Th. Bentzon
Die Heimkehr
Th. Bentzon

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XX.

Der Schluß des Théâtre Italien für jene Saison stand bevor; Renée Christen sang zum letztenmale die Traviata. Etienne sah sie mit wahrem Abscheu in dieser Courtisanenrolle; von jetzt an gab er indessen dem unwiderstehlichen Drange, der ihn seit einiger Zeit in das Theater zog, nach, wie der Opiumraucher oder Absinthtrinker dem Gifte, das ihn tötet, in angstvoller Gier nachgeht. Zuschauer, Bühne, Musik, alles ließ ihn bis zu dem Augenblick gleichgültig, wo sie, die zu sehen er gekommen war, auftrat; dann begann die Marter für ihn, die mehr und mehr zur einzigen Erregung in seinem Leben wurde, die bittere Freude, der er mit fieberhafter Ungeduld entgegengesehen hatte, und die er in der Erinnerung in sich einsog, bis sie ihm wieder zu teil wurde.

Auch sie sollte ihm bald entschlüpfen. Alles, was ihm von Renée übrig geblieben, das melodienreiche Phantom, durch eine Lichterreihe, unübersteiglicher als die höchsten Barrieren, von ihm getrennt – auch das sollte sich noch verflüchtigen. Er sah in Angst diesen neuen Riß vor sich, während er außer sich vor Zorn und Eifersucht der Liebesscene zwischen Violetta und dem Tenor Leotti folgte, diesem lächerlichen »Schönen Mann«, der jenseit der Rampe zum verführendsten aller Alfredo's wurde. Er, der gewöhnlich, wie Friedrich schon bemerkt hatte, einen Platz so dunkel, so versteckt wie möglich suchte, saß heute mit unüberlegter Kühnheit in den ersten Reihen des Parkett.

Vielleicht hoffte er, ihrem Auge zu begegnen, das er so lange vermieden hatte, und das in diesem Augenblick für einen andern im ganzen Feuer der Leidenschaft erglühte.

Plötzlich flüsterte ein junger Mann, der den Militär nicht verleugnen konnte und vor Etienne saß, seinem Nachbar leise eine Bemerkung ins Ohr, die nur das Echo der Gedanken war, die seit einer Stunde auf ihn einstürmten:

»Wie geht es zu, daß diese Unschuld – das soll sie ja sein! – sich mit so vollendeter Kunst in die Rolle einer Kameliendame, einer Verlorenen, die sich an einer ernsten Leidenschaft aufrichtet, hineinlebt? Wo das Vorbild zu etwas, das man selbst nicht erlebt hat, hernehmen? Übrigens eine eigenartige Person! Ganz abgesehen von ihrem Talent entzückt mich an ihr dieser Gegensatz von Feuer und Eis.«

Und mit noch leiserer Stimme fügte er einen abgeschmackten Witz über Champagner in Eis hinzu, den Etienne nur halb hörte. Dabei überzog ein skeptisches, eine stumme Frage aufwerfendes Lächeln sein Gesicht, auf die sein Begleiter spöttisch erwiderte:

»Obgleich Sie eben von Afrika kommen, sind Sie, wie ich vermute, nicht so naiv, um der Legende, die über sie im Umlauf ist, Glauben zu schenken? Sie hält mit ihren Gunstbezeigungen klug Haus, bewilligt sie mit Sparsamkeit; geschickte Rechnerin, nichts weiter! Wenn der Auserwählten auch wenige sind, so folgt doch daraus nicht ...«

»Aha, Sie müssen es übrigens wissen, tragen Sie doch ihre Farben,« fuhr der Offizier fort und zeigte auf die Kameliablüte, die das Knopfloch seines Freundes schmückte. »Und Sie meinen ...«

»Ihre Unschuld ist eine reizende Maitresse,« gab der wohlunterrichtete Theaterliebhaber nachlässig zur Antwort.

»Sie lügen!«

Der, an den sich diese Beleidigung wandte, sprang sofort auf die Füße und drehte sich schroff um. Er war ein Mann von vielleicht fünfunddreißig Jahren, rotblond, ein wenig kahlköpfig, dessen regelmäßiges, hochmütiges Gesicht in diesem Augenblick bleich vor Zorn war. Seine Hand, die einen mit gekröntem Namenszug versehenen Claquehut trug, zitterte krampfhaft, und seine blassen Lippen bewegten sich, ohne einen Laut durchzulassen, während sein Begleiter ungeachtet des Ortes und der Rufe nach Ruhe, die sich von allen Seiten erhoben, an seiner Stelle erwiderte:

»Sie werden uns dafür Rechenschaft geben, mein Herr.«

Ein vorübergehender Lärm wurde in den Reihen laut, während die drei Männer zusammen das Theater verließen.

Zwei Karten wurden gewechselt. Die eine trug Namen und Adresse des Marquis von Cerdon, und Etiennes Augen blieben einen Augenblick an seinem Gegenüber, das er, ohne es gesehen zu haben, wohl kannte, haften.

Bei dem Namen Etienne Loysel schien sich auch der Marquis an etwas zu erinnern; seinerseits musterte er seinen Gegner vom Kopf bis zu den Füßen.

Der Hauptmann von Espard hatte sich aus freien Stücken zum Sekundanten angeboten; Etienne eilte fort, um Friedrich sogleich Mitteilung zu machen,

»Ein alberner Handel!« meinte Herr von Cerdon zu dem jungen Hauptmann, während sie ihrer Wege gingen.

»Dieser Verteidiger der Unschuld ist wohl einer der Auserwählten, von denen wir unter uns sprachen,« fing Herr von Espard an, »Übrigens kein schlechter Geschmack ...«

»Ein Flegel! Ich wette, er hat niemals einen Degen in der Hand gehabt.«

»Dann ist's auch unnötig, ihn über den Haufen zu rennen. Was meinen Sie zu Pistolen.«

»Auf fünfundzwanzig Schritte ... auf Kommando ... es kommt ja gewöhnlich doch nichts dabei heraus, als ein wenig Rauch.«

»Ja, wollen Sie ihn denn ins Jenseits befördern? Meinetwegen! Wir haben die Wahl der Waffen.«

»Mein Gott, nein! Sagen wir auf Pistolen,«

»Und wenn es Ihnen recht ist, ändern wir bis auf weiteres nichts an dem kleinen Souper, das auf morgen angesetzt ist. Ich fühle nach drei Jahren Garnison in Afrika das lebhafte Bedürfnis, den Rost etwas abzufeilen, wie Sie schon sagten.«

»Weshalb etwas ändern?« antwortete Herr von Cerdon, während er seine Cigarre mit einer Ruhe in Brand setzte, die ihm von seiten des Hauptmannes das Prädikat »schneidig« eintrug. Dieser Lebemann war in der That, sei es beim Spiel, sei es beim Duell, jedesmal, wenn die Gelegenheit sich bot, seinen Mann zu stehen, tadellos.

Etienne ging indessen ruhiger, als er es den ganzen Abend über gewesen war, und leichten, beinahe fröhlichen Herzens den Boulevard hinauf.

Die eifersüchtige Wut, die ihm im Hirn gesessen, konnte er nun doch an jemand auslassen. Für sie, die seinen Schutz, seine Ergebenheit, sein Leben verschmäht hatte, sollte er als Rächer auftreten, und wenn er den Tod fand? ... Bah, was hatte er noch Gutes auf dieser Welt zu erwarten? Vielleicht würde sie erfahren, warum er gestorben war. Der Gedanke goß eine Art Trunkenheit in sein Blut.

Er machte sich auf, Friedrich das Abenteuer anzuvertrauen. Der beneidete ihn um das Vergnügen, dem Mann, den er tiefen Haß geschworen, Auge in Auge gegenüberzustehen. Zum erstenmale war er an einer Ehrensache als Sekundant beteiligt; die Furcht, sich linkisch dabei zu benehmen, schien ihn weit mehr zu beschäftigen als die Gefahr, in der sein Freund schwebte.

Während dieser Zeit fiel im Theater der Vorhang über dem letzten Seufzer Violettas, der, während sie umtobt von Beifall und Zurufen das Leben aushauchte, nicht der Gedanke kommen konnte, daß zwei Männer drauf und dran waren, sich ihretwegen in bitterem Ernst zu schlagen.


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