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[XIII.]

Eine Schreckensnachricht durcheilte die Stadt, Se. Hoheit war gestern abend, – wenige Tage, bevor er in seine Garnison kommen sollte, um bei der Verleihung des Namenszuges an das Regiment persönlich zugegen zu sein, – einem Schlaganfall erlegen, so plötzlich und so überraschend, daß selbst die nächste Umgebung zuerst nur an einen schweren Ohnmachtsanfall glaubte, bis es sich dann doch herausstellte, daß ein Herzschlag dem Leben Sr. Hoheit ein rasches Ende bereitet habe. Allerdings, ganz wohl hatte sich der hohe Herr in den letzten Tagen nicht gefühlt, trotzdem war er gestern abend noch stundenlang auf einem Ball gewesen und hatte dort wie immer alle Welt mit seiner Liebenswürdigkeit bezaubert. Aber die Anstrengung des Festes mochte wohl seinen Tod beschleunigt haben.

Se. Hoheit war tot, und infolgedessen erhielt das Regiment nun keinen Namenszug, keine Stickerei am Kragen, und es wurde kein Grenadierregiment. Es blieb, was es bisher gewesen war. Mit der frohen Zuversicht, nun bald beinahe Garde zu sein, war es ein für alle Mal aus. Von der Kaserne herunter wehte die Fahne auf Halbmast, und auch viele Privathäuser hatten die Trauerfahne herausgesteckt, denn was das Regiment betraf, betraf die ganze Stadt – nicht nur, weil man schon den schweren Tafelaufsatz und den Ehrenbecher gekauft hatte, für die nun kaum mehr eine Verwendung da war, sondern weil die Beziehungen zwischen dem Militär und der Bürgerschaft tatsächlich die denkbar besten waren.

Se. Hoheit war tot; man konnte und wollte es immer noch nicht glauben, man hatte sich zu sehr auf seinen Besuch, auf die Parade und alles mögliche gefreut, um sich nun so schnell darein zu finden, daß es damit nun nichts wäre. Traurigen Herzens dachten die jungen Damen an ihre neuen Kleider, die fix und fertig im Schrank hingen, und die sie bei dem Besuch Sr. Hoheit zum ersten Mal hatten anziehen wollen. Nun war es auch damit nichts mehr, ebensowenig, wie mit dem schönen Gedanken, Bernburgs Braut zu werden. Dessen Verlobung wirkte geradezu niederschmetternd auf die jungen Mädchenherzen, die Zahl der Freier war nicht allzugroß, nun war wieder eine günstige Chance verloren gegangen, nun hieß es von neuem warten, bis einer kam, der sich mit Heiratsgedanken trug. Und ob er halb so wohlhabend sein würde wie Bernburg, das war doch noch sehr die Frage.

Ein wahres Glück, daß Bernburg sich mit Elsbeth von Rockhausen verlobt hatte, also in seinen Kreisen geblieben war. Hätte er sich eine Braut genommen, die nicht schon durch die Stellung ihres Vaters von Anfang an dem Offiziersstand angehörte, dann hätte der Neid und die Mißgunst der anderen jungen Damen keine Grenzen gekannt. So tröstete man sich denn schließlich damit, daß die beste Freundin bei dem Rennen um Bernburg genau so gut unterlegen sei wie man selbst. Und das gab ihnen schließlich die Lebensfreude zurück.

Seine Hoheit war tot, und die Trauermiene, mit der die Offiziere einherschritten, war echt.

Gleich, nachdem der Oberst die Nachricht von dem Ableben Sr. Hoheit erhalten hatte, berief er seine Offiziere ins Kasino, um ihnen in längerer Rede auseinanderzusetzen, wie sie wohl alle Ursache hätten, darüber traurig zu sein, daß ein edler Fürst so plötzlich hätte sterben müssen, wie sie aber dabei nicht an sich selbst denken dürften. Sie dürften nicht etwa trauern, weil sie nun den Namenszug nicht erhielten. Gewiß, es wäre eine große Auszeichnung für sie gewesen, aber sie hätten nach wie vor alle Ursache, sich darüber zu freuen, einem so schönen Regiment anzugehören.

Was der Kommandeur zu seinen Offizieren sagte, war ungefähr dasselbe, was er Josefinen erklärt hatte, aber seine Worte machten keinen allzutiefen Eindruck: »Der Oberst hat gut reden, der fährt nun mit dem Adjutanten und einem Hauptmann zur Beisetzung und ergattert sich bei der Gelegenheit zu den vielen Orden, die er schon hat, noch einen neuen hinzu. Das ist immerhin wenigstens etwas, wenn es auch im Vergleich zu dem, was wir verlieren, verdammt wenig ist. Was der Oberst sagt, ist ja alles ganz gut und schön, wenigstens in der Theorie, aber in der Praxis macht sich die Sache doch sehr anders. Mehr zu werden, als man war, ist immer tausendmal besser, als das zu bleiben, was man ist. Daran ändert keine Phantasie etwas.«

Das waren so ungefähr die Gedanken, mit denen sich die Offiziere trugen, während die Mannschaften zuerst derartig vor den Kopf geschlagen waren, daß sie zunächst noch weniger denken konnten als sonst.

Endlich wurde es aber doch in ihren dicken Schädeln hell; »sie wurden nun nicht Garde.« Das Wort »beinahe« hatten sie ihren Schönen gegenüber schon lange gestrichen, um diese zu immer größeren Versprechungen zu verleiten. Sie blieben nun die ganz gewöhnlichen »Muschkos«, die sie bisher gewesen waren.

Das war eine Gemeinheit, ein anderes Wort gab es dafür überhaupt nicht.

Die Musketiere sanken vor Enttäuschung förmlich in sich zusammen, still und wortlos gingen sie an einander vorüber, selbst der Witzbold, der auf jeder Kompagnie ist, machte heute keine Scherze, und die Unteroffiziere gaben vorübergehend alles Fluchen und Schelten auf. Was hatte das nun noch für einen Zweck? Mit der Goldstickerei und dem Namenszug war es ja doch nichts.

Se. Hoheit war tot. Überall wurde davon gesprochen, nur in einem Hause schien man dafür so gut wie gar keine Teilnahme zu haben, das war bei Gillbergs.

Vorgestern war Frau Thea, für ihren Mann gänzlich unerwartet, zurückgekommen – freudestrahlend, womöglich noch hübscher und jugendlicher als sonst. Sie hatte ihren Mann immer wieder geküßt, aber dann hatte sie mit einem Male auch Dörmann einen Kuß auf den Mund gegeben. Sie wurde danach fast noch verlegener als der, aber sie hatte erklärt: »Verdient haben Sie den Kuß reichlich, aber ob es ganz passend war, darüber können wir ein andermal sprechen. Vorläufig haben Sie ihn, und wenn Sie ihn nicht behalten wollen –«

»Dann gebe ich ihn an den Absender zurück,« hatte Dörmann sie unterbrochen, und seinen Worten gleich die Tat folgen lassen wollen, aber da hatte Frau Thea sich doch lachend gesträubt: »Das geht nicht, Dörmann, Sie wissen, zur Ansicht geschickte Waren können acht Tage zur Probe behalten werden – dann ist es immer noch Zeit.«

Nachdem Dörmann im Verein mit Frau Thea den ganz erstaunten Gillberg über die plötzliche Rückkehr seiner Frau aufgeklärt hatte, ließ er die beiden allein. Um Mittag hatte er aber sein Kommen fest zusagen müssen, und so saß er nun mit ihnen zusammen bei Tisch und freute sich über das Glück seiner Freunde. Und aus Gillbergs ganzem Wesen sprach heute etwas, das Dörmann die feste Gewißheit gab, daß er in Zukunft ähnliche Szenen wie früher nicht wiederholen würde.

»Wenn ich neidisch sein könnte, Frau Thea,« meinte er jetzt, »dann würde ich Sie beneiden, Sie selbst zu sein, um einen so guten Mann zu haben. Daß man einen Mann um seine Frau beneidet, ist etwas ganz Selbstverständliches, denn gute Frauen sind die Regel – gute Männer aber eine Ausnahme, – und Sie haben einen.«

Sie dankte ihm mit einem freundlichen Blick, daß er ihren Fritz lobte, sie wußte, das war Absicht, um in ihrem Mann das stolze Gefühl wach zu halten, sich wirklich zu seinem Vorteil verändert zu haben.

Man plauderte über tausend Sachen. Frau Thea hatte soviel zu erzählen, daß man darüber den Tod Sr. Hoheit ganz vergaß, aber schließlich kam das Gespräch doch darauf.

Sonderbarer Weise wurde Dörmann plötzlich ganz ernst.

»Nehmen Sie es sich so zu Herzen, daß Sie keinen Namenszug erhalten?« neckte ihn Frau Thea.

»Sie kennen mich doch leider immer noch nicht,« meinte er, sich verteidigend, »sonst müßten Sie wissen, daß ich zu dumm bin, um in dem landläufigen Sinne eitel zu sein, ich betone, im ›landläufigen‹ Sinne, denn die andere Eitelkeit besitze ich sehr wohl. Ich hätte mich über die Auszeichnung gefreut, – aber ich weine ihr keine Träne nach; mich betrübt etwas anderes. Ich bin so ziemlich der abergläubigste Mensch, der jemals den Fahneneid geschworen hat. Ja, lachen Sie mich nur ruhig aus, ich kann nichts dafür, ich habe das tatsächlich mit der Ammenmilch eingesogen, denn meine Amme war, wie ich leider zu spät in Erfahrung brachte, wegen ihres Aberglaubens einmal auf einer Ausstellung prämiiert worden. Wie meine Amme, so bin auch ich der felsenfesten Überzeugung, daß alles auf der Welt etwas zu bedeuten hat, und darum sage ich: ›Herrschaften, paßt auf! Mit dem Tod Sr. Hoheit ist es für uns nicht abgetan, wir werden sonst noch etwas erleben.‹«

Seine Stimme klang so feierlich, daß die beiden anderen unwillkürlich erschraken, dann aber lachten sie ihn aus: »Dörmann, wie kann man nur!«

Der aber blieb ganz ernsthaft: »Denkt an meine Worte, wenn es soweit ist! Es spukt etwas in der Luft herum, wir werden schon bald genug erfahren, was!«

Viel lebhafter als im Hause Gillbergs wurde der Tod Sr. Hoheit natürlich im Hause des Obersten besprochen. So aufrichtig der Kommandeur auch den Tod als solchen betrauerte, es tat ihm doch auch für sich selbst und sein Regiment leid, daß all die viele Arbeit und Mühe umsonst gewesen war.

Frau Rita war außer sich, nicht nur, um ihrer selbst willen, obgleich auch sie sich sehr auf den Besuch Sr. Hoheit gefreut hatte, sondern hauptsächlich für ihren Mann, die Offiziere und die Mannschaften.

Und doch traf niemanden die Nachricht so niederschmetternd wie Josefinen. Sie hatte einsehen müssen, daß ihr Bruder ihr niemals ihre taktlose Äußerung vergeben würde, ein Zusammenleben war also für die Zukunft ganz ausgeschlossen, das sah sie jede Stunde deutlicher ein. Und wenn sie trotzdem ihre Koffer noch nicht gepackt hatte, so lag das lediglich an dem bevorstehenden Besuch Sr. Hoheit. Seinetwegen war sie gekommen, seinetwegen mußte sie nicht nur für den Augenblick, sondern für immer hier aushalten, das war ja natürlich, daß Se. Hoheit das Regiment alljährlich besuchte, und die Ansprache, mit der er sie dann stets beehren würde, hätte sie dann für die übrigen Tage des Jahres entschädigt.

Nun war Se. Hoheit gestorben, und Josefine fand tatsächlich keine Worte, um ihren Schmerz auszudrücken, denn sie sah sofort mit schrecklicher Deutlichkeit, daß sie nun nicht mehr bleiben konnte. Jetzt mußte sie fort, jetzt hielt sie hier nichts mehr! Denn sie dachte nicht daran, sich bis an ihr Lebensende von ihren Verwandten als ein mehr oder weniger unbequemer Gast betrachten zu lassen. Wozu war sie denn so reich, wenn sie nichts von ihrem Geld haben sollte? Warum hatte sie denn die lange unglückliche Ehe mit Rücksicht auf den Reichtum ihres Mannes solange ertragen, ohne sich scheiden zu lassen, wenn sie ihre Millionen jetzt nicht zeigen, damit den anderen nicht imponieren konnte?

»Vielleicht kommt Otto doch noch im letzten Augenblick zur Vernunft, wenn ich ihm meinen Entschluß, zu reisen, mitteile,« sagte sich Josefine. Aber der Oberst dachte nicht daran, er blieb unerbittlich, trotzdem auch seine Frau ihn umzustimmen versuchte.

»Josefine kann als Gast bleiben solange wie sie will, jahraus, jahrein, aber Geld nehme ich von ihr nicht mehr an.«

Frau Rita wußte nicht, wie alles werden sollte, aber sie fügte sich trotzdem schweigend in das Unvermeidliche.

Der Oberst reiste zur Beisetzung Sr. Hoheit, und Josefine benutzte seine Abwesenheit, um ihre Abschiedsbesuche zu machen; sie tat es in ohnmächtiger Wut, im größten Zorn gegen ihren Bruder. Wenn sie wenigstens noch in ihre alte Stadt am Rhein hätte zurückkehren können, aber das war ausgeschlossen. Was sollten die Leute sagen, wenn sie da so plötzlich wieder auftauchte? Dann würde es heißen, sie sei ein so unverträglicher Charakter, daß selbst der eigene Bruder es nicht mit ihr hätte aushalten können, und noch mehr als sonst würden sich die Leute von ihr zurückziehen. So hatte sie denn beschlossen, nach Berlin zu gehen, dort lebten verschiedene Verwandte ihres verstorbenen Mannes, dort würde sie schon einen Kreis finden, in dem sie sich wohlfühlte.

Zu Frau Thea und zu Frau Hauptmann Ahlert fuhr Josefine natürlich nicht, aber allen anderen Damen sagte sie adieu.

Daß Frau Josefine plötzlich für immer wieder abreisen wollte, das kam allen tatsächlich derartig überraschend, daß sie aus Josefine herauszubringen versuchten, was sie denn dazu veranlaßte, ihren Entschluß so schnell zu ändern.

Josefine ließ sich überall lange bitten, ehe sie einer jeden das Geheimnis unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraute. »Ich sage es natürlich nur, damit nicht etwa der Verdacht aufkommt, mein Bruder hätte mir die Gastfreundschaft gekündigt, im Gegenteil, er hat mich beschworen, für immer bei ihm zu bleiben, aber auf die Dauer geht es doch nicht. Damals, als ich herkam, dachte ich anders, da hatten meine lieben Verwandten etwas sehr über ihre Verhältnisse gelebt, da waren sie etwas sehr reichlich, wenn auch nicht gerade übertrieben, verschuldet. Du lieber Gott, daraus kann man ihnen keinen Vorwurf machen, namentlich Frau Rita ist ja noch ein Kind, und wer so schön ist wie sie, hat auch die Pflicht, sich luxuriös zu kleiden. Ich habe ihnen ja gerne geholfen, und hätte es auch gerne weiter getan, aber wenn ich auch nicht gerade zu jenen Naturen gehöre, die für das Gute, das sie tun, Dank erwarten, so will man doch auch nicht gerade Undank ernten. Ich opferte meinem Bruder doch schließlich viele Zehntausende, und ob jede Schwester so gehandelt hätte, das steht noch dahin.«

Was die Damen da zu hören bekamen, war ihnen so neu, daß sie es nicht glauben konnten, und Oberst von Eckern und seine schöne Frau erfreuten sich solcher Beliebtheit und genossen ein so großes Ansehen, daß man Josefinen auch nicht glauben wollte. Das merkte sie natürlich sehr genau, aber sie glaubte, es ihrer Ehre schuldig zu sein, jetzt, wo sie ging, nicht als Lügnerin dazustehen – und so plauderte sie denn immer mehr aus, bis allen auch der letzte Zweifel daran genommen wurde, daß Josefine wirklich mit ihrem Geld ihrem total verschuldeten Bruder hatte helfen müssen, damit der nicht vielleicht sogar ehrengerichtlich verabschiedet worden wäre.

Drei Tage blieb der Oberst fort, anderthalb Tag brauchte Josefine für ihre Visiten, dann behauptete sie plötzlich, einen Brief aus Berlin erhalten zu haben, der ihre sofortige Abreise nötig mache und fuhr, bevor ihr Bruder zurück war, Hals über Kopf ab: »Es ist am besten so, glaube es mir, Rita. Der Abschied von Otto würde mir nach allem, was ich für ihn getan, doch zu schwer werden. Wegen meiner Sachen brauchst Du Dich nicht zu beunruhigen, die Kleinigkeiten habe ich eingepackt, die anderen lasse ich, ebenso wie meine Wagen und meine Pferde, holen, sobald ich eine passende Wohnung gefunden habe.«

Josefine war nicht zu halten. Sie wußte, ihr Bruder würde sofort erfahren, daß sie der Wahrheit die Ehre gegeben und den Grund ihrer Abreise genannt hatte. Verschieden wie ihre Auffassungen nun einmal waren, erwartete sie, daß der Oberst ihr eine Szene machen würde, und das wollte sie vermeiden. Sie hatte sich in ihrer langen Ehe so oft ärgern müssen, daß sie sich jetzt jeden Verdruß nach Möglichkeit fernhielt.

Als der Kommandeur von seiner Reise zurückkam und Josefine nicht mehr antraf, erriet er sofort den Zusammenhang. Aber Frau Rita widersprach ihm, als er seine Vermutung äußerte: »Du tust ihr Unrecht, so häßlich, so schlecht kann Josefine nicht sein.«

Aber er ließ sich nicht beirren: »Wir wollen es abwarten. Vielleicht bringt der morgige Tag schon Aufklärung, denn daß Josefine so schnell abreiste, hat sicher etwas zu bedeuten.«

Doch zunächst brachte der folgende Tag dem Oberst etwas anderes. Gegen Mittag erschien Hauptmann Ahlert auf dem Regimentsbureau. Frau Josefine sei abgereist und habe allen Damen, nur nicht seiner Frau und Frau Leutnant Gillberg adieu gesagt. Wenn er auch gehört habe, daß Leutnant Gillberg sich das ruhig gefallen lassen wolle, und sogar darüber gelacht hätte, so denke er über den Punkt anders. Er müsse auch strenger urteilen, denn bei den Gerüchten, die leider immer noch über seine Frau in der Stadt umherschwirrten, müsse er unter allen Umständen darauf halten, daß man seiner Frau die nötige Achtung nicht vorenthalte. Und deshalb müsse er verlangen, daß Frau Josefine seine Frau zum mindesten nachträglich schriftlich um Verzeihung bitte.

Der Hauptmann sprach in seiner Erregung in einem Ton, der sich einem Vorgesetzten gegenüber nicht ganz gehörte, aber trotzdem ließ ihn der Oberst ruhig ausreden, ohne ihn zu unterbrechen. Er war froh, daß es nun über die Frau zu einer Entscheidung kam, ohne daß er dieselbe dienstlich herbeizuführen gezwungen gewesen wäre.

»Ich muß Ihnen gestehen, Herr Hauptmann,« nahm der Oberst jetzt das Wort, »daß meine Schwester sich kaum bereit finden lassen wird, Ihrer Frau Gemahlin die gewünschte Genugtuung zu geben, und daß meine Schwester auch der Frau Leutnant Gillberg nicht adieu sagte, beweist am besten, daß Sie keineswegs Veranlassung haben, den Fall tragisch zu nehmen. Sie sprachen aber vorhin selbst von den Gerüchten, die leider immer noch über Ihre Frau Gemahlin und den Referendar im Umlauf sind, und ich will Ihnen bei dieser Gelegenheit sagen, daß diese Gerüchte endlich verstummen müssen, sowohl mit Rücksicht auf Sie und Ihre Frau Gemahlin selbst, als auch mit Rücksicht auf das ganze Regiment. Was Sie in der Angelegenheit tun wollen, hängt natürlich ganz davon ab, wie Sie persönlich über die Angelegenheit denken. Glauben Sie an die Verdächtigungen, dann sind Sie es als Offizier Ihrer Ehre schuldig, den andern zu fordern, sind Sie davon überzeugt, daß die Beziehungen zwischen dem Referendar und Ihrer Frau Gemahlin wirklich rein freundschaftliche sind, dann wird es genügen, daß Sie sich in ein anderes Regiment versetzen lassen. Nicht als Ihr Vorgesetzter, sondern als Ihr älterer Kamerad möchte ich Sie bitten, die Versetzung sehr bald, womöglich noch heute, beantragen zu wollen.«

Der Hauptmann wurde bei den Worten des Herrn Oberst ganz blaß. Wenn der Oberst wüßte, wie felsenfest er von dem Fehltritt seiner Frau überzeugt war! Gewiß, nach den Ehrengesetzen blieb ihm nichts übrig, als den andern zu fordern, aber das sollte ihm gerade noch fehlen, wegen dieser Frau, die ihn belog und betrog, sein Leben aufs Spiel zu setzen und sich womöglich noch totschießen zu lassen. Dazu hatte er das Leben denn doch zu lieb!

So sagte er denn: »Ich brauche dem Herrn Oberst wohl kaum zu versichern, daß ich von der Unschuld meiner Frau ebenso felsenfest überzeugt bin, wie von der Ehrenhaftigkeit des Referendars. Aber gerade deshalb sehe ich ein, daß diesen Verdächtigungen ein Ende gemacht werden muß. Ich stimme darin dem Herrn Oberst bei, und da ich keinen anderen Ausweg weiß, erkläre ich mich bereit, noch heute um meine Versetzung einzukommen. Ich darf den Herrn Oberst wohl gehorsamst bitten, sich etwas dafür verwenden zu wollen, daß meine zukünftige Garnison nicht gar zu traurig ist.«

»Gewiß, was ich in dieser Hinsicht tun kann, soll geschehen, das verspreche ich Ihnen.«

Eine Viertelstunde später war der Oberst allein. Ein Gefühl der Geringschätzung gegen den Hauptmann wurde in ihm wach. Er hatte nur zu deutlich aus jedem Wort herausgehört, wie wenig der selbst das glaubte, was er sagte. Der Hauptmann mußte es mit seinem eigenen Gewissen ausmachen, wie er ferner mit seiner Frau zusammenleben wollte – für ihn, für das Regiment und für alle war es das beste, daß die Angelegenheit in dieser Weise aus der Welt geschafft wurde.

Der Oberst atmete ordentlich erleichtert auf, daß diese unangenehme Geschichte, die ihm so viele böse Stunden bereitet hatte, so glatt abgelaufen war. Er befand sich in einer fast frohen Stimmung und war glücklich, daß Josefine heute nicht mehr im Hause waltete, um ihm seine Laune sofort wieder zu verderben. Gewiß, zuweilen kam es ihm wohl so vor, als hätte er seine Schwester unter allen Umständen zurückhalten müssen, sie nicht erzürnt abreisen lassen dürfen, nachdem sie soviel für ihn getan. Aber er hatte sie ja gebeten, als sein Gast, event. bis an ihr Lebensende, bei ihm zu bleiben. Er war nicht undankbar für das Opfer, das sie ihm gebracht hatte, sondern er wollte nur keine weiteren Geschenke von ihr annehmen.

Zu einer so plötzlichen Abreise lag seiner Meinung nach keine Veranlassung vor, es müßte denn sein, daß sie seine Abwesenheit benutzt hatte, um alles, was sie für ihn tat, an die große Glocke zu bringen.

Seine Frau hatte diesen seinen Verdacht gestern für eine Unmöglichkeit erklärt, aber als er jetzt in ihr Zimmer trat und ihr totenblasses, entsetztes Gesicht sah, erriet er sofort, daß er mit seiner Vermutung recht gehabt hatte. Und trotzdem erschrak auch er, da er seinen Verdacht bestätigt fand.

Er nahm seine Frau zärtlich in die Arme und küßte sie, er quälte sie mit keiner Frage.

Ängstlich schmiegte sich Frau Rita an ihn: »Heute morgen waren verschiedene Damen des Regiments bei mir und haben mir wiederberichtet, was Josefine ihnen erzählte – sie baten mich um Verzeihung, daß sie es vorübergehend geglaubt hätten, aber sie wären sich alle darüber einig geworden, Josefine hätte nur aus Niedertracht so gesprochen, um sich dafür zu rächen, daß sie fort müsse.«

In kurz abgerissenen Sätzen kam dies Geständnis über ihre Lippen.

»Und was hast Du geantwortet?« fragte er mit einer Ruhe, die sie erschreckte.

»Nichts! Was sollte ich sagen? – Ich erklärte, Josefine hätte mir natürlich manches schöne Geschenk gemacht, es sei ja doch auch keine Sünde, das von einer Schwägerin anzunehmen, und ich begriffe nicht, wie Josefine darüber soviel Worte verlieren und sogar behaupten könne, sie habe uns vor dem finanziellen Zusammenbruch gerettet. Ich bemühte mich, so ruhig wie möglich zu bleiben, aber ich wußte trotzdem kaum, was ich alles sagte.«

Er hatte sie zu der Chaiselongue geführt und ließ sich jetzt an ihrer Seite nieder: »Und was meinst Du, was nun werden soll?« fragte er, ihre Hände in den seinen haltend.

»Das ist es ja gerade, was mich so quält und beunruhigt,« rief sie erregt. »Die Frage habe ich mir natürlich auch sofort vorgelegt, und da meine ich, wir müssen den anderen zu beweisen versuchen, daß Josefine stark übertrieb, wir müssen zeigen, daß wir auch ohne sie weiterleben können, wir müssen nach wie vor ein großes Haus machen. Denn wenn es herauskommt, daß wir nur noch Deinen Gehalt haben, dann ist es mit Deiner Karriere so gut wie vorbei, und wenn die anderen erfahren, daß wir wirklich Schulden hatten – ach Otto, es ist gar nicht auszudenken!« Und heiße Tränen stürzten ihr aus den Augen.

Er zog sie von neuem zärtlich an sich, dann sagte er mit fester Stimme: »Du urteilst von Deinem Standpunkt als Frau – ich aber denke ganz anders. Die Welt wird erfahren, wie verschuldet wir waren, daß wir nicht ein noch aus wußten. Und wir müssen das offen und ehrlich zugeben – es wäre feige, leugnen zu wollen und unehrenhaft, Josefine als Lügnerin hinzustellen. Ich weiß, daß man jetzt über mich den Stab brechen wird, und man wird mich mit vollem Recht verurteilen, denn die Tatsache, daß wir unseren Verpflichtungen, – allerdings durch Josefinens Hilfe, – gerecht werden konnten, ändert nichts daran, daß wir über unsere Verhältnisse lebten. Und jetzt, wo alles bekannt geworden ist, muß ich auch den Mut haben, die Folgen zu tragen und für das, was ich tat, mit meiner Person einzustehen.«

Sie hatte seinen Ausführungen voller Angst und Entsetzen zugehört. Sie schrie jetzt förmlich auf: »Das soll doch nicht etwa heißen, daß Du Dich wirklich mit dem Gedanken trägst …?«

Sie wagte nicht, das Wort »Abschied« über die Lippen zu bringen.

Er sah sie traurig an und strich ihr zärtlich mit der Hand über die Wangen: »Doch, Rita! Es bleibt mir kein anderer Ausweg, ich habe mir schon heute nacht alles reiflich überlegt.«

Frau Rita war vollständig gebrochen: »Du hast ja Recht, mit dem was Du sagst, aber trotzdem überlege es Dir nochmals! Es muß noch einen anderen Ausweg geben.«

»Es gibt keinen,« widersprach er, »und wir dürfen auch nicht allzusehr klagen, denn wir haben beide Schuld an unserem Unglück.«

»Aber ich habe doch nur Dein Bestes gewollt, Otto, Du weißt, ich habe nur immer an Dich und Deine Karriere gedacht.«

Es dauerte viele Stunden, bis Frau Rita sich endlich beruhigte – aber die Liebe zu ihrem Mann ließ sie sich schließlich in ihr Schicksal finden.

Schon am nächsten Tag wurde es bekannt, daß Oberst von Eckern seinen Abschied einreichen wolle. Dörmann brachte die Nachricht zu Gillberg, der keinen Dienst gehabt hatte und nicht in der Kaserne gewesen war.

Alle drei waren außer sich, sie wußten, einen solchen Oberst, eine solche Kommandeuse würden sie nie wieder bekommen.

Thea weinte heiße Tränen, daß sie Frau Rita so plötzlich verlieren solle, und vergebens versuchte ihr Mann sie zu trösten.

»Laß sie nur weinen, Gillberg,« meinte Dörmann, »die Frau hat es reichlich um uns alle verdient, daß wir ihr Scheiden bedauern, und, hol mich der Teufel, wenn ich erst am Kupee stehe und ihr die Blumen zum Abschied in die Hand drücke, dann fange ich wohl selbst mit an zu heulen – auch um ihn, denn er war ein Gentleman, was bei Gott nicht jeder Oberst von sich behaupten kann, allerdings ist es ja auch ganz gleichgültig, was ein Vorgesetzter von sich selbst denkt. Sein Wert ist nur abhängig von dem Urteil seiner Untergebenen, und wenn wir unserem Kommandeur zum Abschied eine Konduite ausstellen würden, dann dürfte er auf die tausendmal stolzer sein, als auf all den Unsinn, den die Höheren über ihn zusammengeschrieben haben. Denn die reden nur von seinen militärischen Fähigkeiten, darauf, wie der Oberst als Mensch war, kommt es ihnen verdammt wenig an. – Gib mir einen Kognak, Gillberg, aber einen ganz großen, mir ist wahrhaftig elendiglich zu Mute, so, als stände ich am Grab eines Menschen, den ich sehr lieb gehabt habe. Und eins tut mir besonders leid, daß ich nie Gelegenheit fand, mit dieser Frau Josefine einmal eine Stunde unter vier Augen zu sprechen, denn daß die von ihr in Umlauf gesetzten Erzählungen den Oberst bewogen haben, zu gehen, ist ja ganz klar. Gewiß hätte er keine Schulden machen dürfen, denn daß wir es alle tun, ist für den einzelnen leider keine Entschuldigung.«

»So, nun trocknen Sie Ihre Tränen, Frau Thea, ich kann's nicht mehr mit ansehen. Aber kommt mir noch einmal damit, daß Ihr nicht an Ahnungen glaubt. Meine Amme steigt immer mehr in meiner Achtung! Und ich habe Recht behalten, Ahlerts Fortgang war die Fortsetzung, der Abschied des Oberst ist der Schluß. Ein wahres Glück, daß die Hoheit starb, sonst hätten die beiden Geschichten viel böses Blut gemacht und viel Staub aufgewirbelt. Nun geht man darüber zur Tagesordnung über.«

Er leerte sein Glas auf einen Zug, dann meinte er: »Und das wollen auch wir jetzt tun, Kinder. Wer als Offizier heiratet, muß damit rechnen, daß ihm unter Umständen seine eigene Frau das Genick brechen kann, sei es aus Mangel an Liebe, wie bei Frau Hauptmann Ahlert, die ihrem Mann kurz oder lang sicher zum Abschied verhilft, oder aus zu großer Liebe, wie bei Frau von Eckern. Aber auch die Niederträchtigkeit der Verwandten kann zuweilen das Unglück herbeiführen, wie Frau Josefine in traurigster Weise bewiesen hat. Die Ehe ist für einen Offizier ein noch größeres Lotteriespiel als für den Zivilisten – der Dienst greift zu sehr in die Ehe hinein, und das verträgt nicht jede Frau, die eine stumpft dadurch ab, die andere wird ehrgeizig, wieder bei einer anderen regt sich der Widerspruch. – Nein, Frau Thea, das geht nicht auf Sie, Sie sind die Perle Ihres Geschlechts, und Ihre Ehe, deren Frieden ich auf Grund Ihrer zahllosen Tugenden wieder begründete, ist mir der beste Beweis dafür, daß es trotz allem was ich sagte, natürlich auch sehr viele glückliche Offiziersehen gibt.«

 

Ende.

 

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Fehlerhafte (zur Vermeidung der XIII. ?) Kapitelnummerierung geändert. Re.


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