Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehnter Abend.
Bestattung und Totenfeier des Patroklos.

Als der Zug der Achäer im Lager angekommen war, zerstreuten sich alle, ein jeder ging nach seinem Schiffe, und auch die Myrmidonen wandten sich zu den ihrigen. Aber Achilleus wollte, daß keiner seiner Krieger eher die Waffen ablegte, als bis sie sämtlich dreimal einen Umzug um Patroklos' Leiche gehalten und den Klagegesang angestimmt hatten. So lenkte er nun seinen Wagen zuerst um das Zelt, worin der Tote lag, dann folgten die übrigen Wagen und zuletzt das Fußvolk. Alle erhoben lautes Wehgeschrei, viele aus wirklichem Schmerz, viele dem Achill zu Gefallen. Dieser band darauf Hektors Leichnam von dem Wagen los, schleppte ihn ins Zelt und warf ihn neben den sauber verhüllten Patroklos aufs Antlitz hin. Dann knieete er nieder zu seinem Freunde und sprach:

»Freue dich, Geliebter! Nun wird alles vollbracht, was ich dir angelobe. Hier liegt Hektar, schimpflich daher geschleift, zu deinen Füßen, morgen ein Raub der Hunde, und auch zwölf troische Jünglinge liegen draußen gebunden, die schlachte ich dir zum Totenopfer bei deinem Scheiterhaufen.«

Jetzt gingen die Myrmidonen zu ihren Zelten und warfen die schweren Rüstungen von sich, löseten auch die Rosse von den Wagen und führten sie zu den Krippen. Sie selbst versammelten sich darauf zu einem gemeinsamen Mahle, das ihnen Achill heute ausrichtete zu Ehren des erschlagenen Freundes. Der fetten Stiere und Schafe, Ziegen und Schweine gab er ihnen die Fülle, und sie erfreuten sich alle des herrlichen Schmauses, rings um das Trauerzelt gelagert. Er selbst aber, der furchtbare Herrscher, aß nicht mit ihnen, sondern folgte der Einladung Agamemnons und der übrigen Fürsten, die ihn zu sich entbieten ließen.

Der König befahl sogleich den Dienern ein warmes Bad für ihn zu bereiten, damit er den Staub und die Spuren des Mordes von seinen Gliedern wüsche; aber Achilleus verbat es mit Ernst und sprach:

»Nein, beim Zeus, dem höchsten und besten der Götter! es ziemt mir nicht eher den Scheitel mit einem Tropfen zu netzen, als bis ich Patroklos auf den flammenden Holzstoß gelegt, das Haar mir geschoren und ihm ein Denkmal errichtet habe. Denn nie, so lange ich lebe, wird je ein ähnlicher Gram mir wieder also das Herz zerreißen. Aber wohlan! laßt uns jetzt des traurigen Mahles gedenken, und morgen früh, Agamemnon, sende hin nach dem Walde, daß man Holz herbeihole zur Bestattung des Freundes; denn das ist ja die Ehre der Toten. Hat erst der lodernde Feuerbrand ihn verzehrt, so mag sich das Volk wieder zu den gewöhnlichen Geschäften wenden.«

Alle stimmten ihm bei. Man schritt zum Mahle, und nachdem sie sich mit Speise und Trank gelabt, gingen sie auseinander, jeder in sein Zelt, um der Ruhe zu pflegen.

Achilleus von der Blutarbeit des Tages ganz ermüdet, warf sich, wie er war, am Strande des rauschenden Meeres unter seinen Myrmidonen nieder, und tiefer Schlaf schloß seine Augenlider. So lag er bis zur ersten Morgendämmerung; da erschien ihm im Traume seines Freundes Bild, schön, kräftig und freundlich, wie er im Leben gewesen war, und mahnte ihn an seine Bestattung, mit sanften Vorwürfen ihn scheltend: »Hast du mich schon aus deiner Erinnerung schwinden lassen und liebtest mich doch im Leben so treu? Siehe, mich lassen die Geister in Plutos Behausung nicht ein, sondern scheuchen mich von dem dunkeln Flusse zurück, daß ich um die Thore des Schattenreichs irren muß, bis du meinem Leichname die schuldige Bestattung gegeben hast. Begrabe mich daher so bald als möglich. Lebe wohl; reiche mir deine Hand! Nicht mehr werden wir bei den Schiffen in traulichem Zwiegespräch ratschlagen, nicht mehr in gemeinschaftlichem Kampfe uns unserer Jugendkraft erfreuen. Als elende Schatten sehen wir uns wieder und vielleicht recht bald; denn du weißt es ja selbst, wie kurze Tage dir das Schicksal bestimmt hat!«

»Freund meiner Seele«, rief Achill noch träumend, »tritt naher, daß ich dich noch einmal umarme!« Er streckte hastig die Hände aus, aber das leere Gebilde wich wie Rauch und sank zur Erde hinab. Da erwachte der Held und sah mit Betrübnis, daß er nur geträumt hatte. Um ihn her wurden auch allmählich von seinem Klagen und Seufzen die Myrmidonen wach und erhoben sich von ihrem Lager, denn schon röteten die ersten Strahlen der Sonne im äußersten Osten den Himmel. Auch in der Ferne bei den andern Schiffen ward es immer lebendiger. Die Jünglinge fütterten die Maultiere, eingedenk der Befehle Agamemnons, und nachdem auch sie selber sich gesättigt, legten sie die Zäume an und zogen hinaus in den entlegenen Wald, um Holz zu holen für den Scheiterhaufen des Patroklos. Meriones ging als Aufseher mit. Der Weg war mehrere Stunden weit. Sie gingen durch mancherlei Krümmungen und Richtwege, bergan und bergab, bis sie zuletzt auf den Höhen des quellenreichen Ida ankamen. Sofort fällten sie mit kräftigen Hieben hohe Bäume, daß sie mit lautem Krachen herabstürzten; dann spalteten sie das Holz in Scheite, luden es den Maultieren auf und führten dieselben die Höhen hinab durch Dornen und dichtverwachsenes Gesträuch zurück zu den Schiffen.

Hier wies ihnen Achilleus einen Platz am Strande an, wo er seinem Freunde das Grabmal zu errichten gedachte. Nun türmten sie einen Scheiterhaufen, wohl hundert Fuß ins Gevierte, denn nicht Patroklos' Leiche allein war bestimmt darauf zu brennen. Hiernach gebot Achill seinen Myrmidonen sich in stattliches Waffengeschmeide zu hüllen, und die Reisigen mußten ihre Wagen besteigen. So erhob sich die Schar in feierlichem Zuge nach dem Holzstoße hin, voran die Wagen und hintennach des Fußvolks unendliche Scharen; in der Mitte aber gingen die Freunde des Patroklos, die seinen Leichnam trugen, der ganz mit abgeschnittenen Haarlocken bestreut war.

Achilleus hatte den vollen Wuchs seiner buschigen Haare Vor seiner Abreise von Phthia dem Spercheios, dem Strome seiner Heimat, zum Dankopfer geweiht, wenn er glücklich und ruhmvoll von dem Zuge gen Troja zurückkehren würde. Nun aber, da sein Schicksal ihm von der göttlichen Mutter enthüllt worden war und er wußte, daß er nie wieder die Ufer des vaterländischen Flusses betreten werde, wollte er lieber das schöne Haar dem teuern Freunde mitgeben. Er ging seitwärts, um es abzuscheren, und sprach, hingewandt nach seiner Heimat:

»O Spercheios, umsonst gelobte ich einst an der Hand meines guten Vaters, dir zum Danke für die glückliche Heimkehr hundert Stiere und dies mein Haar zu opfern; du hast mein Flehen nicht erhört! So will ich es denn dem Freunde mitgeben, da die Rückkehr mir nicht beschieden ist.«

Er legte es hierauf dem Patroklos in die Hände, der mitten auf dem Gerüste ausgestreckt ruhete. Rings umher legten sie fette Schafe und Rinder, die sie geschlachtet, gehäutet und gesäubert hatten; mit den fettesten Streifen der Nieren aber bedeckten sie den Leichnam selbst. Außerdem schlachtete ihm Achill zwei seiner Lieblingshunde und vier Pferde und warf sie seufzend auf den Holzstoß; auch Krüge voll Öl und Honig stellte er nach der Sitte neben den Leichnam. Zuletzt dann ging er an die Erfüllung seines unmenschlichen Gelübdes. Er holte die zwölf gebundenen Troer herbei und legte sie, nachdem er ihnen allen den Todesstoß gegeben, rings um den äußeren Rand des geräumigen Scheiterhaufens: eine schauderhafte Scene, die uns lehrt, daß die Sitte Menschen zu opfern unter den ersten Bewohnern Griechenlands ebenso gewöhnlich gewesen ist, wie bei unsern eignen Vorfahren, den alten Deutschen.

Hektors Leichnam legte er nicht mit hinauf; er wollte ihn nicht mit der Vernichtung durch die Flammen ehren, sondern ihn den Hunden preisgeben. Aber, so erzählt die Sage, weder Hunde noch Vögel rührten ihn an, während er seitwärts von den Schiffen lag; denn die göttliche Beschützerin seines Hauses, Aphrodite, salbte ihn mit Rosenöl, das allen Leichengeruch und alle Verwesung hemmte, und Apollon breitete diesen ganzen Tag einen Wolkenschleier über das Gefilde, daß nicht die Sonne hindurchdränge und ihm das Fleisch an den Sehnen lösete.

Jetzt ward der mächtige Holzstoß angezündet, aber die Flamme vermochte die saftigen, frischgefällten Scheite nicht zu erfassen. Da flehte Achill zwei Winde, den Boreas und den Zephyros, an, sprengte ihnen Wein aus goldenem Becher und gelobte ihnen ein reiches Dankopfer, wenn sie jetzt durch starkes Wehen den hellen Brand entfachen würden. Erst am Abend erhoben sie sich, um sein Gebet zu erfüllen. Sie stürmten über das Meer daher, daß hoch die Brandung schäumte, und nun loderte in dem weiten, gewaltigen Gerüste die Glut hell auf. Fast die ganze Nacht brannte der Holzstoß, und daneben stand Achill, aus immer frischgefüllter Schale sprengend und unaufhörlich Seufzer ausstoßend, wie ein Vater, der den Sohn bestattet, welcher ihm bereits zum blühenden Jüngling herangewachsen war. So trauernd umwandelte er die Opferstätte, bis die Morgenröte anbrach. Da erst sank das Gerüst in Asche und die Flamme erstarb; die Winde aber kehrten in ihre Höhlen zurück.

Achilleus war der einzige, der so lange bei der Leiche des teuern Freundes ausgeharrt hatte. Die andern hatten sich schon früher beim Anbruch der Nacht wegbegeben, um der Ruhe zu pflegen. Nur er wollte nicht weichen, so lange noch ein Gebein von dem geliebten Patroklos zu sehen wäre, und so blieb er, bis alles in Staub versunken war. Dann ging er mit bekümmerter Seele abseits und legte sich ebenfalls zum Schlummer nieder. Doch kaum eine Stunde ward ihm diese Erquickung gegönnt, denn mit der aufgehenden Sonne regte sich schon das ganze Lager der Achäer umher und erweckte ihn durch lautes Getöse. Auch die Fürsten der Völker, Agamemnon an ihrer Spitze, kamen herbei, um die Brandstätte zu besehen, und gingen dann zum Achilleus, um zu vernehmen, welche Ehren er noch ferner dem Freunde zugedacht habe.

»Wohlan«, sprach er zu ihnen, »ihr Fürsten der Achäer, jetzt geht und löschet die sinkende Glut mit rotem Weine, und sammelt mir dann die Asche des edlen Patroklos sorgsam in eine goldene Urne. Leicht wird sie zu unterscheiden sein; denn er hat in der Mitte gelegen, die andern Opfer aber, Tiere und Menschen, legte ich weit abgesondert rings um den Rand des Scheiterhaufens her. Grabt dann ein Grab und versenkt die Urne, doch häufet jetzt nur mäßig den Totenhügel auf, denn mein Wille ist bei ihm zu ruhen; und wenn ich ihm folge und ich folge ja bald dann sollt ihr die Urne von neuem hervorziehen und meine Asche zu der seinigen gesellen. Denn auch im Grabe mit ihm vereint zu sein dünkt mich süß; waren wir doch von Kindheit an ein Herz und eine Seele! Ach, noch weiß ich, wie sein besorgter Vater Menötios aus Opous zu uns kam und ihn, den zarten Knaben, zu meinem Vater brachte. Er hatte dort in der Heimat einen andern Knaben beim Spiele erschlagen, zwar nicht mit Vorsatz, aber Menötios fürchtete dennoch die Rache der Eltern und flüchtete ihn schnell aus dem Hause. Und mich erfreute sein heiteres Lächeln und seine Bescheidenheit beim ersten Anblicke; er war etwas älter als ich, er lehrte mich manches und hielt mein Ungestüm oft durch freundlichen Zuspruch in Schranken. Dann kamen wir beide zu Chiron und kehrten auch beide zugleich zu Peleus zurück. Ohne ihn habe ich keine meiner Freuden genossen, mit ihm habe ich das Ungemach nur zur Hälfte empfunden. Wohl mir, daß mein eigner Tod so nahe ist; was wäre ohne ihn mir das Leben!«

Die Fürsten gingen gerührt hinweg und sorgten für die Erfüllung seiner Befehle. Sie sammelten die Asche und was noch vom Gebein verblieben war, aus der Mitte der Brandstätte, und legten sie zwischen doppeltes Fett in eine goldene Urne, maßen dann einen Kreis zum Grabhügel ab und vollendeten alles, wie er verordnet hatte.

Es war eine sehr alte griechische Sitte bei Bestattungen hochangesehener Männer die Totenfeier mit öffentlichen Kampfspielen zu beschließen, wobei kostbare Preise für die Sieger ausgesetzt wurden. Diese Ehre hatte Achill auch seinem Patroklos zugedacht; er kündigte daher die Spiele an, sobald der Grabhügel aufgeworfen war, holte auch aus seinen Zelten und Schiffen die schönen Geschenke, welche er zu Tagespreisen bestimmt hatte. Zuerst las er fünf Preise für die Wettrenner zu Wagen aus. Dem ersten Sieger bestimmte er eine Sklavin und einen großen gehenkelten Kessel, dem zweiten eine sechsjährige ungezähmte Stute, dem dritten ein noch ganz neues ehernes Becken, dem vierten zwei Pfund (Talente) Goldes, und dem fünften eine schöne, bisher durch keinen Gebrauch entweihte Schale. Hierauf drängte er das neugierig herbeiströmende Volk zurück und nötigte dasselbe sich in einem weiten Kreise geordnet auf die Erde zu setzen. Nur die Fürsten blieben um ihn stehen, und diese redete er also an:

»Sohn des Atreus und ihr andern Führer der Achäer! sehet hier die Geschenke, die ich den Rennern zu Wagen aussetze. Wohlan, versucht eure Kunst, und wer da will, trete auf! Wäre es nicht Patroklos, den wir bestatten, so möchte ich wohl selbst den ersten Preis in mein Zelt tragen, denn ihr wißt ja, wie sehr an Kraft und Schnelligkeit der Schenkel mein Gespann vor allen hervorragt. Aber nun bleibe ich zurück und überlasse euch andern den Wettstreit. Würden sie doch auch selbst nicht wollen, die edeln Tiere, die jetzt mutlos dastehen und zu Boden starren, den Verlust ihres trefflichen Lenkers betrauernd.«

Zu den fünf Preisen fanden sich hierauf auch alsbald fünf Bewerber ein. Zuerst erhob sich Eumelos, der Sohn des berühmten thessalischen Königs Admetos, ein trefflicher Wagenlenker. Auch der kühne Diomedes drängte sich hervor, sicher den trojanischen Rossen vertrauend, die er unlängst dem Äneas geraubt hatte, wiewohl ihm der Fuß noch heftig schmerzte von der Wunde. Als dritter stand Menelaos auf und schirrte zwei Pferde an den Wagen, seinen Hengst und dazu eine von Agamemnons Stuten, ein treffliches Tier. Mit ihr hatte sich einer der kleineren argeiischen Fürsten von der Verbindlichkeit losgekauft dem Könige nach Troja zu folgen, denn er liebte ein ruhiges Behagen und lebte reich gesegnet mit der Fülle der Güter in einem der fruchtbaren Thäler Sikyons. Der vierte war der junge Antilochos, Nestors ruhmbegieriger Sohn; der spannte eilig seine kleinen pylischen Rosse an den Wagen und kam dann rasch herangetrabt. Da ihn sein alter bedächtiger Vater sah, winkte er ihn beiseit und gab ihm nach seiner Gewohnheit eine Menge guter Lehren auf den Weg. »Ich weiß wohl, mein Sohn«, sprach er, »du bist ein tüchtiger Wagenlenker, aber doch ist ein guter Rat dir not; denn nur durch Klugheit kannst du hier den Sieg gewinnen, weil deine Pferde die schwächsten unter allen sind. Darum schweife nicht in weitem Bogen aus, sondern verfolge geradeaus das Ziel, lenke kurz um dasselbe herum, und laß die Renner genau in demselben Gleise zurückkehren, in welchem sie ausgelaufen sind. Hast du nur auf dem Hinwege den Vorsprung erreicht, so darf dir vor der Rückkehr nicht bange sein.« Der fünfte endlich war Meriones.

Als sie alle ihre Plätze eingenommen und sich nebeneinander in eine Reihe gestellt hatten, mußten sie um die Ordnung losen, in welcher sie abfahren sollten. Achilleus schüttelte die Lose in seinem Helme, und zuerst sprang das des Antilochos. heraus, das zweite gehörte dem Eumelos, das dritte dem Menelaos, das vierte dem Meriones und das fünfte und letzte dem Diomedes. Das Ziel war ziemlich entfernt, es bestand aus einer hölzernen Säule, an deren beide Seiten sich weiße schimmernde Steine lehnten: vielleicht das Grabmal irgend eines längst verstorbenen und bereits vergessenen Mannes, vielleicht aber auch ein Ziel, das schon ehemals zu gleichem Zwecke aufgestellt worden war.

Jetzt ward das Zeichen gegeben, und sogleich stürzten sie allzumal ins weite Feld hin, indem sie mit lautem Ruf die Rosse antrieben. Dichter Staub wirbelte hinter den Rädern auf, sie aber standen hoch empor und schwangen ihre Geißeln, bald den Hügel hinanstrebend, bald hinab in die Ebene rollend. Jeder bemühte sich zuerst das Ziel zu erreichen, und alle hieben und schrieen laut auf die Tiere ein. Am hitzigsten aber ward der Wetteifer, als nun die Kämpfer nebeneinander auf dem Rückwege vom Ziele dahinjagten. Hier hatte Eumelos den Vorsprung, aber dicht hinter ihm her flog Diomedes, dessen treffliche Rosse mit ihrem Hauche schon die Schultern des Eumelos befeuchteten. Da zum Unglück verlor Diomedes seine Peitsche, aber zu seiner Freude wiederum zerbrach dem Eumelos der Wagen, so daß er selbst mit verwundetem Gesicht in den Sand stürzte. Ein Diener hingegen holte dem Diomedes noch schnell die Peitsche wieder, ehe die hinter ihm Nachfolgenden herankommen konnten, und so gelangte er zuerst auf dem Platze der Abfahrt wieder an.

Um den zweiten Preis stritten Menelaos und Antilochos. Dieser, von Ehrgeiz gestachelt, rief seinen Rossen drohende Worte zu und trieb sie mit heftig geschwungener Peitsche. Als aber das nichts half, gedachte er durch einen Kunstgriff zu siegen. Er bog auf Menelaos' Bahn ein und dachte ihm vorauszufahren, als sich der Pfad des Menelaos in einen schmalen Hohlweg verlor, in welchem sich Wasser vom letzten Regen gesammelt hatte. Kurz zuvor, als Menelaos in den Hohlweg einfahren wollte, drängte sich rasch von der Seite der stürmende Jüngling voran; und wollte Menelaos nicht, daß sein Wagen zertrümmert werde, so mußte er halten und jenen zuerst hineinlassen. Zornig über den hämischen und verwegenen Streich, schrie er laut:

»Bist du von Sinnen, Antilochos? Ich hätte dich doch für klüger gehalten!«

Aber jener erwiderte nichts, sondern trieb in Hast mit Peitsche und Ruf die Rosse vorwärts. Begierig schauten indessen während des Rennens die zurückgebliebenen Fürsten in die Bahn hinauf; aber es war schwer die Kämpfer zu erkennen, denn dichter Staub umhüllte sie, und selbst die Ungleichheit des Bodens machte, daß mancher plötzlich hinter einem Hügel verschwand und so eine Zeitlang unsichtbar blieb. Während jene noch weit entfernt die Bahn durchrollten, erhob sich unter den Zurückgebliebenen ein Zwist. »Ei«, sagte Idomeneus, indem er in die Ferne hinausblickte, »seh' ich recht, oder trügt mich der Staub? Mich dünkt, die Rosse kehren in ganz anderer Ordnung zurück, als sie ausliefen. Kann ich doch nirgends die Rosse des Eumelos erblicken, die doch sonst im Laufe die schnellsten von allen sind. Sollte er wohl am Ziele vielleicht umgeworfen haben und hilflos daliegen, wie es oft allzukühnen Lenkern begegnet? Oder seht ihr ihn vielleicht? Ich kann's nicht genau unterscheiden? aber es scheint mir, als wäre der vorderste jetzt Diomedes, der Ätoler, mit seinen erbeuteten Rossen.«

Aias der jüngere, immer zum Streite geneigt und ungezügelt in seinen Reden, erhitzte sich sogleich bei diesen unschuldigen Worten, denn er war ein Freund des Eumelos und konnte weder Diomedes noch Idomeneus leiden. »Spare doch deine Verkündigungen, bis du sehen lernst!« rief er aus. »So weit noch sind die Rosse entfernt, und du willst schon die Preise verteilen! Und wenn du nur gesunde Augen hättest, so würdest du die thessalischen Stuten wohl erkennen und den Eumelos dazu, der noch immer der vorderste ist. Aber du siehst ebenso schlecht als du plauderst.«

»Lästerer!« rief Idomeneus entrüstet, »immer bist du der erste im Zanke und ein trefflicher Friedensstörer; anderer Tugenden hast du nicht viel. Sogleich laß uns wetten um einen Dreifuß oder ein Becken, und Agamemnon hier soll Schiedsrichter sein, wem die vorderen Rosse gehören. So magst du deinen Vorwitz büßen!«

Schon wollte Aias noch heftiger antworten, als Achilleus sich ins Mittel legte, und sein Ansehen reichte hin die Streitenden zum Schweigen zu bringen. »Still doch!« sprach er mit Ernst, »und wechselt nicht länger so bittere Worte, Aias und auch du, Idomeneus. Das ziemt Männern nicht, und ihr selbst würdet an andern es tadeln, wenn sie sich so zankten. Sitzet hier ruhig im Kreise und seht nach den Wagen hin; bald werden die Lenker derselben näher kommen, dann wird ja selbst ein jeder erkennen, welcher der erste ist und welche die letzten sind.«

Und auf einmal stürzte daher, weit voran vor den übrigen, Diomedes mit seinen feurigen Rossen, die er unablässig antrieb, so daß sie mit dem leichten Wagen fast ohne Spur über den Sand hinrollten, als flögen Adler durch die Luft. Noch weit hinter ihnen konnte man an dem auffliegenden Staube den Weg erkennen, den sie durchlaufen hatten, sie selbst aber schimmerten um Brust und Schenkel von triefendem Schweiße. Angekommen am Male hemmte der kühne Sieger die Zügel, sprang freudig vom Wagen und lehnte die Geißel an das Joch. Sthenelos, sein tapferer Waffengenoß, spannte gleichzeitig die Rosse aus, nahm darauf für ihn den ersten Preis in Besitz, das Weib und den großen gehenkelten Kessel, und führte beides nebst dem Wagen nach dem Zelte des Diomedes ab.

Jetzt kam auch Antilochos an, doch nur wenig fehlte, so hätte Menelaos ihn wieder eingeholt, denn er war ihm stets auf der Ferse; und wäre die Bahn nur länger gewesen, so hätte schwerlich dem Jünglinge seine List etwas geholfen, denn des Menelaos treffliche Pferde übertrafen die seinigen bei weitem an Schnelligkeit. Dagegen blieb hinter ihnen Meriones wohl um eines Speerwurfs Weite zurück, weil sein Gespann das trägste von allen und er selbst im Lenken des Wagens wenig geübt war. Zuletzt endlich kam der arme geschundene Eumelos mit seinem zertrümmerten Wagen an, den er in der Eile mit Riemen etwas zusammengebunden hatte. Achill sah ihn voll Mitleid kommen und sagte:

»Seht da, wie der tüchtigste Lenker im Heere zuletzt herbeischleicht! aber ich denke, wir reichen ihm billigerweise den zweiten Preis, denn den ersten müssen wir wohl schicklich dem Diomedes lassen.« Alle anderen fanden das Urteil gerecht, und schon wollte Achilleus dem Eumelos die Stute reichen, als Antilochos aufschrie:

»O Achill, heftig würde ich dir zürnen, wenn du so handeltest; denn du raubst mir meinen Kampfpreis! Du denkst, Eumelos sei ein trefflicher Mann und ihm ohne Schuld der Wagen zerbrochen; aber ich meine, er hätte, wie es sich gebührt, vorher zu den Göttern flehen sollen, dann wäre ihm solches nicht begegnet. Bedauerst du ihn indessen und willst ihm wohl im Herzen, nun, so hast du ja im Zelte noch viele köstliche Güter, Gold und Erz, auch Sklavinnen und Schafe und Rosse, davon gieb ihm so viel du willst, ja, gieb ihm mehr als uns allen; nur meinen Preis darf er mir nicht rauben, denn dem Pferde entsage ich nicht, und sollte ich mit ihm darum kämpfen.«

Achilleus, weit entfernt durch den mutigen Einspruch des Jünglings beleidigt zu werden, freute sich vielmehr seiner offenen Entschiedenheit, seines edlen Trotzes und sagte lächelnd: »Nun, Antilochos, wenn du mich zwingst, so werde ich freilich dem Eumelos etwas anderes geben müssen. Gut! ich will ihm den schönen Harnisch schenken, den ich von Asteropäos erbeutet habe; ich denke, er wird ihm auch lieb und wert sein.«

Automedon mußte den Harnisch herbeiholen, und Achill überreichte ihn sogleich dem Eumelos. Ehe aber Antilochos seine Stute in Besitz nehmen konnte, trat Menelaos zürnend auf und brachte gerechte Beschwerde vor:

»Hört mich«, sprach er, »ihr Fürsten der Argeier, und entscheidet nach Billigkeit zwischen mir und Antilochos. Dieser hat heute meinen Ruhm gekränkt und mir mit List im Hohlwege die Rosse aufgehalten, die doch weit rascher als die seinigen sind. So wenigstens schien es mir, indessen könnte es auch Zufall gewesen sein. Damit ich ihm nun nicht unrecht thue und niemand nachher sage, Atreus' Sohn habe jenem durch falsche Beschuldigung seinen rechtmäßigen Kampfpreis entwendet, so rufe ich euch zu Richtern auf. Soll ich aber selbst ein Urteil fällen, so thue ich einen Vorschlag, den ihr nicht verwerfen werdet: Antilochos berühre mit der Linken seine Rosse und halte mit der Rechten die Geißel hoch und schwöre es vor unser aller Augen und Ohren bei Poseidon, dem Schützer der reisigen Männer, daß er mir nicht vorsätzlich meinen Wagen gehindert habe.«

»Gieb dich zufrieden«, entgegnete da der Jüngling beschämt und bescheiden, »und laß es gut sein, edler Menelaos; denn ich bin viel jünger als du, du aber ragst an Tugend wie an Jahren hervor. Du weißt ja, wohin allzu üppiger Mut den Jüngling verleiten kann; leicht übereilt er sich und faßt einen unbesonnenen Entschluß. Darum beruhige dein zürnendes Herz und vergieb mir. Gern lasse ich dir die Stute, die ich mir zueignen wollte; ja, wenn du es verlangst, so will ich dir noch etwas von dem Meinigen geben, nur daß ich nicht auf immer, du würdiger Mann, deine Liebe verliere und mir die Götter abgeneigt mache.«

Wie der Tau sich mild auf die Ähren der jungen Saat legt, so durchdrang die bescheidene schöne Rede des Jünglings das Herz des Menelaos. Aller Zorn war vergessen, und er erwiderte jenem mit Freude und herzlicher Liebe:

»Antilochos, jetzt will ich dir gern verzeihen, denn nie bist du ja sonst auch übermütig oder keck und bedachtlos gewesen, und diesmal hat nur die Jugend dich bethört. Aber künftig hüte dich wohl die Besseren durch unedle List zu berücken. Schwerlich hätte mich ein anderer Achäer so leicht besänftigt, aber auf dich habe ich immer viel gehalten, und dein Vater ist ein so würdiger Greis, und ihr alle thut und duldet hier um meinetwillen so vieles. Damm verzeihe ich dir gern, auch die Stute magst du behalten, damit jeder Achäer es sehe, wie fern mein Sinn von Eigennutz oder Gewaltthätigkeit ist.« Und sogleich gab er das Pferd einem Diener des Antilochos zurück und war mit dem dritten Preise, dem ehernen Becken, zufrieden. Den vierten, die zwei Talente Goldes, nahm hierauf Meriones in Empfang, und mit dem letzten, welcher übrig blieb, wendete sich Achill zum alten Nestor und sprach mit Ehrerbietung:

»Dies Ehrengeschenk, o Greis, mag dein sein; sei es dir ein Andenken an Patroklos, den du nun nimmer wiedersehen wirst. Ich gewähre dir's ohne Kampf, denn gewiß wirst du doch weder im Ringen noch in den übrigen Spielen dich versuchen, da schon die Last des höheren Alters dich drückt.«

Nestor nahm das Geschenk mit Freuden und erwiderte: »Ja, mein Sohn, wohl mit Recht nennst du das Alter beschwerlich; denn nicht mehr fest sind die Glieder, und besonders die Füße werden schwach, auch die Arme regen sich nicht mehr so gelenk und rüstig wie sonst. Ha! wäre ich so jugendlich noch wie damals, als wir Helden das Leichenfest des Amarynkeus in Buprasion feierten, jenes Königs der Epeer, dem seine Kinder eine herrliche Bestattung ausrichteten, die reichsten Kampfpreise aussetzend! Damals war mir fürwahr keiner gleich, weder unter den Epeern, noch unter den Pyliern, noch unter den Ätolern! Denn mit der Faust besiegte ich Klytomedes, des Enops Sohn, im Ringen den Ankäos von Pleuron, im Laufe den raschen Iphiklos und im Speerwurf den Phyleus; nur im Wagenrennen eilten die Aktoriden, die Zwillingsbrüder, mir zuvor. Siehe, so war ich dereinst! Jetzt freilich muß ich alles jüngern Männern überlassen und dem traurigen Zwange des Alters mich fügen. Gehe denn und feiere noch weiter deines Freundes Gedächtnis mit rühmlichen Spielen. Das Geschenk hier nehme ich mit Dank an, und mein Herz freut sich, daß du doch immer noch meiner gedenkst und mich mit Ehren auszeichnest unter den Achäern. Mögen es dir die Götter mit erfreuenden Gaben vergelten!«

Achilleus nickte freundlich und ging darauf, die Scharen der Achäer durchschreitend, aufs neue zu seinen Schiffen, um andere Kampfpreise auszusuchen. Er brachte ein starkes sechsjähriges Maultier und einen schönen Doppelbecher mit, zeigte die Gaben den versammelten Fürsten und sagte:

»Seht hier, ihr Freunde, den Preis, welchen ich zwei tapfern Männern bestimme, die den Faustkampf wagen wollen. Wer durch Apollons Hilfe als Sieger aus dem Kampfe hervorgeht, der mag das arbeitsame Maultier in sein Zelt führen; wer aber im Kampfe erliegt, der soll zum Troste diesen goldenen Becher empfangen.«

Der Faustkampf war das grausamste aller alten Kampfspiele. Darum fand er immer nur wenige Teilnehmer, und unter diesen entweder Menschen von wildem und rohem Gemüt, oder unter edlen Männern doch nur solche, die sich einer ganz vorzüglichen Kraft des Armes bewußt waren. Zu jenen ersteren mochte auch derjenige, welcher sich jetzt meldete, gehören. Es war Epeios, derselbe, der später das hölzerne Roß erbaut hat. Er trat hervor, faßte das Maultier am Zaume und rief mit lauter Stimme:

»Komme heran, wer da wünscht den Becher zu nehmen; denn das Maultier, hoffe ich, trägt mir niemand davon! Laufen und Schleudern ist meine Sache nicht, und keinen Ruhm erwarte ich vom Speer oder Bogen, denn einem ist ja nicht alles beschieden; aber im Faustkampf meine ich vor allen der erste zu sein. Darum verkündige ich's vorher: Wer mit mir sich versucht, kommt nicht anders als blutig gequetscht und mit zerschmetterten Knochen von hinnen; ja, er mag nur sogleich die Leichenträger mitbringen, damit sie ihn dahin tragen, wo er begraben sein will.« In der That hatte es auch das Ansehen, als wenn er, wie Nestor, den Preis ohne Kampf gewinnen würde, bis endlich nach einigem Bedenken ein anderer starker Mann gegen ihn aufstand, Euryalos mit Namen, gleichfalls ungeheurer Stärke sich bewußt; denn er hatte schon ehedem einmal am Leichenfeste des berühmten Oedipus in Theben alle Bewohner jener Stadt im Faustkampf überwunden. Jetzt munterte ihn Diomedes auf und holte ihm selbst den Gürtel und einen langen, schmalen Riemen herbei, womit er ihm nach alter Fechtersitte die Arme umwickelte. Als nun beide gegürtet dastanden, erhoben sie die Fäuste zum grimmigen Wettkampfe gegeneinander, und laut schallten die schweren Schläge; der Angstschweiß rann von den glühenden, geschwollenen Gesichtern und durchfeuchtete die um den Leib geschürzten Kleider. Auf einmal gelang dem wütenden Epeios ein furchtbarer Hieb auf die Backe des Gegners, daß demselben alle Sinne schwanden und er hoch aufsprang, wie ein Fisch aus dem Wasser aufschnellt und dann zurückfällt. Da eilten die Freunde herbei und hoben ihn sanft vom Boden auf und trugen ihn in sein Zelt. Er stöhnte sehr, ließ den betäubten Kopf seitwärts herabhangen und spie dickes Blut aus. Hinter ihm ging ein Freund und trug ihm den teuer erkauften Becher nach.

Hierauf kam das Ringen an die Reihe. Auch dafür setzte der freigebige Achilleus zwei kostbare Preise aus und schaffte sie von den Schiffen herbei: dem Sieger einen großen dreifüßigen Kessel von köstlicher Arbeit, dem Werte von zwölf Stieren gleichgeschätzt; dem Überwundenen eine Sklavin, in künstlicher Arbeit geübt, nach unsers Dichters Schätzung etwa vier Rinder wert.

Er rief jetzt abermals die versammelten Fürsten auf: »Wohlan! Wer begehrt nun diesen Kampf zu versuchen?«

Sogleich erhoben sich zwei wohlbekannte Männer, Aias der Telamonier und unser Odysseus. Sie zogen die Kleider von den Schultern, gürteten sich um die Mitte des Leibes, und so mit nackter Brust und bloßen Armen traten sie sich gegenüber. Fest gegeneinander gestemmt drängten sie hin und her, umklammerten sich mit den kraftvollen Armen, daß breite Striemen die Haut röteten, und versuchten es bald rechts, bald links einander nieder zu beugen. Beiden krümmte sich der Rücken unter der gewaltigen Umschlingung, es glühten die dunkeln Gesichter, und Schweißtropfen fielen von den Gliedern herab. Aber so angestrengt sie rangen, nach dem Ruhme nicht minder, als nach dem Preise des Sieges begierig, so vermochte dennoch weder Aias den Odysseus, noch dieser den Aias zu Boden zu werfen. Schon währte den Zuschauern die Zeit zu lange, und sie wurden ungeduldig, da hielten die Kämpfer einen Augenblick inne, und Aias sprach zu Odysseus:

»Weißt du was? Hebe du mich auf oder ich dich, dann wird ja Zeus den Ausschlag geben.«

Jetzt faßten sie einander um den Leib und suchten sich vom Boden zu heben. Da zeigte sich des Aias überlegene Stärke, er hob den Odysseus hoch in die Höhe, aber dieser vergaß seiner List nicht, sondern schlug jenen mit der Ferse in die Kniekehle, daß er einknickend rücklings hinstürzte und Odysseus ihm auf die Brust zu liegen kam. Da erscholl rings umher ein dumpfes Getön der Verwunderung, weil der anscheinend Schwächere den Stärkeren überwältigt hatte. Aber Odysseus erhob sich wieder und suchte nun auch jenen aufzuheben, allein das vermochte er nicht. Nur etwas weniges bewegte er ihn vom Boden, dann warf er sich selbst und mit sich den Aias absichtlich in den Staub, ohne daß sich für einen von ihnen der Sieg entschied. Da wollten sie zum drittenmale die gewaltigen Kräfte versuchen, doch Achilleus gebot nun Stillstand und sprach, unter sie tretend:

»Genug, Freunde! Nicht länger mattet euch ab in feindseligem Eifer. Der Sieg gebührt euch beiden, daher will ich euch mit gleichen Preisen belohnen. Geht, damit nun auch noch andere der Achäer kämpfen können.«

Da ließen jene die Arme sinken, wischten sich den Staub von den Gliedern und hüllten sich wieder in ihre Kleider. Achilleus holte darauf drei andere Preise herbei für die Sieger im Lauf. Der erste war ein silberner Krug von wunderköstlicher Arbeit, eines sidonischen Künstlers Werk, den einst phönikische Seefahrer dem alten Thoas teuer verkauft hatten. Dessen Enkel hatte ihn dann dem Patroklos als Kampfpreis für Priamos' Sohn Lykaon gegeben, und so war er dem Achill anheim gefallen. Dem zweiten Läufer ward ein fetter Ochse bestimmt, und dem dritten ein halbes Talent Goldes. Achilleus zeigte die Preise und forderte wie vorher die Fürsten auf darum zu kämpfen. Auch hier galt es, wie beim Wagenrennen, nicht bloß das Ziel zu erreichen, sondern es zu umlaufen und dann der erste zurück zu sein am Anfange der Laufbahn.

Zuerst meldete sich der jüngere Aias, des Oïleus Sohn, der vorher mit Idomeneus so unedel gehadert hatte. Er war ein trefflicher Läufer und hatte schon viele Preise in diesem Kampfe errungen. Nach ihm erhob sich der junge Antilochos, und der dritte war Odysseus, der ungeachtet des sauern Ringens doch noch Kraft genug in sich fühlte es mit den beiden Jünglingen im Wettlauf aufzunehmen.

Achilleus wies allen das Ziel und gab das Zeichen. Und wie die Pfeile von der Senne fliegen, so stürmten die drei Läufer in die Ebene hinein. Aias hatte vom Anfang den Vorsprung, aber ihm auf der Ferse folgte Odysseus, indem er wie ein Schatten in jenes Fußspur trat, noch ehe der nachfallende Sand sie bedecken konnte. Da riefen ihm alle Zuschauer ermunternd zu, denn sie gönnten ihm den Sieg weit mehr als dem Aias. Sein Hauch traf schon den Nacken desselben; zweier Schritte nur bedurfte er, um diesem voraus zu kommen, aber er konnte sie nicht gewinnen; denn Aias selbst bot alle Kraft seiner rüstigen Schenkel auf und ließ ihn nicht vor. Da flehte Odysseus im stillen, als schon das Ende des Laufes ganz nahe war, mit inbrünstigem Gebete zu seiner Schützerin Athene, daß sie doch jetzt noch ihm Ruhm gewähren möchte vor den Achäern. Und siehe, indem schon Aias zum Kampfpreis hinanfliegen wollte, da hemmte ihn der schlüpfrige Ort, wo das Blut und die ausgenommenen Eingeweide der Tiere lagen, welche Achilleus gestern zu Ehren des Patroklos geopfert hatte; er strauchelte und stürzte mitten in den Kot hinein, daß Mund und Nase besudelt war. Da lachten alle laut auf; und ob er gleich im Nu wieder auf den Beinen war, so konnte er doch den Odysseus nicht wieder einholen und mußte sich mit dem zweiten Preise begnügen. Unwillig faßte er den Stier beim Horne und wischte sich, spuckend und murrend, den Kot aus dem Gesichte.

»Das weiß ich wohl«, rief er, »wer's mit Odysseus aufnimmt, der hat's auch immer mit der hinterlistigen Göttin zu thun. Hätte sie mir nicht geschadet, so hätte er den Krug gewiß nicht erhalten!«

Er führte hierauf seinen Ochsen ab und ging sich zu waschen. Antilochos, der dritte Läufer, war zuletzt angekommen, und es that ihm recht leid, daß er mit dem halben Pfund Goldes weggehen mußte. »Wie doch die Götter immer die älteren Menschen so lieben!« sprach er. »Zwar von Aias will ich nicht reden, denn der ist wohl nicht viel älter als ich; aber Odysseus gehört doch zu den bejahrtesten Männern und blüht wahrlich noch immer in der frischesten Jugendkraft. Ja, ich glaube, es holte ihn keiner von allen Achäern im Lauf ein, wenn's nicht Achill etwa vermag.«

Der gute Antilochos! Er wußte nicht, wie wohl dem stolzen Achilleus dies offenherzige Lob gefiel, und ward daher freudig überrascht, als der Held zu ihm sagte: »Antilochos, du sollst mich nicht umsonst gelobt, nicht umsonst so bescheiden und neidlos gesprochen haben; ich lege dir noch ein halbes Talent Goldes zu dem Preise hinzu.«

Er nahm ihn mit sich in sein Zelt, aus dem er bald darauf mit neuen Preisen für die Lanzenkämpfer zurückkehrte. »Wohlan!« rief er, »um solche Preise laßt die beiden tapfersten Männer in voller Rüstung, mit scharfen Lanzen vor dem versammelten Volk sich versuchen. Wer nur dem andern zuerst die Haut verletzt, daß das dunkle Blut hervorquillt, dem schenke ich dieses silberbeschlagene Schwert, das ich dem Asteropäos geraubt habe. Aber hier Sarpedons Rüstung empfangen sie beide gemeinsam, auch bewirte ich sie nachher in meinem Zelte mit einem köstlichen Mahle.«

Sogleich traten Diomedes und der ältere Aias, Telamons Sohn, in den Kreis, denn diese beiden rühmten sich nächst Achilleus die stärksten und tapfersten Männer im Heere zu sein. Schnell holten die Diener ihnen die Rüstungen herbei, und nachdem sie dieselben angelegt und die Lanzen ergriffen hatten, stürmten sie mit fürchterlich drohendem Blick gegeneinander, so daß alle Zuschauer erschraken. Dreimal rannten sie mit gewaltigem Stoß zusammen, und immer haftete des Aias Lanze fest in Diomedes' Schilde, aber den Schild ganz zu durchdringen vermochte sie nicht. Diomedes' Lanze hingegen glitt immer ab, denn er zielte sorgfältig nach dem Halse, den der Kämpfer gewöhnlich mit der geringsten Vorsicht beschirmte. Als das die Griechen sahen, riefen sie alle laut, daß sie doch jetzt vom Streit ablassen und sich in den Kampfpreis teilen möchten, denn sie waren sehr besorgt um Aias. Und so geschah es denn; nur daß Achill das große Schwert dem Diomedes gab. Jetzt rief er abermals laut: »Wohlan, ihr Achäer hier bringe ich die schöngegossene Kugel, Eëtions Wurfball, den ich mit anderen Kostbarkeiten erbeutete, als ich ihn schlug und seine Stadt zerstörte. In Kilikien. Dieser kleine Fürst war Andromaches Vater gewesen.

Wer mir in diesem Wettspiel siegt, dem gebe ich eine Ladung Eisen, daß er fünf Jahre genug daran haben soll, und hätte er noch so viele Äcker daheim zu bestellen.

Da traten vier Männer auf, Polypoites, ein wackerer Held, Leonteus, der ältere Aias und Epeios, jener entsetzliche Faustkämpfer. Man überließ ihm die Kugel zuerst, und alle lachten, da er sie hinwarf. Ein Herold machte ein Zeichen an dem Orte, wo sie niedergefallen war, und brachte sie dann dem Leonteus, der schon weit besser warf. Noch weiter brachte sie hierauf der gewaltige Arm des Aias; doch als Polypoites sie entsandte, siehe da flog sie weit über alle vorigen Zeichen hin, und das ganze Volk jauchzte laut. Die Gefährten des Siegers aber trugen ihm das gewichtige Geschenk in sein Zelt.

Wieder andere Preise holte der Held darauf für Bogenschützen herbei, zehn zweischneidige Äxte und ebenso viele Beile. Als Ziel band er eine Taube mit einem langen Faden an die Spitze eines Mastbaums und richtete dann den Mastbaum in die Höhe. »Wohlan!« rief er, »wer zwischen dem Baume und der Taube hindurchschießt, der soll die Beile haben; wer aber gar die Taube selbst trifft, der nehme die Äxte hin.«

Sogleich erhoben sich die beiden besten Bogenschützen im Heere, der junge Teukros und Meriones. Beide losten um den ersten Schuß, und Teukros' Los fiel zuerst aus dem geschüttelten Helme. So ergriff er denn den Bogen und schnellte von scharf angezogener Senne den Pfeil in die Luft. Und siehe, er zerschoß den Faden, der der Taube um den Fuß gebunden war, und das befreite Tier flog fröhlich in die Lüfte. Alle Zuschauer jauchzten, aber Meriones gab die Äxte doch noch nicht auf, sondern riß dem Teukros schnell den Bogen aus der Hand den Pfeil hielt er längst schon bereit und zielte sicher nach dem Vogel, der hoch in den Lüften flatterte. Still im Herzen, sagt der Dichter, gelobte er dem Apollon ein Dankopfer; das hatte Teukros versäumt. Und da gab ihm der Gott des silbernen Bogens den wundersamen Sieg, denn der Pfeil traf glücklich die Taube und durchschoß ihr den Flügel. Sie flatterte ängstlich und schwach nach dem Gipfel des Mastbaums zurück, senkte bald Kopf und Flügel und fiel dann tot mitten unter die Zuschauer herab. Erstaunt sahen es die Völker. Aber Meriones trug mit freudigem Stolze die schönen Äxte in sein Zelt, während Teukros mit den Beilen still hinwegschlich.

Noch war die Übung des Lanzenwurfs übrig, für welche Achilleus gleichfalls zwei Preise aussetzte, ein ehernes Becken, mit künstlichen Blumen geziert, und eine neue Lanze. Da er sah, daß Agamemnon und Meriones sich erhoben, um diese Preise zu wetteifern, so sprach er: »Atreide, wir wissen es, wie weit du an Kraft und Geschick die Lanze zu werfen alle anderen übertriffst, darum nimm nur gleich das schimmernde Becken, und Meriones mag mit dem Speere zufrieden sein, wenn es den übrigen also genehm ist.«

Alle billigten die ehrenvolle Auszeichnung des obersten Königs, und so ging ein jeder zufrieden mit seinem Geschenke von dem Kampfplatze zurück.


 << zurück weiter >>