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Cagliostro

Ich erzähle euch heute von einem großen Schwindler. Groß, damit meine ich nicht nur, daß der Mann sehr wüst und sehr unverschämt schwindeln konnte, sondern daß er es auf sehr vollendete Weise tat. Er ist mit seinen Schwindeleien in ganz Europa nicht nur berühmt, sondern von Zehntausenden verehrt, fast für heilig gehalten worden, und sein Porträt war in zahllosen Kupfern, in Gemälden und Plastiken während der Jahre 1760-80 verbreitet. Er hat also seine Geisterbeschwörungen, Wunderheilungen, Goldmacherkünste, Verjüngungskuren im sogenannten Zeitalter der Aufklärung getrieben, in einer Epoche, wo die Leute sich, wie ihr wißt, gegen alles überlieferte Fabelwesen besonders mißtrauisch zeigten, nur ihrem eigenen freien Verstände folgen zu wollen behaupteten und kurz und gut Männern wie diesem Cagliostro gegenüber ganz besonders gesichert hätten sein sollen. Wieso es ihm dennoch oder vielmehr eben deswegen gerade damals so gut gelang, darüber werden wir am Schlusse noch ein paar Worte sagen.

Bis heute weiß man nicht genau, woher Cagliostro stammt, das eine ist jedenfalls sicher: nicht daher, woher er zu stammen behauptete, nämlich aus Medina und überhaupt nicht aus dem Orient, sondern ursprünglich aus Italien und weiterhin vielleicht aus Portugal. Von Cagliostros Jugend steht das eine fest, daß er seine erste Ausbildung bei einem Apotheker bekam und gleichzeitig sich selber bereits in allerlei unnützen Künsten, wie Schatzgraben, Handschriftenfälschen, Betteln und ähnlichem, ausbildete. Es hat ihn sein Lebtag nie lange irgendwo geduldet. Mit Wanderungen hört sein Leben auf und mit Wanderungen fing es an. Unter allen Stationen ist aber keine wichtiger als London, wohin er um 1750 zum ersten Male kam. Dort hat er den Orden der Freimaurer kennengelernt und sich wahrscheinlich auch darin aufnehmen lassen. Die seltsamen und phantastischen Prüfungen, denen er dabei unterworfen wurde – manche von euch kennen vielleicht die »Zauberflöte« mit ihrer Feuer- und Wasserprobe, das sind freimaurerische Prüfungen –, diese Londoner Erfahrungen also haben seinen Phantasien und Luftschlössern ihre bleibende Gestalt gegeben. Im Sinne der Freimaurer etwas Besonderes vorzustellen, war Cagliostros Lebensziel geworden. Die wirklichen Freimaurer waren eine Gesellschaft, die gar nichts mit Zauberei zu tun hatte, sondern teils menschenfreundliche, teils politische Ziele hatte. Beide hingen zusammen, denn die politische Tätigkeit der Freimaurer richtete sich gegen die grausame Tyrannei vieler damaliger europäischer Herrscher. Auf der andern Seite freilich auch gegen den Papst. Cagliostro nun konnte diese verhältnismäßig nüchterne Zielsetzung nicht genügen. Er wollte eine neue Freimaurerei, die sogenannte ägyptische gründen, eine Art von Zaubergesellschaft, deren Gesetze er sich säuberlich aus den Fingern gesogen hatte. Ja, seine Ziele gingen noch weiter. Diese ägyptische Freimaurerei sollte im Gegensatz zu der echten nicht feindlich, sondern freundlich dem Papsttum gegenübertreten. Cagliostro wollte die Freimaurer und den Papst versöhnen und als Vermittler dieser beiden Gewalten die höchste Macht in Europa erringen.

So große Erfolge der außergewöhnliche Mann nun auch überall in Europa mit Gaunerstücken, mit denen man heute schwerlich von Berlin bis Magdeburg käme, gehabt hat, so ist er doch hin und wieder auf Personen gestoßen, die sich nichts vormachen ließen. Ich meine hier nicht die Ärzte, die ihn an allen Orten, wohin er kam, erbittert verfolgt haben; denn bei denen war es viel weniger Einsicht in den Schwindel Cagliostros als Brotneid. Cagliostro ging ja nach dem alten Trick der Scharlatane vor: wo er sich niederließ, sorgte er dafür, daß bekannt wurde, arme Leute würden von ihm unentgeltlich behandelt. Dieses Versprechen hielt er auch pünktlich ein. Unterderhand allerdings ließ er bei den vielen Vornehmen, die natürlich auch seine ärztliche Hilfe suchten, durchblicken, in welche Geldverlegenheiten er durch seine großmütige Menschenfreundlichkeit grade eben geraten sei. Und die wohlhabenden Leute und Standespersonen fühlten sich nur geehrt, wenn er von ihnen Geschenke annahm. Also nicht die Ärzte haben wir im Sinne, wenn wir von Leuten sprechen, die ihn durchschauten. Es sind auch nicht etwa die zahlreichen bedeutenden Wissenschaftler und Weltweisen, denen er in seinem Leben begegnet ist, gewesen, die hinter die Schliche des Mannes gekommen sind. Nein, um so ganz ohne Vorbehalte derb und handfest von Cagliostro zu reden, dazu mußte man wahrscheinlich ein Mann des nüchternen praktischen Lebens sein, und es ist sicher kein Zufall, daß eine der feindseligsten, aber auch stärksten und deutlichsten Darstellungen, die wir vom Aussehen und Auftreten von Cagliostro haben, von einem weitgereisten Kaufmann stammt:

»So ein unverschämter, alles unter den Fuß tretender, Kopf aufwerfender Scharlatan«, schreibt der, »war mir noch nie vorgekommen. Es ist ein kleiner, dicker, höchst breitschultriger, dick- und steifnackiger, rundköpfiger Kerl von schwarzem Haar, gedrungener Stirn, starken, feingerundeten Augenbrauen, schwarzen, glühenden, trübschimmernden, stets rollenden Augen, einer etwas gebogenen, feingerundeten, breitrückigen Nase, runden, dicken, auseinandergeworfenen Lippen, rundem, festem, hervorstehendem Kinn, runder eiserner Kinnlade, vollblütig, rotbraun, mit einer gewaltig klingenden und vollen Stimme. Das ist der Wundermann, Geisterseher, menschenfreundliche Arzt und Helfer, der jahrelang in diesen Gegenden groß lebt, ohne daß je einer weiß, wo er das Geld hernimmt. Man kann nicht umhin, all den versteinerten Anbetern um ihn herum das Glück zu wünschen, daß einmal vor ihren Augen ein Mann sich die Mühe nähme, dasselbe unverschämte Wesen gegen ihn anzunehmen und ihn, so ganz wie er sie, von oben herab zu behandeln; sie sollten bald gewahr werden, was für eine elende Figur der leere Prahler dabei machen würde, der weder natürliche Gaben noch Bildung genug hat, sich gegen einen solchen Menschen nur eine einzige Minute zu halten. Körperlich stark müßte der Mann freilich sein, um im Notfall den Riesenknaben mit einer Hand zum Fenster hinaushalten zu können und ihm zwischen Hängen und Fallen die Beichte abzuhören.«

Daß dieser ehrliche Kaufmann kein Blatt vor den Mund nimmt, seht ihr. Aber er geht etwas weit. Denn es ist eben kein Zufall, daß Cagliostro die ersten 40 Jahre seines Lebens niemanden gefunden hat, der recht mit ihm fertig geworden wäre. Was die Ursache dieser Überlegenheit gewesen sein mag, darüber hat man die verschiedensten Vermutungen angestellt. Viele glauben, es sei sein Blick gewesen; es habe niemand, den er ansah, sich seinem Zwange entziehen können. Dazu kommt, daß die Menschen jener Zeit im Grunde sehr geneigt waren, solche Erfahrungen zu machen. Je weniger sie von Kirche, Priestertum usw. wissen wollten, desto mehr interessierten sie sich für eine Art natürlicher Zauberkräfte, die man damals im Menschen oder vielmehr zunächst im Tier in Gestalt des sogenannten Magnetismus zu entdecken glaubte. Und was Cagliostro an Wissen und Bildung abging, ersetzte er durch einen ungewöhnlichen Sinn für das Theatralische. Man muß sich nur einmal eine der Vorlesungen, wie er sie in allen Städten abhielt, schildern lassen, um den ungeheuren Zulauf zu verstehen, den sie fanden:

Im schwarzen Talar, den schwarzen Hut mit der riesigen breiten Krempe auf dem Kopf, stand er in fast völlig verdunkeltem Saal, dessen Wände mit schwarzem Sammet bezogen waren, auf einer Art Thron unter einem Baldachin aus Brokat. Ehe er aber den Thron betrat, durchschritt er die sogenannte Stahlstraße, das war ein Gang, der von den vornehmsten unter den Anhängern geformt wurde, indem sie Spalier bildeten, über dem in der Mitte ihre erhobenen Degen sich kreuzten. Die Kerzen, die den Raum spärlich erhellten, standen in Gruppen von sieben oder von neun – Zahlen, denen Cagliostro eine besondere Bedeutung beilegte – auf Leuchtern. Dazu kam der Duft von Weihrauch, der aus kupfernen Gefäßen aufstieg, und das Spiel der Lichter in einer großen, mit Wasser gefüllten Karaffe, aus der Cagliostro selber die Zukunft vorhersagte oder durch ein Kind prophezeien ließ. Die Vorlesungen selbst aber begannen damit, daß er ein unheimliches Pergamentbuch hervorzog und daraus bunt durcheinander Beschwörungsformeln, Mittel zu Verfeinerung groben Tuches in Seide, zur Verwandlung kleiner Edelsteine in hühnereigroße usw. herunterlas. Ihr werdet nun vielleicht fragen, was wollte Cagliostro mit alldem? Man darf nicht denken, daß jemand, der nur gut leben und schön essen und trinken will, die Kraft und die Phantasie aufbringt, 20 Jahre lang Europa mit seinen Erfindungen in Atem zu halten. Es kam Cagliostro auf das erdichtete Königtum der Freimaurer, auf Macht mindestens ebensosehr wie auf Geld an. Dazu kommt aber noch etwas anderes. Es kann kein Mensch jahrzehntelang sein ganzes Leben in den Bann gewisser Phantasievorstellungen stellen; von dem ewigen Leben, dem Stein der Weisen, dem Siebenten Buch Mosis und ähnlichen Geheimnissen, die er gefunden haben will, sprechen, ohne zuguterletzt selber etwas davon zu glauben. Oder genauer und richtiger gesagt: Cagliostro glaubte gewiß nicht, was er den Leuten erzählte, wohl aber glaubte er, daß seine Macht, ihnen die phantastischsten Lügen glaubhaft zu machen, in Wirklichkeit soviel wert sei wie der Stein der Weisen, das ewige Leben und das Siebente Buch Mosis zusammengenommen. Und das ist der Punkt, an dem in seinen Lügen der wahre Kern steckt. Cagliostro war wirklich ungeheuer stark durch den Glauben an sich selbst, durch den Glauben an seine Überzeugungskraft, seine Phantasie, seine Menschenkenntnis. Dieser Glaube muß sich bei ihm so gesteigert haben, daß er so etwas wie eine geheime Religion wurde, wenn auch eine andere als die, die er seinen Schülern beibrachte. Das ist ja auch, was Goethe an dem Mann so brennend interessiert hat, daß er, wie ihr auf der Schule gelernt habt oder lernen werdet, über ihn ein Drama »Der Großkophta« geschrieben hat. Was ihr aber da kaum hören werdet, das ist, daß Goethe selbst einmal den Cagliostro gespielt hat: nicht vor der Welt, aber vor Cagliostros Familie. Er hat in der »Italienischen Reise« erzählt, wie er in Palermo an der Gasthaustafel saß, das Gespräch auf Cagliostro und auf dessen arme Verwandte kam, die in Palermo wohnten; wie er, Goethe, da den Wunsch ausgesprochen hätte, die Familie dieses außergewöhnlichen Mannes kennenzulernen; wie schwer das gewesen sei, schließlich nur durchführbar, indem Goethe vorgab, Cagliostro selbst gesehen und Grüße an die Seinen von ihm mitbekommen zu haben, welche Hoffnung diese Begegnung in der Familie erweckte und wie Goethe selbst eben deswegen sich Vorwürfe über seine Vorspiegelungen gemacht habe. Wie er endlich, um dieser Vorwürfe ledig zu sein, nach der Rückkehr nach Weimar eine größere Summe an die arme Familie geschickt habe, in der jedermann glaubte, ein Geschenk Cagliostros empfangen zu haben.

Ihr werdet merken, daß ich euch von dem eigentlichen Lebenslauf von Cagliostro nicht viel erzählt habe. Dabei will ich es auch lassen. Denn jede einzelne seiner Stationen ist an so viele und so verwickelte Geschichten gebunden, daß ihn zu erzählen ein großes Buch machen würde. Jedenfalls ist das Ende dieses Lebens die Geschichte vom Krug, der so lange zum Brunnen geht, bis er bricht. In 30 Jahren war Cagliostro schließlich so weit, daß überall, wohin er kam, alte und recht unangenehme Geschichten schlummerten, die nur auf sein Erscheinen warteten, um wieder in aller Leute Munde zu sein. Seine Stationen wurden kürzer und kürzer, und am Ende war es eine Flucht. In dieser Wendung zum Schlechten spielte eine große Zeitung, »Der europäische Kurier«, eine so wichtige und komische Rolle, daß ich zum Schluß von ihr erzählen will. Unter den mannigfaltigen medizinischen und chemischen Albernheiten, die Cagliostro an den Mann zu bringen suchte, war die Geschichte vom Schwein. Er hat irgendwo drucken lassen, daß zu Medina, wo er bekanntlich herzustammen behauptete, die Einwohner sich von den Löwen, Tigern und Leoparden befreiten, indem sie Schweine mit Arsenik mästeten und sie sodann in die Wälder jagten, wo sie von den wilden Tieren zerrissen wurden und deren Tod verursachten. Morand, der Herausgeber des »Europäischen Kuriers«, nahm diese Sache auf und fertigte sie nach Gebühr ab. Cagliostro aber erboste das sehr, und er ließ ihm eine merkwürdige Art von Herausforderung zukommen. Den 3. September 1786 ließ er ein Blatt drucken, in dem er den Morand einlud, mit ihm am 9. November . ein auf medinische Art gemästetes Spanferkel zu essen, und wettete 5000 Gulden, daß Morand daran sterben, er aber gesund bleiben würde. Nun ist es wirklich eine starke Zumutung, daß jemand sterben und außerdem noch 5000 Gulden wegen verlorener Wette dazuzahlen soll. Man kann sich denken, daß Morand dazu keine Lust hatte. Er verlegte sich vielmehr darauf, nunmehr in seinem »Europäischen Kurier« eine Sammlung aller Tatsachen und Gerüchte, die gegen Cagliostro sprachen, zu veranstalten. Dieser floh am Ende nach Rom, obwohl er seiner Verbindung mit den Freimaurern wegen an keinem Ort sich hätte weniger sicher fühlen können. Freunde verständigten ihn beizeiten von der Absicht der Inquisition, ihn gefangenzusetzen. Cagliostro aber war müde und blieb. 1789 ließ Papst Pius VI. ihn verhaften und ihn in der Engelsburg festsetzen und die Inquisition den Prozeß gegen ihn eröffnen. Das meiste, was wir heut von Cagliostro wissen, verdanken wir diesem Prozeß, der mit großer Genauigkeit, aber auch mit erstaunlicher Milde scheint geführt worden zu sein. Er mußte dennoch mit einem Todesurteil wegen Ketzerei enden. 1791 aber begnadigte der Papst Cagliostro zu lebenslänglicher Haft, und danach ist er, man weiß nicht genau wann, im Gefängnis von San Leone bei Urbino gestorben.

Lehren kann man, wenn man will, aus dieser Geschichte viele ziehen. Man kann es sich leicht machen und einfach sagen, daß die Dummen nicht alle werden. Wenn man aber genauer zusieht, ist da noch eine wichtigere Wahrheit auf dem Grunde der Geschichte von Cagliostro zu holen.

Ich habe am Anfang von der Aufklärung gesprochen, einem Zeitalter, in dem man gegen die Überlieferungen von Staat, Religion, Kirche sehr kritisch vorging und dem wir in der Tat große Fortschritte der Freiheit und der Kultur verdanken. Grade in diesem freien und kritischen Zeitalter der Aufklärung hat Cagliostro seine Künste mit so viel Erfolg spielen lassen. Wie war das möglich? Antwort: Gerade weil die Leute so fest davon überzeugt waren, daß Übernatürliches nicht wahr sei, grade darum hatten sie sich nie Mühe gegeben, ernsthaft darüber nachzudenken, und mußten Cagliostro, der ihnen das Übernatürliche mit der Gewandtheit eines Taschenspielers vorgaukelte, zum Opfer fallen. Hätten sie weniger feste Überzeugungen und mehr Beobachtungsgabe gehabt, so hätte es ihnen nicht geschehen können. Das ist auch eine Lehre von dieser Geschichte, daß Beobachtungsgabe und Menschenkenntnis in vielen Fällen mehr wert sind als ein noch so fester und richtiger Standpunkt.


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