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Sechzehnter Abend.
Der männermordende Achilleus.

Der ganze Olymp nahm Anteil an dem Kriege der sterblichen Menschen, seit der göttergleiche Achill die Waffen wieder ergriffen hatte. Viele der Himmlischen winkten ihm Sieg zu; nur Zeus besorgte, es möchte der Held in seinem Zorne schon am ersten Tage die prächtige Stadt der Troer zerstören, die doch nicht vom Schicksale bestimmt war durch seine Hand zu fallen. Darum befahl er den übrigen Göttern jetzt noch einmal des Peliden Tapferkeit zu hemmen, wenn er zu furchtbar rasen und auf die ersten Häupter der Trojaner losstürmen sollte.

Die Troer standen bereits gerüstet im Felde; und wie der brausende Sturmwind einen Haufen trocknen Laubes im Herbste vor sich her treibt, so drangen in dichten schnellen Haufen die Massen der Achäer gegen sie an, von ihren Führern getrieben. Achilleus wandte den Blick nach allen Seiten, um Hektor zu suchen, aber er sah ihn noch nicht. Wohl aber erblickte er zwei andere feindliche Häupter im jenseitigen Gewühl, den Äneas und Lykaon. Jener wollte schon fliehen, doch dieser beschämte ihn mit der Frage:

»Sprich, du Fürst der Trojaner, wo sind nun alle die Drohungen, die du so oft beim Becher des Mahles hören ließest? Rühmtest du dich doch, du wolltest kühn auch des Achilleus Ruhm zu schänden machen und jeden Kampf bestehen!«

»Sohn des Priamos«, entgegnete Äneas, »den Achill fürchte ich auch nicht, sondern den Gott, der unsichtbar mit ihm ist, wo er geht und steht. Denn oftmals habe ich's erfahren: man kann kein Geschoß auf ihn werfen, das nicht einer der Götter abwehrt, und er selbst wirft keines, das nicht trifft. Wer aber vermag mit Göttern zu streiten? Ja, kämpfte er menschlich, wie ich gewiß! ich würde nicht fliehen, wäre er auch von starrendem Erze gebildet! Aber ich habe seines Dämons Wüten schon einmal empfunden, als er kam, um die weidenden Rinder jenseit des Ida zu rauben, nachdem er Lyrnesos und Pedasos zerstört hatte. Damals wollte ich ihn abwehren und wußte nicht, daß Athene mit ihm war. Da galt es schnelle Flucht; und hätte nicht Zeus selbst mich in die Klüfte des Ida geborgen, ich wäre schon an jenem Tage von seinen Händen erschlagen worden!«

»Wohlan denn, edler Held«, sprach Lykaon, »so flehe du selbst die Unsterblichen an. Ist denn Athene die einzige mächtige Göttin? Bist du nicht von der himmlischen Aphrodite geboren, die dich so oft schon in Gefahren beschützt hat? Und seine Mutter Thetis, des greisen Nereus Tochter, ist nur eine der geringsten Göttinnen.«

Äneas konnte nichts dagegen sagen und entschloß sich wirklich dem Furchtbaren entgegenzugehen. Er empfahl seine Seele der göttlichen Mutter und drang wilddrohend hervor. Achilleus erwartete ihn nicht erst lange, sondern rannte gegen ihn und rief plötzlich stillstehend ihm von weitem zu:

»Ei, sage mir doch Äneas, wie wagst denn du so allein dich aus der Menge hervor? Was kann dich doch treiben mit mir zu kämpfen? Denkst du vielleicht, wenn du mich besiegtest, von den Troern das Königtum zu erlangen? Ei, nicht doch, Priamos hat ja der Söhne noch genug! Oder verhießen dir die Völker vielleicht reichen Lohn an Gütern und Saatgefilden, wenn du mich erschlügest? Traun! mir scheint, du habest vergessen, wie ich schon einmal dir am Ida begegnete und kaum noch Vater Zeus dich errettete! Wie ein Hirsch liefst du unaufhaltsam davon und wagtest nicht einmal dich umzusehen. So fliehe auch jetzt nur, wenn dir dein Leben lieb ist, und hüte dich zum zweitenmale mir zu begegnen!«

»Sohn des Peleus«, entgegnete ihm Äneas, »hoffe nicht mich wie ein Knäblein durch Worte abzuschrecken. Drohen und schmähen könnte ich ja auch. Mein Geschlecht ist wohl so erhaben als deines; denn mich zeugte der treffliche Anchises aus Dardanos' Stamme, und Aphrodite, die Tochter des Zeus, ist meine Mutter. Dardanos zeugte den Erichthonios, den reichsten Erdenbewohner; es weideten dreitausend Stuten auf seiner Aue. Der ward der Vater des Tros, und Tros wieder zeugte den Ilos, Assarakos und Ganymedes. Des Ilos Enkel ist Priamos, vom Vater Laomedon erzeugt, aber Assarakos' Enkel ist Anchises, mein Vater, erzeugt von Kapys, Assarakos' Sohne. Siehe, so alt und erhaben ist mein Geschlecht! Aber was schwatzen wir hier gleich thörichten Kindern und stehen doch gewaffnet gegeneinander? Auf! laß sehen, ob Aphrodite oder Thetis heute den sterblichen Sohn beweinen werde!«

Äneas entsendete nun zuerst seinen ehernen Speer, und Achill hielt den Schild weit vor, um jenen aufzufangen und seine Spitze, wenn sie vielleicht den Schild durchdränge, vom Leibe abzuhalten. Er bedachte selbst nicht, daß die Gaben der Götter unverletzlich sind, und war freudig überrascht, als der heftig geworfene Spieß kraftlos abprallte, obgleich der von der Spitze getroffene Schild laut erdröhnte. Sogleich nun schleuderte er seine eigne entsetzliche Lanze auf jenen hin, der sich geschwind auf die Erde warf und seinen Schild vorhielt. Da fuhr der gewaltige Speer krachend durch des Schildes äußersten Rand, schoß aber dicht hinter dem gebückten Äneas in die Erde. Mit einem Ruck stand dieser selbst auf und riß auch die schwer nachschleppende Lanze heraus, ergriff in Hast einen Feldstein, der gerade vor seinen Füßen lag, und warf ihn dem Achilleus, der in blinder Wut mit gezücktem Schwerte gegen ihn anlief und aller Beschirmung vergaß, so heftig an den Kopf, daß wäre nicht der Helm Hephästos' Werk gewesen wohl Helm und Schädel zugleich zerborsten wären. Schon triumphierte Äneas ihn fallen zu sehen, und sah noch einen Augenblick seinem Wurfe nach; da aber Achill nur einen Schritt zurückwankte, so wagte er nicht länger in der Nähe des gereizten Löwen zu verweilen, sondern riß mit Kraft des Achilleus schwere Lanze aus seinem Schilde, warf sie vor jenem auf die Erde und entzog sich der Rache durch schnelle Flucht in das dichte Gedränge der Troer.

Als Achilleus wieder zu sich selbst kam – denn der Wurf hatte ihn doch betäubt sah er sich auf der Erde, den Arm in den Sand gestemmt und ringsum von allen verlassen. Er erstaunte und sprach zu sich selbst: »Welch Wunder ist mir begegnet! Hier liegt die Lanze vor mir, und der Mann, auf den ich sie warf, ist nirgends zu schauen. Aber wahrlich, auch Äneas ist von den Göttern geliebt, denn so bezwang mich noch keiner! Ich dachte, er prahle nur so in den Wind. Doch was hilft's? Mag er gehen! Hat er's doch nicht gewagt mich in der Ohnmacht zu töten und freut sich vielleicht nur, daß er durch den Wurf seinem eignen Verderben entrann! Dank euch, gütige Götter! Jetzt will ich mir einen andern Gegner aufsuchen.«

Er lief erst durch die Reihen der Myrmidonen hin und ermunterte sie mit lautem Schlachtruf. »Eingedrungen!« rief er. »Mann auf Mann! Keiner enthalte sich des Kampfes! Mir allein ist's unmöglich mit allen den zahllosen Feinden zu streiten; das vermöchte selbst Ares nicht, wenn er allein kämpfte. Aber rasten soll mein Speer nicht, und keiner wird sich freuen, dem ich begegne! So kämpft nun auch ihr, ihr braven Achäer, und nehmt ein Beispiel an mir!«

Gerade so durchlief auch drüben der tapfere Hektor seine Scharen und sprach ihnen mit kräftiger Stimme Mut ein: »Fürchtet euch nicht, ihr tapfern Troer, weil heute ein einziger Mann mehr kämpft unter den Feinden! Zwar hat er viel gedroht, der grimmige Achilleus, aber Worte sind noch keine Thaten, und nimmer glaube ich, daß die Götter alle seine Prahlereien erfüllen werden. Seht, ich selbst gehe ihm entgegen, unerschrocken, und wäre sein Arm wie die Flamme und seine Brust wie blinkendes Eisen!«

Achilleus war bereits in die Scharen der Troer eingebrochen und hatte schon hier und dort mit der Lanze einzelne Schwächere niedergestoßen. Jetzt stieß er auf den Iphition, einen Anführer aus dem Gebirge Tmolos, den er schon kannte. Er warf die Lanze auf ihn und zerschmetterte ihm den Kopf, daß er mitten voneinander barst und der Getroffene sogleich tot niederstürzte. »So! hier liege in Ruhe, Sohn des Otrynteus«, sprach er. »Bist so weit hergekommen, um dir den Tod zu holen! So geht's, wenn einem daheim zu wohl ist!«

Weiter sprang er wie ein hungriger Wolf von Mord zu Mord. Jetzt rannte er einen Sohn Antenors, den edlen Demoleon, nieder, dem das spitzige Eisen Helm und Schläfe durchbohrte. Sein Wagenlenker Hippodamas verlor entsetzt die Zügel und sprang, um sich zu retten, eilig vom Wagen, aber der schreckliche Speer ereilte auch den Fliehenden und zerschmetterte ihm das Rückgrat, daß er stöhnend auf sein Angesicht stürzte. Kaum hatte ihm Achill die Lanze wieder aus dem Leibe gerissen, so schleuderte er sie schon wieder dem Polydoros nach, Priamos' jüngstem Sohne, den der greise Vater gewarnt und gebeten hatte, noch nicht den Kampf zu versuchen. Der Jüngling war rasch und feurig, und galt als der beste Läufer im Heere; daher hatte er sich nicht wollen zurückhalten lassen. So traf ihn denn, als er eben an Achilleus vorüber flog, die furchtbare Lanze in die Seite und zerriß ihm den ganzen Bauch, daß die Eingeweide hervorquollen. Er fiel ächzend nieder und krümmte sich wie ein Wurm auf der Erde. Da erblickte ihn sein Bruder Hektor, und von heftigem Schmerz durchdrungen suchte er sogleich den Mörder auf, seine Lanze wie einen Blitzstrahl in der Hand schwingend.

Ihn sah Achill daher stürmen. »Ha!« sprach er hochaufspringend vor Freude und ging auf ihn los, »da ist er, der mir den Freund erschlug! Nun, länger will ich ihn fürwahr nicht vermeiden auf den blutigen Pfaden des Treffens. Heran! Hektor, heran! daß du schnell das Ziel des Todes erreichst!«

Kaum hatte er's gerufen, so stand Hektor ihm schon gegenüber und antwortete: »O Achilleus, hoffe nicht mich wie ein Kind mit Worten zu schrecken. Bist du gleich stärker als ich, so ruht es doch noch im Schoße der Götter, ob ich nicht dennoch dir mit meiner spitzen Lanze das Leben raube!«

Er warf die Lanze mit aller Macht, aber sie glitt ab an Achills hartem und glatt poliertem Schild. Erschrocken kehrte er um und rettete sich durch windschnelle Flucht vor dem nachsausenden Speere. »Ha, wahrlich!« rief Achill, »Phöbus muß dir geneigt sein, denn schon zuckte über deinem Haupte das Verderben und dennoch entflohst du mir wieder, du Hund! Aber ich hoffe dich doch endlich zu treffen, wofern du dich wieder in die Schlacht wagst.«

Grollend sah er sich jetzt nach andern Gegnern um. Da stieß er auf Dryops und zerschnitt ihm den Hals, und als er die Lanze auszog, fiel ihm der Blutende selbst auf den Leib; aber er warf ihn in den Sand und wendete sich zu einem andern Troer, einem großen, gewaltigen Riesen, Demuchos mit Namen, und schmetterte ihm die Lanze gegen das Knie, sprang dann hinzu und raubte ihm mit einem kräftigen Schwerthiebe völlig das Leben. Darauf rannte er auf einen Wagen los, der zwei schöne Jünglinge, die Brüder Laogonos und Dardanos, trug; und im Augenblick warf er den einen mit der Lanze herab, den andern tötete er mit dem Schwerte. Beute zu machen, wie die übrigen, kam ihm gar nicht in den Sinn. Er begehrte nicht habsüchtig das troische Gold, seine Rache lechzte nur nach dem Blute der Feinde. Siehe, da kam Tros, Alastors Sohn, den er ereilt hatte, blaß vor Todesangst auf ihn zu, fiel nieder und umfaßte ihm flehend die Kniee. »Schone meiner Jugend«, bat er, »und nimm von meinem Vater kostbare Lösegeschenke, wenn du mich leben läßt, edler Achilleus!« Aber an diesen Knieen fand er kein Erbarmen; ein furchtbarer Schwertstreich schlitzte ihm den ganzen Unterleib auf, und mit einem Strome Bluts entstürzten ihm die Eingeweide. Und noch viele andere traf so der Rasende, als wolle er schier allein das ganze Heer der Troer vernichten. Wohin ihn die schnaubenden Rosse oder die raschen Schenkel trugen, da flohen die Feinde dichtgedrängt wie die Schafe zurück, und die meisten empfingen abgewandt oder fliehend seine Lanze; denn sie wagten es gar nicht mehr ihn anzublicken, weil schon sein Auge Tod und Verderben blitzte. Oft strauchelten seine Rosse über die Leichname derer, die von ihm erschlagen im Wege lagen, und die Räder des Wagens troffen von Trojanerblut, das hoch bis zum Sessel hinauf spritzte. Ihm selbst auch, dem Entsetzlichen, waren Rüstung, Gesicht und Hände mit schwarzem Blute besudelt, vor allem aber die hohe Lanze, die schon so manches Feindes Herz durchstochen hatte.

Siehe, jetzt rollte sein Wagen auf eine Schar Trojaner los, die alle zusammen lieber fliehen als dem einzigen Manne stehen wollten. Er verfolgte sie wildstürmend, schnitt sie seitwärts von dem übrigen Heere ab, und jagte sie alle in die Fluten des durch Gewitterregen angeschwollenen Skamandros hinein. Hier plätscherten sie wie schwimmende Hunde umher; er aber in wilder Mordlust, des Blutes nicht satt, ließ seine Lanze am Ufer zurück, indem er sie an einen Strauch lehnte, und sprang den flüchtigen Schwimmern nach und erwürgte mit dem Schwerte, wen er erreichen konnte. Zuletzt, als ihm der Arm fast erlahmt war vom Gemetzel, drängte er zwölf Jünglinge im Schilfrohr zusammen und band jedem mit dem Riemen seines eigenen Wehrgehenks die Hände auf dem Rücken fest; dann holte er sie heraus und übergab sie seinem Wagenlenker, der sie den Myrmidonen zuführte. Sie waren zum grausamen Totenopfer für Patroklos bestimmt.

Sogleich stürzte er wieder hinein in den Strom und eilte auf die übrigem Troer zu, welche noch lebten und vergebens am steilen Ufer einen Platz suchten, wo sie hätten emporklimmen können. Unter diesen war auch ein Sohn des Priamos, Namens Lykaon, der in Todesangst an einem schwachen Gestrüppe sich emporzuarbeiten bemüht war, aber immer wieder ins Wasser zurückfiel. Ihn erkannte Achilleus mit Staunen; denn er hatte den Jüngling schon im Anfange des Krieges seinem Vater geraubt, als er ihn einsam im Fruchthain überraschte, und hatte ihn nach Lemnos hin für hundert Ochsen verkauft. Einige Jahre später hatte ihn von dort ein begüterter Phryger an sich gekauft, dem war er nun kürzlich entsprungen, und erst seit elf Tagen erfreute er sich wieder der Seinen und der Freiheit im Hause seines alten Vaters; da ließ ihn nun sein böses Geschick zum zweitenmale in die Hände des unerbittlichen Mannes fallen.

»Ha, siehe, Lykaon!« rief Achilleus verwundert. »Wie kam denn der übers Meer herüber? Habe ich ihn doch vor Jahren nach Lemnos verkauft! Das wäre mir nicht lieb, wenn mir so alle Troer doppelte Mühe machten! Nun, diesmal soll er die Spitze meiner Lanze kosten, damit er erkenne, ob er etwa auch von den Unterirdischen so wohlbehalten zurückkehrt.«

Er stieg ans Land zurück, um seine Lanze zu holen. Das sah der arme Lykaon und ruderte mit den Händen eilig durch den Strom, um sich ihm zu Füßen zu werfen, ehe das tödliche Eisen ihn ereile. Er umfaßte Achills Kniee mit der einen Hand und hielt ihm ängstlich mit der andern die furchtbare Lanze fest: »Edler, gewaltiger Achilleus«, bat er flehend, »erbarme dich doch nur das einzige Mal noch meiner! Siehe, schon einmal hast du mir das Leben geschenkt und mich nach Lemnos für hundert Stiere verkauft; aber jetzt gäbe dir gern mein Vater dreimal so viel, wenn du mich leben lassen wolltest. Gute Götter, das ist erst der zwölfte Morgen, den ich hier wieder erlebt habe, und schon führt mich mein Jammergeschick von neuem in deine Hände! Ach, willst du denn heute auf einmal meiner guten Mutter Laothoë beide Söhne entreißen? Sie gebar einst dem Priamos mich und Polydoros; diesen hat heute schon dein grausamer Wurfspieß vertilgt, und nun harrt auch meiner das Verderben von deiner Hand. O, höre das eine noch, ich bin nicht Hektors Bruder, dem du so sehr zürnst. Hektor ist von der Hekabe geboren, aber meine Mutter war Laothoë!«

Wo Achilleus zürnt, können so flehende Bitten nichts fruchten. »Thor!« erscholl die fürchterliche Stimme, »was liegt mir am Lösegeld für dich? Sonst wohl, ehe Patroklos fiel, war ich noch euch zu schonen geneigt und führte manchen lebend hinweg; aber nun soll auch nicht einer übrig bleiben, den mir ein Dämon von Ilios' Mauern in meine Hände giebt, am wenigsten Priamos' Söhne. Stirb denn auch du, mein Lieber! Was jammerst du vergebens? Ist doch auch Patroklos gestorben, der ein ganz anderer Held als du war! Und siehe mich an; bin ich nicht schön und groß? Mein Vater ist ein edler König, und eine Göttin ist meine Mutter; und doch ward auch mir auf diesem Boden zu fallen bestimmt, mag mir nun einer früh oder später mit der Lanze oder mit dem Pfeile das teure Leben entreißen!«

So sprach er, und jenem bebten Herz und Kniee; er ließ den Speer fahren und breitete geschlossenen Auges beide Arme aus. So empfing er schnell von Achills gezücktem Schwerte den Todesstreich in den Hals, daß ein Strom von Blut hervorquoll und er zuckend niedersank. Da packte ihn Achilleus bei dem Fuße und schleuderte ihn weit in den Fluß. »So!« rief er mit spöttischer Ruhe, »da schwimme du mit den Fischen hinab! Dich soll deine Mutter Laothoë nicht mehr betten, sondern der kalte Skamandros trägt dich in des Meeres offenen Schoß. Hüpfend wird dort mancher Fisch sich zu dir gesellen und am weißen Fette Lykaons schmausen! Und so verderbt ihr alle, ihr Hunde und eure Stadt zuletzt! Ha! seht, nicht einmal euer Stromgott schützt euch, dem ihr so fleißig Opfer gebracht habt, Stiere und Pferde lebendig in seine Fluten versenkend.«

Der ohnehin über das Hinmetzeln der Troer schon zürnende Stromgott hört die geringschätzigen Worte des Helden und haucht einem der Jünglinge, welche noch im Wasser standen, Mut in die Seele, mit Achilleus den verzweiflungsvollen Kampf zu wagen. Achilleus sieht ihn mit zwei erhobenen Lanzen nahen, denn er war mit beiden Armen zu werfen geübt. »Ha! wer bist du, Verwegener?« ruft er hinüber. »Meiner Kraft begegnen nur Söhne unglücklicher Eltern!«

Jener erwidert: »Was forschest du nach meinem Geschlecht, hochherziger Pelide? Ich bin aus dem fernen Päonien und habe wackere Scharen aus meiner Heimat hierher geführt. Heute ist's der elfte Tag, daß ich nach Ilios gekommen bin Mein Geschlecht stammt von dem weithinströmenden Axios, jenem mächtigen Flußgotte, der einst den Pelegon, meinen Vater, erzeugte. Und nun laß uns kämpfen, tapferer Achill!«

Er warf mit diesen Worten seine beiden Lanzen zugleich auf den Helden, aber die eine prallte kraftlos von dem ehernen Schilde ab, und die andere streifte nur obenhin den rechten Arm am Ellenbogen und fuhr dann hinter ihm in die Erde. Jetzt schwang auch Achill seine blutige Esche, aber auch er fehlte, und die gewaltige Lanze drang bis zur Mitte in den Sand am jenseitigen Ufer hinein. Zornig sprang er nun mit gezücktem Schwerte ins Wasser, zerteilte mit kraftvollen Schenkeln die Wellen des Stromes und nahte furchtbar dem unglücklichen Asteropäos, welcher vergebens arbeitete, um Achills tief haftende Lanze aus dem Boden zu ziehen. Er spaltete ihn mit einem entsetzlichen Hiebe die Seite, daß alle Eingeweide sichtbar wurden und der Getroffene sogleich ohnmächtig niedersank.

»So! da liege du!« rief er triumphierend. »Schwer magst du mit Männern aus Zeus' göttlichem Stamme den Kampf bestehen, obgleich ein Strom dein Ahn ist; denn wisse, mein Ahn war Äakos, des Zeus hochbeglückter Sohn. Und so erhaben der Vater der Götter über einen winzigen Flußgott ist, so weit ragt auch an Stärke sein Geschlecht über eines Stromes Sprößlinge! Siehe, hier gleich neben dir rauscht auch ein Strom; aber was hat er dir geholfen?«

Das hörte der alte graue Flußgott unten im tiefen Grunde und zürnte gewaltig. Aber Achill zog seine Lanze mit starkem Arm aus dem Ufer und ließ den Ermordeten am Rande des Flusses liegen, dessen Fluten den zerrissenen Leib bespülten. Aale und andere Fische schwammen hinzu und benagten ihm das weiße Fett um die Nieren. Achill, begierig noch einen Haufen der Feinde auf gleiche Art zu ersäufen, stürzte sofort über einen Trupp Päonier her und jagte sie gleichfalls in den Strom, aber an einer Stelle, wo er tiefer war. Wollten sie nicht von selbst hinabspringen, so warf er sie mit der entsetzlichen Lanze und stieß sie dann ins feuchte Grab hinunter. Da hörte er auf einmal aus der Tiefe des Gewässers die Stimme des Stromgottes:

»O Achilleus, übermenschlich wütest du ja, und immer schützen dich die Götter! Aber ich sage dir, wenn Zeus heute die Troer in deine Hand gegeben hat, so morde, wo du willst, nur trübe und belaste mir meine Fluten nicht mehr; denn vollgedrängt von Toten ist schon mein Strom, und kaum vermag ich länger ihn ins heilige Meer hinabzuwalzen. Darum laß ab, Völkergebieter!«

Achilleus vernahm die Warnung sonder Furcht und sprach: »Es soll geschehen, göttlicher Skamandros, wie du befiehlst; aber nimmer werde ich aufhören die Troer zu würgen, wo ich sie finde, bis ich sie alle zur Stadt gescheucht und den entscheidenden Wettkampf mit Hektor gekämpft habe.«

Er stürzte sich sogleich wieder auf die Feinde, welche noch ängstlich am Ufer umherirrten, und richtete ein gräßliches Gemetzel unter ihnen an. Darauf aber, als andere Flüchtlinge hinabsprangen, um sich watend und schwimmend auf das jenseitige Ufer zu retten, vergaß er das Gebot des Stromgottes und warf sich selbst mitten in den Strudel den Fliehenden nach. Da raffte sich der Unsichtbare zürnend auf und ließ ihn nicht los, entschlossen ihn zu vernichten. Fürchterlich schleuderte er Wogen auf Wogen über ihn her und zog ihn tiefer und tiefer hinab. Wie gewaltig der Held auch mit Armen und Schenkeln gegen den wilden Sturm der Wellen strebte, dennoch konnte er der Flut nicht mächtig werden, die ihn bald hob, bald niederzog, bald ihn umzuwerfen und fortzutragen drohte. Sogar die Leichname der von ihm erschlagenen Troer drängten ihn jetzt, und kaum konnte er mit dem mächtigen Schilde sich ihrer erwehren. Er eilte dem Ufer zu, aber da erregte der grimmige Gott eine schäumende Brandung, die ihn wieder in den Wirbel zurück riß. Abermals strebte er in die Höhe, kaum noch stark genug sich aufrecht zu erhalten, und faßte mit der Linken einen jungen Ulmenbaum, der seine Zweige über den Fluß hinabneigte; aber indem er sich an dem schlanken Stamme in die Höhe schwingen wollte, riß er den Baum mit der Wurzel aus, daß derselbe mit seinem Stamme wie ein Damm den Fluß selbst in seinem Laufe hemmte. Doch gewann nun der Held dadurch das Ufer, obwohl er vergebens hoffte, so der Gewalt des Flußgottes entronnen zu sein. Denn nun stürzte ihm der empörte Skamandros in die Ebene nach und verfolgte ihn mit schäumenden Fluten. Ja, er rief die andern Ströme zu Hilfe, die sonst nur im Frühlinge zum Schaden des Landmannes von den Bergen herab ihre Gewässer ergossen, vor allem aber rief er den Simëos, mit dem er sich kurz vor seinem Ausflusse ins Meer vereinigt. »Komm, Bruder, hilf mir bändigen die Gewalt des furchtbaren Mannes, der sonst noch heute die Feste des Priamos in den Staub wirft; denn ihm widersteht keiner der Troer. Mache dich auf, Freund, laß deine Fluten strömen und reiße jeden Gießbach auf! rolle Blöcke und Steine mit donnernden Wogen über ihn, daß wir ihn endlich bezähmen, den entsetzlichen Würger! Nicht seine Kraft, nicht seine schöne Gestalt, meine ich, soll ihn retten, noch die prangenden Waffen! Die sollen mir tief im Moder liegen, und ihn selbst verschlamme ich, mit Sand und türme ihm ein Grabmal auf von Muscheln und Kies, so hoch, daß niemand je seine Gebeine entdecken soll. So wollen wir den Achäern den Rasenhügel ersparen!«

Und siehe, es ergoß sich Simoïs mit Skamondros zugleich in das niedrige Feld, wo Achill gescheucht umherfloh; es ergossen sich die Bergquellen und die Gießbäche, und um ihn her schäumte und rauschte das entsetzliche Gewoge von allen Seiten. Lief er, so hemmte es seinen eilenden Schritt; stand er still, so schlug es ihm gar bis an die Schultern hinan. So gegen unfaßbare Gewalten kämpfend, abgeschnitten von allen Freunden, unrettbar eine Beute der Fluten, die ihn bald rückwärts, bald vorwärts trieben, schrie er in seiner Verzweiflung laut auf:

»Vater Zeus, siehe, kein einziger der Götter hat jetzt Erbarmen mit mir, und ich wähnte, ihr liebet mich alle! Keiner aber hat mich mehr getäuscht als meine göttliche Mutter, die mir verhieß, im Kampfe vor Troja den rühmlichen Tod des Helden zu finden. Ach, jetzt naht mir ja ein anderes schmähliches Ende; ein Strom ersäuft mich und schimpflich gehe ich unter, wie ein Sauhirtenbube, der einen Sturzbach durchwatend versinkt!«

Da ertönte ihm von ferne eine ernste, doch tröstende Stimme: »Sei getrost, Peleus' Sohn, dir ist nicht bestimmt in den Fluten zu sterben! Kämpfe nur fort, bis die Troer das Feld geräumt haben; doch, wenn Hektor erschlagen ist, dann kehre auch du zurück.«

Das erfüllte sein Herz wieder mit Mut; denn die Stimme kam vom Poseidon, dem alle Ströme unterthan sind, und der auch jetzt den Simoïs und Skamandros hemmte und die überströmenden Gewässer in den weiten Schlund des Meeres aufnahm, dann einen trocknenden Südwind erregte, der schnell die Feuchtigkeit aus der Erde aufsog und mit sich fortführte. So fühlte sich der Held wieder frei und auf festem Boden, und eilte mit schnellen Füßen dem allgemeinen Kampfgewühle wieder zu, wo bisher die übrigen Achäer nicht minder tapfer die Troer bekämpft und nahe an die Stadtmauer zurückgedrängt hatten.

Hier war seine Erscheinung den Freunden, die ihn längst vermißt hatten, herzlich willkommen. Angefeuert durch sein Beispiel, stürzten sie ihm nach in die Schlacht und rafften die Scharen dahin, wie eine Feuerflamme, vom Sturm angefacht, die ragende Stadt daniederreißt. Wer noch fliehen konnte, floh und drängte sich an die Mauer und am meisten nach dem Thore hin.

Oben auf der Mauer saß unter den übrigen Greisen Priamos und sah bekümmert der Flucht seiner Völker zu. Als das Gedränge am Thore überhand nahm, stieg er die Stufen hinunter und sagte den Wächtern: »Freunde, öffnet die Flügel des Thores und lasset die Männer herein! denn sie widerstehen nicht länger dem Wüten des entsetzlichen Peleiden. Wenn aber alle herein sind, dann schlaget rasch die Pforten wieder zu und schiebt die festen Riegel vor, damit nicht etwa der Verderbliche hineinstürme!«

Die Hüter gehorchten dem Könige und rissen beide Thorflügel weit auf. Da stürzte in völliger Verwirrung der flüchtige Haufe herein, um das liebe Leben zu retten, und keiner wollte der letzte sein. Und dennoch wäre sicher der unbezwingliche Achilleus mit seinen Scharen nachgedrungen, hätte nicht Avollon ihn durch Agenors Anblick abgelenkt. Dieser tapfere Jüngling, ein Sohn des Völkerfürsten Antenor, stand hinter der großen Buche verborgen, die schon erwähnt worden ist, und tausend Entschlüsse durchkreuzten sein beängstigtes Herz. »Was soll ich thun?« sprach er zu sich selbst. »Fliehe ich den andern nach, die mir schon weit voraus sind, so bleibe ich unter den letzten, und er faßt mich von hinten, wie den feigsten Gesellen. Eile ich seitwärts die Mauer entlang und fliehe dem idäischen Haine zu, so könnte mich freilich dort ein dichtes Gebüsch verbergen, und in der Nacht dann schliche ich mich an das Thor und flüsterte leise, daß sie mich einließen. Aber wie, wenn er mich dann wahrnimmt und hinter mir hersetzt? Dann bin ich doch verloren; denn wer kommt ihm an Stärke gleich? Ei was! er hat doch nur ein Leben zu verlieren und kann verwundet werden, wie jeder andere Mensch! Habe ich doch andere erlegt, warum sollte ich, um mein Leben mit Ehren zu retten, nicht auch den Kampf mit ihm versuchen?«

Unterdessen kam Achilleus dahergerannt und entdeckte den Lauernden hinter der Buche. »Siehe da! der wartet wohl auf mich!« dachte er, und wandte sich zu ihm. Da trat Agenor kühn hervor und rief: »Rasender, hoffst du denn gar schon heute der Troer Stadt zu zerstören? Nimmermehr! Noch sind der mutigen Männer viele darin, und jeder kämpft für Eltern, Weib und Kinder. Wenn nur nicht deiner vielmehr das Trauergeschick heute noch harrt, unbändiger Wüterich!«

Mit diesen Worten schwang er den blinkenden Speer auf Achilleus und nicht vergebens. Er traf ihn am Schienbein und nur die undurchdringliche Schiene, von Hephästos geschmiedet, verhinderte es, daß das Bein zerschmettert wurde. Gleich dem angeschossenen Eber fuhr jetzt Achilleus auf den Jüngling los, aber der entfloh durch Weizengefilde und Buschwerk längs dem Ufer des Skamandros und lockte den grimmigen Verfolger weit, weithin von der Stadt; denn dieser ließ nicht ab ihm nachzusetzen, bis der raschere Jüngling ihm ganz aus den Augen entschwunden war. Nimmer wäre das sonst möglich gewesen, hätte nicht der schmerzende Wurf gegen das Schienbein die Kraft seiner Schenkel gehemmt; aber so hatte es Apollon mit Absicht gelenkt, damit für diesmal die Troer ihm glücklich entkämen, die der rasende Held, als er atemlos zurückkehrte, alle schon in ihren Mauern geborgen fand.


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