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Siebzehnter Abend.
Hektors Tod.

Die Achäer harrten des Achilleus dicht unter den Mauern von Troja, die Schilde über die Schultern geworfen. Alle Troer waren in der Stadt und schauten zum Teil von den Mauern dem weiteren Verlaufe der Schlacht zu. Hektor allein war draußen am Thore zurückgeblieben, entschlossen noch einmal den Kampf mit Achilleus zu versuchen; denn er glaubte es seinem Vaterlande und seiner Ehre schuldig zu sein, entweder das Volk von diesem furchtbaren Feinde zu befreien oder im Kampfe für dasselbe sein Leben aufzuopfern. Zagend sah sein alter Vater von der Mauer herab und winkte ihm unaufhörlich mit bittenden Gebärden hereinzukommen; aber vergeblich.

Jetzt kehrte Achilleus von Agenors Verfolgung zurück, die Lanze auf der Schulter. Unmutig wie der Löwe, dem eine Beute entsprungen ist, kam er daher, und seine Waffen glänzten im Strahle der Abendsonne, wie ein leuchtender Stern am nächtlichen Himmel. Ihn sah der alte Priamos, da schlug er in banger Todesahnung sein graues Haupt, und ihm bebte das Herz, indem er des Sohnes draußen gedachte, »Lieber Sohn«, rief er stehend mit ausgebreiteten Armen hinunter, »erwarte doch ja nicht den grausamen Mann, der noch weit stärker ist als du! Ach, wäre er doch den Göttern so verhaßt als mir; dann läge er bald den Hunden und Geiern ein Raub! Wie viele Söhne hat mir nicht der Schreckliche schon gemordet oder nach fernen Inseln verkauft! Vermisse ich doch auch heute wieder unter den Kommenden meinen geliebten Polydoros und Lykaon, welche beide mir die holde Laothoë gebar! Ach, vielleicht hat auch diese heute sein furchtbarer Arm ereilt! Und nun willst du, mein Hektor, ihm entgegen gehen, du Einziger, dem Trojas Volk noch vertraut! O, komm schnell herein, ehe er dich erblickt, damit nicht auch du noch seinen Ruhm verherrlichst und von seiner Hand stirbst! Komm, erbarme dich meiner! Schon hat Zeus mein Alter mit unendlichem Grame belastet; und raubt er mir dich noch, ach! dann erlebe ich's auch, wie sie hereinbrechen in die Burg, wie sie die Weiber hinwegreißen, die Kinder töten und plündernd Kammern und Truhen nach Schätzen durchwühlen. Ich selbst aber falle dann wohl unter ihren grimmen Streichen, und liege dann vielleicht zerfleischt im Hofe, und die Hunde, die eigenen Hunde, die ich groß zog, fressen mein Fleisch und nagen mir das Fett von den Eingeweiden. Wohl steht es dem Jünglinge an im Kampfe für Weib und Vaterland zu bluten; aber wenn das graue Haupt von den gierigen Tieren im Staube zerrissen wird, das ist das kläglichste aller Jammergeschicke!«

So rief unter Thränen der alte Vater; auch die Mutter klagte und schlug verzweifelnd an die Brust; aber sie konnten ihn nicht bewegen. Er blieb standhaft am Thor und erwartete den Achill, wie die Schlange in Ringeln zusammengerollt seitwärts am Eingange ihrer Höhle auf den Wanderer lauert, auf den sie losspringen will.

»Nimmermehr«, sprach er seufzend zu sich selbst, »darf ich so mich sehen lassen vor den Männern in der Stadt! Wie würde Polydamas mit gerechten Vorwürfen mich überhäufen, daß ich heute so viele der trautesten Freunde dem Tode geopfert habe! Wohl riet er gestern abend klüglich uns bis in die Stadt zurückzuziehen, aber ich Rasender folgte ihm nicht nach und erwartete den Morgen auf offenem Felde; ja, ich vermaß mich es allein mit Achilleus aufzunehmen, und nun! Ach, nicht einen einzigen habe ich seiner mordenden Wut entreißen können, und ich bekenne es, ich selbst habe ihn aus Furcht vermieden, denn er ist gar zu gewaltig. Jetzt wahrlich muß ich die kühne Wette mit dem Schicksal wagen, damit nicht Trojas jammernde Weiber mich schelten, als hätte ich erst trotzend das Volk ins Verderben geführt und nachher feigherzig mich selbst geflüchtet. Ha! ehe das ein Schlechterer von mir sagen soll, falle ich lieber selbst, wenn ich den Fürchterlichen nicht besiegen kann. Aber wie, wenn ich Schild und Helm auf die Erde legte, den Speer an die Mauer lehnte und so dem Helden entgegen ginge, um einen friedlichen Vergleich ihm anzubieten? wenn ich ihm Helena und alle ihre Schätze zurückzuliefern verspräche und dazu die Hälfte aller Güter, die Trojas Fürsten in ihren Häusern verwahren? Doch nein! ihm flehend zu nahen! das war ein unwürdiger Gedanke, und ich verdiente, daß er mich, den Entblößten, niederrisse wie ein Weib! Nein, nicht plaudern will ich mit ihm, wie Jüngling und Jungfrau in Liebesgeschwätz! Ich will kämpfen wie ein Mann! Und falle mir dann mein Los, wie es wolle: ich siege oder sterbe mit Ehren!«

So bei sich erwägend erwartet er den Feind. Aber was vermag der festeste Vorsatz gegen die Macht des Augenblicks? Kaum nahte der ungeheure Mann mit dem entsetzlichen Blick und den gewaltigen Armen, kaum hörte Hektor sein wildes Hohngeschrei, so übermannte ihn plötzlich der Schrecken, und ein unbesiegbarer Trieb jagte ihn von dannen und beflügelte seine Schenkel. Er floh längs der Stadtmauer hin, wie die Taube, die dem Habicht entrinnen möchte; aber wie der Habicht mit stärkerer Kraft den scheuen Vogel verfolgt, so auch Achill den fliehenden Hektor. Bald rechts, bald links sprang jener ab, um den verfolgenden Läufer zu ermüden, aber umsonst. Jetzt rannten sie an der Warte vorüber, jetzt bei dem Feigenbaume und jetzt bei den Quellen, neben welchen die steinernen Gruben für die Wäscherinnen waren. Und um die Stadt trieb ihn der gewaltige Verfolger, ja, noch einmal und zum drittenmale jagte er ihn herum, und so oft sich Hektor zur Mauer wandte, um etwa durch ein offenes Thor zu entschlüpfen, so oft sprang Achilleus herzu und trieb ihn wieder ins offene Feld hinaus, selbst an der Seite der Stadt hinfliegend. Kamen sie aber bei dem Orte vorbei, wo die Achäer noch auf ihre Lanzen gelehnt standen und der Entscheidung harrten, so winkte jener und verbot, daß etwa jemand ein Geschoß auf Hektor schleudere und ihm die Ehre des Sieges raube.

Alle Götter sahen von der Höhe des Olymp dem schrecklichen Wettlauf zu. Keiner durfte sich des armen Hektor annehmen; denn seine Stunde war gekommen, und dem Schicksale konnten auch die Götter nicht widerstreben. Zeus, so dankbar er sich der vielen fetten Hüftenstücke erinnerte, die ihm Hektor so oft verbrannt hatte, ergriff dennoch ruhig die Schicksalswage und warf zwei Todeslose hinein, und siehe, sogleich sank die Schale mit Hektors Lose tief hinab. Und damit verließ ihn auch der letzte Beistand der Götter.

Als sie zum viertenmale die Quellen und den Waschplatz erreicht hatten, da auf einmal sprang von der Stadt her ein Mann dem Hektor entgegen, als wollte er ihm Hilfe bringen. Es war Deïphobos, sein Bruder; der rief ihm zu: »Bruder, ich sehe deine Gefahr und komme dir beizustehen. Stehe still und erwarte ihn dreist!

»Trauter Deïphobos, wie hast du's gewagt !«

»Aus Liebe zu dir, der Schmerz durchdrang mir die Seele. Und Vater und Mutter weinten so sehr, das konnte ich nicht ansehen. Jetzt wirf, da ist er!«

»Wohlan!« sprach Hektor und stellte sich dem Verfolger entgegen. »Halt, Peleus' Sohn«, rief er ihm zu, »länger fliehe ich vor dir nicht. Jetzt treibt mich das Herz dir zu stehen, mag ich dich töten oder fallen! Aber laß uns vor den allsehenden Göttern einen Bund beschließen. Verleiht mir Zeus den Sieg, so werde ich dich nicht mißhandeln, sondern ich raube dir die Rüstung und lasse deinen Leib den Achäern, daß sie ihn rühmlichst bestatten. So thue du mir auch!«

Aber mit wutfunkelndem Blick schrie Achilleus ihm zur Antwort: »Nichts von Verträgen gesprochen, verhaßter Hektor! Macht auch der Löwe mit Rindern, der Wolf mit Lämmern Verträge? Siehe, so ist zwischen mir und dir auch nimmer Vertrag oder Bündnis. Am Boden muß einer von uns liegen, auf daß Ares an seinem Blute sich sättige. Jetzt gedenke des Kampfs! Nichts anderes ist zwischen uns beiden! Aber ich hoffe, du sollst nur nicht entrinnen, sondern nun endlich büßen, was du an meinen Gefährten verübt hast!«

Wort und Wurf waren eins. Aber Hektor, schnell aufs Knie sich werfend, vermied die entsetzliche Lanze, die weit über ihn hin in den Sand fuhr. Jetzt denn neuer Mut kehrte ihn in die Seele rief er freudig aufspringend: »Ha! weit gefehlt! du göttergleiche Achill! Hast du doch auch einmal dich mit den Göttern verrechnet, thörichter Schwätzer! Durch deine großsprecherischen Drohungen wirft du mich nicht zur Flucht bewegen; ich werde standhalten und auf dich losgehen. Jetzt wahre deine Brust, denn nicht schwach soll meine Lanze dich treffen!«

Er warf den Speer mit gewaltigem Schwünge und verfehlte sein Ziel nicht, denn mit lautem Krachen fuhr die eiserne Spitze gegen den Buckel des Schildes, und hätte Schild und Brust durchbohrt, wäre nicht der Schild aus Hephästos' Schmiede gewesen. Aber so prallte die Lanze zurück wie ein Ball, der gegen die Wand geworfen wird, und Hektor stand erschrocken da, denn er hatte nur die eine Lanze gehabt. Geschwind sah er sich nach Deïphobos um und forderte laut einen andern Spieß, aber niemand antwortete ihm, und der Bruder war nirgends zu sehen. Da ahnete er im Geiste sein Unglück. »Wehe mir!« rief er, ein tückischer Gott in Deïphobos' Gestalt hat mich vorher getäuscht, und jetzt, da ich hoffte, er solle mich retten, ist er verschwunden!«

In der letzten Verzweiflung ergriff er sein Schwert, entschlossen als Held zu kämpfen. Aber Achill hatte schon Hektors Lanze aufgehoben, und als sie gegeneinander rannten, erreichte der lange Speer natürlich leichter sein Ziel als das kurze Schwert. Über dem Panzer in den Hals getroffen sank Trojas Hort, und sein grausamer Sieger und alle Achäer frohlockten.

»Ha!« rief Achill, indem er den Speer auszog, »so stolz triumphiertest du noch gestern, als du in Patroklos' geraubtem Harnisch gegen unsere Mauer drängtest und heute liegst du so kraftlos vor der euren! Wahrlich! du dachtest wohl nicht, daß dem Erschlagenen noch ein stärkerer Rächer bei den Schiffen verblieb? Doch ihn bestatten wir mit Ehren, wie es einem Helden gebührt, indes dich die Hunde und Geier verzehren!«

»O!« stöhnte der schweratmende Hektor ihm zu, »,ich bitte dich bei deinem Leben, ich beschwöre dich bei deinen Eltern, laß doch nur nicht bei den Schiffen die Hunde mein Fleisch fressen, sondern nimm die Lösegeschenke, die mein Vater und meine Mutter dir reichlich darbieten werden und gieb mich den Meinigen zurück, damit Troer und Troerinnen daheim mir die letzte Ehre erweisen und auf dem Scheiterhaufen meine Gebeine verbrennen!«

Aber mit fürchterlicher Stimme schrie Achilleus ihn an: »Schweig und stirb, du Hund! Glaubst du, ich werde auf deine Bitten hören? Ha! ich wollte, mich erbitterten Zorn und Wut so sehr, daß ich selbst dein Fleisch verschlingen könnte, denn du hast es an mir verdient! Und keiner soll sich unterstehen die Hunde von deinem Leibe zu verscheuchen! Möchten die Troer auch zwanzigfältige Sühnung bieten, ja, wollte Priamos dich mit Gold aufwiegen, dennoch soll die Mutter dich nicht in weiche Gewänder hüllen und dich unter Wehklagen bestatten, sondern Hunden und Vögeln des Feldes will ich dich zum Fraße geben!«

»Ach, das dachte ich wohl!« seufzte der sterbende Held, »denn ich kenne dich ja, du hast ein eisernes Herz! Aber bedenke, daß diese Härte dir noch den Zorn der Götter erwecken kann. Es wird ein Tag der Vergeltung über dich kommen!«

Das waren Hektors letzte Worte. Mit ihnen hauchte er seine Seele aus. Achilleus achtete der Drohung so wenig als der Bitte, sondern übte an dem Toten die schimpflichste Behandlung, die seine Rachsucht ihm eingeben wollte. Zuerst nahm er ihm den schönen Waffenschmuck ab und übergab ihn den herzueilenden Gefährten, die den Hektor bei seinem Leben nie so nahe gesehen hatten und die Schönheit des Wuchses, den kraftvollen Bau der Arme und Schenkel und die herrliche Wölbung der männlichen Brust bewunderten und staunend betasteten. »Bei den Göttern!« sagte mancher, den die Freude witzig machte, »jetzt ist Hektor viel sanfter anzufühlen als damals, da er Feuer in unsere Schiffe warf!«

Den nackten Körper zu den Schiffen tragen zu lassen, war der unersättlichen Rachgier Achills nicht genug. Hinter seinem Wagen her wollte er ihn schleifen, und zu dem Ende durchstach er ihm die Sehnen beider Füße hinten zwischen Ferse und Knöchel und zog einen Riemen hindurch, den er an den hintern Teil seines Wagens knüpfte. Dann schwang er sich selbst hinauf und trieb die schnellen Rosse an, daß sie wie im Sturm über Staub und Stein, über Leichen und Blut hinflogen, indes seine Myrmidonen hintennach zogen und einen gräßlichen Siegesgesang anstimmten.

Zuerst ging der Zug bei dem skäischen Thore vorüber, um die Troer, die dort auf der Mauer standen, desto tiefer zu demütigen. Und zu sehr nur ward der Zweck erreicht, denn noch saßen der alte Priamos und Hekabe, seine Gemahlin, harrend und ohne den schrecklichen Ausgang des Kampfes zu ahnen, der am entgegengesetzten Ende der Stadt geführt war. Gütige Götter, welch ein Anblick für die alten ergrauten Eltern! Ihr tapferster Sohn, Trojas Stolz und letzte Zuversicht da schleifte er nun an den Rädern des Siegerwagens, Schulter und Kopf in Blut und Staub gewälzt, die glänzende Brust, das blühende Gesicht, das wallende Haar mit Schlamm und Moder besudelt! Aus ganz Troja erhob sich die verzweifelnde Klage, als hätte schon die Stadt ihr Ende erreicht und ginge bereits unter in verzehrenden Flammen.

Die Mutter, sinnlos vor Schmerz, rang aufschreiend ihre Hände, riß sich den Schleier vom Haupte und zerraufte ihr graues Haar. Und der Vater, mit zitternden Knieen, starren Augen und stammelnden Lippen, wollte sich nicht halten lassen, sondern eilte hinunter, um selbst seinen Sohn loszuschneiden oder über dem Leichname desselben zu sterben. Mit Mühe hielten die Freunde ihn innerhalb der Mauer fest, aber immer rang er wie ein Unglücklicher, den der Wahnsinn ergriffen hat. Da rief er Mann für Mann von denen, die ihn zurückhielten, bei Namen, bat, flehte, weinte, warf sich auf die Erde und streuete Staub auf sein greises Haupt. Endlich, als mildere Wehmut den Krampf der Verzweiflung löste, sprach er mit ersterbender Stimme zu den Umstehenden:

»Freunde, laßt mich! Ich bitte euch, laßt mich gehen! Ich will hinaus zu dem grausamen Mörder! Ich werfe mich ihm zu Füßen, ich biete ihm Lösegeschenke und fordere den Leichnam meines Sohnes zurück. O, wenn er mich sieht, er wird erweicht werden, er hat ja selbst einen alten hochbetagten Vater! O des Verderblichen! So viele blühende Söhne erschlug er mir schon, aber immer noch habe ich mich getröstet! Doch nun ist mein eines und alles verloren, Hektor, mein liebster, mein bester Sohn, und der Gram um ihn wird auch mich bald töten. Ach, daß er doch nur in meinen Armen gestorben wäre, so hätten wir, ich und seine unglückliche Mutter, unter Thränen seinen teuren Leichnam nach Würden geehrt!«

Schluchzen und Weinen unterbrach die Worte des alten Vaters, und alle die ihn sahen, weinten mit ihm.

»Hektor, meine Freude, mein Trost und meine Hoffnung!« jammerte nun auch die Mutter; »was soll ich noch länger leben, da ich dich nicht mehr habe! Habe ich nicht in diesen unglücklichen Jahren mich einzig auf dich verlassen? Ach, allen Weibern und Kindern in Troja ist der Retter gestorben, nachdem du gefallen bist!«

Am spätesten traf die Unglücksbotschaft die treue Gattin Andromache, welche nach fleißiger Hausfrauen Sitte im Innern des Hauses unter ihren Dienerinnen bis zum Abend gesessen und allerlei Geschäfte besorgt hatte. Jetzt, als die Dämmerung hereinbrach und sie ihren teuern Gemahl bald erwarten konnte, befahl sie einer der Mägde einen großen dreifüßigen Kessel mit Wasser zum Feuer zu setzen, damit der ermattete und mit Schweiß bedeckte Held sich sogleich nach der schweren Arbeit des stärkenden Bades erfreuen könnte. Da erscholl von ferne Weibergekreisch und laute Jammerklage. Das drang ihr durch Mark und Bein, und eine böse Ahnung schreckte sie auf. »Folgt mir!« rief sie zweien der Mägde zu; »mich dünkt, ich höre der Schwägerin Stimme, und mir zittern die Kniee das Herz bebt mir ach! das bedeutet nichts Gutes! Gewiß verfolgt Achill jetzt meinen Hektor und hat ihn abgeschnitten von den andern Troern, denn er bleibt nie zurück, sondern wagt sich immer an die Stärksten. Wehe, wenn er gar schon erschlagen wäre!«

Sie stürzte hinaus, und die Dienerinnen folgten ihr. Vor dem Hause war niemand zu sehen; das Geschrei kam von der Mauer her. Dahin eilte die Unglückliche, stieg hinauf ein Blick verriet ihr das Entsetzliche und stumm und starr, wie vom Schlage getroffen, sank sie rücklings zur Erde. Der Schmuck des Hauptes, Binde und Schleier entfiel ihr, und das Haar lösete sich in lange Flechten auseinander. Schnell umringten die lieben Verwandten die Ohnmächtige und nahmen sie in die Arme. Lange lag sie wie tot; endlich, als der Geist wieder zurückkehrte, fing sie leise mit gebrochener Stimme die rührende Klage an:

»Hektor, ich Unglückliche! Ach, wir beide sind zum Jammergeschick geboren, doch ich bin die beklagenswerteste von allen! O, daß mich nie eine Mutter geboren hätte! Du bist nun tot und lässest mich elend und verlassen, eine Witwe, im Hause. Und unser Knäblein ist noch unmündig und zart, ihn kannst du nun nicht mehr beschützen, und er wird dir nicht zur Freude und Hilfe aufwachsen. Ach, wie wird es ihm ergehen! Überlebt er auch den traurigen Krieg der Achäer, so wird er doch nur zu schweren Leiden aufgespart. Sie werden ihm sein Erbgut schmälern, und ohne Freund wird er die Tage seiner Kindheit verweinen. Denn ein verwaistes Kind hat keine Gespielen mehr; und wenn die andern Knaben vom Schmause der Väter ihren Teil bekommen, so ruft keiner die trauernde Waise heran und teilt mit ihr. Beschämt schlägt das arme Kind die Augen nieder und weint still, geht dann umher zu den Freunden des Vaters, faßt den einen am Rock, den andern am Mantel; und erbarmt sich vielleicht einer, so reicht er ihm höchstens das Schälchen, um einmal die Lippen zu netzen, aber nach seinem Hunger fragt er nicht. Die andern Knaben, gierig und übermütig, leiden ihn nicht bei ihren Mahlen, sondern stoßen ihn wohl mit den Fäusten weg und rufen: »So geh doch, dein Vater ißt ja nicht mit bei uns!« Dann geht das Kind und weint sich aus in seiner Mutter Armen. O Götter, mein Astyanax! Auf des Vaters Schoße erhielt er die besten Bissen, und ein weiches Lager umfing ihn, wenn er ermüdet war von kindlichen Spielen. Das alles wird nun anders werden, denn nun fehlt der Vater und der Beschützer. Nackt und entstellt liegst du draußen auf schmutziger Erde, mein Geliebter, und vergebens bewahrte ich in der Lade so viele schöne Gewänder, die ich für dich gewebt hatte! Was helfen sie nun dir und mir? Ich will sie verbrennen, daß sie dir zum Ruhme von den Troerinnen als ein Totenopfer auflodern.«

So jammerte Andromache, und mit ihr weinten die Frauen, denn alle liebten die edelherzige, treffliche Fürstin.


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