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IV.

»Wissen Sie schon –? Haben Sie schon gehört –? Frau von Gillberg hat sich bei der Frau Oberst über Frau von Rockhausen beschwert! Wissen Sie das schon? Und wissen Sie auch, daß die Rockhausen um Verzeihung bitten muß?«

Wo sich zwei trafen, einerlei, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, – überall hieß es: »Wissen Sie schon?« Auf dem Kasernenhof, in den Familien, im Kasino – es wurde nichts anderes gesprochen.

Zuerst hatte man dem Gerücht keinen Glauben geschenkt. Das war doch ganz undenkbar, daß eine junge Leutnantsfrau es wagen sollte, sich wegen einer solchen Bagatelle bei Frau von Eckern über eine andere Regimentsdame zu beklagen. Denn es war doch nur eine Bagatelle! Du lieber Gott, da hatte sich manche andere schon ganz andere Dinge sagen lassen müssen und hatte sie ruhig eingesteckt, wenn auch nicht leichten Herzens, so doch aus Klugheit. »Klug« sein ist alles, das bringt tausendmal weiter als stolzes Selbstbewußtsein. Wer den Kopf hoch trägt, stößt ihn sich ein, wer ihn geschickt zu bücken weiß, sich zu winden und zu schieben versteht, schlüpft überall durch und findet sich dann plötzlich oben auf der höchsten Höhe wieder – –

Frau von Gillberg hatte sich beschwert und hatte Recht bekommen.

Frau von Eckern hatte Frau von Rockhausen zu sich bitten lassen und ihr so liebenswürdig wie nur möglich, aber doch auch sehr klar und deutlich zu verstehen gegeben, daß sie ganz allein das Recht habe, darüber zu entscheiden, ob eine Dame zu elegant angezogen sei oder nicht. Sie allein habe über diese und ähnliche Dinge zu urteilen und sie müsse sehr bitten. –

Frau von Eckern lag die Rolle der Kommandeuse absolut nicht. Sie war die Salondame par excellence, nie und nimmer aber die Vorgesetzte. Leicht wurden ihr die Worte: »Ich muß sehr bitten« nicht, aus ihrer Verlegenheit heraus klangen sie viel härter, als es beabsichtigt war, aber gerade deshalb wirkten sie doppelt und dreifach.

Frau von Rockhausen war, wie sie ihren Intimsten erzählte, bei dieser Unterredung förmlich zusammengeknickt – sie hätte es nie für möglich gehalten, daß Frau von Eckern so hart, so streng und unerbittlich sein könne, – aber ihr ganzes Wesen, ihre ganze Sprache hätten von Anfang an jeden Widerspruch unmöglich gemacht, – sie mußte sich fügen, ob sie wollte oder nicht!

Kein Mensch begriff, woher Frau von Gillberg den Mut genommen hatte, sich an die Frau Oberst zu wenden, denn Frau von Rockhausen war im Regiment gefürchtet, ihre Zunge war berüchtigt, es lag in ihrem Charakter, daß sie jedem Menschen so lange das Schlechteste zutraute, bis sie die Beweise des Gegenteils in Händen hatte, aber dann glaubte sie ihrem eigenen Empfinden immer noch mehr, als dem Urteil der anderen.

Frau von Gillberg hatte Frau von Eckern erklärt: sie glaube es ihrer Selbstachtung schuldig zu sein, sich eine derartige Behandlung nicht gefallen lassen zu dürfen.

Auch das Wort wurde kolportiert. Die Damen fanden es lächerlich – den Herren imponierte es. Einen Fähnrich verleitete es sogar zu dem Ausruf: »Donnerwetter, die Frau hat Rasse – an der kann man sich ein Beispiel nehmen!« Aber trotzdem er sie sich als leuchtendes Vorbild hinstellte, gab er seine feste Absicht, sich über seinen Hauptmann zu beschweren, doch wieder auf. Was hatte er davon, ob er Recht bekam oder nicht? In den Augen seiner Vorgesetzten war und blieb er doch eine »Jammergestalt«, die dem preußischen Offizier-Korps, das so viel Wert auf Äußerlichkeiten legt, nicht zur Verschönerung diente. – –

Frau von Rockhausen hatte um Verzeihung gebeten. Sogar in Gegenwart der Frau von Eckern. Beide Damen waren gemeinsam zu Frau von Gillberg gegangen und mit ihrem freundlichsten Lächeln, das sie für ähnliche Fälle stets auf Lager bereit hielt, hatte die Rockhausen versichert: – nichts habe ihr ferner gelegen, als Frau von Gillberg irgendwie kränken oder beleidigen zu wollen – sie nehme alles, was sie gesagt habe, zurück – und bedauere lebhaft, jene Äußerung – die gut gemeint gewesen wäre! – getan zu haben. – –

Und dann hatte Frau von Gillberg die beiden Damen wieder gehen lassen, ohne ihnen eine Tasse Tee oder Kaffee anzubieten, obgleich es gerade die Nachmittagsstunde dafür war.

Wenn Frau von Rockhausen bei der Schilderung ihres Ganges nach Canossa bei diesem Punkt anlangte, versagte ihr die Stimme – die setzte dann tatsächlich aus – dann hörte man nur den hellen, pfeifenden Ton ihrer Lungen. Daß sie ohne Kaffee hatte fortgehen müssen, war die größte Demütigung, die ihr hatte widerfahren können! Selbst als der chinesische Sühneprinz damals nach Berlin gekommen war, hatten die Truppen, nachdem er Kotau gemacht, vor ihm präsentiert und das Spiel war gerührt worden. Selbst dem hatte man Ehren erwiesen, – ihr aber nicht! Eine Tasse Kaffee hätte dem Besuch wenigstens einen versöhnlichen Abschluß gegeben, hätte das Offizielle der Visite sehr gemildert, – aber es hatte keinen Kaffee gegeben, nicht die kleinste Tasse. – –

Das sollte die Gillberg ihr büßen! Diese hochnäsige, freche Person, die alle Leute mit ihrem ewigen Kopenhagen langweilte, mit dieser Stadt, die doch nur aus dem Tivoli bestand, einer anerkannt unmoralischen Stätte leichtester Vergnügungen –!

Frau von Rockhausen kochte vor Wut, und um nicht als Gedemütigte dazustehen, ging sie die ganzen Offiziersfamilien ab und erzählte überall von ihrem Besuch. Je offener sie selbst darüber sprach, umso weniger würden die anderen hinter ihrem Rücken darüber zischeln. Am liebsten hätte sie an Frau von Gillberg kein gutes Haar gelassen, aber die Erfahrungen, die sie gemacht, hatten sie doch für die nächste Zeit gewitzigt. So sprach sie über die Frau selbst kein Wort. Aber umsomehr ließ sie ihren Zorn an Kopenhagen aus. Sie machte die Stadt in einer Weise schlecht, daß kein guter Stein an ihr blieb, und symbolisch deutete sie damit an, daß naturgemäß aus einer so gräßlichen und scheußlichen Stadt nur eben solche Menschen kommen könnten. Sie war ja sicher, daß die anderen Damen der Gillberg alles wiedersagen würden. Die liebte ja ihre Vaterstadt über alles – die würde sich dann krumm und schief ärgern, und das geschah ihr ganz recht – dann hatte sie wenigstens keine Ursache mehr, sich etwas auf ihre Schönheit einzubilden. –

Aber anstatt sich zu ärgern, lachte Frau Thea. Sich darüber zu ärgern, lag doch gar kein Grund vor. Sie merkte nur zu deutlich die Absicht. Und wenn es auch nicht gerade vornehm und edel war, so war es doch menschlich und begreiflich, daß Frau von Rockhausen sich irgendwie zu rächen versuchte.

Aber daß sie den Damen keinen Kaffee angeboten hatte, bedauerte Frau Thea nicht. Sie stand auf dem Standpunkt, daß dies unpassend gewesen wäre. Die Ansicht vertrat sie auch heute noch, und wenn die anderen anders dachten, dann war das ihr gutes Recht.

Frau Thea strahlte, daß ihr die Genugtuung zuteil geworden war. Gegen die anderen Damen erwähnte sie den Besuch selbstverständlich mit keiner Silbe, aber vor sich selbst rühmte sie sich ihres Erfolges.

»Ich muß meinem Mann zeigen, daß ich nicht die Puppe bin, für die er mich unbegreiflicherweise zu halten scheint. Dann wird er mir in Zukunft das Recht zugestehen, fortan meine Ansichten zu äußern. Ich muß ihm beweisen, daß ich nach außen hin vertrete, was ich tue und sage – ich darf mich auch um seinetwillen nicht an die Wand drücken lassen, denn unmöglich kann ein Mann seine Frau achten, wenn sie weiter nichts ist, als ein willenloses Geschöpf.«

Aber gerade der verzieh ihr diesen Schritt nicht.

Als er in der Kaserne davon gehört (sie hatte es ihm absichtlich verschwiegen, denn sie wollte ihm gleich das Ergebnis ihres Besuches mitteilen können), war er in der größten Erregung nach Hause gekommen und hatte ihr eine Szene gemacht, die sie nicht für möglich gehalten hätte:

»Nur immer so weiter, – Du wirst ja sehen, wie weit Du damit kommst! Mach' Dir nur an allen Ecken und Enden Feinde, bis Du ganz allein dastehst – eher kommst Du ja doch nicht zur Vernunft. Du machst es mir ja geradezu unmöglich, Deine Partei zu nehmen, für Dich einzutreten, wie Du es von mir verlangst. Ich kann Dich nicht beständig gegen meine Überzeugung in Schutz nehmen, da wird man mich bald ebenso wenig verstehen, wie Dich – und bei der ersten besten Gelegenheit bricht man mir dann das Genick – denn die militärischen Fähigkeiten allein entscheiden heutzutage schon lange nicht mehr über unsere Zukunft – sondern unser ganzes Auftreten, Denken und Empfinden.«

Er hatte sie mit Vorwürfen überhäuft – und empört wandte sie sich von ihm ab. Aber dennoch nahm sie ihm die Ausdrücke, die er in der Erregung sagte und deren Tragweite er sich garnicht überlegte, nicht übel, – wohl aber diese ewige Angst vor der Verabschiedung, diese beständige Furcht, keine Karriere zu machen. Sie konnten doch auch ohne das Gehalt leben. Und dazu kam, daß er fast täglich über den Dienst schalt. Sie wußte: er war ja trotzdem gern Offizier, aber nur um der Uniform und der Ausnahme-Stellung willen, die er als Militär in der Gesellschaft und überall einnahm. Verwöhnt und verhätschelt, wie es alle Offiziere in der Hinsicht sind, konnte er sich ein Leben als Zivilist garnicht vorstellen. Was hatte man dann noch von seinem Dasein, wenn man nicht überall die erste Rolle spielte, wenn nicht ein jeder ihm überall den Vortritt ließ, wenn die Kellner nicht um seiner Uniform willen ihm entgegen flogen, sobald er ein Restaurant betrat, wenn die Damen und die dummen Zivilisten ihn nicht mehr à conto seines Rockes als ein höheres Wesen betrachteten? –

Sie verstand ihn ebensowenig, wie er sie.

Sie hatte es als ganz selbstverständlich angenommen, daß er sich nun auch über den Major beschweren werde, denn daß der nun ebenfalls seine Worte zurücknehmen müsse, war doch klar. Auch daran hatte sie gedacht, als sie zu Frau von Eckern ging: es sollte kein Vorwurf auf ihm sitzen bleiben, den er nicht verdient hatte, er sollte nicht unschuldig gescholten werden, auch deshalb hatte sie sich gefreut, als Frau von Eckern ihr in allen Punkten Recht gab. Aber er dachte nicht daran, sich zu beschweren. »Dazu liegt doch gar kein Grund vor,« sagte er ganz erstaunt. »Es ist genug, daß Frau von Rockhausen zu Dir gekommen ist, ja, sogar mehr als genug, und mir wäre es tausendmal lieber gewesen, Du hättest nicht darauf bestanden, denn Freude wirst du von diesem Besuch nicht haben, das kann ich Dir schon jetzt sagen. Warte die Zukunft ab. Und wozu immer neuen Staub aufwirbeln – laß doch die dumme Geschichte nun endlich begraben sein – ich habe schon genug Ärger und Verdruß davon gehabt. Und man muß auch nicht immer nur an sich, sondern auch etwas an die anderen denken. Der arme Major tut mir aufrichtig leid – der hat es nicht erst nötig, daß ich mich über ihn beschwere – der hat den Kopf sowieso schon voll genug – dem wird seine Frau das Leben jetzt noch mehr als sonst zur Hölle machen. Und auch daran bist Du schuld.«

»Aber jeder ist sich doch selbst der Nächste! Oder willst Du es denn wirklich nicht merken und nicht einsehen, daß auch unser junges Eheglück auf dem Spiele steht?« rief sie ganz verzweifelt. »Wir werden uns doch auch innerlich fremd, wenn Du weiter so denkst wie jetzt, wenn Du Dir alles gefallen läßt, wenn Du kein Rückgrat hast.«

Er versuchte die Sache ins Lächerliche zu ziehen: »Als moderner Mensch darf man das heutzutage überhaupt nicht mehr haben. Die Wissenschaft wird sehr bald feststellen, daß man nicht nur ohne Blinddarm, sondern auch ohne Rückenwirbel ganz gut leben kann. Sieh Dich doch einmal um im lieben deutschen Vaterland – das doch jetzt auch Deine Heimat ist –, wer geht denn da noch aufrecht? Wer weiß, vielleicht kommt es noch einmal wieder dahin, daß wir wie in der Urzeit auf allen Vieren kriechen –«

In ihren Augen blitzte es stolz auf: »Ich krieche nicht mit – weder jetzt noch später! Das laß Dir gesagt sein. Niemand wird jemals von mir behaupten können, daß ich hochmütig bin. Dazu habe ich auch keine Veranlassung. Aber den Kopf trage ich trotzdem hoch, trotzdem! Oder gerade deshalb.«

Und um dem unerfreulichen Gespräch ein Ende zu machen, ging sie schnell hinaus.

Zähneknirschend sah ihr Mann ihr nach und suchte dann sein Zimmer auf. Das kam jetzt in der jungen Ehe schon öfter vor, daß sie des Abends, ein jeder für sich, allein saßen.

Ein unsteter und schwankender Charakter, war er im Grunde seines Herzens trotz einer zuweilen fast brutal aufwallenden Heftigkeit, grenzenlos gutmütig. Wenn er dann in seinem Zimmer saß und an seine Frau dachte, war sein Zorn meist nach wenigen Minuten verraucht, und sein Gedanke war stets: geh zu Thea, gib ihr einen Kuß und vertrag' dich wieder mit ihr!

Aber die Furcht, schwach zu erscheinen, hielt ihn zurück: ich darf nicht nachgeben, Thea muß einsehen, daß sie im Unrecht ist, sie muß sich nun einmal in die neuen Verhältnisse hineinfinden und sie muß begreifen, daß sie als Offiziersfrau nicht alles sagen kann, was sie will. Vor allen Dingen aber muß sie lernen, so zu denken, wie in unseren Kreisen nach alter Tradition gedacht wird. Nein, ich darf nicht nachgeben, unter keinen Umständen.

Und ebenso dachte Frau Thea. Sie weinte nicht, wie so manche andere junge Frau es wohl getan hätte, wenn sie des Abends allein saß. Sie schrieb keine Briefe nach Haus, in denen sie sich über ihren Mann beklagte und über ihr Leben beschwerte, sie haderte nicht mit sich und ihrem Geschick, sie war nur traurig. Aber auch da dachte sie weniger an sich, als an ihren Mann. Er tat ihr leid. Sie konnte sich in seine Denkungsweise, die er zur Schau trug, nicht hineinversetzen. Wie unglücklich mußte ein Mann sein, der nicht den Mut seiner Überzeugung hatte, der ihn nicht haben durfte!

Wenn sich auch im ersten Augenblick ihr Zorn stets gegen ihn richtete, so mußte sie dann doch immer bald zugeben, daß er im Grunde viel unschuldiger war, als sie es zuerst annahm. Auf keinen Menschen paßte das Wort: »ein jeder ist das Produkt seiner Geburt und seiner Erziehung!« so gut wie auf den preußischen Leutnant. Ein jeder wird nach dem Schema F erzogen, die gewaltsame Erstickung des Individualismus kommt dem Ganzen zu Gute, die Vernichtung der Individualität, die sich nicht nur auf die Männer, sondern auch auf die Damen des Regiments erstreckt!

Ihr Mann tat ihr dann aufrichtig leid. Gewiß: er war kein Genie, aber er war befähigter, als mancher andere. In einem anderen Berufe hätte etwas aus ihm werden können, sie hätte ihm geholfen, seinen Fleiß und seinen Ehrgeiz angefeuert, hier stagnierte alles. Er wollte sich auf die Kriegs-Akademie vorbereiten, aber das Gefühl: ich komme ja doch nicht hin! ließ ihn diesen Vorsatz nicht allzu ernst nehmen. Er hatte ihr erzählt, wie wenig Plätze für die Provinzen frei wären, und um jeden Platz bewürben sich hundert Offiziere. In der Lotterie das große Los zu gewinnen, sei tausendmal leichter, als diesen einen Sitz zu erwischen.

Und doch mußte er auf die Akademie, sie sah es ein, je länger sie darüber nachdachte. Hier verkam er ganz, hier ging alles Gute an ihm zu Grunde. Die Fähigkeiten, die er besaß, schliefen ein, er würde in seinen Auffassungen und Anschauungen immer kleinlicher und engherziger werden. Um seiner selbst willen mußte er einmal aus der Garnison heraus, den Blick weiten, mit anderen Menschen in Berührung kommen, lernen, daß es außer dem Leutnant auch noch Menschen gibt, begreifen, daß Industrie und Handel, Kunst und Wissenschaft in der Welt auch eine bedeutende Rolle spielen – –

Und auch um ihrer selbst willen wünschte sie, daß ihr Mann nach Berlin käme. Sie war schon jetzt manchmal der Verzweiflung nahe. Diese ewigen Kinder- und Dienstbotengeschichten, der beständige Klatsch, das Hineinmischen in die Angelegenheiten anderer, das Aufbauschen der geringsten Bagatelle zu einer Staats-Aktion, – das alles war ihr mehr als gräßlich.

Die einzige Dame, mit der sie sich verstand, war Frau von Eckern. Aber der Rangunterschied machte einen intimen Verkehr unmöglich. Und sie wollte nicht in den Verdacht kommen, um die Gunst der Frau Oberst zu werben, sich bei der einzuschmeicheln und dadurch den Anschein zu erwecken, als verfolge sie private Interessen. Und das hinderte sie auch, Elsbeth von Rockhausen so häufig bei sich zu sehen, wie sie es sich wohl wünschte, denn auch diese war ihr in jeder Hinsicht äußerst sympathisch und sie wußte, daß auch sie dem jungen Mädchen sehr gefiel. Aber so gerne Elsbeth auch zu ihr kam, das Verhältnis, in dem sie selbst zu der Mutter des jungen Mädchens stand, ließ doch zuweilen bei einem Zusammensein eine gewisse Verlegenheit aufkommen.

Frau Thea versuchte oft, ihr Urteil über die anderen Damen zu ändern. Sie schalt sich ungerecht, voreingenommen und verbittert, aber ihre Ansicht blieb trotz alledem die gleiche. Gewiß waren vortreffliche Frauen unter ihnen, Frauen, die mit den vorhandenen, oft recht bescheidenen Mitteln den Haushalt sehr gut leiteten, die ihren Männern die besten Gattinnen, ihren Kindern die besten Mütter waren. Aber der Militarismus hatte alle anderen Interessen in ihnen getötet. Die Angst um die Existenz ihrer Männer ließ sie ihres Leben nicht froh werden. Wie die Herren selbst, sprachen auch sie fortwährend von den bevorstehenden Besichtigungen. Das Wort: »Exzellenz kommt!« ließ auch sie zusammenfahren. Nicht nur aus Liebe zu ihren Männern, auch aus Egoismus. Sie wollten avanzieren, Karriere machen, Exzellenz oder wenigstens Kommandeuse werden. Sie dachten immer nur an die Zukunft, von der sie sich alles versprachen, und genossen daher niemals den Augenblick. »Wenn mein Mann erst Hauptmann ist, – wenn wir erst Major sind –« das waren ständige Redensarten. Aber für die Beteiligten selbst waren es keine leeren Worte, dann erst kam für sie das Glück. Und sie machten sich garnicht klar, daß sie dann wieder sagen würden: »wenn wir erst die und die Charge erreicht haben –!« Die Frauen wurden in dem Gedanken an die Zukunft alt, ohne von der Gegenwart und von ihrer Jugend etwas zu haben.

Und ihr Interesse für alles, was außerhalb der engen Grenzen des Militärs lag, schwand immer mehr dahin. Man ging wohl ins Theater, man las die neuesten Bücher aus der Leih-Bibliothek, und zuweilen fing man auch an, sich darüber zu unterhalten. Aber meistens beschränkte sich dieses Kunstgespräch nur auf die Frage: »Haben Sie dies oder jenes gelesen?« Und wer nicht dem Urteil der Allgemeinheit beistimmte, der war gerichtet! Und nun erst, wenn man es – wie Frau Thea – wagte, die modernen und die modernsten Dichter anzuerkennen. Über die wurde in moralischer Hinsicht der Stab gebrochen. Mit der konnte man wirklich nur über die banalsten Sachen sprechen, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, durch das, was die andere sagte, selbst mit kompromittiert zu werden!

Frau Thea fürchtete manchmal in dieser Atmosphäre zu ersticken. Sie war kaum ein viertel Jahr hier, aber sie hatte in dieser kurzen Zeit ihre neue Umgebung zur Genüge kennen gelernt. Sie glaubte nicht an das Wort ihres Mannes: Du wirst Dich mit der Zeit schon einleben. Sie wußte nur zu genau, daß die Spannung zwischen ihr und den anderen Damen immer größer werden würde. Noch ließ man eine gewisse Nachsicht und eine oft tötlich verletzende Rücksichtnahme walten: »Sie sind ja noch so jung, meine Liebe, Sie kommen aus dem Auslande, Sie müssen sich erst akklimatisieren, sich in die neuen Verhältnisse hineinfinden –«

Aber vor dieser geistigen Akklimatisation – denn nur diese war mit den Worten gemeint – graute ihr! Sie wollte geistig nicht auf dasselbe Niveau sinken, auf dem die anderen standen, sie wollte sich ihre Eigenart bewahren.

Sie sah sich um in ihrem behaglich eingerichteten, kleinen Boudoir, wie hübsch war alles! So vieles hatte sie aus dem Elternhaus mitbekommen, um sich in ihrem neuen Heim gleich wie zu Hause zu fühlen, da waren die Bilder, die sie in ihrer Jugend liebgewonnen, die schwedischen Holzschnitzereien, die Thorwaldsenschen Figuren und tausend andere Sachen. Es war so hübsch und so behaglich bei ihr. Und doch fehlte das Glück. Ein paar Stuben von ihr entfernt saß ihr Mann, verärgert und grollend, und sie selbst saß hier allein, traurig und verzagt.

Und wie sie heute hier saß, würde sie noch oft so sitzen, wenn sie nicht nachgab, wenn sie nicht offen erklärte: »Ich will mir in Zukunft alles gefallen lassen – ich will nichts mehr sagen, was irgendwie von der Meinung der anderen abweicht, ich will die Garde als eine höhere, wenn Du willst: sogar als eine Art göttliche Institution anerkennen, ich will die Tradition als heilig gelten lassen, ich will alles tun, was ich soll, ich will ein Herdenschaf werden, wie die anderen, ich will keinen anderen Gedanken haben als den: ob Du schon in zwei Jahren Hauptmann wirst, oder erst in drei? – Ich will mit Dir täglich zusammen Deine Vorderleute zählen und ihnen, ebenso wie Du, zwar alles Gute, aber doch eine baldige schmerzlose Verabschiedung wünschen. Ich will mich fortan für die Kindergespräche der Frau Hauptmann und für die Haushaltungs-Unterhaltungen der Frau Major interessieren – ich will aufhören, ›ich‹ zu sein.«

Nur auf dieser Basis war ein dauernder Friede möglich, und nur dann würde das Glück wieder bei ihnen einkehren – dasselbe Glück, das sie in den ersten Wochen der Ehe genossen und von dem sie geglaubt hatte, es würde sie nie wieder verlassen.

Sie schloß die Augen, sie glaubte die zärtlichen Küsse und Liebkosungen ihres Mannes zu fühlen, begehrend hielt sie ihm die Lippen entgegen, ihr Körper streckte und dehnte sich, sie wollte die Arme um seinen Hals schlingen und ihn an sich ziehen – – sie war allein.

Ihre Leidenschaft war erwacht, sie sehnte sich nach ihm und den Beweisen seiner Liebe, denn er mußte sie doch noch lieben – sie war ja jung und schön, und wie kurz waren sie erst verheiratet.

Sie richtete sich halb auf, sie wollte zu ihm gehen, ihm sagen: »Komm, sei artig!« Und sie wollte sich von ihm in die Arme nehmen lassen und alles vergessen – – sie wollte glücklich sein!

Schon sprang sie auf und wandte sich zur Tür. Aber plötzlich blieb sie wieder stehen: sie wußte, wenn sie jetzt zu ihrem Mann ging, Liebe heischend und Liebe begehrend, dann würde sie gezwungen oder freiwillig ein Versprechen geben, das sie nie würde halten können, – ohne daran zu Grunde zu gehen.

Alles wollte sie dem Mann geben, den sie aus Liebe geheiratet hatte und den sie auch heute noch liebte, zu jedem Entgegenkommen war sie bereit, ihr Leben würde sie für ihn opfern, wenn sie ihn dadurch retten könnte, – aber ihre Persönlichkeit durfte sie nicht aufgeben, wenn sie sich nicht selbst verachten wollte.

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