, allmählich aber kam sie in bessere Stimmung, wurde wieder lustig und benahm sich beinahe kokett, wie wenn sie ihn hätte veranlassen wollen, die unüberlegte Verpflichtung, die er auf sich genommen hatte, zu verletzen.

»Sollte sie ihn doch lieben?« fragte sich Friedrich, außer Fassung gebracht; »aber wenn sie ihn liebt, warum willigt sie damit, daß sie ihn heiratet, nicht ein, sich für immer diese schöne Ruhe des Landlebens zu sichern, an der sie, nachdem sie sich die Hörner gründlich abgestoßen hat, so großen Gefallen findet?«

Cäcilie schüttelte verneinend den Kopf; sie war mit dem überlegenen Zartgefühl der Frau zum Teil hinter das Geheimnis Renées gekommen. Arm und durch ihr Auftreten auf der Bühne in aller Munde, konnte Renée sich nicht entschließen, aus der Hand Etiennes Reichtum und Ansehen entgegenzunehmen, nachdem sie alles das in einer Zeit, wo sie sich andre Hilfsquellen offen glaubte, abgelehnt hatte. Dazu hatte sie ihr kürzlich mitgeteilt, daß sich ihre Stimme nach und nach wieder einstelle, aber sie solle Etienne nichts davon sagen. Weshalb? Zweifellos, um ihn nicht durch die Aussicht auf eine erneute Trennung zu betrüben. Cäcilie erinnerte sich, wie sie einst eine verwundete Grasmücke gefunden, aufgenommen, geheilt und mit aller erdenklichen Mühe gefüttert hatte. Sobald ihr die Kräfte, ihre Flügel zu entfalten, wiedergekommen, war die Undankbare in ihren Wald zurückgeflogen und hatte sich nicht wiedersehen lassen. Renée würde es machen wie diese Grasmücke, und ihre nachsichtige, aber innerlich betrübte Freundin fing an zu wünschen, daß sie es nicht zu lange aufschieben möchte, damit die frohen Einbildungen, in denen sich der arme Etienne vielleicht gegen sein besseres Wissen einwiegte, nicht Zeit hätten, zu tiefe Wurzeln zu schlagen. Trotzdem verflossen Monate in dieser Ungewißheit.


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