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III.

Frau von Gillberg lag in ihrem entzückend eingerichteten Boudoir in einem japanischen Kimono auf der Chaiselongue, ihr seidenes Taschentuch immer aufs neue zwischen den kleinen Fäusten ballend, und stieß so erregt mit den Füßen in die Luft, daß die kleinen Lackpantoffeln jeden Augenblick auf den Teppich fielen. Mit unermüdlicher Geduld hob ihr Mann sie jedesmal wieder auf und zog sie ihr über die Füße, von Zeit zu Zeit küßte er auch die rosige Haut, die zwischen den seidenen Maschen der Strümpfe hervorsah, aber Frau Thea dankte ihm weder seine Aufmerksamkeiten, noch den Versuch, ihr immer aufs neue seine Liebe zu beweisen. Wie ein eigensinniges Kind wiederholte sie nun schon seit einer halben Stunde mit allen Anzeichen der höchsten Erregung: »Ich gehe nach Kjöbenhavn zurück – ich gehe nach Kjöbenhavn zurück!«

»Aber Thea, das geht doch nicht,« widersprach er ihr nun schon wenigstens zwanzigmal, »ich bin Offizier – und Du bist meine Frau.«

»Gewiß. Aber ich bin auch nur Deine Frau, und mit Ausnahme von Dir hat sich kein Mensch um das zu kümmern, was ich tue – oder was ich nicht tue! Und wenn Du Deine Vorgesetzten anerkennen und ihnen gehorchen mußt, schön, dann tue es. Aber ich als Deine Frau erkenne keine Vorgesetzten an – weder die Frau Deines Hauptmanns, noch die Deines Majors! Die am allerwenigsten! Die sollte lieber ihren Mann und ihr Kind glücklich machen, anstatt sich um Sachen zu kümmern, die sie garnicht – aber auch garnicht! angehen.«

»Aber Thea – das war doch nicht so böse gemeint.«

»Nicht so böse?« Sie richtete sich halb auf, während sie zugleich wieder einen ihrer Pantoffeln in die Ecke schleuderte und ihren Mann groß ansah. »Du hättest nur die giftgrünen Augen sehen sollen, als sie mir in ihrer scheinheiligen Freundlichkeit sagte: »Meine Liebe – ich hätte es als junge Leutnantsfrau nie gewagt, eine so glänzende Toilette anzulegen – schon mit Rücksicht auf die anderen Damen des Regiments nicht, deren Vermögen vielleicht nicht erlaubt, es mir gleichzutun. Je einfacher eine Leutnantsfrau sich anzieht, je mehr sie bei ihrer eigenen Toilette Rücksicht nimmt auf die der anderen Damen, umso besser ist es für sie selbst.« – – Na, wie Du darin eine Freundlichkeit erblicken willst, das verstehe ich nicht!«

Ihr Mann wußte nicht recht, was er antworten sollte.

»Zwischen einer Freundlichkeit und einer Boshaftigkeit ist aber doch noch ein Unterschied,« meinte er endlich.

Sie hatte sich auf der Chaiselongue wieder hintenüber geworfen: »Sag', was Du willst. Ich bleibe bei meiner Ansicht. Ich bin Deine Frau, einzig und allein! Was heißt das: Leutnantsfrau, Hauptmannsfrau, Majorsfrau – und was es sonst noch alles gibt! Das verstehe ich nicht, werde es auch nie verstehen, und wie die Frau von Rockhausen oder die »Frau Major«, wie Du sie wohl nennst, dazu kommt, mir zu erklären, ich wäre neulich abend bei Frau von Eckern viel zu elegant angezogen gewesen, das wäre nicht nur ihr, sondern auch allen anderen Damen aufgefallen – wie diese Frau dazu kommt, so zu mir zu sprechen, woher sie überhaupt den Mut nimmt, mir so etwas zu sagen, das werde ich bis an mein Lebensende nicht begreifen! Dazu bin ich zu dumm – viel zu dumm. Und weil ich für Euch nicht klug genug bin, gehe ich nach Kjöbenhavn zurück. – Du hast mir einmal erzählt: in Eurer Armee stände jeder durch die Willkür und die Macht der Vorgesetzten auf so schwachen Füßen, daß er nie wisse, ob er am nächsten Tag noch aktiv sei. Da bekommst Du hoffentlich bald Deinen Abschied – ich warte in Kjöbenhavn auf Dich.«

»Aber Thea, red doch keinen Unsinn,« sagte er, über ihre Schlußfolgerung, wenn auch gegen seinen Willen, etwas belustigt.

»Ich rede keinen Unsinn,« widersprach sie lebhaft. »Wenn zu Dir der Major gekommen wäre und Dir erklärt hätte: Herr Leutnant, Ihre Lackstiefel waren neulich abend noch blanker und eleganter als die meinen, für die Zukunft verbitte ich mir so etwas, dann hättest Du doch den Mann gefordert oder ihn für verrückt gehalten.«

»Halte meinetwegen Frau von Rockhausen auch für verrückt.«

»Das tue ich schon lange. Aber mit Verrückten verkehre ich nicht – aber verkehren muß ich ja mit ihnen, das hast Du mir klar bewiesen – folglich gibt es nur einen Ausweg: ich gehe nach Kjöbenhavn zurück –« und auch der zweite Pantoffel flog in die Ecke.

Dieses Mal aber ließ er sie liegen. Er erhob sich von der Chaiselongue, auf deren Fußende er bis jetzt gesessen hatte, und ging erregt im Zimmer auf und ab.

»Mit Dir ist heute wirklich nicht zu reden.«

»Mit Dir auch nicht. – Aber bitte, gib mir die Pantoffeln – meine Füße frieren sonst.«

Ärgerlich hob er sie auf: »Nun behalt sie aber, bitte, an. Auf die Dauer wird es wirklich langweilig, sie immer aufzuheben.«

Da lagen sie schon wieder in der Ecke. Und zwar beide zugleich.

»Du bist ein unartiges Kind, Thea.«

»Und Du ein ganz unhöflicher Mann! Ein richtiger deutscher Brummbär! Gib mir die Pantoffeln!«

»Nein.«

»Dann nicht!« Gelassen lehnte sie sich in die Kissen zurück: »Wenn Du mich ärgern willst, so gelingt Dir das nicht, dazu habe ich Dich viel zu lieb. Über Dich will ich mich überhaupt niemals ärgern – niemals, verstehst Du?«

Nun war er doch entwaffnet und zog ihr die Pantoffeln wieder über die kleinen Füße. Und dieses Mal behielt sie sie auch an.

»Gib mir einen Kuß, Du Scheusal,« bat sie, und leidenschaftlich schlang sie die Arme um seinen Hals, als er sich über sie beugte.

Aber wenn er geglaubt hatte, daß sie ihren Ärger und Verdruß nun überwunden hätte, dann irrte er sich sehr. Mit der den Frauen eigenen Hartnäckigkeit kam sie gleich wieder auf das alte Thema zurück.

Und abermals ging er erregt im Zimmer auf und ab.

Wenn sie an jenem Abend doch nur nicht dieses verwünschte Kleid getragen hätte! Er liebte sie in der Toilette, keine andere stand ihr auch nur annähernd so gut – er hatte sich den ganzen Abend im stillen über sie gefreut, glückselig die bewundernden Ausrufe der Kameraden mit angehört, ja, noch mehr: er hatte sich sogar über die neidischen Blicke gefreut, mit denen einige Damen des Regiments seine Frau musterten. Er war so stolz auf seine Thea gewesen – und nun verwünschte er die elegante Robe bis in die entferntesten Gegenden des Weltalls! Da konnte sie seinetwegen bis zum Weltuntergang liegen bleiben und verschimmeln, denn anziehen würde seine Frau das Kleid nie wieder – dafür wollte er schon sorgen. Erbitterte Kämpfe würde das noch kosten, das sah er voraus. Aber er mußte Sieger bleiben.

Wenn seine Frau geahnt hätte, daß auch er wegen des unglücklichen Kleides Ärger gehabt hatte! Der Major hatte sich bei ihm nach dem Befinden seiner Gattin erkundigt, dann aber im weiteren Verlauf des anscheinend ganz kameradschaftlichen Gespräches darauf hingewiesen, daß es sich für einen jungen Leutnant nicht schicke, seine Frau in solchen Toiletten auf Gesellschaften zu führen – das mache bei den anderen weniger bemittelten Damen böses Blut – jeder müsse sich nach seiner Decke strecken – und der Reiche dürfe im Interesse der Allgemeinheit die Decke nicht zu weit strecken, sondern müsse an das Wort des Kaisers denken: je mehr Luxus und Wohlleben um sich greifen, desto mehr muß der Offizier an der alten preußischen Einfachheit festhalten! Gerade in der heutigen Zeit, in der durch den langen Frieden nur zu leicht eine gewisse Sorglosigkeit und Leichtlebigkeit sich der Gemüter bemächtige, in der auch die Offiziere nur zu leicht in Versuchung kämen, der täglich an sie herantretenden Verführung zu unterliegen! – –

Er war so verwirrt, so konsterniert gewesen, daß er kein Wort der Entgegnung gefunden hatte, er erkannte auch seinen Major kaum wieder, der sonst die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit selbst gegen ihn wie gegen alle anderen Offiziere war. Sicher war dieser Aussprache eine entsetzliche Szene im Hause des Majors vorangegangen! Der hatte vielleicht, um wenigstens für vierundzwanzig Stunden einmal Ruhe zu haben, schwören müssen, ihm Vorstellungen zu machen, und hielt nun sein Wort, wenn auch schweren Herzens – –

Anders konnte Gillberg sich den Zusammenhang garnicht erklären, und der freundliche Händedruck, mit dem der Vorgesetzte ihn endlich entließ, dessen Bitte, ihn seiner schönen und liebenswürdigen Frau Gemahlin bestens zu empfehlen, bewiesen ja deutlich genug, wie richtig seine Vermutung war.

Wenn seine Frau etwas von der Unterredung geahnt hätte, dann würde es ihm noch viel schwerer werden als so, sie zu beruhigen. Er begriff ja ihre Aufregung nur zu gut, er fühlte es ihr vollständig nach, daß dieser Eingriff der im Dienstrang ihres Mannes höherstehenden Dame in ihre privaten Rechte, sich anzuziehen wie sie wolle, sie auf das tötlichste verletzen mußte! Und Thea war noch dazu eine Ausländerin, die von dem preußischen Drill, von der preußischen, militärischen Verpflichtung, zu allen Reden der Vorgesetzten Ja und Amen zu sagen, noch weniger begriff, als manch andere junge Leutnantsfrau, die aus dem Stande der freien Kaufleute oder der reichen Finanziers hervorgeht.

Er selbst zitterte vor innerer Empörung, wenn er an die Aussprache des Majors dachte, und anstatt darüber zu schelten, mußte er versuchen, seiner Frau den Ärger auszureden.

»Morgen gehe ich hin und lasse mir ein noch viel, viel schöneres und noch viel eleganteres Kleid machen!« sagte Thea jetzt, die eine Weile schweigend dagelegen und nun anscheinend diesen Gedanken gefaßt hatte.

»Das wirst Du nicht tun, Thea« sagte er sehr bestimmt.

»Doch!« klang es ebenso fest zurück. »Papa hat mir gesagt: wenn ich einmal ein besonders teures Kleid brauche, dann soll ich es ihm nur schreiben – er bezahlt es sehr gerne, er ist glücklich, wenn er weiß, daß ich hübsch angezogen bin.«

»Aber Du brauchst es doch jetzt nicht!« rief er nervös.

»Doch,« widersprach sie unbeirrt. »Ich brauche es sogar ganz notwendig. Die anderen sollen sich totärgern – je schneller, desto besser, dann habe ich wenigstens vor ihnen Ruhe.«

Das klang so ernst, daß er gerade deshalb laut auflachte: »Mörderin,« rief er ihr neckend zu.

»Lieber morden, als selbst gemordet zu werden.«

Der Bursche erschien, um zu melden, daß es für den Herrn Leutnant Zeit sei, zum Nachmittagsdienst zu gehen.

Frau Thea machte ein ganz betrübtes Gesicht: »Ich hatte geglaubt, Du wärest heute nachmittag frei, weil Du Dich nicht wie sonst nach dem Frühstück ausgeruht hast.«

»Das hast Du ja heute für mich besorgt. Da Du nicht wie gewöhnlich bei mir saßest, mußte ich mich doch zu Dir setzen.«

Sie wurde verlegen: »Verzeih,« bat sie, »vor lauter Ärger dachte ich nicht daran, daß Du müde sein würdest.«

Er küßte sie auf den Mund: »Ich bin nicht müde. Aber nun muß ich fort. Um fünf – wie immer – essen wir. Aber richte Dich darauf ein, vielleicht bringe ich ein paar Gäste mit.«

Sie durchschaute ihn, er wollte sie durch den Besuch auf andere Gedanken bringen, eine nochmalige Aussprache über den Verdruß, den sie gehabt hatte, vermeiden.

»Aber nach Kjöbenhavn gehe ich doch!« rief sie ihm nach.

»Und das neue Kleid läßt Du Dir auch noch vorher machen,« rief er, schon in der Tür stehend, lustig zurück, dann ging er, um pünktlich zum Dienst zu kommen.

Frau Thea hatte heute morgen von all den Aufregungen des gestrigen Tages so rasende Kopfschmerzen gehabt, daß sie eigentlich garnicht aufstehen wollte. Nur um ihren Mann beim zweiten Frühstück nicht allein zu lassen, hatte sie sich doch erhoben, aber keine Toilette gemacht, sondern nur den Kimono übergeworfen. Jetzt aber beeilte sie sich mit dem Ankleiden. Der Entschluß, die neue Toilette sofort, und zwar augenblicklich zu bestellen, stand bei ihr fest. Sie warf einen Blick auf die Uhr, es war gleich zwei, da hatte sie garnicht mehr viel Zeit, wollte sie pünktlich wieder zu Hause sein und sich noch vorher etwas in der Küche umsehen. Alles in allem blieben ihr kaum noch drei Stunden. Es war ihr nicht ganz klar, ob sie bis dahin überhaupt würde fertig werden können, denn was gab es nicht bei einer Toilette, wie sie sie sich ausgedacht hatte, zu besprechen! Ihr guter Vater würde Augen machen, wenn er die Rechnung sah! Und ihr Mann würde staunen, wenn er sie zum erstenmal in der Robe bewundern konnte! Und die anderen, die sollten sich totärgern, ganz tot!

Als sie gegen ein halb fünf aus der Stadt zurückkam, fand sie einen Zettel ihres Mannes vor: er brächte Dörmann, Bernburg und den Fähnrich von seiner Kompagnie mit zu Tisch – sie möchte drei Kuverts mehr auflegen.

Frau Thea empfing ihren Mann und ihre Gäste in der strahlendsten Laune, denn das Kostüm, das man ihr im Modemagazin vorgeschlagen hatte, übertraf noch das, was sie sich ausgemalt hatte: »– es wird ein Gedicht werden, gnädige Frau – ein Gedicht von Seide, echten Spitzen, französischer Handstickerei – ein Gedicht, würdig von unserem größten Komponisten in Musik gesetzt zu werden!« Förmlich berauscht hatte sie diesen Worten gelauscht, und vor ihr hatte ein »Gelbstern« sich kokett in einem wunderbaren Pariser Modellkleid hin und her gedreht. Frau Thea begriff kaum, wie diese elegante Robe, die einer Großstadt würdig war, sich hierher hatte verirren können. Aber daß sie das Kleid nähme, stand sofort bei ihr fest.

Frau Thea strahlte, sie war bei Tisch so lustig und übermütig, daß ihr Mann sie kaum wiedererkannte. War das wirklich dieselbe Thea, die am Morgen auf der Chaiselongue gelegen und absolut nach Kjöbenhavn zurück gewollt hatte? Es lag ihm auf der Zunge, ihr mit einem Wort dafür zu danken, daß sie so schnell wieder vernünftig geworden sei, aber er unterließ es. Je weniger er das alte Thema berührte, umso besser.

Das einzige, was Frau Thea abhielt, noch lustiger, noch ausgelassener zu sein, war der Schwur, den sie sich selbst geleistet hatte: ihren Mann durch die neue Toilette zu überraschen! Mit keinem Wort wollte sie ihm verraten, wie schön sie würde, sie wollte überhaupt bis dahin nicht mehr von dem Kleide sprechen – nicht aus Angst vor ihm, nicht aus Furcht, daß er schelten würde – er war ja doch sofort wieder artig, wenn sie nur darum bat – nein, sie wollte auch ihm die Freude nicht rauben, er sollte völlig überrascht sein!

Aber schwer war es doch, nicht davon zu sprechen, sehr schwer!

Ebenso wie Frau Thea waren die Herren in ausgelassener Stimmung. Völlig überraschend hatte das Regiment die Nachricht erhalten, daß es in einigen Wochen aus Anlaß des fünfundzwanzigjährigen Regierungs-Jubiläums Sr. Hoheit des Fürsten Bernhard, dessen Namenszug, und wenn auch nicht die Gardelitzen, so doch eine Goldstickerei am Kragen erhalten würde. Von der Linie avancierte man zu den Grenadieren, war also beinahe Garde. Man wollte dem Fürsten damit eine Freude machen, daß man ihm ein Regiment verlieh und die Truppe wollte man dadurch anspornen, noch mehr als bisher die soldatischen Tugenden zu pflegen und zu fördern. Die Beziehungen, die man zu dem Fürsten selbst hatte, waren allerdings nur sehr lose. Das Regiment stand nicht in seinem Land, aber der Fürst besaß in der Nähe der Garnison ein ausgedehntes Jagdgebiet, das er alljährlich auf längere Zeit besuchte. Er pflegte dann stets die Herren des Regiments zu seinen Jagden einzuladen und hatte auch regelmäßig ein paar Mal im Offizier-Kasino gespeist. Das waren die ganzen Beziehungen, die zwischen dem Fürsten und der Truppe zu finden waren, aber das schadete ja nichts. Warum man beinahe Garde wurde, konnte allen ganz gleichgültig sein, die Hauptsache war: daß man es wurde.

Die Herren sprachen schließlich garnichts anderes, und ganz verwundert hörte Frau Thea zu, sie begriff nicht, wie das die Herren so beschäftigen konnte.

»Worin besteht denn eigentlich diese Auszeichnung?« fragte sie endlich. »Wie können ernste und erwachsene Männer sich nur darüber freuen, daß sie in Zukunft auf den Achselstücken anstatt einer Nummer einen Namenszug tragen, daß sie am Kragen und an den Rockaufschlägen Stickereien bekommen? Ist die Garde denn so viel besser als die Linie? Und vor allen Dingen: warum ist die Garde besser? Hat sie in den letzten Kriegen vor dem Feinde erfolgreicher gekämpft als Ihr? Dann solltet Ihr Euch schämen.«

»Erlaube 'mal, Thea,« rief ihr Mann.

»Gnädige Frau, gestatten Sie,« nahm Bernburg das Wort, »da muß ich das Regiment sehr in Schutz nehmen, – wir haben anno 70 an sechs großen Schlachten teilgenommen, von den kleinen Gefechten ganz abgesehen. Wir haben einmal an einem Tage genau die Hälfte unserer Offiziere, genau ein Drittel unserer Mannschaften verloren, unsere Feldzeichen haben uns stets zum Siege geführt – und Seine Majestät hat den Fahnen deshalb auch das eiserne Kreuz verliehen, der beste Beweis dafür, daß sie stets im dichtesten Kugelregen waren und dort mutig ausgehalten haben. Nein, gnädige Frau, in der Hinsicht nehmen wir es mit jedem Regiment auf, aber auch mit jedem.«

»Auch ohne daß Sie mir das sagten, habe ich es mir gedacht. Vieles wußte ich ja auch schon so, denn zu den Büchern, die ich hier habe lesen müssen, gehörte natürlich auch Ihre Regimentsgeschichte. – Nein, wirklich!« fuhr sie fort, als die anderen Herren lachten. – »Fritz behauptete, eine Dame, die einen Offizier heirate, müsse in der Geschichte seines Regiments ebenso Bescheid wissen, wie in der Familie ihres Mannes.«

»Schaden kann's wenigstens nichts,« verteidigte Gillberg sich, der bei dem Gelächter der anderen etwas verlegen wurde, »besonders nicht, da meine Frau Ausländerin ist. Aber Sie können sich beruhigen: viel hat die Lektüre meiner Frau nicht genützt. Das Wenige, das sie behielt, hat sie inzwischen lange wieder vergessen.«

»Gott sei Dank!« stimmte Frau Thea ihm bei. »Vielleicht liegt es aber auch daran, daß das Buch so jeder Beschreibung spottend langweilig ist. Schriftsteller von Beruf scheinen die Herren nicht zu sein, die diese Geschichten schreiben!«

»Um Gotteswillen, gnädige Frau – sagen Sie das nicht laut!« rief Dörmann. »Wenn der Major von Rockhausen das hört, der das Buch auf Befehl der Brigade vor zwei Jahren neu bearbeitete, dann nimmt er Ihnen das rasend übel. Er ist wirklich sonst ein Vorgesetzter, an dem selbst ich verhältnismäßig wenig auszusetzen habe, wobei ich es allerdings dahingestellt sein lasse, ob das ein Beweis für seine Tugenden oder nur ein Beweis dafür ist, daß selbst meine Augen zuweilen doch nicht ganz zuverlässig sind – – aber, wie gesagt: lassen Sie das dem Major nicht hören. Der ist auf sein Buch viel stolzer, als Schiller und Goethe auf ihre gesammelten Werke.«

»Kinder, tut mir den einzigen Gefallen und nennt den Namen ›Rockhausen‹ hier heute nicht,« bat der Hausherr, »das warum nicht? erzähle ich Euch ein ander Mal.«

»Meinetwegen kannst Du es gleich erzählen – sonst tue ich es,« rief Frau Thea.

»Bitte nicht, Thea! – Verdirb mir wenigstens jetzt die Stimmung nicht, freu' Dich lieber mit uns, daß wir beinahe Garde werden.«

»Gewiß, sehr gerne. Aber erst muß ich wissen, warum ich mich deshalb freuen soll –«

»Aber Thea –,« »aber gnädige Frau –,« »das bedarf doch erst gar keiner Erklärung,« riefen die Herren durcheinander, – »das ist doch ganz selbstverständlich!«

»Selbstverständlich ist für mich garnichts, – ich will Beweise oder wenigstens Gründe. Wer von Ihnen will mir die nennen?«

»Ich – ich – ich,« riefen alle gleichzeitig, bis Bernburg endlich meinte: »Sehen Sie 'mal, gnädige Frau, unsere Garde hat nun doch 'mal den Ruf, unser vornehmster Truppenteil zu sein.«

»Warum hat sie den Ruf?«

»Warum?« Bernburg sah sie ganz erstaunt an. »Aber das ist doch sehr einfach – zunächst steht sie in Berlin in Garnison – in der allernächsten Nähe Sr. Majestät des Kaisers. Die Königlichen Prinzen dienen in den Garde-Regimentern, und auch viele andere Prinzen, Träger berühmter Namen –«

»Bis sie in Berlin Dummheiten machen und in andere Garnisonen oder zur Schutztruppe abkommandiert werden.«

»Aber das hat doch mit dem Wert der Garde nichts zu tun,« warf ihr Mann erregt ein. Und Dörmann meinte: »Gnädige Frau scheinen mir heute sehr kampfesmutig zu sein – na, nur ein wahres Glück, daß wir jungen Mädchen hier sozusagen unter uns sind –«

»Aber Garde bleibt trotzdem Garde, gnädige Frau,« fuhr Bernburg fort. »Schon der ganze Ton, der dort bei den Regimentern herrscht, ist ein ganz anderer, als bei der Linie. Das hat seine Ursache nicht zuletzt in der Zusammensetzung der Offizier-Korps. Wenn Sie einen Blick in die Rangliste werfen, werden Sie sehen, daß man dort nur die vornehmsten Namen findet – Prinzen, Fürsten, Grafen, Barone – nur Adel, wirklich, echter, wahrer Adel!«

»In der letzten Zeit aber auch Geldadel,« warf Dörmann ein. »Täuschen wir uns darüber nicht, lieber Freund – es ist nicht alles Gold, was glänzt, – – ich hab' da neulich 'mal irgendwo einen Artikel gelesen, in dem stand geschrieben, daß jetzt auch die reichen Nachkommen einst jüdischer Familien bei der Garde stehen, schon deshalb, weil der wirkliche Adel nicht immer die nötigen Dukaten hat. Voraussetzung bei diesem Garde-Nachwuchs ist natürlich, daß wenigstens der Vater schon Christ war und als solcher geadelt wurde. Na, und die nötigen Moneten muß man natürlich auch haben, wenn man bei der Garde stehen will – namentlich bei der Garde-Kavallerie.«

Frau Thea zuckte die Achseln: »Wird in Deutschland wirklich der Wert eines Menschen nach der Anzahl seiner Ahnen oder nach dem Inhalt seines Geldschrankes berechnet? – Kann ein hervorragend tüchtiger Offizier wirklich nur deshalb nicht zur Garde kommen, weil er kein blaues Blut und nicht die nötigen blauen Scheine besitzt? Wenn die Garde eine Elite-Truppe sein will und auch sein soll, dann muß sie doch in erster Linie darauf sehen, solche Offiziere zu haben, die nicht einen glänzenden Namen tragen, sondern die glänzende Leistungen aufweisen.«

»Aber der Prinz von Dingsda kann doch ein ebenso guter Offizier sein wie der Leutnant Müller,« warf ihr Mann ein.

»Damit ist aber nicht gesagt, daß Leutnant Müller nicht zum mindesten dasselbe leistet, wie Seine Hoheit! Folglich hat auch er das Recht, zur Garde zu kommen, – und er kann es nur deshalb nicht, weil er bürgerlich ist. Das ist doch eine ungeheure Protektion des Adels – und ob die gerade im Interesse Eurer Armee gut ist, das kann ich nicht beurteilen, dazu verstehe ich viel zu wenig von militärischen Dingen.«

»Na, seien Sie friedlich, gnädige Frau,« meinte Dörmann. »Sie wissen gerade mehr als genug. Und wenn Ihr Gatte seinen Rekruten nur halb so viel beibrächte, wie Ihnen, dann würde er – wenn auch nicht gerade den Orden pour le mérite, so doch wenigstens eine lobende Anerkennung seitens des Herrn Oberst finden, – und das ist bei den schlechten Zeiten immerhin etwas. Sie gehen uns da mit einer Spitzfindigkeit zu Leibe, gegen die schwer anzukommen ist.«

Und Bernburg rief: »Was Sie da sagen, ist bis zu einem gewissen Grade alles richtig – und doch ist es falsch.«

»Inwiefern?« rief Frau Thea. Der lebhafte Disput hatte ihre Wangen gerötet und mit übermütig blitzenden Augen sah sie den Sprecher an. Sie merkte, daß die anderen doch etwas in die Enge getrieben waren, und das schmeichelte ihrem Stolz und ihrer Eitelkeit.

Bernburg trank erst umständlich sein Glas Wein leer, dann meinte er: »Ich sagte es vorhin schon, gnädige Frau: Die Garde hat nun einmal den Ruf, der vornehmste Truppenteil zu sein, und sie ist es auch. Das warum mathematisch beweisen zu können, ist ein Ding der Unmöglichkeit.«

»Na also,« rief Frau Thea, »da habe ich doch recht!«

Bernburg widersprach von neuem: »Nein, gnädige Frau, Sie irren! Es gibt Dinge, die sich nicht beweisen lassen – und die trotzdem unanfechtbar wahr sind.«

»Zum Beispiel die Weisheit der Vorgesetzten!« rief Dörmann dazwischen, der dem Gespräch scherzend eine andere Wendung zu geben versuchte. Was Frau Thea da sagte, fand selbst nicht seinen allerhöchsten Beifall. Er war gewiß die geborene Opposition, aber trotzdem: auch für ihn war die Garde nun einmal »Garde«. Und er hatte die Empfindung, daß Frau Thea um ihrer selbst willen besser täte, zu schweigen. Selbst er mit seinem anerkannt frechen Mundwerk konnte nicht immer alles sagen, was er meinte, und er hatte doch Gottlob ein dickes Fell, an dem die Grobheiten der andern abprallten, wie der Gummiball an der Wand. Aber Frau Thea war eine Dame, die würde unter dem Aufsehen, das ihre Worte, sobald die bekannt würden, hervorrufen konnten, sehr empfindlich leiden!

So hoffte er, das Gespräch auf etwas Anderes bringen zu können, und mit Freuden bemerkte er, daß alle über seine harmlose Bemerkung lachten. Dann aber rief Frau Thea: »Herr Leutnant, Sie sind ein schrecklicher Mensch – kann man denn garnicht ernsthaft mit Ihnen reden?« Und auch Bernburg bat: »Lassen Sie doch einmal für die nächsten fünf Minuten Ihre faulen Witze! Was die gnädige Frau da sagt, interessiert mich sehr. Vielleicht gelingt es mir doch, Sie zu überzeugen, gnädige Frau.«

Frau Thea sah ihn kampfeslustig an: »Da bin ich begierig.«

Bernburg dachte einen Augenblick nach: »So ganz einfach ist das nicht, gnädige Frau – denn ich habe in Ihnen einen sehr klugen Gegner.«

»Kinder, laßt doch das Streiten,« rief Gillberg, dem es mehr als unangenehm war, daß gerade in seinem Hause diese Frage erörtert wurde. Aber Thea und Bernburg widersprachen, und auch Dörmann stimmte ihnen zu: führte man das Gespräch jetzt nicht zu Ende, dann konnte das Frau Thea vielleicht erst recht schaden. Je offener man den Fall diskutierte, desto leichter konnte das Gespräch später als harmlos hingestellt werden. Wenn nur der Fähnrich nicht dabei gewesen wäre! So 'n Bengel kam ja eigentlich garnicht in Frage, der aß und trank beständig vor sich hin, ohne sich irgendwie an der Unterhaltung zu beteiligen – aber vielleicht redete er dafür hinterher desto mehr. Auf jeden Fall gelobte Dörmann sich, ihm auf dem Nachhausewege die nötigen Instruktionen für die Zukunft zu geben, und wenn er die nicht befolgte, dann konnte selbst der Himmel ihn nicht schützen – –

Bernburg hatte inzwischen über einen Angriffsplan nachgedacht. »Ich muß mich nochmals wiederholen, gnädige Frau. Ich möchte von dem ausgehen, was ich vorhin sagte: es gibt Dinge, an die wir glauben müssen, wenn wir sie auch nicht beweisen können. Das Kapitel der Religion wollen wir hier nicht weiter erörtern, auch da ist ja nichts zu beweisen.«

»Allerdings nicht,« unterbrach Frau Thea ihn, »denn die moderne Forschung hat schon lange an den Überlieferungen der Bibel gerüttelt. Lesen Sie die einschlägigen Werke? Was bleibt da noch von dem Gottessohn Christi übrig? Er war ein Menschensohn, wie jeder andere, nur als Mensch vollkommen, der Apostel der reinsten Liebe, eine Idealgestalt, wie wir sie auf Erden nicht wiederfinden. Und wer sich trotz alledem noch seinen Bibelglauben erhalten hat, der ist um seines Glaubens willen zu bewundern und – wenn der Glaube ihn glücklich macht – auch zu beneiden.«

Sie schwieg und verwundert sah sie die etwas verlegenen Gesichter der anderen: »Hätte ich das lieber nicht sagen sollen?« fragte sie kindlich naiv.

Ihr Mann warf ihr einen streng tadelnden Blick zu. Sie merkte, sie war unvorsichtig gewesen.

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann meinte Bernburg: »Lassen wir das Kapitel Religion ruhen, gnädige Frau, wie er da denkt und urteilt, muß jeder allein wissen. – Aber es gibt noch viele andere Dinge, deren Wahrheit unanfechtbar ist, aus dem einfachen, unwiderleglichen Grunde, weil sie auf Tradition beruhen. Und die ist ebenso heilig wie die Religion, auch an ihr darf man nicht rütteln, wenn nicht nur der einzelne, sondern wenn nicht auch der Staat in seiner Gesamtheit dadurch Schaden erleiden soll. Ich meine da das Gottesgnadentum unserer Fürsten, die Ausnahmestellung des Adels in der Armee und im Staate, die Wahrung unserer Ehre durch den Zweikampf, das Ansehen der Garde als Elite-Truppe – das Ansehen, das der Offizier schon um seines Rockes willen allein genießt – ich könnte die Zahl dieser Beispiele noch beliebig vermehren, aber diese wenigen werden schon genügen, um mir Recht zu geben. Die Notwendigkeit ihres Bestehens ist nicht zu beweisen. Und doch muß alles so sein, sonst gingen wir zu Grunde.«

»Na, gnädige Frau, was sagen Sie nun?« rief Dörmann, als Bernburg schwieg. »Wenn Sie nun nicht – wie man es poetisch so hübsch ausdrückt: einfach platt auf Ihren kleinen Mund geschlagen sind, dann gebe ich Bernburg den guten Rat, in ein Kloster zu gehen, – da hat er seinen Beruf als Wander-Prediger verfehlt.«

Aber Frau Thea dachte nicht daran, überzeugt zu sein.

»Warum muß das alles so sein?!« rief sie lebhaft. »Warum müssen die Könige von Gottes Gnaden stammen? Früher wurden die doch auch vom Volke gewählt oder setzten sich selbst die Krone auf? War Napoleon, weil er sich selbst zum Kaiser machte, vielleicht kein Genie? Nicht tausendmal tüchtiger, als mancher Fürst von Gottesgnaden, der womöglich mit einem körperlichen oder gar geistigen Leiden krank zur Welt kommt? Warum muß der Adel bevorzugt werden, leistet er eo ipso mehr als der Bürgerstand? Ich könnte Ihnen jede Ihrer Behauptungen widerlegen – denn eine Tradition kann man heutzutage nicht mehr als richtig anerkenne. Ich möchte sogar sagen: traurig genug, daß man aus Bequemlichkeit oder aus anderen Gründen die Tradition nicht als altes Eisen in die Rumpelkammer wirft. Genau wie früher halten wir die Aufklärung dem Volk – ja, noch mehr! – wir halten sie uns selbst fern! Wir wollen nicht sehen, nicht sehen lernen! Auf dem Pfade der Tradition tappen wir im Dunkeln dahin, den Weg kennen wir genau, wir wollen gar kein Licht. Und wenn trotzdem einmal vor oder neben uns ein heller Schein aufflammt, dann wenden wir den Kopf zur Seite. Denn wir wollen nicht nur nicht sehen, wir dürfen auch nicht sehen. Denn die Tradition ist heilig – an der darf nicht gerüttelt werden. Daß wir festhalten an dem alten ist tausendmal wichtiger, als daß wir mit der Zeit fortschreiten, daß wir es verstehen, sie zu begreifen. In der Hinsicht könnten wir uns wirklich an den Sozialdemokraten ein Beispiel nehmen, deren Führer es für ihre heiligste Pflicht halten, ihre Anhänger aufzuklären. Wir denken über vieles noch genau so, wie vor zweihundert Jahren, und werden nach zweihundert Jahren noch ebenso denken, wenn bis dahin nicht irgendwelche äußeren Umstände uns zwingen, zu lernen und zu sehen!«

»Bist Du nun endlich fertig mit Deiner Weisheit?« fragte erregt ihr Mann, der sich nur schwer hatte beherrschen können, sie nicht zu unterbrechen, »dann können wir wohl aufstehen. Gesegnete Mahlzeit!« Und heftig stieß er den Stuhl auf den Boden.

Nicht wie sonst küßte er seine Frau nach Tisch, sondern er reichte ihr nur flüchtig die Hand, und sie sah, daß auch das nur mit Rücksicht auf die anderen Gäste geschah.

»Was hast Du denn nur?« fragte sie leise. »– Ich habe doch garnichts von Rockhausens erzählt?«

»Laß doch den Unsinn,« erwiderte er heftig, und sich zu seinen Gästen wendend, bat er: »Kommt, bitte, mit in mein Zimmer, wir wollen dort rauchen – nicht wahr, Thea, Du läßt uns den Kaffee dorthin schicken?«

Sie gab dem Burschen den nötigen Auftrag und schickte sich dann an, den Herren zu folgen, um bei ihnen ihre Zigarette zu rauchen.

»Ich bitte Dich – laß uns allein – ich werde genug zu tun haben, die anderen wieder zu beruhigen –«

Ganz verständnislos sah Frau Thea ihm nach, als er jetzt zur Tür hinausging.

»Was hat er denn nur?« – fragte sie sich, »er kann doch nicht böse sein, daß ich in dem Namenszug nicht eine so hohe Auszeichnung erblicke, oder daß ich an die alten Traditionen ebenso wenig mehr glaube wie an die anderen Märchen aus meiner Jugend –? Na, er wird schon nachher wieder artig sein –«

Sie suchte ihr Zimmer auf und dachte bald garnicht mehr an seine Verstimmung, die sie garnicht ernst nahm. Ja, sie sah ihn höchst erstaunt an, als er zwei Stunden später, als die Gäste gegangen waren, ganz erregt zu ihr kam.

»Was hast Du denn nur?!«

»Was ich habe?« fuhr er sie an. »Ja – wenn Du das selbst nicht weißt, hat es kaum einen Zweck, es Dir zu sagen! – Ich frage Dich, Thea, wie ist es möglich, daß eine so kluge und vernünftige Frau, wie Du es bist, solche Reden führen kann – noch dazu in Gegenwart Dritter! Du erkennst keinen Gott an – Du erkennst keine Garde an –«

»Ist diese Zusammenstellung eine Gotteslästerung oder eine Verhimmelung der Garde?« fragte sie ihn neckend.

»Laß Deine schlechten Witze,« brauste er auf. »Dazu ist diese Stunde wirklich nicht geeignet. – Was Du vorhin gesagt hast, ist vielleicht morgen schon in der Stadt bekannt – und kein Mensch wird Dich begreifen. Wie kannst Du nur erklären: Du glaubst an keinen Gott?«

»Bitte sehr – ich habe nur den sogenannten Bibelglauben verworfen.«

»Das sind doch Wortfechtereien, mit denen Du Dich herauszureden versuchst.«

Sie sah ihn stolz an: »Hältst Du mich für so feige, daß ich nicht vor allen anderen wiederhole, was ich sagte? Und im übrigen, Fritz – Hand aufs Herz: ist denn Dein Gottesglaube so groß? Soll ich Dich an den letzten Sonntag erinnern? Wie hast Du da gescholten und sogar geflucht, daß Du für einen beurlaubten Kameraden zur Kirche kommandiert wurdest, obgleich Du erst am Sonntag vorher dort warest –«

»Das hat doch mit dem Glauben nichts zu tun – und glauben kannst Du meinetwegen, was Du willst. Du kannst über Gott, über die Garde, über alte Traditionen, Sozialdemokraten und Freisinn und was Ihr sonst noch alles blödsinnigerweise erwähntet, denken, was Dir Spaß macht – aber sagen darfst Du es nicht. Und ich muß Dich dringend bitten, in Zukunft Deine Meinung für Dich zu behalten.«

»Und wenn ich das nun nicht tue?« fragte sie zornig werdend. »Überleg' Dir bitte, was Du da sagst. Ich bilde mir ein, keine Puppe zu sein, sondern ein vernunftbegabtes Wesen, das bei guten Lehrern, im Verkehr mit gebildeten Menschen, durch die Lektüre ernster Bücher manches lernte. Du hast mir selbst in der Brautzeit erklärt, Du hättest mich auch deshalb lieb, weil ich nicht eine so dumme Pute wäre, wie viele andere Offiziers-Damen – jawohl – dumme Pute – das waren Deine eigenen Worte! Und nun soll ich plötzlich dabeisitzen, den Mund halten, zu allem ja und amen sagen, was man in meiner Gegenwart redet, auch dann, wenn es nach meiner Überzeugung offenbarer Unsinn ist –? Das kann ich einfach nicht.«

»Du wirst es aber doch noch lernen müssen, wenn Du nicht nur Dir, sondern auch mir ernste Unannehmlichkeiten ersparen willst. Mich macht man für das verantwortlich, was Du tust und sagst – und dafür danke ich! Ich habe mehr als genug an der Standrede, die ich wegen Deines Ballkleides zu hören bekommen habe!«

Sie sah ihn ganz verständnislos an: – »Dich hat man deswegen auch zur Rede gestellt? – Und Du hast Dir das gefallen lassen? Du bist nicht in einer Art und Weise für mich eingetreten, daß Deinem Major und seiner Frau ein für allemal die Lust vergeht, sich um unsere Angelegenheiten zu kümmern? Du hast das ruhig angehört und vielleicht sogar noch: ›Zu Befehl‹ gesagt? Schämen solltest Du Dich – verstehst Du? – Es ist Deine Pflicht, jederzeit die Partei Deiner Frau zu ergreifen – und wenn Du das nicht tust, dann bist Du alles andere, nur nicht der Mann, zu dem eine Frau Vertrauen haben kann.«

»Ich verbitte mir solche Beleidigungen!« herrschte er sie an. Dann aber ruhiger werdend, fuhr er fort: »Ich fühle es Dir ja nach, daß Dich die Sache erregt – ich wollte es Dir deshalb auch verschweigen, daß der Major mit mir gesprochen hat – aber nun habe ich mich ja doch verplappert. Was Du da sagst, daß der Mann jederzeit für seine Frau eintreten soll, ist in der Theorie sehr schön und ja auch vollständig richtig, aber beim Militär läßt sich das nicht immer durchführen. Den Vorgesetzten gegenüber muß man eben oft den Mund halten, so schwer es auch zuweilen wird, aber man darf nicht nur an den Augenblick, sondern muß auch an die Zukunft, an die Karriere denken –«

»Wenn Ihr Unrecht ruhig hinnehmt, wenn Ihr Euch alles sagen laßt, nur um zu avanzieren und um ein paar hundert Mark mehr zu verdienen, dann tut Ihr mir von ganzem Herzen leid – da habe ich von dem preußischen Offizier denn doch eine höhere Meinung gehabt –«

Er zuckte die Achseln: »Man muß die Zeiten eben nehmen, wie sie sind, und sich ihnen fügen. Heutzutage kommt nur vorwärts, wer sich den anderen unterordnet und sich bei ihnen beliebt macht, wer lieber dreimal zuviel schweigt, als daß er ein einziges Mal an falscher Stelle den Mund aufmacht. Wollten wir uns über jedes Unrecht, das wir erleiden, beschweren oder gegen jeden Vorgesetzten, der uns ohne Grund zur Rede stellt, auffahren, – dann gäbe es bald keine Untergebenen mehr. Um aber auf die Hauptsache zurückzukommen: ich wiederhole: Du darfst nie und nimmer wieder so sprechen, wie Du es heute getan hast. Ich sehe die Weiber schon, wie sie über Dich zu Gericht sitzen – das schadet Dir und mir. Ich habe keine Lust, weil Du Dich hier vielleicht unmöglich machst, weil die anderen Damen sich vielleicht bald weigern, mit Dir zu verkehren, – ich meine: ich habe keine Lust, mich Deinetwegen nach Posemuckel oder in irgend ein Grenznest versetzen zu lassen –«

Sie war bei seinen Worten totenblaß geworden. »Ich verstehe Dich nicht – wer nicht mit mir verkehren will, weil ich den Mut habe, das auszusprechen, was ich denke, der soll meinetwegen ruhig fortbleiben – ich verliere nichts an ihm! Und bedenke bitte, daß Du mich geheiratet hast, und nicht ich Dich! Du bist der Mann, ich die Frau. Du hast zu mir zu halten, und wenn Dir Deine Karriere höher steht, als Dein Eheglück, wenn Du glaubst, daß ich Deinem militärischen Fortkommen im Wege stehe, dann habe wenigstens den Mut, das offen und ehrlich einzugestehen – dann sag', daß Du es bereust, mich geheiratet zu haben. Ich packe dann noch heute meine Koffer und fahre morgen für immer nach Kopenhagen zurück. Ich will lieber gar keinen Mann haben, als einen, den ich doch nicht glücklich machen kann, der da beständig fürchtet, ich könne ihm und seiner Karriere schaden. – Was ich da sage, ist mein völliger Ernst. Bitte, überleg' es Dir.«

Er hatte ihr voller Ungeduld zugehört: »Red' doch keinen Unsinn!« fuhr er sie von neuem an, »und gewöhne Dir endlich die verfluchte Redensart ab: ich gehe nach Kopenhagen zurück! Wir haben uns doch nicht zum Spaß geheiratet, sondern um mit einander zu leben. Dein Platz ist an meiner Seite. Du hast als meine Frau nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten, und die bestehen darin, daß Du Dich mit Deinem Benehmen, Deinen Anschauungen und Deinen Äußerungen dem Kreis anpaßt, zu dem Du jetzt durch mich gehörst. – Das mach Dir bitte ganz klar, und füge Dich lieber in Deinem eigenen Interesse freiwillig, bevor man Dich dazu zwingen wird. Und damit gute Nacht. Ich habe keine Lust, mich den ganzen Abend mit Dir herumzuärgern. Ich gehe noch in den Klub. – Du brauchst nicht auf mich zu warten – ich werde wohl erst spät nach Hause kommen.«

Ohne ihr die Hand zu reichen, ging er zur Tür. Auf der Schwelle machte er noch einmal Halt und sah sich nach ihr um: »Gute Nacht –«

Aber sie fand kein Wort für ihn. Sie stand in der Mitte des Zimmers und sah ihn stumm an.

Der Zorn wurde wieder in ihm wach, und er lachte höhnisch auf: »Daß Du Dich jetzt auch noch als die beleidigte Jungfrau von Orleans aufspielst, wird bei Gott immer schöner! Aber wenn es Dir Spaß macht, – meinetwegen. Ich will Dir das Vergnügen nicht rauben.«

Und die Tür heftig hinter sich zuwerfend, daß Frau Thea erschrocken zusammenfuhr, ging er von dannen.

Lange stand sie noch auf demselben Fleck – immer noch den Blick auf die Tür gewandt, durch die er gegangen war. Dann suchte sie ihr Zimmer auf und legte sich auf dieselbe Chaiselongue, auf der ihr Mann heute vormittag zu ihren Füßen gesessen hatte.

Er war ihr plötzlich ein ganz Fremder geworden – und sie wußte, was zwischen sie getreten war, das war keine kleine Verstimmung, wie sie in jeder jungen Ehe vorkommt, sondern ein Riß, der schwerlich ganz wieder zu heilen sein würde – –

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