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Zehnter Abend.
Der Kampf um das Lager und die Schiffe.

Endlich mußten die Achäer abermals hinter die Mauer des Lagers flüchten. Hektor trieb sie zu ganzen Scharen vor sich her, und ihm nach stürzten lautjauchzend die siegenden Troer. Als nun die meisten der Achäer das rettende Thor erreicht hatten, sprangen auf Hektors Befehl sämtliche Reisige von ihren Wagen und führten ihre Scharen zu Fuß über den Graben, rasch entschlossen die niedrigen und schwachen Mauern entweder zu erklettern oder niederzureißen. Die Wagenlenker hielten unterdessen mit ihren Gespannen in langer Reihe vor dem Graben, nur Asioswollte das seinige nicht zurücklassen, sondern fuhr gerade auf das Thor der Mauer zu, welches die Wächter offen hielten, weil noch immer flüchtige Krieger draußen umherirrten, welche hineingelassen zu werden verlangten. Aber wie prallte er zurück, als er die beiden fürchterlichen Lapithen, von denen der eine noch ein Sohn des berühmten Peirithoos war, als Wächter erblickte! Viele seiner Leute, die ihm zu schnell gefolgt waren, sanken von ihren Würfen zerschmettert nieder, und er kämpfte mit den übrigen vergebens gegen dies Thor an.

Glücklicher war Hektor, der seine Scharen gegen die Mauer führte. Hinüberzuspringen wagte zwar anfangs noch keiner, denn die dichtgedrängten Achäer jenseits derselben hätten gewiß die einzeln Kommenden Mann für Mann durchbohrt; aber sie faßten Fuß auf der Mauer, ließen sich von den hinten Stehenden Lanzen und Steine reichen und schleuderten beides unaufhörlich in die Verschanzung hinein. Gegen die Würfe der Achäer schützten sie sich mit den vorgehaltenen Schilden. Dicht wie Hagel prasselten diesseits und jenseits die Steinwürfe auf Schilde und Helme, und mancher stürzte zerschmettert zu Boden. Es war ein fürchterlicher Kampf: die Achäer verteidigten voll Verzweiflung ihre letzte Schutzwehr, die Troer hingegen wollten heute mit aller Gewalt ihr letztes Ziel erreichen, die Feinde von ihrer Küste verjagen oder sie gänzlich vernichten und ihre Schiffe verbrennen. Hektor schritt wie ein Löwe längs der Mauer hin, und kein Troer durfte müßig zögern. Hier warfen sie von der Mauer herab Steine auf den Feind, dort mühten sie sich den Erdwall einzureißen, und die, welche noch nicht selbst Hand anlegen konnten, holten Steine für die Vordermänner herbei. Von Zeit zu Zeit sprang Hektor selbst hinauf, und fast jedesmal schleuderte er einem Achäer den Spieß durch den Leib; aber ehe nicht ein Stück der Mauer eingerissen war, hielt er es doch für unbesonnen, sich ins Gewühl der Feinde hinabzustürzen. Dieser Gelegenheit harrte er mit heißer Kampfbegierde. Vergebens nahte ihm warnend Polydamas, der ihm Unglück aus einer drohenden Erscheinung deuten wollte. Ein Adler flog vor den Troern links vorüber und hielt eine blutige Schlange in den Krallen, aber die Schlange wandte den geschmeidigen Hals rückwärts in die Höhe und stach den Adler in die Brust, so daß er, vom jähen Schmerz erschreckt, das Tier fallen ließ. »Schweig, feiger Wicht!« rief Hektor jenem zornig zu, »und sieh nach dem Feinde, anstatt nach den Vögeln zu schauen. Mag mir doch rechts und links über den Kopf hinfliegen was da will; was kümmert's mich? Ein Wahrzeichen nur achte ich, das hat mir Zeus selbst ins Herz gelegt, laut mich mahnend, das Vaterland zu erretten. Leute deiner Art haben freilich im Kriege wenig zu fürchten. Wirst du mir aber mit deinen furchtsamen Reden nur einen einzigen Mann bethören und vom Kampfe abhalten, so fürchte für dein Leben!«

Allerdings hatte es auch bis jetzt noch den Schein nicht, als wolle Zeus seine Hilfe den Troern entziehen. Vielmehr erhob sich, den Achäern zum Nachteil, ein entsetzlicher Sturmwind, der ihnen die Augen mit dem aufgejagten Staube füllte. Dennoch standen sie mutig und suchten mit Stößen und Würfen die Troer von der Mauer hinabzustürzen. Viele auch erstiegen innen die Mauer und schleuderten Lanzen und Steine auf die außen stehenden Feinde. Das machte den Vorteil ziemlich gleich, und Hektor konnte immer noch nicht erlangen, was er wünschte.

Da begegneten sich draußen die beiden lykischen Jünglinge Sarpedon und Glaukos und ermahnten sich, eingedenk ihrer Fürstenehre, zur Tapferkeit. »Komm, Glaukos«, rief Sarpedon, »und laß uns jetzt den Lykiern zeigen, daß wir wert sind, ihre Könige zu sein! Warum ehrten sie uns zu Hause so hoch und brächten uns kostbare Geschenke, und warum ließen sie uns den Vorsitz in der Volksversammlung und beim Schmause die köstlichsten Stücke, wenn wir nicht wiederum für sie in der Schlacht die größte Gefahr übernähmen und ihnen Hort und Vorbild würden? Und da hier doch nicht zu entrinnen ist, so laß uns wenigstens mit so viel Ruhm, als noch zu erringen möglich ist, dem Tode entgegen gehen, damit sie dereinst zu Hause sagen: »Wahrlich, sie kämpften wie Helden und waren immer die ersten in der Schlacht.«

Sie suchten die Mauer an einer Stelle zu erschüttern, wo der Athener Menestheus sie verteidigte, und ihr erster Andrang war so gewaltig, daß dieser sich ängstlich nach Hilfe umsah. Aber das Getöse war viel zu groß, als daß er einen Achäer hätte herbeirufen können. Da sandte er einen Boten zu Aias und Teukros, die er ganz in seiner Nähe erblickte, daß sie doch schnell ihm zu Hilfe kämen. Sie gehorchten dem Rufe und rannten mit Wurfspieß und Bogen herbei. Aias warf einem Gefährten Sarpedons, der schon oben auf der Mauer saß, einen Stein an den Kopf, der ihm die Hirnschale zerschmetterte, so daß er tot hinunter sank. Da stieg Glaukos empor, empfing aber von Teukros' Bogen einen Schuß in den Arm, der ihn zum fernern Streite unfähig machte. Er ließ sich unvermerkt hinab, damit nicht die Achäer laut über ihn frohlockten, warf aber vorher noch seine Lanze einem rüstigen Achäer durch den Leib. Dann ließ er sich nach der Stadt fahren.

Jetzt riß Sarpedon endlich das erste Stück der obern Brustwehr herab, und unter wiederholten Stößen sank auch allmählich das übrige nach. Die Mauer ward dadurch an dieser Stelle so niedrig, daß man mit den Lanzen hinüberreichen konnte. Hier entstand nun das hitzigste Gedränge. Man stach und hieb von diesseits hinüber, von jenseits herüber, und die Hiebe und Steinwürfe fielen klirrend auf Helme und Schilde. Vergebens schoß Teukros einen Pfeil auf den kräftig arbeitenden Sarpedon; der Pfeil blieb im starken Riemengehenke stecken. Da versuchte Aias ihn mit der Lanze von der Mauer zu stoßen; aber auch diesen Stoß schwächte der vorgehaltene Schild, und Sarpedon war nicht zum Weichen zu bringen. Vielmehr rief er eifrig den Seinen zu, das Werk der Zerstörung zu vollenden.

»Heran, heran, ihr Lykier«, rief er; »vergesset der alten Tapferkeit nicht! Mir allein, und wenn ich der Tapferste wäre, ist's unmöglich, die Mauer zu durchbrechen und Bahn zu den Schiffen zu machen; aber wenn ihr mir helft, so denke ich, soll es gelingen.«

Aber auch Aias rief von innen noch mehrere Streiter herbei, so daß die Macht der Verteidiger dem gewaltigen Angriff endlich wieder gewachsen war. So kämpften sie lange den Ungewissen Kampf; die Troer vermochten nicht die Mauer völlig umzuwerfen und die Achäer nicht die Stürmenden abzutreiben. In diesem Augenblicke eilte Hektor herbei; und als er die schon gebrochene Lücke sah, rief er freudig: »Auf, ihr tapfern Troer! nun hinüber! und werft in die Schiffe die hochauflodernden Brände! Immer hinüber! Keiner bleibe zurück!«

Zugleich nahm er mit beiden Händen einen von jenen Feldsteinen auf, die Sarpedon aus der Mauer gerissen hatte, so groß und schwer, sagt der Dichter, daß heutzutage zwei der stärksten Männer nicht vermocht haben würden ihn auf einen Wagen zu wälzen. Diesen mächtigen Stein trug er so leichten Spiels in der Hand, wie etwa ein Schäfer ein Bündelchen geschorner Wolle, und warf ihn, fest auf die auseinandergespreizten Beine gestemmt, mit solcher Gewalt gegen das Thor der Mauer, daß die Riegel zerbrachen, die Angeln krachten und beide Flügel weit aufsprangen. Triumphierend stürzte er jetzt in die Verschanzung, ganz in funkelnd Erz gehüllt, zwei Lanzen auf einmal schwingend, und ihm nach drangen mit hellem Geschrei die mutigen Troer. Andere folgten dem Sarpedon, der nun glücklich über die zertrümmerte Mauer gesprungen war, und während die schrecklich geängstigten Achäer nur ihre Schiffe zu decken eilten und die Mauer verließen, kletterten die siegestrunknen Troer hastig aller Orten hinauf und sprangen ins Lager hinüber. Das Geschrei und das Getümmel war unbeschreiblich. Die Achäer waren der Verzweiflung nahe; nun war ihnen nichts mehr übrig, als ihre Schiffe! Sie zu verteidigen, schlossen sie vor denselben eine lange Reihe und erwarteten in dieser Stellung mit vorgestreckten Lanzen den anstürmenden Feind. Wer in dieser Bestürzung noch fast einzig Besonnenheit hatte, von den Fürsten war jeder nur am meisten für seine Schiffe und seine Leute besorgt, das war der Priester Kalchas. Er allein durchschritt die einzelnen Haufen, erinnerte sie an die gemeinschaftliche Verteidigung des Ganzen und stellte sie reihenweise in Ordnung. Auch die Fürsten ermahnte er, alle für einen zu stehen und nirgend in den Reihen eine Lücke zu lassen; dann versprach er ihnen Errettung und den Beistand der Götter.

Und sogleich vergaß ein jeder der eigenen Bedrängnis. Indem alle fortan nur des gemeinsamen Ruhms und der gemeinsamen Gefahr gedachten, reihten sich die Achäer zu einer langen ehernen Kette von Gewaffneten rings um die Schiffe, den Troern ein furchtbar drohender Anblick. Hektor selbst, gleich einem Felsblock, der vom Gipfel des Gebirges stürzt und donnernd von Absatz zu Absatz springt, bis er endlich in die Ebene kommt und dann plötzlich ruht, Hektor konnte nicht weiter, so mächtig er auch vorgedrungen war, und wich vor den starrenden Lanzen. Aber dennoch eilte er, auch seine Troer zu ordnen und begeisterte sie durch Verheißungen reichen Lohnes. Jetzt, glaubte man schon, sei das letzte entscheidende Gefecht gekommen und am Abend werde sich's zeigen, ob Trojas oder der Achäer Vernichtung von den Göttern beschlossen gewesen.

Aber nicht um der Troer willen sandte Zeus den Achäern diese Drangsal, sondern bloß um den Achilleus und seine Mutter Thetis zu ehren. Troja sollte fallen, so war es längst vom Schicksale bestimmt, und an dem Beschlusse des Schicksals konnten nach den Vorstellungen jener ältesten Zeiten selbst Götter nichts ändern, ja auch sie waren dem Zwange der ehernen Notwendigkeit unterworfen. Hatte also Agamemnon genug gebüßt und konnte Achilleus wieder bewogen werden vereint mit den Achäern zu fechten, so war der Untergang der mächtigen Stadt vorauszusehen. Für jetzt hatte Zeus nur beabsichtigt, die Achäer schwer zu ängstigen, aber gänzlich besiegt sollten sie nicht werden, daher hielt der Olympier das gegenwärtige Treffen bei den Schiffen, so mörderisch es auch ausfiel, doch immer im Gleichgewicht.

Nachdem sich die Achäer wieder etwas erkräftigt hatten, dachten sie darauf, die Troer aus der Verschanzung hinauszutreiben und griffen daher dieselben mannhaft wieder an, anstatt sich bloß zu verteidigen. Meriones warf zuerst die wuchtige Lanze auf den tapferen Sohn des Priamos, Deïphobos; nur schade, sie brach in dessen Schilde ab, die Spitze blieb in der Stierhaut sitzen, und auch der hölzerne Schaft zerbrach beim Gegenstoß des Meriones. Unmutig, daß ihm der Sieg versagt und die Lanze verloren war, eilte er hinterwärts zu den Zelten hinab, um sich ein anderes Geschoß zu holen. Gleich darauf traf Teukros mit seinem Pfeile den tapfern Imbrios, Mentors, eines mächtigen Fürsten, Sohn und des Priamos Eidam. Daher hatte ihn Priamos auch in sein Haus aufgenommen, als er ihm zu Hilfe nach Troja gekommen war. Ach, der gute Alte und daheim die junge Gemahlin, sie sollten ihn nicht wiedersehen! Wie auf luftiger Berghöhe die stolze Esche, der die Axt die Wurzeln zerhauen, so stürzte er nieder, und um ihn klirrte die Rüstung. Teukros sprang herbei, ihm das Waffengeschmeide zu rauben, aber Hektors Nähe scheuchte ihn schnell zurück. Mit schrecklichem Grimme warf der Furchtbare seine Lanze auf ihn; Teukros bog rasch und geschickt genug dem tödlichen Speere aus, aber dafür rannte sein Freund Amphimachos gerade in den Wurf und fiel von dem Eisen durchbohrt zur Erde. Schon wollte Hektor ihm die Rüstung abziehen, da kamen im gleichen Augenblicke die beiden Aias herbei und andere Helden mit furchtbar blitzenden Lanzen, und eine derselben, kräftig geschwungen, durchbrach ihm schon den Schild. Eilig zog sich Hektor zurück, denn er stand allein. Jetzt trugen zwei Männer den Amphimachos zurück; den Imbrios aber, Hektars Schwäher, hielten die beiden Aias empor und schleppten ihn fort, wie zwei hungrige Löwen, die eine blutende Ziege den bewachenden Hunden entrissen haben und sie durch dichtverwachsenes Gesträuch gierig im scharfgezahnten Rachen davontragen. Als sie in Sicherheit waren, warfen sie ihn nieder und zogen ihm die Rüstung aus. Der jüngere Aias, im Zorn und Schmerz über Amphimachos' Fall, schnitt ihm den Kopf ab und warf ihn wie einen Ball weit ins Getümmel hinein, daß er gerade zu Hektors Füßen in den Staub hinrollte; aber klüglich entzog er sich selbst den Blicken des racheschnaubenden Troerhelden.

Der Tod des Amphimachos, seines Enkels, bestärkte den Poseidon in dem Entschlüsse, den Achäern kräftigen Beistand zu leisten und an den Troern Rache zu nehmen für diesen Mord. Daher stieg er hinab zu dem Zeltlager, um die Achäer zu neuem Kampfe zu mahnen, und nahm die Gestalt des Thoas an, des verehrten Fürsten der Ätoler. Zunächst erblickte er die Scharen des wackern Idomeneus und trieb sie eifrig zur Schlacht. »Was ist aus den Drohungen der Achäer geworden!« rief er dem Idomeneus zu. »Der müsse ein Fraß der Vögel und Hunde werden, der heute sich dem Kampfe entziehen will! Laßt uns zusammen andrängen und sehen, ob wir nicht Hilfe schaffen können. Wirkt doch, wenn sie vereint sind, die Kraft selbst schwacher Männer, und ihr Männer von Kreta rühmt euch ja tapfer und kundig des Streites zu sein!«

»Nun wahrlich«, antwortete Idomeneus, »ich denke auch, keiner im Volk verdiene jetzt Tadel, und keinem von uns fessele feige Furcht das Herz oder die kampfgeübte Hand. Geh nur hin und ermahne auch andere, wo du sie säumig findest; denn es thut wahrhaftig not die Männer rings zu ermuntern.«

Er wollte sich eben wieder ins Getümmel stürzen, da kam Meriones und verlangte eine Lanze von ihm. »Geh in mein Zelt«, sprach Idomeneus, »da stehen wohl zwanzig; auch Rüstungen aller Art liegen dort, die ich von den Troern erbeutet habe. Nimm dir davon, was du brauchst, und zögere nicht lange.«

Jetzt rannte er gegen die Troer los, und ihm nach stürmten seine mutigen Kreter. Wie der Sturmwind zur Sommerzeit dunkle Staubwolken die Heerstraße hinaufjagt, so zog der Haufe der geharnischten Völker eilends daher und warf sich auf die feindlichen Scharen. Idomeneus selbst suchte einen Gegner unter den Fürsten. Siehe, da stieß er auf Othryoneus, der erst vor kurzem mit seinem Geschwader fern von Kabesos her zu den Troern gestoßen war und im Rufe großen Heldenmuts stand. Er warb um Kassandra, des Priamos schönste Tochter, doch ohne die Geschenke, mit denen nach damaliger Sitte der Jüngling dem Vater die Braut abzugewinnen pflegte; dagegen aber versprach er dem Greise die Achäer aus Asien vertreiben zu helfen. Priamos hatte ihm sein Wort gegeben und der junge Held schon angefangen im wilden Spiele der Schlacht um den schönen Preis zu ringen, als plötzlich des Idomeneus scharfer Speer seinem Heldenleben ein frühes Ende machte. Er fiel, und Idomeneus höhnte den Sterbenden noch, während er ihm die Lanze wieder aus dem Leibe zog.

»Nun, Othryoneus«, sprach er, »will ich dich als den Tapfersten preisen, wenn du noch das große Werk, das du dem Priamos gelobt hast, glücklich vollführst. Warum bist du nicht zu uns gekommen, du Mann der Wunder? Agamemnon hätte dir ja auch gern seine Tochter gegeben, wenn du ihm ebenso geschickt Troja erobert hättest. Komm doch mit zu den Schiffen, mein Freund, da wollen wir noch weiter von der Heirat sprechen. Wir statten unsere Töchter wahrlich nicht karg aus.«

Mit diesen Worten ergriff er ihn beim Fuße und wollte ihn abseits von den Schlachtreihen schleppen, um ihn desto gemächlicher plündern zu können; aber das suchte Asios zu hindern, der als Rächer herbeieilte und seinen Wagen dicht hinter sich herfahren ließ. Doch Idomeneus war schneller zur Verteidigung, als jener zum Angriff, und Asios fühlte schon des Feindes Lanze in seiner Gurgel, ehe er noch die eigene schleudern konnte. Er stürzte nieder, knirschend vor Schmerz, und wühlte zuckend in dem blutigen Staube. Sein Wagenlenker aber, starr vor Schrecken und ohne Besinnung, vergaß umzulenken und vermochte mit den zitternden Händen die Zügel nicht mehr zu halten. Das sah Antilochos, ein rüstiger Achäer, und stürzte auch ihn mit der Lanze vom Wagen hinunter, faßte dann die schönen Pferde bei den Zügeln und führte sie, eine leicht gewonnene Beute, nach den Zelten zu den übrigen hin.

Doch auch dem Asios stand unter den Troern ein Rächer auf, Deïphobos, des Priamos Sohn. Dieser warf mit kräftigem Arme die schwere Lanze auf Idomeneus; aber der Held bückte sich rasch, da streifte das Eisen nur oberhalb am rauhen Schilde vorbei und ging unschädlich über ihn hin. Jedoch den Hypsenor traf sie, einen andern tüchtigen Krieger, der alsbald, das Eisen tief in der Leber, zu Boden sank.

»Ha!« rief Deïphobos laut, »so liegt doch Asios nicht ungerächt! Wie wird sein Schatten auf dem Wege zur Unterwelt sich freuen, daß ich ihm einen Begleiter gab!«

Dieser Hohn stachelte den Idomeneus, und während Antilochos mit einigen Gefährten den erlegten Freund zurück in Sicherheit brachte, schleuderte er seine mächtige Lanze mitten unter den Haufen der troischen Fürsten, die jetzt den Deïphobos umringt hatten, und traf einen Schwiegersohn des alten Anchises, den edlen Alkathoos, der augenblicklich das Leben aushauchte.

»Nun, Deïphobos«, rief er frohlockend hinüber, »bist du zufrieden mit der Vergeltung, drei für einen? Thörichter Wicht, der zu prahlen wagte, er könne es mit mir aufnehmen! Komm doch heran, versuche deine Kräfte, wenn du so gar beherzt bist!«

Da rief Deïphobos schnell den Äneas und andere Fürsten herbei und schickte sich an, der Herausforderung Folge zu leisten. Das schien dem Idomeneus doch bedenklich; er lief nun ebenfalls umher nach Hilfe und forderte Meriones, Antilochos und andere Tapfere zum Beistande auf. Zu Deïphobos gesellten sich Äneas, Paris und der kühne Agenor. Diese nun stritten sämtlich wie Löwen gegeneinander. Meriones warf dem Deïphobos seine Lanze durch den Arm und sprang kühn hinterher, um das Geschoß wieder zu holen, das noch im Fleische steckte; doch einen zweiten Stoß wagte er nicht aus Furcht vor Polites, des Verwundeten Bruder, der den Ohnmächtigen, heftig Blutenden um den Leib faßte und rasch aus dem Getümmel trug. Er übergab ihn draußen vor der Mauer dem Wagenlenker, der ihn eiligst nach der Stadt fuhr, wo liebende Hände ihn verbanden und pflegten.

Wütend tobte hier das Kriegsgetümmel noch immer fort, und von beiden Seiten wurde mancher treffliche Jüngling erschlagen. Adamas, der Trojaner, wollte den Antilochos mit heftigem Stoße durchbohren, aber das Eisen der Lanze blieb im Schilde stecken, und der hölzerne Schaft brach ab. Da zielte Meriones auf ihn und warf ihm den Spieß gerade durch den Unterleib, da, wo der Tod am schmerzlichsten nahet. Wie eine Fliege an der Nadel des grausamen Knaben, so krümmte und wand sich der Unglückliche auf der Erde um die Lanze herum, die ihm der Sieger Meriones mit heftigem Ruck wieder aus dem Leibe riß, indem er mit dem Fuße auf die Brust des Verwundeten trat. Da entfloh ihm allmählich die Besinnung, und Dunkel umhüllte seine Augen.

Jetzt eilte auch Menelaos nach dieser Seite des Treffens hin. Er kam gerade dazu, als Helenos, Hektors Bruder, mit scharfem Schwerte dem tapfern Deïpyros den Kopf spaltete und, ergrimmt über den Anblick, schwang er schon von weitem die drohende Lanze. Helenos sah ihn anstürmen und griff schnell zum Bogen, dem er, wie sein Bruder Paris, am meisten vertraute. Er traf auch sehr gut, gerade die Mitte des Schildes, aber ach! diese Mitte bestand aus einem metallenen Buckel, von welchem der leichte Pfeil absprang, wie beim Worfeln die Bohne oder Erbse von der Tenne zurückprallt und von dem Getreide sich sondert. Geschwind wollte er einen zweiten Schuß versuchen, aber während er die Senne anzog, flog ihm schon des Menelaos spitze Lanze in die linke Hand, mit der er den Bogen hielt und spießte ihm Hand und Bogen zugleich; ein seltsamer Anblick, aber wahrlich kein kleiner Schmerz! Er enteilte schnell von dem Kampfplatze und verbarg sich unter die Freunde, indem er an der herunterhangenden Hand die Lanze und den gleichsam angehefteten Bogen nachschleifte. Agenor erwies ihm den schmerzlichen Liebesdienst, ihm den Eisenstachel aus der Hand zu ziehn und wickelte ihm schnell ein künstlich gewebtes wollenes Band um dieselbe. Der Verwundete ging darauf zum Thor der Verschanzung hinaus und fuhr auf seinem Wagen nach der Stadt.

Menelaos hatte sich unterdessen eine andere Lanze gesucht, deren auf dem Schlachtfelde eine Menge lagen, und warf sie auf den Peisandros. Er fehlte, und das Geschoß flog seitwärts in den Sand. Jetzt warf Peisandros, aber sein Wurfspieß durchbohrte den Schild kaum, geschweige den Panzer. Da versuchten sie andere Waffen; Peisandros zog unter dem Schilde die blitzende Streitaxt hervor und schlug jenem mit leicht streifendem Hiebe den Kegel des Helms herunter, doch im nächsten Augenblicke schmetterte ein entsetzlicher Hieb von Menelaos' Schwerte ihn zur Erde nieder. Der rachsüchtige Sieger frohlockte und rief, indem er den Gefallenen seines Waffenschmuckes entkleidete:

»So, ihr Hunde, so büßt ihr doch einer nach dem andern euren Frevel, wenn gleich Zeus euch ungerechterweise noch eine Weile zu beschützen scheint! Aber ich hoffe, so sollen sie noch alle fallen, die treulosen Troer, und das Volk soll vom Erdboden vertilgt werden, das mit Bündnissen und heiligen Eiden ein Spiel treibt und Gastfreunden heimlich die Weiber und Schätze entführt! Trotziges Gesindel, das immer übermütiger wird! Wie ist es nur möglich, daß die gerechten Götter solchen Übermut der Troer gegen uns zulassen! Wahrhaftig man wird doch endlich aller Dinge satt, des Schlafs und des Weins, der Liebe und des süßen Gesanges, aber diese Brut wird des Krieges nicht müde!«

Indem er noch sprach, kam Harpalions Lanze auf ihn hergeflogen, eines Jünglings, der mit seinem Vater zugleich nach Troja gekommen war; aber sie blieb, wie Peisandros' Geschoß, in Menelaos' festem Schilde hangen. Als Harpalion das sah, wandte er sich schnell, um im dichteren Gedränge der Rache des Helden zu entfliehen. Umsonst! denn eben hatte Meriones einen Pfeil auf den Bogen gelegt und sah kein bequemeres Ziel für denselben als diesen Flüchtling. Er schoß ihm gerade ins Gesäß, daß der Pfeil vorn unter dem Nabel wieder herausfuhr. Der Arme wand sich stöhnend auf der Erde, und das hervorquellende Blut netzte rings um ihn den Boden, Seine Freunde nahmen ihn bekümmert in die Arme und trugen ihn hinaus auf den Wagen; auch sein alter Vater kam auf die böse Nachricht herbeigeeilt und begleitete den Sohn unter Thränen. Ihn zu rächen aber erschoß Paris einen edlen Jüngling aus Korinth, gleichfalls eines noch lebenden Vaters Freude, nun aber sein Schmerz.

Am hitzigsten war das Gefecht auf der rechten Seite des Lagers, wo Hektor wütete und trotz der Tapfern, die ihm widerstanden, dennoch mit aller Gewalt die Schiffe zu erobern und anzuzünden strebte. Alle Schrecken des Krieges waren auf dieser Stelle vereinigt, Wut, Verzweiflung und Rachsucht, wildes Geschrei und Angstruf und Flucht. Der Boden troff vom Blute der Ermordeten, die Leichname selbst hatten zuletzt nicht mehr weggezogen werden können. Den Troern sank indessen dennoch der Mut zuerst; zum wenigsten fühlten sie nun wohl, daß die Schiffe nicht so leicht erobert sein würden, als Hektor gehofft hatte. Selbst dieser wagte es nicht länger an den Orten zu verweilen, wo die tapfern Streiter Aias, Odysseus und Idomeneus wie eine Mauer zusammen standen, sondern suchte sich andere, schwächere Feinde und begnügte sich, die Herausforderung der beiden Aias mit prahlender Schmährede zu beantworten: in jenen Zeiten auch dem größten Helden keine Schande, weil es doch auch zur Kränkung des Feindes gereichte!

»Komm doch, komm!« rief der ältere Aias ihm zu. »Was scheuchst du das gemeine Volk? Mit uns wage es, wenn du Mut hast; wir sind des Kriegswerks nicht unkundig. Du möchtest gern zu unsern Schiffen heran? Wohlan, ich sage dir, früher noch sinkt dein stolzes Troja in Asche, als unsere Flotte, und du selbst sollst mir eher fliehend dem Vaterhause den Rücken kehren, als über unsere Flucht triumphieren.«

In dem Augenblicke flog ein Adler hoch über ihren Häuptern den Achäern zur Rechten hin; und sie freuten sich alle des Zeichens und trauten nun dem Worte, das Aias geredet hatte. Aber Hektor rief ihm trotzig entgegen:

»Elender Schwätzer, was rühmst du dich doch! Wäre ich doch nur so sicher ein Sohn des Zeus, als dir und euch allen der heutige Tag Unheil bringen wird! Und wehe dir, wenn du es wagtest meinem Speere zu stehen! Wie sollte er dir den zarten Leib zerreißen und dein Blut den Hunden zu lecken geben!«

Er stürmte fort mit seiner Schar, um das Treffen am andern Flügel zu schauen, und allen ward bange, denen er nahte, und das Feldgeschrei der Troer, die ihn umringten, schallte laut durch die Lüfte.


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